KOMPLIKATIONEN IN DER SPORTTRAUMATOLOGIE
Orthop€adie Traumatologie
SportOrthoTrauma 27, 174–177 (2011) Elsevier – Urban&Fischer www.elsevier.de/SportOrthoTrauma doi:10.1016/j.orthtr.2011.08.016
KOMPLIKATIONEN IN DER SPORTTRAUMATOLOGIE
Zusammenfassung OSG-Distorsionen z€ahlen zu den h€aufigsten Verletzungen im Sport. Oss€are L€asionen des Processus posterior des Talus treten hingegen selten auf. Undislozierte Frakturen dieser Art werden leicht €ubersehen, als OSG-Distorsion missinterpretiert und entsprechend falsch therapiert. Wie bei der OSG-Distorsion imponiert die Klinik durch signifikante Schmerzen und Dysfunktion. Um zu einer korrekten Diagnosestellung zu gelangen, ist es essentiell, Informationen €uber den Unfallmechanismus zu erlangen und vor diesem Hintergrund die weitere bildgebende Diagnostik zu veranlassen. Die radiologische Abgrenzung zwischen dem Normalbefund eines Os trigonum und dem pathologischen Befund eines frakturierten Processus posterior tali f€uhrt in diesem Fall zur korrekten Diagnosestellung, der korrekten Therapie und hilft dabei protrahierte Krankheitsverl€aufe zu verhindern.
Frakturen des Processus posterior tali K.P. Kammerer, Roland M. Biedert Sportclinic Villa Linde, Swiss Olympic Medical Center Magglingen-Biel, Biel, Schweiz Eingegangen am 21. April 2011; akzeptiert am 31. August 2011
OSG-Distorsionen
za¨hlen zu den ha¨ufigsten Verletzungen im Sport. Eine OSG-Distorsion kann neben der Kapselbandla¨sion auch zu einer gleichzeitigen Fraktur fu¨hren. Undislozierte Frakturen am Ru¨ckfuß ko¨nnen dabei in der initialen Beurteilung leicht u¨bersehen werden. Diese verpassten Frakturen fu¨hren in der Folge zu bleibenden Einschra¨nkungen. Ossa¨re La¨sionen des Processus posterior des Talus treten bei Sportlern sonst selten auf; sie werden eher beim Kunstturnen, bei der Rhythmischen Sportgymnastik und beim Ballett gesehen. Der Processus posterior tali besteht aus einem medialen und einem lateralen Tuberkulum. Hinter dem lateralen Tuberkulum kann ein inkonsistentes Os trigonum liegen. Eine Verletzung dieser Struktur kann beim Sport durch Eversions-, Inversions- oder maximale Plantarflexionsbewegung erfolgen. Posttraumatisch tritt diese Verletzung durch signifikante Schmerzen und Dysfunktion in Erscheinung, wird leicht als OSG-Distorsion fehldiagnostiziert und entsprechend fehlbehandelt. Das nachfolgende Fallbeispiel arbeitet den Fall einer OSG-Distorsion auf, deren Symptome sich nach monatelangem konservativem Prozedere nicht besserten.
€rter €sselwo Schlu OSG – Distorsion – Differentialdiagnose – Processus posterior tali – Fraktur – Os trigonum
K.P. Kammerer, R.M. Biedert
Ankle/Talus Summary Ankle sprains are common injuries in sports. Fractures of the posterior process of the talus are rare and might be overseen especially when they are not dislocated. They might be interpreted as ankle sprains and accordingly treated in a wrong way. In both cases patients suffer from chronic pain and dysfunction. To get the correct diagnosis it is essential to know the trauma mechanism and by this to get the appropriate radiologic examination. The radiologic differential diagnosis of a habitual Os trigonum and a pathologic finding of a fractured posterior process of the talus leads to the correct diagnosis and thus to the necessary therapy. It avoids a prolonged healing process. Keywords Ankle – sprain – differential diagnosis – fracture – posterior process of the talus – os trigonum
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Fallbeispiel Anamnese Ein 32-ja¨hriger Hobby-Fußballer litt seit vier Monaten an Schmerzen im Bereich des rechten oberen Sprunggelenks. Das initiale Trauma fand beim Fußballspielen statt, wobei sich der Patient das obere Sprunggelenk verdreht hatte. Der Unfallmechanismus blieb ungekla¨rt, da sich der Patient nicht an den genauen Hergang erinnern konnte. Der Patient stellte sich noch am Tag des Unfalls in der Notaufnahme vor und klagte u¨ber Schmerzen im Bereich des gesamten OSG sowie dass er nur noch den lateralen Fußrand belasten ko¨nne. Bei der Erstuntersuchung in der Notaufnahme waren die Konturen des OSG und des Fußes unauffa¨llig. Es fand sich eine diffuse Druckschmerzhaftigkeit auf der medialen Seite des OSG, wobei die Malleolen selbst nicht druckdolent waren. Bei Pronation des Fußes bestanden Schmerzen im medialen Bereich des OSG unterhalb des Malleolus medialis. Die Dorsalextension war mo¨glich bis 908. Periphere Durchblutung, Motorik und Sensorik waren intakt. Das Ro¨ntgenbild des rechten OSG wurde vom Radiologen als normal interpretiert mit regelrechter Morphologie des oberen Sprunggelenkes sowie der Talusrolle.. Ein kleines Os
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CT rechtes OSG Die CT besta¨tigte eine schmale, quer verlaufende Frakturlinie im Bereich der Basis des Processus posterior tali, eine ca. 1 mm kleine Stufe im Bereich der OSG-Gelenkfla¨che sowie minimale Stufenbildung an der Gelenkfla¨che des hinteren unteren Sprunggelenkes. Besta¨tigung einer quer verlaufenden, schmalen Frakturlinie an der Basis des Processus posterior tali mit Stufe im Bereich der OSG- und der USG-Gelenkfla¨che (Abb. 3 und 4). Der restliche computertomographische Befund des Ru¨ckfußes war unauffa¨llig.
Abbildung 1 €ntgenbild rechtes OSG seitlich. Ro
trigonum (Abb. 1) wurde beschrieben, jedoch ohne Hinweise auf eine frische ossa¨re La¨sion. Therapeutisch wurden eine Immobilisation in der VACOankle-OSGSchiene und eine Entlastung an Unterarmgehstu¨tzen durchgefu¨hrt. In der am folgenden Tag durchgefu¨hrten MRT-Untersuchung fand der Radiologe keinen Frakturhinweis, aber einen Tibio-Talargelenkerguss sowie eine Zerrung des Lig. talocalcaneare interosseum (Abb. 2). Klinische Untersuchung und Diagnostik Vier Monate nach dem Trauma stellte sich der Patient in unserer Praxis vor. Er klagte u¨ber persistierende Schmerzen an der Innenseite des oberen Sprunggelenkes. Die Behandlung in der Schiene sei ohne Erfolg gewesen. Er war schmerzbedingt
nicht sporttauglich. In der klinischen Untersuchung zeigte sich das Gelenk nicht bewegungseingeschra¨nkt. In den Stabilita¨tstests war das Gelenk stabil. Das Lig. deltoideum war nicht druckdolent. Es zeigten sich jedoch eine Schwellung im Bereich des dorsomedialen oberen Sprunggelenks sowie eine exquisite Druckschmerzhaftigkeit im Bereich des dorsomedialen Talus. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensorik waren intakt. Vor dem Hintergrund des protrahierten Verlaufs und unserer Beurteilung € des bestehenden MRT mit Odem und Kontusionszeichen (Abb. 2) wurde die Verdachtsdiagnose eines frakturierten Processus posterior tali gestellt. Zur Diagnosesicherung und Festlegung des therapeutischen Vorgehens wurde eine CT des rechten oberen Sprunggelenkes (OSG) angeordnet. K.P. Kammerer, R.M. Biedert
Therapie Eine konservative Behandlung mit Immobilisierung im Gips ist eine prima¨re Behandlungsmo¨glichkeit, wenn die Fraktur in der akuten Phase korrekt diagnostiziert wird und die Dislokation nicht zu groß ist. Unbehandelt ko¨nnen die Verletzungen chronifizieren und wie in diesem Fall zu einer non-union fu¨hren. Damit verbunden sind chronische Schmerzen und funktionelle Einschra¨nkung, die dann eine spa¨tere chirurgische Revision no¨tig machen. In diesem Fall wurde auch entsprechend die Indikation zur Resektion des frakturierten Fragments des Processus posterior tali gestellt. Intraoperativ konnte die Diagnose nochmals durch die freie Beweglichkeit des Fragments nachgewiesen werden. In der postoperativen Kontrolle besta¨tigte der Patient, dass die posttraumatischen u¨ber Monate persistierenden Schmerzen nach der Fragmententfernung postoperativ verschwunden sind.
Diskussion Patienten ko¨nnen sich ha¨ufig nicht an den Unfallhergang erinnern und dezidierte Aussagen zu dem Geschehen machen. Dennoch ko¨nnen
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korrekte und genaue Aussagen zum Unfallhergang im Stellen der korrekten Diagnose richtungsfu¨hrend sein. So ha¨tte in diesem Fall ein Hinweis auf ein Trauma in maximaler Plantarflexion den Fokus auf dorsale Strukturen am Talus lenken ko¨nnen und die ha¨ufigeren Frakturen am Talushals durch Dorsalextensionstraumata etwas unwahrscheinlicher machen ko¨nnen. Das Wissen um den Unfallmecha-
nismus kann den Fokus auf mo¨gliche (vielleicht auch seltene) Diagnosen lenken, gerade wenn der Mechanismus selbst nicht gewo¨hnlich ist. In der initialen klinischen Untersuchung in der Notaufnahme wurde sehr genau ein akuter Prozess mit Druckschmerzen im medialen Bereich des OSG unterhalb des Malleolus medialis identifiziert. Mit dem Ro¨ntgenbefund wurde dieser initiale Anhaltspunkt jedoch wieder verworfen, nachdem das Ro¨ntgenbild als normal mit glatter Kontur des Talus und ohne kno¨cherne Verletzungen beurteilt wurde. Durch den Ro¨ntgenbefund wurde eine in der klinischen Untersuchung gestellte Verdachtsdiagnose verworfen. Die klinische Untersuchung kann richtungsfu¨hrend sein, wenn der Ro¨ntgenbefund nicht aussagekra¨ftig ist. Das kleine Os trigonum, das im Ro¨ntgenbefund als Nebenbefund beschrieben wurde, war im eigentlichen Sinn das Frakturfragment. Das Ro¨ntgenbild konnte als Os trigonum oder als Fraktur des Processus posterior tali interpretiert werden. Die Differenzierung beider Diagnosen voneinander stellte in diesem Fall die eigentliche Schwierigkeit dar (Tab. 1 und 2). Es bestehen verschiedene radiologische Hinweise fu¨r eine Traumatisierung eines Os trigonum oder Processus posterior tali [2].
Abbildung 2 MRT rechtes OSG sagittal T2.
Abbildung 3 CT rechtes OSG transversal.
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Tabelle 1. Differentialdiagnosen des Os trigonum [1]. Fraktur des Processus posterior tali
(Shepherd’s fracture)
Posteriores Weichteilimpingement Tenosynovitis der M.-flexor-hallucis-
longus-Sehne
Tabelle 2. Anatomische Varianten des posterolateralen Talus [2]. Typ I : Normales Tuberkulum Typ II : Vergro¨ßertes Tuberkulum
(Stieda-Fortsatz)
Typ III: Akzessorischer Knochen / Os
trigonum
Typ IV: Mit Talus verschmolzenes Os
trigonum (Synchondrose / Syndesmose)
Tabelle 3. Befunde der Processus-posterior-tali-Fraktur in der Bildgebung [2]. Frische Frakturlinie Fehlende Sklerosierung der dem Talus
zugewandten Zirkumferenz des Frakturfragments sowie fehlende Sklerosierung des entsprechenden Gegenparts am Talus € Intraossa¨re Odembildung im MRT Flu¨ssigkeitsansammlung im Weichteilgewebe im MRT Mo¨gliche Dislokation des Fragments
Ein normales Os trigonum zeigt eine durchgehende Sklerosierung in der gesamten Zirkumferenz. Im € MRI fehlen eine Odembildung oder eine Flu¨ssigkeitsansammlung. Eine Fraktur des Processus posterior tali weist charakteristische bildgebende Befunde auf (Tab. 3). Abgrenzung der mo¨glichen Differentialdiagnosen voneinander und darauf basierende weiterfu¨hrende bildgebende Diagnostik fu¨hren
Abbildung 4 CT rechtes OSG transversal.
zum Auffinden der korrekten Diagnose und damit zur Wahl der ada¨quaten Therapie [1]. Insbesondere bei protrahiertem Krankheitsverlauf ohne Besserung der Symptomatik sollte die gestellte Diagnose nochmals vor dem Hintergrund der konkurrierenden Differentialdiagnosen in Frage gestellt werden Eine vergleichbare Problematik wie in dem oben dargestellten Fall stellt die Diagnostik eines traumatisierten Os tibiale externum / frakturierten Os naviculare dar.
K.P. Kammerer, R.M. Biedert
Literatur [1] N.J. Bureau, Posterior ankle impingement syndrome: MR imaging findings in seven patients, Radiology 215 (2000) 497–503. [2] D.W. Stoller, Os trigonum syndrome, in: Diagnostic imaging. Orthopaedics, AMIRSYS, Salt lake City, Utah, 2006. Korrespondenzadresse: Prof.Dr.med. R.M.Biedert Sportclinic Villa Linde Swiss Olympic Medical Center Magglingen-Biel Blumenrain 87 CH-2503 Biel E-Mail:
[email protected]
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