Chromosomenanalysen in zellkulturen des chinesischen hamsters nach applikation von bleiacetat

Chromosomenanalysen in zellkulturen des chinesischen hamsters nach applikation von bleiacetat

Mutation Research 95 Elsevier Publishing Company, Amsterdam Printed in The Netherlands CHROMOSOMENANALYSEN IN Z E L L K U L T U R E N DES C H I N E...

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Mutation Research

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Elsevier Publishing Company, Amsterdam Printed in The Netherlands

CHROMOSOMENANALYSEN IN Z E L L K U L T U R E N DES C H I N E S I S C H E N HAMSTERS NACH A P P L I K A T I O N VON B L E I A C E T A T

M. BAUCHINGER UND E. SCHMID

lnstitut fiir Biologie (Gesehdftsfi~hrender Vorstand Prof. Dr. O. Hug) und Institut fiir Hdimatologie ( Leiter Prof. Dr. W. Stich) aer Gesellschaft fiir Strahlen- und Umweltforschung Miinchen-Neuherberg ; Strahlenbiologisches Institut der Universitdt Miinchen (Direhtor Prof. Dr. 0. Hug) (Deutschland) (Eingegangen am 29. Juli, 1971) (Revision eingegangen am 25. August, 1971)

SUMMARY

Chinese hamster cell cultures were treated with different concentrations of lead acetate for a period of one cell cycle. Afterwards chromosome damage and disturbance of the mitotic apparatus were investigated. With increasing lead acetate concentration the mitotic index decreased. However, structural chromosome aberrations, which can be related to true discontinuities of the chromosome structure, and disturbances of the chromosome distribution were never more frequent than in controls. On the other hand, the achromatic lesions or gaps increased with the most concentrated lead acetate solution.

I m Rahmen der Diskussion tiber die gesundheitsschiidigende Wirkung von Umweltchemikalien muss dem Blei auf Grund seiner bekannten toxischen Wirkung eine besondere Stellung einger~iumt werden. Vor kurzem erschienen einige Ver6ffentlichungen, nach denen durch Blei Chromosomenschiiden in somatischen Zellen des Menschen 5,~ in vivo und in vitro sowie bei M~iusen* in vivo hervorgerufen werden. Bei ~ihnlichen Chromosomenanalysen in menschlichen Leucozyten, die wir an unserem Institut durchgeftihrt haben 1, konnten wir keine yon der Norm abweichenden strukturellen Chrom~somenaberrationen beobach'teia. U m diegO'unterschiedlichen Befunde kl~iren zu k6nnen, haben wir Chromosomenanalysen in Zellkulturen des chinesischen Hamsters durchgeftihrt, die mit verschiedenen Konzentrationen einer Bleiacetat16sung behandelt wurden. Wegen der geringen Chromosomenzahl dieser Zellen (90% der Zellen in dieser Zellinie besitzen 23 Chromosomen) k6nnen in relativ kurzer Zeit viele Zellen analysiert werden. Dartiberhinaus k6nnen wegen der hohen Mitoseindices in Kulturen ohne Colcemidbehandlung auch St6rungen des mitotischen Bewegungsapparates gut erfasst werden.

Studie im Rahmen des Assoziations Vertrages Hiimatologie Euratom GSF o31-64-1 BiAD.

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MATERIAL UND METHODE

Fiir die Versuche wurden Fibroblasten der Zellinie H y des chinesischen Hamsters verwendet. Die Zellen wurden als Monolayer-Kulturen in Eagle Medium (Hanks' BSS, MEM) mit IO~; K~ilberserum bei einer kontinuierlichen Begasung mit einem Gemisch aus 95~o Luft und 5% C02 gehalten. Die Passagierung erfolgte unter Verwendung yon 0.2% Trypsin im Abstand von 2- 3 Tagen. Far die Versuche wurden Deckglaskulturen in Petrisehalen angelegt, in denen die Zellen in einer Konzentration von 5oooo Zellen pro ml 30 h ungest6rt wachsen. Danach wurden die Testl6sungen in verschiedenen Konzentrationen fiir 16 h (Generationszeit 12.-15 h) zugesetzt. Bleiacetat wurde in Konzentrationen von lO .2IO 6 M L6sungen ill] Medium getestet, Natriumacetat in einer einzigen Konzentrationsstufe yon IO 4 M. Zur Untersuchung der mitotischen Verteilungsst6rungen wurden die Kulturen nach 16 h abgebrochen und nach einmaligem Wasehen mit Hanks'cher L6sung fixiert. Ftir jede Konzentrationsstufe der Testl6sungen und der Kontrolle wurden jeweils IOOO Mitosefiguren analysiert. Zur Untersuchung struktureller Chromosomenver~inderungen wurden Karyotypanalysen durchgeftihrt. Zur Anreicherung der Metaphasen wurden die Kulturen vor der Fixierung 2 h mit einer Colcemidl6sung (0.2 y pro ml) behandelt und ftir 15 rain in einer hypotonischen Natriumcitratl6sung (1.o%) gehalten. Naeh der Fixierung wurde die Deckgl~tser luftgetrocknet. Die F~irbung erfolgte nach Feulgen und wurde mit Orcein-Eisessig kombiniert. Far die Kontrolle wurden 5o0 Metaphasen, ftir die verschiedenen Konzentrationsstufen der Testl6sungen jeweils 25 ° Metaphasen, analysiert. ERGEBNISSE

z. Verteilungsstdrungen In Kulturen ohne Colcemidzusatz und hypotonischer Behandlung wurde geprtift, ob es durch den Zusatz der Testl6sungen zu St6rungen des mitotischen Bewegungsapparates kommt. Als solche wurde eine typische apolare Stathmokinese, ~ihnlich der durch Colcemid oder Colchizin verursachten "C-Metaphase", angesehen. Dartiberhinaus wurde Mehrgruppen-Metaphasen und Kongressionshemmungen einzelner Chromosomen bei der Einordnung in die J~quatorialplatte registriert. Bei Anaund Telophasen wurde sogenannte "C-Anaphasen" und multipolare Teilungsfiguren erfasst. Ausserdem wurde auf Briicken und Fragmente geachtet. Als weitere St6rungen wurden pyknotische Mitosen und sog. D-Zellen (darunter verstehen wir Zellen mit diffusen Ver~inderungen der Chromosomenstruktur, wie etwa starke Pulverisierung einzelner Chromosomen) gez~ihlt. In Tabelle I sind die Ergebnisse aus den verschiedenen Untersuehungen zusamrnengefasst. Die Tabelle zeigt, dass weder durch eine lO -4 M Natriumacetatkonzentration, noch dutch die drei verwendeten Bleiacetatkonzentrationen von IO 5-1o 7 M eine Zunahme der Spindelst6rungen bewirkt werden konnte. 2. Strukturelle Chromosomenveriinderungen Strukturelle Chromosomenver~inderungen wurden in Kulturen, die mit Colcemid und hypotonischer L6sung vorbehandelt wurden, untersucht. Im Vergleich zur 3/Iutat~on Res., 14 (1972) 9 5 - 1 o o

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Kontrolle war in den Kulturen, die mit Natriumacetat oder mit Bleiacetat behandelt worden waren, keine erh6hte Zahl von Chromosomenaberrationen vorhanden. Tabelle I I zeigt, dass Aberrationen mit offenen Brtichen, wie Chromatidbrtiche und acentrische Fragmente dabei am h~tufigsten auftraten. Strukturelle Umbauten, wie dicentrische Chromosomen, Ringe und Chromatidaustauschfiguren, fanden sich nur in geringer Zahl. I m Gegensatz zu diesen Aberrationstypen, die zu ihrer Entstehung eine Diskontinuit~tt der Chromosomenstruktur voraussetzen, waren achromatische Lticken oder gaps (als solche werden feulgennegative Lticken innerhalb einer oder beider Chromatiden ohne Dislokation der distalen Chromosomenstruktur angesehen), im Vergleich zur Kontrolle, besonders in den h6heren Bleiacetatkonzentrationen vermehrt. Durch die Bestimmung des Mitoseindex in den verschiedenen Kulturen wurde der Einfluss der Testl6sungen auf die Mitosetittigkeit geprtift. Bereits in den ohne Colcemid behandelten Kulturen zeigte sich, dass mit zunehmender Bleiacetatkonzentration der Mitoseindex abnimmt. Eine kritische Schwelle diirfte dabei im Konzentrationsbereich zwischen lO -6 und IO 5 M liegen. Dies zeigt sich in noeh ausgepr~igterer Form bei der Bestimmung des stathmokinetischen Mitoseindex in colcemidbehandelten Kulturen, in denen diese Schwelle ebenfalls gut zu beobachten ist. Dar~berhinaus erfolgt his zur lO _3 M Konzentration eine weitere Abnahme des Mitoseindex (Tabelle II). Eine Besonderheit f~illt bei der lO -5 M Bleiacetatkonzentration auf, bei der trotz Vorbehandlung mit Colcemid, kein ausgesprochener stathmokinetischer Effekt auftrat. Zwar lagen einige Anaphasen in Form von sog. "C-Anaphasen" vor, wobei die Chromatiden bereits am Centromer voneinander getrennt sind. Die Zahl der "CMetaphasen" lag jedoch mit 4.5% im Bereich der Norm, wie sie in allen Kulturen ohne Colcemidbehandlung auftrat (Tabelle I). Die Versuche mit lO -5 M Bleiaeetatkonzentration (Colcemidvorbehandlung + hypotonische L6sung!) wurden deshalb nach Auswertungskriterien, wie sie ftir Kulturen ohne Colcemidbehandlung angewandt wurden, analysiert. DISKUSSION

In der Einleitung haben wir bereits auf unsere Befunde (Teilergebnisse noch laufender Untersuchungen wurden in (I) mitgeteilt) an menschlichen Lymphozyten nach Applikation von Blei in vivo u n d in vitro hingewiesen. Wir haben dort Chromosomenanalysen von 18 beruflich bleiexponierten Personen durchgeftihrt. Bei einigen dieser Probanden konnte die Bleiaufnahme durch die erh6hte 6-Aminolaevulins~iureAusscheidung im Urin nachgewiesen werden. Ausserdem konnte eine Person mit einer klinisch manifesten Bleivergiftung untersucht werden. In keinem Fall konnten jedoch im Vergleich zu Kontrollpersonen von der Norm abweichende Chromosomenbefunde erhoben werden. Bei in vitro Versuchen, in denen IO-3-IO-e M Bleiacetatkonzentrationen 24 h auf Lymphozytenkulturen einwirken konnten, ergab sich, verglichen mit unbehandelten Kontrollkulturen, weder nach 48-h noch nach 72-h Kulturzeit eine Zunahme struktureller Chromosomenaberrationen. Als einziger Effekt zeigte sich eine Zunahme der achromatische Lticken bei einer lO -3 M Bleiacetatkonzentration in vitro.

Die vorliegenden Befunde an unsynchronisierten Zellkulturen des chinesischen Mutation Res., 14 (1972) 95-1oo

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Hamsters best~itigen unsere Ergebnisse an menschlichen Lymphozyten. Es zeigt sich, dass die Applikation von Bleiacetat in keiner der getesteten Konzentrationsstufen zu einer Vermehrung struktureller Chromosomenaberrationen fiihrt, selbst wenn dieses ffir die L~inge eines ganzen Zellcyklus (12-15 h) in den Kulturen gegenw~irtig war. Analog zu den Lymphozytenbefunden ist einzig bei achromatischen Lficken eine Zunahme zu erkennen (Tabelle II). St6rungen des mitotischen Bewegungsapparates, die zum Beispiel zu apolarer Stathmokinese oder multipolaren Mitosen fiihren, finden sich in den drei analysierten Konzentrationsstufen von Bleiacetat nicht h~iufiger als in den Kontrollen. Bezfiglich des Mitoseindex f~illt eine Abnahme mit zunehmender Bleiacetatkonzentration auf, wobei sich eine kritische Schwelle bei etwa lO -5 M befinden dfirfte. Dies zeigt sowohl der Mitoseindex in Kulturen ohne Colcemidzusatz (Tabelle I) als auch der stathmokinetische Mitoseindex. Die exakten Ursachen ffir die bei einer IO-* M Bleiacetatkonzentration beobachteten Verhinderung des Colcemideffektes, k6nnen im Augenblick noch nicht gekl/irt werden (Tabelle I, letzte waagerechte Spalte). Es w~ire jedoch denkbar, dass die Zellen in dieser hohen Konzentrationsstufe abget6tet und durch einen Fixierungsprozess in den beobachteten Teilungsstadien festgehalten werden. Eine Verhinderung des Colcemideffekts, die aber nicht so ausgepriigt hervortritt, wurde bisher in der Literatur nut noch nach Einwirkung von meso-Inositol auf Wurzelspitzenzellen von Allium cepa und Rattenfibroblasten 2,3 beschrieben. Ein Vergleich unserer Befunde an menschlichen Lymphozyten und Zellen des chinesischen Hamsters mit den Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen 4-6 ergibt fibereinstimmend, dass achromatische Lticken oder gaps nach Bleiapplikation stets h~iufiger auftreten als in Kontrollen. Allerdings zeigen sich dabei betr~ichtliche graduelle Unterschiede. Wir selbst finden diese Ver~inderungen sowohl in menschlichen Lymphozyten, als auch in Zellkulturen des chinesischen Hamsters, nur bei den h6chsten Konzentrationsstufen vermehrt. Strukturelle Chromosomenaberrationen, die auf eine Diskontinuit~it der Chromosomenstruktur zuriickgefiihrt werden k6nnen, finden sich in s~imtlichen Untersuchungen in weit geringerer Zahl und sind in unserem Material gegenfiber den Kontrollen nicht vermehrt. Auff~illig ist, dass bei den strukturellen Ver~inderungen Translokationsprozesse in gr6sserem Ausmass nur von einer Gruppe 6 beschrieben wurden. Wir m6chten auf Grund unserer bisherigen Befunde annehmen, dass durch Blei in den untersuchten somatischen Zellsystemen des Menschen und des chinesischen Hamsters akut keine Chromosomenver~inderungen in Form von Bruchstiickverlusten und strukturellen Umbauten ausgel6st werden. Die induzierten Veriinderungen an den Chromosomen sind bei hoher Dosierung von Bleisalzen unspezifischer Natur und ~ussern sich als achromatische Lticken oder gaps. Diese stellen keine echten Diskontinuitiiten der Chromosomenstruktur dar und fiihren nicht zur Bildung yon acentrischen Fragmenten. Da sie bei der DNA-Synthese repariert werden k6nnen, ist es noch fraglich, ob diese Ver~inderungen zu einem etwaigen Mutationsgeschehen beitragen k6nnen.

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M. BAUCHINGER, E. SCHMID

LITERATUR i BAUCHINGER, M., UND E. SCHMID, Die c y t o g e n e t i s c h e \ V i r k u n g v o n Blei in m e n s c h l i c h e n L y m p h o c y t e n , " A r b e i t s g r u p p e Blei" der K o n l m i s s i o n ftir U m w e l t g e f a h r e n des B u n d e s g e s u n d h e i t s anltes (1971) in Vorbereitung. 2 CHARGAFF, E., R. •. STE'vVART UND I{. MAGASANIK, Inhibition of nlitotic poisoning by nlesoinositol, Science, lO8 (1948) 556-558. 3 MURRAY, M. t{., H. H. DE LAM UND 1L. CHARGAFF, S p e c i f c inhibition b y meso-inositol of the colchicine effect on r a t fibroblasts, Exptl. Cell Res., 2 (1951) 165 177. 4 MURO, L., UND R. A. GOYER, C h r o m o s o m a l d a m a g e in e x p e r i m e n t a l lead poisoning, Arch. Pathol., 87 (1969) 660 663. 5 ()BE, G., UND K. SPERLING, Genetische W i r k u n g von B l e i v e r b i n d u n g e n a u f m e n s c h l i c h e Chron l o s o m e n in vivo u n d in vitro (vorl~iufige Befunde), " A r b e i t s g r u p p e Blei" der K o n l m i s s i o n fiir IJnlweltgefahren des B u n d e s g e s u n d h e i t s a m t e s (1971) in Vorbereitung. 6 SCHWANITZ, G., G. LEHNERT UND E. GEBIIART, Chromosomensch~iden bei beruflicher Bleib e l a s t u n g , Deitt. Med. Wochschr., 95 (197 o) 1636-1641. Mutation Res., 14 (t972) 9 5 - 1 o o