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Editorial
Akupunktur Deutsche Zeitschrift für
18. November 1951 – 18. November 2011 Eröffnungsrede zum Festakt 60 Jahre DÄGfA Bildreportage auf den Seiten 47–49 Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde, es ist mir eine Ehre, Sie im Namen unserer Gesellschaft zu diesem Festakt heute hier anlässlich des 60-jährigen Jahrestages der Gründung der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur begrüßen zu dürfen. Viele von Ihnen sind weit gereist und haben es trotz eines übervollen Terminkalenders möglich gemacht, heute hier zu sein. Vielen Dank! Es freut mich besonders, zahlreiche alte Freunde und Weggefährten begrüßen zu dürfen. Jeder von Ihnen hier im Saal hat auf die eine oder andere Weise, für kurze Zeit oder jahre-/jahrzehntelang zu dem beigetragen, was Medizin und Akupunktur in der Medizin heute sind. Sehen Sie es mir daher nach, wenn ich jetzt selbst die Wichtigsten unter Ihnen nicht persönlich begrüße. Ich hoffe vielmehr, dass Sie im Laufe dieses Abends Gelegenheit finden werden, viele persönliche Begrüßungen und Worte miteinander zu finden. Dann wäre schon ein wesentliches Anliegen unseres heutigen Festaktes erreicht. 18. November 1951: Deutschland noch schwer gezeichnet vom Krieg, die Generation unserer Eltern und Großeltern nicht nur auf dem Weg in den Wiederaufbau und zu materiellem Wohlstand, sondern auch dabei, sich nach den grauenvollen Jahren der Nazizeit der Welt kulturell und wissenschaftlich wieder zu öffnen. Als an diesem Tag nur einen Kilometer von hier, zwischen Hofgarten und Universität, gegenüber der Staatsbibliothek, acht Ärzte den Verein „Deutsche Gesellschaft für Akupunktur“ gründeten, werden es nicht nur die überzeugenden Erfolge des Nadelstichs gewesen sein, sondern auch der Wunsch, sich dem Fremden zu öffnen. Auch war die Akupunktur im Gegensatz zu den klassischen Naturheilverfahren nicht vom Nationalsozialismus missbraucht und diskreditiert worden. Dieses Jubiläum wollen wir nicht mit Vorträgen zu Fragen zum Signifikanzniveau, P-Values, Diagnostik und Punktwahl etc. begehen, sondern einen freundlichen, zugleich kritischen Blick auf diese wahrlich unglaubliche Entwicklungsgeschichte werfen. Dazu schien es uns am besten, die Standortbestimmung dadurch vorzunehmen, dass wir schauen, wie die Umgebung aussieht. Es ist wie beim Wandern: Wenn ich wissen will, wo ich bin, nutzt es gar nichts, wenn ich auf die eigenen Schuhspitzen starre oder auf den Jackenknopf des Gefährten, sondern ich werde prüfen, wie die Umgebung aussieht und andere befragen. Aus den vielen Möglichkeiten, in die eine oder andere Richtung zu sehen, haben wir drei besondere Redner um Themen gebeten, die uns das Andere zeigen werden und damit den eigenen Weg und die heutige Position beleuchten werden. Was haben die Krawatte, die Kaffeetasse, die Eintrittskarte und die Akupunktur gemeinsam? Sie wissen es: Alle vier basieren auf umwälzenden Erfindungen bzw. Entdeckungen aus China. Seide, Porzellan und Papier sind zunächst als Raritäten, dann als Kulturgüter in den Westen gekommen und haben später zu großen wirtschaftlichen Umwälzungen geführt, nachdem sie technologisch im Westen adaptiert und weiterentwickelt worden waren. Auch die Akupunktur war zunächst ein Exotikum, der mehr eine kulturelle als eine breite medizinische Bedeutung zukam. Gerhard Bachmann schrieb 1967 kurz vor seinem Tod an seinen Sohn: „Da ich eine besondere Therapie betreibe, sie erstmalig in
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Deutschland und Umgebung eingeführt habe, wurde ich allseitig für verrückt erklärt.“ So war es bei Gründung der DÄGfA! Vor etwa 40 Jahren jedoch wandelte sich die Situation. Die Akupunktur fand sich mit unglaublicher Geschwindigkeit mitten im deutschen Gesundheitssystem wieder. Es ist schon etwas Einmaliges, dass dieser zunächst vorwiegend kulturelle Import in kürzester Zeit Bestandteil deutschen Sozialrechts geworden ist. Es ist so, als hätte August der Starke gesetzlich jedem seiner Untertanen das Anrecht auf eine Meissner Porzellantasse zugestanden! Auch die Akupunktur hat auf dem Weg von Osten nach Westen einen Umwandlungsprozess erfahren. Übrigens wird oft übersehen, dass es auch in China in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Ansätze gab, die Akupunktur zu erweitern, z. B. die Mikrosysteme Chinesische Schädelakupunktur und ECIWO. Die DÄGfA ist seit ihrem Bestehen den Weg gegangen, das Alte in Ehren zu halten, es aber in unsere Kultur und unser medizinisches Denken und Handeln zu integrieren und mit wissenschaftlicher Methodik zu prüfen. Zu erinnern ist dabei an die vom DÄGfA-Mitglied Voll entwickelte Elektroakupunktur und an die Versuche, den Nadelreiz durch andere Reize zu ersetzen, z. B. durch Töne oder Farben. Geblieben sind aus der Pionierzeit zum einen die Entwicklungen der Mikrosysteme: des Ohres, des Schädels, des Mundes oder anderer. Später kam die Triggerpunktakupunktur dazu. Am wichtigsten aber scheint mir die Integration des Konzeptes der Emotionen der chinesischen Medizin in die westliche psychosomatische und psychotherapeutische Medizin. Hier haben Ingrid Wancura, Jochen Gleditsch und andere für unsere Medizin Wertvolles aus den chinesischen Ansätzen entwickelt. Indem wir unterscheiden, was Erbe dieser, historisch gesehen, größten Kulturnation der Welt ist und was wir daraus gemacht haben, würdigen wir Chinas Beitrag und den unserer Lehrer im Westen und unseren eigenen bescheidenen am besten. So gilt auch hier das bekannte Goethe-Wort: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen.“ Ich bin nun sehr gespannt, was uns unsere Redner aufzeigen werden aus ihrer Sicht, der universitären Medizin, den Wurzeln der Akupunktur in der französisch-vietnamesischen Schule und schließlich einer Sicht aufs Ganze, und warum wir mehr erleben als wir begreifen. Ich wünsche uns viele Erkenntnisse und Einblicke, die uns in unserer Arbeit am Patienten und als Fachgesellschaft im Bereich der komplementären und integrativen Medizin beflügeln mögen. Ganz besonders wünsche ich Ihnen und uns allen aber einen vergnügten und beschwingten Abend, der getragen ist von der Freude des Zusammenseins und der Arbeit an einer gemeinsamen Aufgabe. Ich danke Ihnen. Dr. Wolfram Stör 1. Vorsitzender der DÄGfA
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