Anwendung neuer Vergütungsformen im Rahmen niederländischer DMP: Auswirkungen auf Prozessqualität und Kosten

Anwendung neuer Vergütungsformen im Rahmen niederländischer DMP: Auswirkungen auf Prozessqualität und Kosten

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Public Health Forum 21 Heft 78 (2013) http://elsevier.de/pubhef

€ tungsformen im Rahmen Anwendung neuer Vergu €ndischer DMP: Auswirkungen auf Prozessqualita €t niederla und Kosten Sigrid M. Mohnen, Caroline A. Baan und Jeroen N. Struijs

Die Niederlande haben, wie auch andere westliche La¨nder, aufgrund demografischer Vera¨nderungen und einer wachsenden Zahl chronisch Kranker mit steigenden Gesundheitsversorgungskosten zu ka¨mpfen. Zusa¨tzlich wird neben dem drohenden Kostenanstieg der Ruf nach einer Patientenzentrierten Versorgung lauter, von der man sich Qualia¨tsverbesserungen erhofft (Bodenheimer, 2008). Wie auch in Deutschland gilt integrierte Versorgung als vielversprechend. Das niederla¨ndische Gesundheitssystem unterscheidet sich vom deutschen dadurch, dass Facha¨rzte im Krankenhaus angesiedelt sind. Patienten ko¨nnen Facha¨rzte ausschließlich nach ¨ berweisung durch ihren Hausarzt U kontaktieren. Einige Heilberufe sind ¨ berweisung niedergelassen und ohne U zuga¨nglich. Zur Gruppe dieser Leistungserbringer za¨hlen z.B. Zahna¨rzte, Hebammen und Medizinalfachberufe wie Dia¨tassistent oder Physiotherapeut (Boot, 2010). Alle Leistungsanbieter in der ambulanten Versorgung agieren im herko¨mmlichen Versorgungssystem unabha¨ngig voneinander und werden separat vergu¨tet, was eine patienten-zentrierte Versorgung verhindert. In den letzten zwei Jahrzehnten sind in den Niederlanden viele Versuche unternommen worden, die Gesundheitsversorgung chronisch Kranker effizienter zu gestalten. Hierfu¨r wurden Disease-Management-Programme (DMPs) entwickelt, die denen in Deutschland sehr a¨hnlich sind. Ein einheitliches EDV-System und Selbst-

management von Patienten sind neue Bestandteile in der Versorgung von chronisch Kranken in DMPs. Das fragmentierte Vergu¨tungssystem stellte eine finanzielle Barriere fu¨r die Zusammenarbeit von Leistungserbringern von DMPs dar. DMPs breiteten sich erst aus, als im Jahr 2007 fu¨r DMPs eine integrierte Vergu¨tung eingefu¨hrt wurde (,,bundled payment‘‘). Es folgte eine dreija¨hrige landesweite ¨ bergangsphase, in der drei Vergu¨U tungssysteme in Kraft waren und durch Hausa¨rzte frei gewa¨hlt werden konnten: Die herko¨mmliche Vergu¨tung mittels Einzelleistungsvergu¨tung, eine Managementvergu¨tung und eine integrierte Vergu¨tung (die ab 2010 zur Standardvergu¨tung wurde). Die Managementvergu¨tung sieht neben der herko¨mmlichen Vergu¨tung eine zusa¨tzliche Vergu¨tung fu¨r die Zusammenarbeit von Leistungsanbietern vor. Seit Einfu¨hrung der integrierten Vergu¨tung fu¨r DMPs sind rund 100 ‚Care Groups‘ entstanden. Diese Care Groups sind verantwortlich fu¨r die Organisation, Koordination, Durchfu¨hrung und Abrechnung der DMPs. Dafu¨r schließen sie Versorgungsvertra¨ge mit den Krankenkassen und Subvertra¨ge mit einzelnen Leistungserbringern ab. Ein Hausarzt kann sich nur einer einzigen Care Group anschließen. Patienten fallen unter die Care Group, bei der sich ihr Hausarzt eingeschrieben hat. Durch die Einfu¨hrung dieser neuen Organisationseinheit wurde die Mo¨glichkeit geschaffen, dass ein gebu¨ndelter Vertrag abgeschlossen wird und der

Zusammenarbeit von Leistungserbringern nichts mehr im Wege steht. Bisher wurden alle Care Groups durch Hausa¨rzte gegru¨ndet und geleitet, wobei dies auch anderen Anbietern offen steht. Sie bieten prima¨r DMPs fu¨r Diabetes, aber teilweise auch fu¨r COPD und vaskula¨re Erkrankungen an. 2009 waren u¨ber das ganze Land verteilt fast die Ha¨lfte und 2010 schon 80% aller Diabetiker Teilnehmer eines von Care Groups organisierten DMP. Die Auswirkungen von DMPs und deren Vergu¨tungsformen auf Prozessqualita¨t, Versorgung, Gesundheitszustand und Kosten wurden vom Health Services Research Team des ‚National Institute for Public Health and the Environment‘ (RIVM) begleitend erforscht (Struijs et al., 2010; Struijs und Baan, 2011; Struijs et al., 2012a, 2012b; de Jong-van Til et al., 2012; Lemmens et al., 2012, de Bakker et al., 2012). Die wichtigsten Ergebnisse werden nun aufgefu¨hrt. Seit Einfu¨hrung der integrierten Vergu¨tung haben die niederla¨ndischen Hausa¨rzte erstmals die Mo¨glichkeit als Gruppe mit Krankenkassen zu verhandeln – im herko¨mmlichen System schließt jeder Leistungsanbieter separat mit den Krankenkassen Vertra¨ge. Die Kostenverhandlungen wurden als ein nicht immer einfacher Prozess erfahren. Die EDV-Systeme, die die Zusammenarbeit zwischen den Leistungserbringern einer Care Group ermo¨glichen sollen, sind noch ungenu¨gend funktionsfa¨hig. Hier sind dringend Verbesserungen notwendig, da diese EDV-Daten auch fu¨r interne

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Benchmarkanalysen und externe Evaluation beno¨tigt werden, die von Krankenkassen und Politik gefordert werden (de Jong-van Til et al., 2012). Durch die Einfu¨hrung von integrierter Vergu¨tung und DMPs hat sich der Versorgungsprozess vera¨ndert. Einige ¨ rzte konkrete Aufgaben delegieren A nun an dafu¨r ausgebildete Assistenten, so werden einzelne Aufgaben z.B. von Hausa¨rzten an fachlich geschulte Praxisassistenten oder von Augena¨rzten an professionell ausgebildete Augenfachkundige delegiert. Die Zusammenarbeit zwischen Leistungsanbietern und die Zufriedenheit von Leistungsempfa¨ngern haben sich verbessert. Kleine Verbesserungen konnten bei einzelnen Prozess- und Qualita¨tsindikatoren festgestellt werden: Der Anteil von Patienten mit erfolgreich kontrolliertem systolischem Blutdruck bzw. mit Cholesterinwerten im Normbereich ist um 6% bzw. 10% gestiegen. Eher schleppend entwickelt sich die Beteiligung von Patientenra¨ten an den Care Groups. Patienten sind sich ihrer Teilnahme an einem DMP oft nicht einmal bewusst. Außerdem wird das Selbstmanagement noch nicht genu¨gend stimuliert (Struijs et al., 2012a). Alle Gesundheitskosten, die von Leistungsanbietern bei Krankenkassen in Rechnung gestellt werden und zum Basisversicherungspaket geho¨ren, werden wegen des Risikostrukturausgleichs zu einem unabha¨ngigen Datenverwaltungsunternehmen gesendet (Vektis). Mit diesen Vektisdaten (24 Versicherungen, mehr als 83% aller Versicherten in den Niederlanden) wurden die Effekte von DMPs und insbesondere der Effekt der integrierten Vergu¨tung auf die Gesundheitskosten von Diabetikern

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analysiert. Die kurativen Gesamtversorgungskosten eines Diabetikers in den Niederlanden lagen im Jahr 2009 bei durchschnittlich 4800 Euro. Die Krankenhauskosten (2500 Euro) und die Medikamentenkosten (1100 Euro) machten hier den gro¨bten Anteil aus. Hausarztkosten lagen bei nur 400 Euro (inklusive integrierter Vergu¨tung) (Struijs et al., 2012b). In einer zweija¨hrigen Langzeitstudie auf Basis der Vektisdaten wurden die drei verschiedenen Vergu¨tungssysteme miteinander verglichen. Die kurativen Gesamtversorgungskosten bei Diabetikern stiegen vom Jahr 2008 auf das Jahr 2009 sowohl in der Standardversorgung als auch in den DMPs. Dieser Anstieg an Kosten bei Diabetikern entsprach dem gesamtniederla¨ndischen Gesundheitskostenanstieg von rund 5%. Wa¨hrend sich die DMPs mit Managementvergu¨tung hinsichtlich der Kosten nicht von der herko¨mmlichen Vergu¨tung ohne DMPs unterschieden, stiegen die Kosten der integriert vergu¨teten DMPs um 288 Euro sta¨rker (bei Kontrolle von Patientenmerkmalen). Die Vektisdaten ermo¨glichten Mehrebenenanalysen, d.h. man beru¨cksichtigte, bei welchem Hausarzt, in welcher Care Group oder bei welcher Krankenkasse die Patienten waren. Keine dieser Ebenen war fu¨r den Kostenanstieg von Bedeutung, weshalb keine alternative Erkla¨rung fu¨r die Kostenanstiegsunterschiede zwischen den Gruppen infrage kommt. DMPs mit integrierter Vergu¨tung waren teurer als die herko¨mmliche Versorgung mittels Einzelleistungsvergu¨tung (Struijs et al., 2012b). Erstaunlicherweise fu¨hrte die Einfu¨hrung von DMPs tatsa¨chlich dazu, dass 17% weniger Diabetiker (integrierte

Vergu¨tung 25%, Managementvergu¨tung 12%) im Krankenhaus versorgt werden mussten. Dieser Erfolg von DMPs wurde aber dadurch getru¨bt, dass die Krankenhauskosten nicht dementsprechend sanken. Obwohl 2009 der Anteil an DMP-Patienten, die Leistungen im Krankenhaus in Anspruch nahmen, kleiner war als in 2008, verursachten diese im Jahr 2009 mehr Kosten als 2008. Dieses Pha¨nomen war bei integrierter Vergu¨tung, nicht aber bei Managementvergu¨tung zu beobachten (Struijs et al., 2012b). Dieser Widerspruch konnte noch nicht gekla¨rt werden. Vermutet wird ein Kompensationsverhalten der Krankenha¨user, um Einnahmen, die an einer Stelle verloren gingen, an anderer Stelle auszugleichen. Kennzeichnend fu¨r die niederla¨ndischen DMPs ist der Fokus auf die Allgemeinmedizin. Damit sind alle krankenhausexternen Leistungsanbieter gemeint. Es fehlt die Ausgabensteuerung im Krankenhaus. Da alle Facha¨rzte im Krankenhaus angesiedelt sind, ist das von großer Bedeutung. Es darf aber auch nicht aus den Augen verloren werden, dass bessere Qualita¨t einen Kostenanstieg bedeuten kann. Mo¨glicherweise verursachen besser eingestellte Diabetiker mehr Kosten, da sie la¨nger leben und eher in der Lage sind, andere Versorgungsleistungen in Anspruch zu nehmen, wie zum Beispiel eine Hu¨ftendoprothese. Die oben aufgefu¨hrten Ergebnisse sollten nicht zur voreiligen Verurteilung von DMPs mit integrierter Vergu¨tung fu¨hren, da die Analysen auf einer relativ kurzen Follow-up Phase basieren und die Langzeitauswirkungen noch unbekannt sind. Die kommenden Jahre werden zeigen,

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inwiefern die Zielstellung integrierter Versorgung realisiert wurde: eine weiterhin verbesserte Qualita¨t der Versorgung, eine verbesserte Gesundheit der Patienten und ein Ru¨ckgang des Kostenanstiegs.

Die korrespondierende Autorin erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. Literatur siehe Literatur zum Schwerpunktthema. http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2012.12.010

Sigrid M. Mohnen Centre for Nutrition, Prevention, and Health Services National Institute for Public Health and the Environment A. van Leeuwenhoeklaan 9 3721 MA Bilthoven [email protected]

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Einleitung Seit 2007 ist es in den Niederlanden mo¨glich, um DMPs integriert zu vergu¨ten. Integrierte Vergu¨tung soll zu qualitativ besserer Versorgung sowie Aufgabenverteilgung und –delegation fu¨hren. Das ,,National Institute of Public Health and the Environment (RIVM)‘‘ erforschte die Auswirkung dieser Vergu¨tungsreform auf Diabetes Versorgung hinsichtlich Qualita¨tsprozessindikatoren und Kosten. Die Forschungsergebnisse sind in diesem Artikel zusammengefasst. Summary Since 2007 it is possible to purchase DMPs by bundled payments in the Netherlands. Bundled payment was hypothesised to improve the quality of care and encourage task delegation and reallocation. The National Institute of Public Health and the Environment (RIVM) investigated the effects of this payment reform on the quality of care and health care costs regarding diabetes care. The results of this study are summarized in this article. Schlu¨sselwo¨rter: Integrierte Vergu¨tung = Bundled payment, Care groups = care groups, Diabetes = diabetes, Gesundheitsvergu¨tungssystemreform = health care payment reform, Kurative Gesundheitsversorgungskosten = curative health care costs

Literaturverzeichnis Bodenheimer T. Coordinating care – a perilous journey through the health care system. N Engl J Med 2008;358:1064–71. Boot JMD. Organization of health care [In Dutch: Organisatie van de gezondheidszorg]. Van Gorcum, 2010. Struijs JN, van Til J, Baan CA. Experimenting with bundled payments for diabetes care. The first tangible effects. RIVM report 260224002/ 2010. RIVM, Bilthoven, 2010 (Zitierdatum: 30.11.2012), abrufbar unter: http://www. rivm.nl/bibliotheek/rapporten/260224002.pdf Struijs JN, Baan CA. Integrating Care through Bundled Payments — Lessons from the Netherlands. N Eng J Med 2011;264(11):990–1. Struijs JN, de Jong-van Til JT, Lemmens LC, Drewes HW, de Bruin SR, Baan CA. Three

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years of bundled payment for diabetes care in the Netherlands. Impact on health care delivery process and the quality of care. RIVM report 26013002/2012. RIVM, Bilthoven, 2012a (Zitierdatum: 30.11.2012), abrufbar unter: http://www.rivm.nl/bibliotheek/rapporten/ 260013002.pdf Struijs JN, Mohnen SM, Molema CCM, de Jongvan Til JT, Baan CA. Effect of bundled payments on curative health care costs in the Netherlands. An analysis for diabetes care and vascular risk management based on nationwide claim data. RIVM report 26013001/ 2012. RIVM, Bilthoven, 2012b (Zitierdatum: 30.11.2012), abrufbar unter: http://www.rivm. nl/bibliotheek/rapporten/260013001.html De Jong-van Til JT, Lemmens LC, Baan CA, Struijs JN. The organization of care groups in 2011. Current state of affairs and develop-

ments during last years [In Dutch: De organisatie van zorggroepen anno 2011: Huidige stand van zaken en de ontwikkelingen in de afgelopen jaren]. Bilthoven: RIVM rapportnummer 260131003/2012. RIVM, Bilthoven, 2012. Lemmens L, van Til JT, Struijs JN, Kooistra M, Baan CA. Does the Diabetes Health Care Standard offer Care Groups enough guidance? [In Dutch: Biedt de NDF Zorgstandaard zorggroepen voldoende houvast? Bruikbaarheid NDF Zorgstandaard voor zorggroepen. TSG 2012;90(5):295–302. de Bakker DH, Struijs JN, Baan CA, Raams J, Vrijhoef B, de Wildt JE, Schut FT. First experiences with bundled payments for chronic care in the Netherlands. Health Affairs 2012;31(no. 2):426–33.