Die phonetische struktur

Die phonetische struktur

DIE PHONETISCHE 51"RUKTUR Eine grunds~tzliche Betrachtung YON PAUL MENZERATH (Bonn) Wie in anderen Wimenschaften kriselt es auch wieder einmal in d...

1MB Sizes 0 Downloads 86 Views

DIE PHONETISCHE 51"RUKTUR Eine grunds~tzliche Betrachtung YON

PAUL MENZERATH

(Bonn)

Wie in anderen Wimenschaften kriselt es auch wieder einmal in der Phonetik, und mancher findet Grund zu Beunruhigung. Zu Unrecht; jede Krise gibt neuen Anstoss; als reinigende Unterbrechung ist sic immer zu begrtissen, falls sie eben nicht chronisch wird. Krise heisst Besinnung, und Nachfahren sind trotz allem nicht immer undankbar. Zu Zeiten geschieht es, dass Forsci;,,,lgsergebnisse der Pioniere in Zweifel gezogen werden, weft sie sich mit der Zeit als unhaltbar oder wenigstens b~chig erwiesen haben. In einer solchen Periode steht heute die Phonetik. ~lte, l~ngst klassL~h gewordene Auffassungen miissen iiberwu den werden, weft sie der Kritik nicht mehr standhalten. Zugegeben : Phonetik als Wimenschaft beginnt erst in dem Augenblick, wo das Experiment w nicht das Instrument ! - - au{ die Probleine der Phonetik angewandt wurde. Also vor gut 50 j'ahren. Rousselot hebt sich, olme zeitlich der erste zu sein, heraus. Aut ihn grtindet sich noch immer die Phonetik der Gegenwart. Es gibt sogar anscheinend Leute, die in Rousselot bereits Kr0nung und Absclduss sehen; und doch m~ldet sich die Skepsis. Allerdings gehe ich wiederum nicht so welt wie andere, die den an Rousselot orientierten Methoden scldechthin jede BerechtJgtmg aberkennen und alle bisherib'en Bemflhungen rundweg als nutzlos vertan bezeichnen. Auch hier ist besonnene (~oerlegung" erforderlich. Abgesehen yon der ungeheuren Masse an Anregungen und ~harfsinnigen Techniken bleibt doch wold eine Reihe gesicherter - - oder mit Ann/herung gesicherter - - Ergebni_~se Rtr immer bestehen. Acta p ~ ~

i

16

242

PAUL MES~ZaATa

Selbst die Kymographie, d i • graphische Methode alten Stils, i ~ zwar tiberholt, aber noch lange nicht tot. Es gilt nur, sie in /hrem Bereich zu mngrenzen und ihr das Gebiet vorzubehalten, in dem sie auch heute noch wertvoU bleibt. Man denke z.B. an die Untersuchung der Artikulationsbewegungen, die sich zum Tell ausgezeichnet durch die Kymographie ausfiihren l~isst. Gewiss wird man in der Kritik der Technik recht weit gehen diiden un~i sich doch schliesslich wieder fiir die Kymographie entscheiden, weft die unbestritten besseren Verfahren (die R0ntgenographie vnd besonders der R6ntgentonfi;m) recht kompliziert, schwierig zu handhaben und auch im Betrieb zu kostspielig sind. Wenn eben gesagt wurde, dass ~iltere Auffassungen als fiberwunden gelten miissen, so konstruiert hieraus ein etwas voteiliger Gegner der Experimentalwissenschaft sogleich gegen sie den Vorwurf, dass, allgemein gesagt, offensichtlich das Experiment such nicht entscheidend sein kann, weil ja die ~ltere Lehre gleichialls auf Grund experimenteUer Befunde era~beitet war und infolgedessen auch gleichen Anspx ach auf Ric~" ~keit hatte. Ja, zur Zeit redet man yon der Unzuverl~ssigkeit naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden iiberhaupt und spricht ihnen sozusagen jede Bedeutung als Erkenntnisgrundlage ab. Das ist in dieser krassen Form iibertrieben und abwegig und s,:hliesslich nur geeignet, unliebsamem Dilettavtismus Tiir und Tor zu 6ffnen. Ein Beispiel aus ,~nserem Bereiche wird geniigen. Bei den Linguisten bes',eht eine Art yon Dogma fiber die Nasalvokale. Die Lehre gilt allgemein, dass die portugiesischen Nasalvokale viel ausgepr~igter nasal seien als die in den anderen romanischen Sprachen vorkommenden Laute gleicher Art, dass sie also sozusagen die idealen Nasalvokale sind. Hier ist da s Experiment allein ausschla~gebend, und es hat vollkommen gege~ die friihere Auffassung entschieden: die Nasalit~t der portugiesischen ~,~asalvokale ist, etwa mit den nordfranz~sischen verglichen, sogar verh~iltnism~issig gering. Der portugiesische Nasal,,vokal" besteht n~mlich aus drei Teilen, ¢inem unnasalen, einem nasalen und einem konsonant~schen(!) Teil. Das Experiment bleibt hier der einzige Weg zur Klarstellung; jede subjektive Beurteilung erfordert objektive Begriindung. Aber auch 'jed,es Exp~imen~ hat unbedingt nur seine T~'agweite. Ist diese bekannt, wird das Experiment zielstrebig bleiben, d.h. es wird den zu untersuchenden Sachverhalt wirklich umiassen und damit erfassen k6nnen. Nicht irgend ein Experiment ent-

DIE PHONETISCHE STRUKTUR

243

scheidet, mad vor aRem entscheidet es nicht immer geg~ einen Beftmd. Dann ntimlich nicht, wenn es diesen Befund nicht erfasst. Wenn ich z.B. land und bei zahlreiehen Nachpriilungen wieder tinde, dass die Kieferbewegungen be;.m Sprechen nicht mit gleichbleibender sondern mit stets weehselnder (beschleunigter und gehemmter) Geschwindigkeit verlaufen, dass die Schliessbewegungen in anderem Zeitverh/iltnis zu edolgen pflegen als d.e Oeffnungen ~), so liegt der Grund hierftir darin, dass wires mit Sprechbewegungen zu tun haben. Wenn nun etwa Z~ihneklappern ¢ine andere Zeitfolge erg~ibe, so wiirde das nichts gegen meine Behauptung beweisen. Das Klapperexperiment trifft den Befund ,,Sprechen" nicht: es w~ire ein typisches Fehlexperiment. Dazu tritt ads allerwichtigste Quelle des lrrtums die falsche Interpretation yon an sich einwandfreien Aufnabmen. Das beste Beispiel dafiir ist die ,klassische" Ausdeutung dcr sogenannten ,,Mundstromkurve", in die man are miSglichen und unm6glichen Dinge artikulatorischer Art hineingelesen hat, die gar nicht darin sein kOnn~ s). Um die Definition des Begriifes ,,Sprache" hat sich der Phonetiker nicht allzusehr zu miihen. Sicherlich reicht der Sprachhereich und damit der Begriff Sprache ~ weiter und tieler als d~s engumschriebene Teilgebiet seiner Zust/indigkeit. Sprache an sich ist mehr und anderes ads nut ,,Ausl6sung", ,,Kundgabe" oder ,,Darstellung". Abet fiir den Phonetiker ist sie wesentlich das, n~imlich Sprechen, eine Angelegenheit zwischen mindestens zweien. Ob nun wieder die sog. ,,Kette" des sprachlichen Sachvei haltes im einzelnen ganz zutrifft oder nieht, braucht an dieser Stelle ebensowenig er6rtert zu werden. Aber unbestreitbar bleibt der Phonetik innerhalb dieses Ganzen ein dreifacher Bereich vorbehalten: !) die Artikulation des Spreui~ers (die der Physiologie zugeh6rt), 2)die l~bertragung der Sehallenergie durch ein Medium [dieser Teil gehtirt zur Physik), und 3) die Auffassung durch den HSrer (zur Psychophysik gehtirig). Je nachdem ha.t also der Physiologe, der Physiker oder der Psychologe das Wott, wobei die t) Dabei werden noch die Untex.~chiede der 0berg.~nge yon Vokal zu Kon.~onanz, d.h. der ,,feate" bzw. ,,lose," Anschluss, der ,,st,-rk"- bzw. ,,schwachgeschnittem'" Akgent im einzelaen untersucht werden miissen. i) Die Bexechtigung der bisher geiibten . L a u t a b g r e n z u n g " wird kritisch untersucht und a b | e l e h n t in det" A r b e i t yon Me~zerath-de Lacerda: Koartikulation, Steuerung and Lautablgrenzung, Berlin und Bonn, Dihnmler, i 933.

244

PAUL MZm~ZRXTH

Personendreil~t sich praktisch in einem Imi/viduum (dem Phonetiker) v e r e i n i ~ mag. Immer aber ist von ausschla~t~-~sder Bedeutung, dass der Forscher sich in jedem Moment seiner Untersuchung wohl bewusst bleibt, an welchem Teil der ,,Kette'" er steht, yon welchem Standpunkt ~us er ~einen Gegenstmsd betrachtet, und welchen Massstab er anleg* s). Nur so wird seine Tenninologie folgerichtig und sauber sein. Jedenfallg ist es kurzs/chtig und v011~ unberechti~, heutzutage nur das zweite Glied (die Ubertragung) ~l~ das ~ ~ , wesentlichc Gebiet der Phonetik ansehen zu woUen, weft nun einmal zur Zeit die Physik einen wucht/gen Vorstoss in d ~ von ihr bisher so stiefm/itterlich beh~ndelte Gebiet der Akustik untern/mmt. Die Artikulationsphysiologie d/irfte schon aus der einfachen E ~ heraus nicht v e r n a c ~ i g t werden, dass sprachl/che Ver~nderungen durchweg motorisch bedingt sind, hie dagegen physikali.~ch und nut selten aku~tisch '). Deshalb glaube ich auch durchaus nicht, dass die Os-_iIIographie ~ , imstande sei,/iber phonetische Probleme Entscheidendes zu sagen; die Physiologic der Artikulation, die Physik (Mechanik) der Schwingun~fibertragung, die Physiologie der H6rempfindung m/issen, sich ein~nder erg~nzend, verbin ten. Aber auch dann w ~ e vielleicht noch nichts Letztes in einer so tiefen Bet~tigung des Menschl/chen zu geben. Die letzte Instanz ist und bleibt die Psychologie; dena Sprechen ist Ausdruck, Sprechen ist sinnhaft; Sprache ist Symptom und Symbol zugleich. Nach diesen Vorbemerkungen k0nnen wir uns dem eigentlichen Gegenstand dieser Abhandlung zuwenden: der Darlegung des Strukturcharakters lautlicher Komplexe. Die phonetische (lautliche und artikulatorische) Struktur des Wortes, Satztaktes oder Satzes ist nach verschiedenen Richtungen gegeben. Am sinnf~ligsten ist ~ wenigstens im Deutschen und den germani~.~,~-.--. Sprachen fiberhaupt ~ die dytmm/sche Struktur, insofern jeder Wort- oder Satzteil nur die ihm jeweils zukonunende $t~rke, d ~ ihm in einem bestimmten Falle eigene Gewicht oder die ilun zu gebende Wucht, erhalten dad. Die Schwere eines jeden Teiles ist vom Sprechganzen, yore S~.tz aus L) Damit ist auch der alte $trelt zwischea ,,Geaetikm~" (Bendch I) uud ,,Akustikern" (Bereich 3) als SSnzlich iibe~ilmi8 d a r ~ t a n . . s) Unter die akustisch bedfn4ten V e r l n d m ' u n p n fallen z.B. ~ Analogidormen.

DIE PHONETISCHE STRUKTUR

245

und vonder jeweiligen Sprechsituation aw, bedingt. Jede, auch die geringste dynamische Ver~nderung bfingt zu gleicher Zeit eine Aumtrucksverinderung zustande, und damit eine andere Auffassung des logischen Satzgehaltes. Die n~chstsinnf~llige Struktur ist die m e ! o d i s c h e (Intonation), die zu der vorgenannten zwar in gewisser Beziehung steht aber grunds~tzlich yon ihr unabh~-~gig bleibt. Gerade die unendlich variable Verbindung yon Dynamik und Melodie erm~glicht eine Fiille yon Ausdrucksschattierungen, wobei der Melodie psychologisch der grt~ssere Wert zukommt. Erst die Melodie gibt dem Satz seine Bedeutung; nicht aber die Wortfolge an sich (Satzsyntax). Aus einem s~mtaktischen Aussagesatz wird durch die Melodievariation ohne weiteres eine Frage und umgekehrt ~). Melodie ist immer Struktur.

Nicht so !eicht zu kenn~ichnen ist die chroma~ische Strukfur. Jedem ausdrucksvollen, also normalen, Satz k~mmt eine und nut eine bestimmte Y.odula~ion zu. ,,C'est le tot, qui fait la chanson"; und dabei ist ,,le ton" weniger Melodie als Klangfarbe. Jeder Satz wird ,,ehrlich" oder ,,heimttickisch", ,,ironisch" oder ,,spitz", ,,kalt", ,,eisig" oder ,,w.~rm", ,,schneidend", ,,gtitig" oder irgendwie gesprochen. Er muss, soil er nicht missverstanden oder missversttndlich werden, also auch seine chromatische Struktur beibeba!ten. Hier zeigt sich be~nders deutlich die Uberlegenheit des gesprochenen Satzes vor dem geschriebenen. Die Chrc,matik ist nur dem Laut inh~irent, nicht dem geschriebenen oder gedruckten Symbol, und der Schriftsteller hat seine ,,Regieax, weisung" hinzuzufiigen, etwa so: ,,-- sagte er iiberzeugt, innig, finster, jubelnd" s). Als vierte Struktur fttgt sich die ~a~itative hinzu, dic zwar zum Teil, wie die dynamische, objektiv gebunden ist, insofern sie dem Sprachgut als solchem in bestimmter Weise (als Kiirze, IAnge *)) eignet. Der Wortaufbau muss die jeweilige ~uantit~it der Laute, des Vokals oder Diphthongs sowohl wie die des Konsonanten, sehr wohl beachten, wenn die richtige, d.h. der Sprachge~) Der gedruckte Satz wird also erst wirklich bedeutungsvoU dutch ein n i c h t s y n t a k tisches E l e m e n t : das Satzzeichen a m E n d e (Punkt, Ausruf- oder Fragezelchcnl. ! ~e~.;e Zeichen sind a b e t wesentlich melodlsche, musikalische Symbole, t) Entsprechelld heisst es bei der D y n a m i k : ..w sagte er lat, t, leise, g e d i m p i t , mit erhobener S t i m m e ' . i) Bel des" D y n a m / k ist j8 auch die sprachl-'ch gegebene Akzentuierung - - falls e$ sich sdcbt um Gegensatzbetonung handelt - - beltubehalten.

PAUL MlgNZKRATH

m~n~haft ge~ Aussprache zustande kommen soil. Die Quant i ~ t ist ein wesentliches Attribut, das gegeben und als solches nicht nach W/UkCu"ver/nCierlich ist. Diese Lautquantit~it ist also irgendwie zu,,beachten", ohnedassd/es voUbewusst zu werden brauchtS). Abet alle genannten Strukturformen sind in weitestem Ausr, ass willk/irlich variierbar; sie dienen als Ntlancierungen des Satzinhaltes, um diesem erst die jeweils beabsichtigte Bed,~utungsschattierung zu geben. Bisher hat man in diesen F~llen nut yon a4k , - ~ m gesprochen, also yore dynamischen, melodischen usw. Akzent, ohne dass man den Strukturcharakter, die Einpassung des Teiles in das Ganze, nach Gebtihr betont h~itte. Die Untersuchung dieser verwickelten $trukturen steht fast noch ganz in den Anf~ingen. Eine objektive Massbestimmung der p'lysikalischen Dynamik (Reiz-lntensit~it) wurde ja erst in allerji mgster Zeit miSglich. Selbst die Melodie des Satzes und der Rede i.~t im ganzen nicht allzuweit gef~rdert; die Technik der Aufnahn,en wurde zwar in den letzten Jahren bedeutend verbessert und v~reinfacht; die Bearbeitung des Materials bleibt trotz allem immer noch sehr zeitraubend. Das physikalische Problem der unmittt.lbaren Melodieauinahme besteht weiter, ebenso die chromatis~-he Analyse des Sprechlaute~ auf demselben Wege. Gr0sseres ]~iaterial liegt bereits zur qs~zmLita~iven Struktur vor, und gerade d~ liess sich der Ganzheitscharakter am leichtesten und einfachs~en nachweisen und in ,,Q~/t~Asgesetz~" formulieren. Zun~chst wurde ganz allgemein der Nachweis geftthrt, dass die Lautquantit~t, d.h. oie relative Dauer eines bestimmten Laute~ innerhalb eines gr/Ssseren Komplexes ($ilbe, Wort, Satztakt, $atz) weniger als Eigenquantit~it s) yore Laut selber abh~ngt als vielmehr yon dem Lautganzen, zu dem er gehiJrt. Hatten ~iltere Forscher auf Grux~d experimenteUei" Befunde nut behaupten k~nnen, dass der Vo~z/mit wachsender Lautgruppe (Wortl~nge z.B.) verkiirzt t) E$ k a n n aber vollbewusst werden; es ist auch ..gelernt" worden, a b e t infolge der Einiibung so gei(ufig, dass es ..mechanisiert" (unterbewusst) wurde. Diese Leistung des Unterbewussten ist f u n d a m e n t a l ; o h n , die Mechanisierung ist das schnelle Sprechen undenkbar. s) Diese E i g e n q u a n t i t i t ist fiir die einzelnen L a u t e tatslchUch nachzuwe|sen. Die Vokale si,~d z.B. nicht yon gleicher Dauer; ein f a n g , s a d a u e r t l i n g e r als jeder andere L a n g v o k a l ; ebensowenig sind die einzelnen K o i L o ~ n a n t e ~ zeitlich gleich: Plosive sind durchschnittllch a m l l n g s t e n , F r i k a t i v e a m kilrgesttm. Stlmmlose (gespaunte) K o m o n a n z h a t l~ng~re Daunt als s t l m m h a f t e ~ungespannte). Die bisher gegebenen ErkiArungen dieses Sachverhaltes sind wohl k a u m stichhaltJg.

DIE PHOH~TISCHE

STRUKTUL

247

wird, :o wissen wir jet-.t, dass unter diesen Umst~nden i ~ r Laut schlechthin kllrzer wird. Ein zwSlflautiges Wort dauert also nicht viermal so lange wie ein dreilautiges, sondern nur etwa doppelt so lange. Das soU a!~ ,,allgemeines Laut-Quantitiitsgesetz'" bezeichnet werden. Ein lautreicheres Wort wird ~te~.s relativ schneller gesprochen als ein lautarmeres; und zwar, dem Gesetz e n s p r e c h e n d , um so schneller, je mehr Laute es umfasst; weft eben das Wort (der Satztakt, der Satz) stets als Ganzes intendiert wird. Der einzelne Laut wird mithin um so starker ,,schrumpfen", je grSsser der Lautverband ist, in dem er eingebettet ist. Aber - - und diese Beobachtung ist beachtenswert m die Schrumpfung erfolgt nicht schematisch, nicht mit dem gleichen Anteil (Prozentsatz) ftir s~mtliche Laute. Im Gegenteil, sie ist typisch und spezifisch in doppelter Hinsicht; einmal namlich fiir die relative Sprechgeschwindigkeit (das Red~;tempo) und weiter ftir die einzelnen Lautarten. Je starker das Tempo beschleunigt wird, um so mehr n i m m t die Dauer der Konsonanten ab, wahrend die Vokaldauern relativ - - n i e dagegen absolut m zunehmen. Die sprachliche Bedeutung des Vokals wachst also mit steigendem Redetempo !). Dazu kommt als zweiter Tatbestand: jede Lautart hat, ihrer Eigenquan*.it~it entsprechend, auch ihren eigentiimlichen Schn, mpfungsfaktor; die Verkfirzung der Plosive ist mithin stets eine andere als die der Frikative, der Nasale oder der Vokale. Es tritt also in jedem Moment eine spezifische Quantit~itsanpassung des Einzelteiis an die Redegeschwindigkeit ein. Hiermit ist die sprachlich (objektiv) gegebene Vokalquantit~it nicht identisch! Diese stellt sich zum Teil heraus als durch den folgenden Konsonanten bedingt. Dazu einige Beispiele ! E n g 1 is c h e r stinimhafter Auslautplosiv (had) bedeutet l~ingeren Vokal als stimmloser Plosiv an gleicher 5telle (hat). F r a n z 6 s is c h e r Vokal vor stimmhaftem Reibelaut (rive, 6tuve, bri~, rose, rouge, tige) ist stets lang. Die Abh~ingigkeit des Vokals yore folgenden Konsonanten l~isst sich nun, wie ich glaube, besonders sch6n bei den d e u t s c h e n Diphthongen und Liquiden erweisen. Hier gibt es so klare Beziehungen *), dass man sich dartiber wundern muss, wie man bisher um diese Beobachtung herumgegangen ist. !) D e r V o k a l i s t also - - t r o t z V o l t a i r e - in h o h e r e m Masse .,Bedeutm~gstr~igcr" all d e r Kon.~ ~iaut. s) A h u l i c h e A b h / i n g i g k e i t e n , w e n n a u c h v i e l l e i c h t n i c h t g a n z in d e m A u s m a s s wi~ im D e u t t c h e n , b e s t e h e n i m N i e d e r l a u d i s c h e n .

248

p~m. ~Nz~m~m

Der deutsche D i p h t h o n g i s t / ~ g vor stimm/o.~ P/omw (eitel, heizen, Weichsel; Raupe, Laute, Pauke; sfiiupen, Euter, Eucken); aber , J ~ ' a n ~ , vor stimm/mfl~ Plosiva (reiben, meiden0 fe/ge; Traube, schaudern, Lauge; Riuber, Freude, Zeuge). Genau so ist es bei den F r i k a t i v • n, also: la~er Diphthong vor s t i m r ~ o ~ Frikativa (Effer, beissen, leisten, heischen; Haufen, aussen, Faust, tauschen, hauchen; iiusserlich) mid wiederum ~,/er/a,,ger vor stimm/mfler Frikativa ~) (Kreisel, Pause, Schleuse). Weitere Abhiingigkeiten dtirfen bier, wo es sich nut um Grnnds~tzliches handelt, tibergartgen werden. Nur sei noch auf eine recht bemerkenswerte Quantitiitsvariation der s~mtlichen deutschen Liquiden (1, r, m, n, ng) hingewiesen. Auch diese Vari~'anten sind sprachlich insofern bedeutsam, ads der Wortsinn yon der Einhalt'.mg der gebriiuchlichen und mithin ,,richtigen" ~hlantitiit abh~qgt. Es wtirde zu ~veit fiihren, diese bisher tiberhaupt nicbt untersuchten Fragen in all ihren Einzelheiten darzulege~, nur einige Anregungen k6nnen an dieser Stelle mitgeteilt werden. Die verschiedene ~ n t i t ~ / t der Liquiden ist zun~chst gleichfalls zum Tell rein iiusserlich bedingt. Beispiele: alle deutschen r sind lang vor p und k (Knorpel, KOrper, zirpen; Harke, Kork, Sarg, Ausnahme: karg); sie sind ausnahmslos ~ r z vor n (Dorn, Horn, Korn, vorn, Zorn, gem, Kern, Stern, Him, Stirn), vor t (Sorte, Pforte) und vor d I) (Horde, Kurde, M6rder). Die deutschen 1 sind ~ mit gewissen Ausnahmen ~ / a n g vor p, t, k, vor dem ich-Laut und vor f (Alp, alt, Falk, Milch, Wolf); sie sind ~ r z vor b, d, g (Elbe, Schelde, Pilger). Deutsches m i s t ohne Ausnahme/ang vor p und pf (Lump, Pumpe, l~mpe, Plempe, Dampf, Karnpf Rumpf, Stumpf, Schirnpf) ; kurz vor s (stimmlos in Eros, Sims, Wains; stimmhaft in bremsen, Kremser, Amsel) und vor b (Bombe, Plombe). Die deutschen n sind - - mit wenigen Ausnahmen - - / a n g vor t (blond, Hund, Front, Dilettant, K]ient, Ente), vor dem ich-Laut (mit Ausvahme der I)iminutiv-Endung -chen), ebenso vor sch und z (Miinchen, Tiinche, Wunsch, Pinscher, manschen, Panzer, Pflanzel, ~unzel, Unze). S~mtliche ng sind/ang vork (schlank, dunkel, Enkel, hinken, Onkel); dagegen kurz vor s (lfings, Angst, jiingst) s). Die Quantit~it scheint aber ausserdem in gewissen F~illen inhaltlich bedingt zu sein. Man vergleiche Fund---land, Stand-stand, Gang---ging, Fang~fing u. ft., wo die Nomina s~mtlich s) Bisher fand ich ftir d a s Deutsche n u t l ~ l e vor s t i m m h a f t e m s. I m Nieder|~nd/schen gibt es d a n e b e n (z.B. duizelig} a b e t auch a n d e r e ; etwa m i t v in: wri}ven, wuiy e n ; m i t g in: zuigen, eigen. ") H i e r a l I e r d / n ~ A u s n a h m e n m i t e. *) I n der E r w a r t u n g , dass diese Feststellangen hier und d a noch auf Widen~tand stossen werden, sei das untriigl/che K r i t e r i u m fllr die Q u a n t i h l t s b e s t i m m u n g mitgeteilt: ,Jang" heisst hier, genau wie beim Vokal, ,,dehnbar"; es ist die l~.~ato-Fo~n m i t sinkender T o n l ~ h e (Gravis); . k u r z " b e d e ~ t e t die u n d t b - , b a r e S t a c c a t o - F o r m m/t steigender Tohnh~he (Akut).

D I E PHONETIf~HE STRUKTUR

249

Langnasa], die Imperfekta aber Kurznasal zeigen. Langkonsonanz w~re der Regel nach fiir diese Lautverbindungen, demnach auch fiir die Imperfekta, vorauszusetzen. Derartige Imperfekta stSren also die deutschen Quantit~itsregeln. _,De,r Grund dafiir dlirfte wold allgemein im ,~uantitiitsausgleich' liegen, der hier als Analogie innerhalb des Paradigmas (des Tempus) wirksam wird, als Augsleich, der sich auf Grundeinergewussten Regelm~issigkeit vollzieht und keineswegs jedesmal die AuflSsung der bekannten Proportionsformel im Sinne von H. Paul verlangt. Beispiel: das Imperfekt yon ,,singen ' hat kurzes ng in ,,sang", d~s Irnperfekt yon ,,winden" kurzes n in ,,wand". Hier wird der Auss gleich deutlich, der besonders irn Verbum welt reicht, jedenfaUviel weiter als im Nomen. Die zugeh6rigen Substantiva ,,Sang" und ,Wand" haben in den unverl-;ingerten Formen langes ng trod n und erhalten so eine Struktur, die sich yon der im iibrigen gleichlautenden Verbform deutlich ahbebt. Die Formel a • b = ---- c • x ist nur eine ,,als ob"-Erkl~irung; sie trifft iiberhaupt in ganz wenigen F~len, sozusagen in Ausnahmen, zu. Die meisten Analogien entstehen gar nicht dutch Aufl6sung von Proportionen. Das ,,Musterwort" oder besser die ,,Musterform" ist fast hie bewusst. Sie wird h~iufig iiberhaupt erst bewusst nach bereits vollzogener Neuform, aufGrund eines Suchens, manchmal sogar als ,,Rechtfertigung". Der Vorgang der Analogiebildung ist fiir die meisten Fiille viel grunds~tzlicher' sie ist Ausdruck einer ,,Regel", eines ,,Schemas". Analogi~n sind ,,Aufgaben", deren L~sungen volhogen werden, ohne dass die ,,Schablone" vollbewusst wird. Von Verben wie ,zopfen, fintehl, bruticren" usw. kann jeder ohne weiteres, d.h. ohne Proportion, s~mtliche Formen bilden. Keines dieser Verben hat eine Bedeutung; wenigstens ist mir keine bekannt; ich habe sie als ,,sinnlose" Verba gebildet, und erst n'~chtr~iglich wiirde ich sie mit formell ,,gleichartigen" W6rtern verbinden, wobei mir das zweite Wort sogar einige Schwierigkeiten macht. Damit soll durchaus nicht abgestritten werden, dass hin und wieder die Proportionsformel stimmt; allerdings fast nie fiir die F~ille, die yon den Linguisten als ]~lusterbeispicle zitiert zu werden pflegen, sondern nut bei solchen, die sich aus fester innerer Assoziation el geben, wie etwa ,,gchen stehen", die korrelativ und als solche besonclers eng verkniipft sind. Mein rheinischer Heimatdialekt kennt zwei k6stliche Formen" dem Part. Perf. ,,jejange" (gegangen) entspricht ,,j eschtange" (gestanden), aber gelegentlieh b_ri,ngt ein hochdeutsch angen~ihertes ,jeschtande" aueh ,,jejande zuwege. Analogie bedeutet sonst durehweg Ersparnis, Vereinfachung: Abstossen unregelm~issiger Verben, Ausmerzen der Pluralabweichungen. Derartige Formen sind ja eigentlich iiberfliissig; ihre Ausdruckskraft ist nicht gr6sser als die der sog. regelm~sigen Formen. Ein starkes Verb is{ fiir uns nicht ,,kraftvoller" als ein schwaches.

250

PAUL MENZERATH

Der zeitlichen Schrumpfung bei gesteigertem Redetempo entspricht die verh~Itnism~sige.Lautarmut jiingerer Wortformen im Vergleich zu den &Iteren. Friihere Forscher sprachen yon ,,abgegriffenen W6rtern", von Verschle/ss durch h~ufigen Gebrauch, andere konstruierten eine ,Neigung zur Bequemlichkeit". Das alles ist nut ~iusserlich gesehen; zu Grunde lieg~ die Wortstruktur, die ~ alalstisch betrachtet - - mehr oder minde: ~,~ichtige Elemente enth~t. Die Sprache ist ein Werkzeug, ein Verst~ndigungsvehikel. In diesem Sinne ist La, Rwandel durchweg Wortformwandel, und fast immer Wortschrumpf',mg. Und weshalb ? Well im Laufe der Zeit die Verst~mdigung immer weniger ~ussere Mittel verlangt..So wird auch deutlich, dass der Wortanfang als charakteristischer Strukturteil besonders wichtig ist und deshalb der Ver.~nderung l~inger widersteht. Merkw(irdig, dass die Linguisten der Wo~schrumpfung bisher fast gar kein Interesse entgegenbrachten. Wenn lat. homo zu frz. on, lat. hominem zu frz. horn•e, d.h. das zwei -und dreisilbige Grundwort zurn Einsilbenwort wird, so mu~s gerade dieser Schwund, diese Verkiirzung, bedeutsam ~in. Dass er im wesentlichen die unbetonten Silben trifft, genau wie sich ehemaliger Vollvokal in unbetonter Silbe zum Murrnelvokai (bzw. zu i und u ~)) verfliichtigt, ~vird auf die gleiche Ursachc zuriickgehen. Der KQrzungsstand oder Kiirzungsgrad entspricht der jeweiligen Verstgndigungsgrenze oder Verst~ndigungsschweUe s). Voraussetzung ist die Wiedererkennung. Das alles hat also nichts mit Bequemlichkeit als Ursache zu tun, auch wenn die Ersparnis Folge ist, ebensowenig mit einer ,l~bereinkunft". Wenn die Konvention friiher vereinbart worden ist, miisste sie sich stets erneuern. Lautg~etze entstehen vor unseren Augen; yon einer Konvention ist aber keine Spur zu entdecken. ~) lat. Wurzel-a in facio entspricht eiu i in coniicio, iuterficio ,xsw., ebenso dem a in capio ein u in occupo. Auch hier m a c h t sich wohl eine Ersparnis geltend. Diese liegt, wic ich glaube, im Luftverbraucht im Q u a n t u m der zu i u n d u im Verh~iltni,. zu • ex4o~derlichen Sprechluft. a v e r b r a u c h t a,n meisten Luft; die anderen Vokale erfordern um so weniger, je hbher siv artikuliert werden, i und u erfordern m i t h i n das gerings~e Luftmass; uud d a m i t wird der Ersatz verst~indlich. Die untomge Silbe h a t fiir das W o r t v e r s t i n d n i s g~_ringere Bedeu~ung; ~elbst wcnn u n t e r UmstAnden der wirklich entscheidende t a u t im u n b e t o n t e n Wortteil liegen sollte, wie z.B. im Verbauslaute odor beim Nomen. Die Verbform is~ abe,, dutch das S u b j e k t bedingt u n d dadurch b e s t i m m t , ebenso ist die E u d u n g des Nomens dutch d e n Artikel gesichert. *) D a m i t ist 4icher nicht miles gesagt. Es bestehen much gewiMe v01ktsche Unterschtede im ~chrumpfungsgrad, Unterschiede, die ~chl/eulich charaktergemliss sind. Man verglei~he da5 einsllbige Altisl~n.lische m/t d e • vollt6nenden Althochdeutschen !

DIE PHONETISCHE STRUKTUR

251

Lautwancllungen sind da, sie geschehen, werden aber nicht gescha.ff~,n. Sie treten ala ganz natiirliche Erscheinung autochthon auf; Ansttisse yon aussen sind dazu nicht erforderlich. Von Struktur darien wir aber in diesem Zusammenhang noch in einem anderen und bedeutend interessanteren Sinne reden, der dutch die neuesten Untersuchungen sogar ein Grundfaktor linguistischer Forschung zu werden verspricht, n~imlich yon der artik~datorischen Struktur; und gerade diese soil hier etwas grtindlicher und ausflihrlicher behandelt werden. Um klar zu machen, was darunter verstanden werden soil, gehen wir aus yon der ~ilteren atomistischen Anschauung, die fiir das Aussprechen eines aus einer Reihe yon Lauten bestehenden Wortes jeweils eine artikulatorische Selbst~indigkeit fiir diese Einzellaute auch dann noch annahm, wenn sie beispielsweise die Silbe mit d ~ m Atemhub gesprochen werden liess. Aber die Silbe ist mehr als nur respiratorische Struktur, sie ist es eben auch vom Attikulatorischen her. Bei Wt~rtern wie ,,gut, Trupp, klipp" and ~hnlichen Beispielen sagte man friiher etwa so: bei ,,gut" wird zuerst das g gebildet. danach folgt u, und schliesslich t als Auslaut. Abet schon eine elementaxe Betrachtung konnte sich hiermil nicht zufriedenstellen; denn offenbar wird das einsilbige W6rtchen ,,gut" gesprochen, nicht aber g-u-t. Es musste also noch etwas anderes vorhanden sein als diese drei Laute, n~imlich Kl.:inge, die zur Verbindung der Grundlaute dienen; denn die Folge ist liickenlos, Gie Aneinanderftigung kennt keine lautliche Trennung, keinen Sprung. Da man zwar leicht yon einem ve!aren g zu einem velaren u kommen kann, aber nicht so einfach yon diesem u zu einem alveolaren t, so muss sich eben, wie man folgerte, eine Uberleitung, ein Frilltell dazwischenschieben. Und so errand man die sogenannten ,,Gleitlaute", die das Dilemma der phonetischen Atomistik zwar ~iusserlich behoben, die aber - - wie rundheraus gesagt werden muss ~ die richtige Erkenntnis in gr6sstem Ausma~ss gehemmt haben. Gewisa schlugen sie eine Brticke; aber diese machte den Weg nicht trei, sie versperrte ihn. Gleitl~ute gibt es nii~nlich ~icht; jedenfalls nicht im bisherigen Sinne. Wtirde man die sog. epenthetiachen Konaonanten nach Nasalen etwa als Gegeninstanz gegen diese Behaaptung ins Feld fiihren, so wiire darauf nur zu antworten, class auch diese Art yon Lauten an sich nicht merkwtirdiger

• 52

PAUL MKNZERATH

s/nd als andere, und dass auch sie genau so entstehen wie die anderen. F~lle wie gr./h~p6~neben a~p, hi. Hendrik neben lat. Henricus, b ~ n t j e neben haan, eentje neben een, boompje neben boom, im Deutschen die Variante F/ihndrich neben F~una'ich, eigentlich von eigenl/ch, wesent]/ch von Wesen, narnentlich yon Namen, nfrz. sembler vow. fat. sim(u)lare, nombre von num(e)rum, 6tre yon vulgirlat, essere usw., cLh. die in der L~.utlehre als ,,Sttltzlaute" bezeichn_eten Plosive nach Na.salkonsonanz, beweisen ftir die ,,Gleitlaute" allem Anscheine zum Trotz ilberhaupt nichts. Dieses scheinbare Paradoxon wird gleich gel0st werden. :~ommen wir vorl~ufig noch einmal auf ,,gut" zurtick! Man spreche es sich vor, mehrlach, eindringlich und mit Aufm(.rksamkeit; am allerbesten ~-or einem Spiegel I Das Auifallende ist, c l ~ ~on Beginn a~ die Lippen nach vorne bewegt, vorgestiilpt werd~. Diese Bewegung hat aber offensichtlich mit dem Anfangslaut g gar nichts zu tun ~ bei isoliert gesprochenem g bleiben die L~ppe.n neutral ~ ; die Lippensttilpung geh6rt eigentlich erst zum fclgenden Laut u ~). Die. beiden Laute (gund u)werden ohne Zweife: aLso gldchzaitig, gebildet. Nun aber welter: wie ist es mit t, dem Schlussplosiv? Man beobachte wiederum! Wihrend beim anlautenden oder isoliert gesprochenen t die Zungenspitze hinter den unteren(1) Schneidez~hnen liegen bleibt ~ ich tue das nun einmal so ~ ist es hier bei ,,gut" anders. Fiir g und u wird die Ztmge zurtickgezogen, abet dabei gleichzeitig(!) schon die Zungenspitzc nach vorn aufw~rts gehoben. Diese synchron verlaulende Bewegungsmehrheit babe ich als ,,Synkinese" oder ,,Koartikulation" bezeichnet und damit sagen woUen, class die Wortartikulation im Sint, e der Gesamtstruktur verl~uit, so also, dass sich die TeiJbewegunger~ zur Ganzheit zusammcnf/igen, sich ,,verilechten", nicht aber wie Glieder einer ,,Kette" aufeinander iolgen. Der Aufbau, die Ganzheit geht dem Teil voraus; sie weist den Weg. Auch bier mt~ss einer falschen Ausdeutung die Spitze abgebrochert werden. Synkinese ist rein-artikulatorisch (motorisch) gemeint, nicht aber als Lautrealisierung im akustischen Sinne; denn die Laute erscheinen, d.h. werden ,,laut" unbedingt in der vom Wort vorgeschriebenen Reihenfolge. Die ,,Lautrealisierung" ist zwar mit der Synkinese eng verbunden, cEe beiden Gesichtspunk~) Spricht man dagegen .,~Ib", so werden die Lippen yon Besinn an z~u-iickgezogen.

DIE PHONKTISCHK STRUKTUR

te (artikulatorisch bzw. akustisch) sind jedoch streng gegeneinander zu scheiden. Die phonetische Atomistik musste schon in dem Moment versagen, wo sie die Betrachtung des Einzellautes verliess und die Kombinationslehre in Angriff nahm; atomistisch ist die Laut/olge eben tiberhaupt nicht zu l~sen, wenn n~imlich die Gleitlaute als unberechtigte Feb!~nnahme erkannt sind. Die Laute soUten nicht, wie noch Brticke lehrte, durch ,,aktive Bewegung der Sprachorgane" entstehen, sondern durch gewisse ,,Zust~nde", d.h. Stellungen. Allerdings vermochte dann Brticke selber nicht, die~ Voraussetzung auf sein eigenes Lautsystem anzuwenden; und Sievers konnte ihm mit treffendem Argument entgegnen, dass aus ,,ZustLnden" hie eine Silbe, ein Bewegungskomplex entstehen kann. Der Ausweg wurde nun bisher darin gesucht, dass man zu den ,,Zustandslauten"besondere, sc.hnell wechselnde ,,Bewegungslaute" fligte, denen man die charakteristische Bezeichnung ,,Gleitlante" gab. AUes schien nun in Ordnung zu sein. Abet diese Art von Gleitlauten war, wie gesagt, ein neuer Irrtum zu einem schon bestehenden; denn kein einziger Sprechlaut, auch nicht der isolierte, entsteht in einer Artikulationsstellung, sondern ausschliessrich in einer Bewegung. Kurz gesagt, es gibt iiberhaupt nut gleitende Laute, oder wenn man will, nur Gleitlav*.e ~) Besondere GIeitlaute im alten Sinne gibt es also nicht. Diese wesentliche Abweichung von der bisherigen Auffassung verlangt eine Begrtiudung. Ein einfacher Versuch ist iiberzeugend: man spreche vor dem Spiegel die Silbe ap! Was geschieht ? Man macht den Mund auf u ohne laut zu sprechen - - und gleichzeitig mit der Schliessbewegung zum p bin wird a gesprochen, also in dauerndem Gleiten, ohne ein auch nur momentanes Anhalten in bestimmter SteUung *). Das a wird in das p hineingesprochen; a wird ~um p. Jedes Bewegungsmoment des a hat p zum Ziel. Eine Stellung beim Vokal gibt es demnach nicht; seine Artikulation wird durch den folgenden Konsonanten (Laut) jedesmal modifiziert. Anders gesagt: der Vokal wird dutch den folgenden Konsonanten (aUgemeine:: durch den folgenden Laut) gesteuert. Und t) Fttr die Tbeorie der Plosive ergibt sich aus der festzustellenden Dauerbewegung die Notwemdilke/t einef NachprtHung der bisherigen Auffassung. s) Betont ae/, dass es sJch u m g • • p r o c h • n • Laute haodelt. Es dreht sich nlcht um die Frage, ob ma~ d e n Laut nicht in ~ e U u n g sprechen k a n n. Das soll ke/neawegs gekmgnet werden; n u t k o m m t dlese Art beim normalen Sprechen kaum vow, sondern hOchstam beim S h ~ e a .

254

PAUL M~N~RATH

auch dieser Konsonant - - gleichgtlltig welcher Art er sei - - wird wieder in dauernder Bewegung und in Vorbereitung des folgenden Vokals artikuliert. Konsonantische Stellungen gibt es ebensowenig wie vokalische, selbst nicht bei Verschlusslauten; denn der Verschluss ist keine Ruhe, sondern eine fortdauernde Bewegung. Die S t e u e r u n g einerseitsunddie S y n k i n e s e (Koartikalation) anderseits zeigen unmittelbar, wie wenig aussichtsvoU ,tie rein mechanische Nachahmung der Stimme (Lautsynthese) durch die Versuche yon W. v. Kempelen (I 791) und H. v. Helmholtz bleiben mussten. Diese Synthese stellt musikalische Kl~inge her, die einer Artikulations s t e 11 u n g entsprachen, aber keine ,,Sprachlaute", trotzdem die Intensitiitsabstufung dem aus der Ferne H6renden das Ganze wie ,,eine Art monotonen Betens" erscheinen l~isst. Normales Sprechen ist nicht monoton, und seine Bewegungen sind ununterbrochen; und gerade das ist entscheidend. Die Synkinese bietet nun, wie ich glaube, zum ersten Male eine eindeutige und restlc0s befriedigende Erkl/irung itir die Natur des h-Lautes. Die Tatsache, dass alas h ein laryngaler Frikativ ist, mad~t es ohne weiteses versfiindlich, dass jedes h mit der Mundstellung 1) des folgenden Vok~ds (bzw. des m in hm f) gesprochen wird ~md werden kann. Die am Ende des Ansatzrohres liegende Artikldation des h wird durch die unter allen Umstgnden mehr nac.h vorne gelegene Artikulation des folgenden Lautes niemals gest6rt. Eine gltere Schule fasste d a s h als stimmlosen Vokal, n~imlich als stimmlosen Tefl des folgenden Vokals auf. Voraussetzung dafiir war die Annahme, dass dem h keine eigene Artikulationsstellung zukomme. Diese Annahme war aber unberechtigt; denn h ist genau so ein laryngaler Frikativ, wie dcr glottal stop (Kehlkopfverschlusslaut) ein laryngaler Plosiv ist. Auch der letztere wird in derselben Weise wie d a s h mit der Mundstellung des folgenden Vokals gesprochen ; und noc.h hie l'.at man ihn als Vokalteil angesehen. Schon zwei Beobachtur, sen batten die Ansicht vom h als stimmlosem Vokal in einiges Ged~nge gebracht. Einmal die Beobachtung, dass ein h vor emem gefliisterten (mithin stimmlosen) Vokal ebenfalls zu fltistern ist, und weiterderexperimentdle Nachweis, class zwischenvokslisches h (in oho ! aha ! usw.) durchweg stimmhaft wird I) und tro~:zdem ein h bleibt, obschon es theoretisch zum Vokal werden miisste. Den letzten und endgtiltigen Beweis fiir die Richtigkeit meiner Auffa:~sung liefert nun das Geniogramm 3). 1st n~imlich h ein Konsonaat, so mussseine ~) Di,,sen Terminus gebrauche ich weiter, trob:.:lem er nicht zutrifft. Die ,,Stellung" ist ja Bewegung. s) Auf unserer Abbildung (S. 17) ist das sehr ~eutlich zu sehe,~. a) AI:; G~niogranuu bezeichne ich die durch den Kiefer beim S,~rechen beschriebene Bewegungsfolge. Man vefglelche die Punkte 3 - - 4 aul der MunO~urve (Abb. S. 01 ?).

DIE PHONETISCHE STRUKTUR

~5

Artik~dationsweise die des Konsonanten (Schliessungs-0finungsbewegung) sein. Dies trifft zu ~); und damit ist die konsonantische Natur des h mit aller wiinschenswerten Klarheit festgelegt. Die Synkinese reicht nur so welt, wie sie in einem gegebenen Augenblick und unter bestimmten Umstanden reichen kann. Wiirde man in einem beliebigen Moment einen ,Querschnitt" dutch die Wortartikulation legen kSnnen, d.h. wiirde man die Stelhmg der s~mtlichen Artikulationsorgane im selben Augenblick fixieren und nun aus den aufeinander folgenden Querschnitten die Lautfolgen aufbauen kt~nnen, so miisste sich die Koartikulation und die jeweilige Bewegungsverschiebung (Verflechtung) feststellen und vielleicht sogar messen lassen. Glticklicherweise besitzen wir im RSntgentonfilm eine Aufnahmemethode, die tats~chlich diese Querschnittfolgen bietet. Versuche dieser Art babe ich mittlerweile unternommen ; die Ergebnisse werden an anderer Stelle mitgeteilt. Synkinetisch, als Gesamthcit (Ganzheit) wird das Wort autgebaut; der Einzelteil ist vom Ganzen ,,gesteuert" 2), und zwar so, dass Art, Zeilpuskt und Reihen/olge derLautre~lisierungen vom Worte selber vorgeschrieben und durch dieses bedingt sind. Die geforderte und intendierte Art und Folge erf/ihrt nun unter gewissen Umst&nden und Voraussetzungen Ver~inderungen, St6rungen0 d i e - artikulatorisch betrachtet - - schliesslich alle r~umlicher oder zeitlicher Natur sind. Derartige ,StSrungen" bezeichnen wir z.B. als Angleichungen oder Assimilationen, ein Terminus, tier Wesen und Ursache zugleich enth~ilt. Die r~umlichen Angleichungen interessieren uns in diesem Zusammenhang zun~chst weniget; wichtiger sind bier die zeit lichen Alterationen, die darin bestehen, dass ein artikulatorischer Vorgang (z.B. die Stimme) entweder zu friih eintritt (regressive oder vorgreifende Assimilation) oder zu lange dauert (progressive oder nachwirkende Assimilation) ~). I) Vgl. At, b. S. 017 aul dcm Geniogramm und Seite 019. ~, Damit erh/ilt der Bcgriff ,,Steuerung" cinen neuen, h6heren Sinn im Vergleich ~.u dem bishcrigen, den m a n dutch den spezielleren Ausdruck .,I.aulstt'uerung" er.~etzen kann, um Je(les Mi~sverst~ndnis zu vermeiden. ~) Man mag welter an dieser alton Einteilung iz~ progressive und regressiv,, As.~imilationen festhaltcn und die progressive Angleichtmg auf die ,,Einstellung', die regressive auf das ,,ideodynamische (;eset~" [~tbols zurtickftihren, di~. F~wmulier~'ng des letzteren abet schfirfer fassen: es handelt swh a.imlich nich t unl vorgcstelite B(wegunels, (sondern um deren Effekt. Sprechbcv'egungen ktinncn wir richtig ausfuhren, ge~a;| wie wh" zu $¢hlucken, husteiL g~ihncn usw. verm~igen, ohne dass wir im eillzelnen wissen, ~ alas geschiebt. Vorgestellt wird also lw~tenfalls der Laut ~der die Lautfolg¢, nicht abet die dazu fiihrende Artikulation.

256

PAUL MENZERATH

Kurz, Assimilation der Stimmhaftagkeit bedeutet St6rung der Realisierung. Stbrungen dieser Gruppe ve#indern nur einen Teilcharakter der Laute, nicht abe.r ihre Reihenlolge, im Gegensatz zu den radikaleren Ver/inderutxgen tier Koartikulation, die Metathesen (Lautversetzuagen, Lautumstellungen) genannt werden (man vergleiche dtsch, l h u s t , Frosch, Frost und ndl. borst, vorsch, verst und ~ihnliclte); gleichgiiltig, ob es sich unl Vertauschungen benachbarter Laut,.' (Kontaktversetzungen) oder entfernterer Laute (Fernversetzun~en) handelt, es sind stets als svnkinetische Strukturverlinderungen Fehler der Realisierung. Nicht anders verhfi.!t es sich im Grunde bet der Kontamination (lnterferenz): hier wird ein liealisiurungsablauf durch ein anderes, ilgendwie (nfimlich ~usserlich oder innerlich)verwandtes Struktar.,:.anzes (Weft) gest6rt. I , ~ , c n i g s t e n s k 6 n n t . l l w i t e s fiii" unsere Untersuchung dabei bewemh,n lessen, trotzdem wit" uns dessen wohl bewusst sind, dass Kotztaminati~mell mt.istens Interferenzen von S,itzen sind t). Koartikl|latiolisstiirllngt.n sind illlll die oben genannten ,,Stiitziaute". Sit' miisseo jt,th~s Mal dann entstehen, wenn des beim Aussprechen der .Nasah.n gesenktt. Velum gehoben wird, ehe der folgc:tdt, l~,ns, mant hergostellt ist. Der aufkommende Stiitzlaut nlus~ tlt,r dem Sasalkollsollanten entsprechende Plosiv seth. Assimilationeii, Metathesen, ebeilso zahlreiche An;tlogicn sind in ihrer Art gan:; offenbar l:ehllcistutlgen. Me.tathe.-t,n sind Verdrehungen, typische ,,Versprechen ', aber doch wohi Vers[)rechtrn besonderer Art. Es laufen uns tiiglich eine Menge derartiger Vcrsprechel~ unter, die sprachlich bed,:utungslos .qnd, weil ste genitll v, ie die kindlichen Falschanalogi~,n (getrinkt, gebeisst, gefahrt t,.ii.) yon der Umgebung verbessert und ausgetnerzt wet'den, wiihrctJd doch eine ganze Re|he durchaus gleichartiger Falschfi~rnlt'n in .~llen Sprachen steheml geworden sind, genau wie die Metath:'sen. l)as |st die Kernfrage, anf die uns die IAnguistt.n bisher die Antwort scl:v, ldig geblieben sind, tails sic tiberhaupt bisher erh~ben worden |st. t) Krmt.ttnitlattnnen entstehelt In ,l,'r t|aupt,Ltehe durch 'Vertm<~'hung tnt.hrer,r l'~)rmuliertlng*.l| ,lesselbf.n (iedankel|s. i)le Satz~trtlktur bleibt d:d,ei inl w,.-~elltiithet, I;ohailvn; o% k~llltllt Z.I~. I1telllal-; v o r , d,l.ss ittlr dit' beidet,. Satz~lllf,i:t~e o d v r file S a t / sehliis%e g,'~pr,;ch,.n wordvn, ct~llderll Ct,.ts d,.r A n f a n g deg einen G.|tz~'-, lltit 4Jt'tll ]".tl,t,. clvg, a l l r | e r e n . ]);I.bel k a n l i iitl.~s4,rhch r | i e [n~.(.rJereltz u n t e r Utllst;ill,|~'l! lltlr in ,,in,,m W o r t (l.aut) in die E r s c h e i n u l i g treten. Nt:tte~th~|m.~ ..~,¾"ippchetl"-I~r~llt;iminatt,,livl~ (wie: ..tier .%onntag wird in I';ngland u u t e ' n e r Strenge gefeiert, uber di,, Ill|lit Ilicttt $chlageo d a r | " ) h a b e n in c"ur n o r m a l e n Spra'~he k a u m eine Parallele.