Konstitution und Individualität – therapeutische Schlussfolgerungen

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Wissenschaftliche Fakten und therapeutische Empfehlungen – Teil 3

Konstitution und Individualität – therapeutische Schlussfolgerungen Anhand ausführlicher experimenteller Befunde wurden im Teil 2 unserer Beitragsreihe die großen individuellen Unterschiede der Kreislaufstruktur bei Leptosomen und Pyknosomen deutlich. Welche therapeutischen Schlussfolgerungen daraus konkret zu ziehen sind, damit beschäftigt sich Teil 3 dieser konstitutionsphysiologischen Untersuchung. Wesentliche Grundlage jeder Behandlung ist es, auf den individuellen Konstitutionstyp der Patienten einzugehen. K. Pirlet

Präventive und therapeutische Praxis im Nordsee-Klima Ich würde nicht ohne Weiteres behaupten, dass ein Seeaufenthalt bestimmten Personen weniger gut bekommt – etwa den Mageren. Sie baden kürzer, seltener oder lassen es ganz. Sie kleiden sich wärmer und dehnen ihre Luftbäder nicht bis in die kühlen Nachmittagsstunden aus. Sie passen sich instinktiv den konstitutionellen Besonderheiten ihres Wärmehaushaltes an. Und trotzdem -die Mageren sind immer wieder versucht, es den anderen gleichzutun; gerade sie laufen

Gefahr, die Grenzen des ihnen Zuträglichen zu überschreiten. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt an der See werden viele – ob mager oder adipös – mit Recht erklären können, sie hätten sich glänzend erholt. Die negativen Auswirkungen eines überzogenen Badens in Luft, See und Sonne zeigen sich zwar häufig noch während des Seeaufenthaltes, oft aber auch erst nach Wochen und Monaten zu Hause – vielfach unter den Zeichen schwerer vegetativdystoner Bilder, erhöhter Infektneigung, rheumatischer Affektionen oder sonstiger klinischer Syndrome. Das wiederholt sich unter Umständen Jahr für Jahr,

und nicht wenige gewinnen dann den Eindruck, „dass ihnen die See nicht bekommt“. Sie wandern ins Hochgebirge ab oder zu südlichen Meeresküsten. Diese negativen Spätwirkungen eines Aufenthaltes an Nord- oder Ostsee bekommt nur der Arzt im Binnenland zu sehen, nicht der Thalasso-Therapeut im Seebad. Letzterer erhält eine positive Auslese; er sieht vornehmlich diejenigen wieder, denen dank konstitutioneller Eigenart und dank richtigen, maßvollen Verhaltens die See gut bekommen war, die also einen lang anhaltenden gesundheitlichen Gewinn mit nach Hause nehmen konnten.

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Wie ich nun immer wieder erfahren musste – und diese Erfahrungen stimmen mit denen zahlreicher Kollegen überein -, sind es vornehmlich magere leptosome Personen, blasse, stille und verhaltene Menschen, für die das übliche Standardregime eines Seeaufenthaltes mit täglichen ausgedehnten Luft- und Seebädern nicht unbedingt das Richtige zu sein scheint. Die in dieser Arbeit zusammengestellten Befunde haben ja erkennen lassen, wie stark die Eingriffe in den Wärmehaushalt und seine regulatorischen Systeme sind und um wie vieles stärker diese Belastung bei mageren Personen ist. Als Therapeut möchte ich Folgendes bekennen. Ich scheue die lang anhaltende Auskühlung der Haut; das ist kein therapeutischer Kaltreiz mehr, das ist ein Kälteschock für ein mit zahlreichen, außerordentlich wichtigen Aufgaben betrautes Organ. Ich scheue die lang anhaltende Auskühlung des Körperkerns, die Auskühlung von Organsystemen, deren Temperatur der Organismus auf Zehntel Grad genau konstant zu halten bemüht ist. Ich scheue die tiefgreifenden zentralregulatorischen Umstellungen, vor allem wenn sie sich durch mehrmaliges tägliches Baden überlagern. Ich scheue diese massiven Einflüsse nicht zuletzt deshalb, weil es sich in der Regel um Kurgäste und Patienten handelt, die es elf Monate lang an allem haben fehlen lassen und die jetzt glauben, in 3–4 Wochen alles nachholen zu können – nach dem Motto: viel hilft viel. Ein Motto, das nun gerade in der Physikalischen Therapie, speziell in der KlimaThalasso-Therapie, keine Geltung hat. Hinzu kommt die unselige, leider auch von Ärzten noch oft vertretene Auffassung, diese „Naturreize“ könnten nicht schaden. Ich erinnere an das Gebot von Kneipp: Wenn kalt, dann so kalt wie möglich und so kurz wie möglich. Und wie zurückhaltend ist man in der Hydrotherapie mit scharfen Kaltanwendungen geworden – gerade auch bei mageren Patienten! Demgegenüber wird beim kalten Seebad die gesamte Körperoberfläche in Sekunden auf Temperaturen von 15–20 Grad Celsius gebracht und 10, 20, 30 Minuten lang auf dieser Temperatur gehalten; dazu die starke zentrale Auskühlung bei mageren Personen und die exzessive Inanspruchnahme zahlreicher vegetativer Regulationssysteme. Die Grundsätze einer behutsam dosierenden Hydrotherapie und dann all das, was von Erholungs-

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Abb. 1: Konstitutionsphysiologische Merkmale und ihre Varianten. Links die für eine konstitutionelle Differenzierung geeigneten Merkmale. Rechts in 2 Säulen die Merkmals-Varianten bei leptosomem und pyknosomem Körperbau. Die eingezeichnete Gauss`sche Verteilung sagt: Mittlere Ausprägungsgerade sind häufig, extreme Merkmals-Varianten sind selten. Eine Regelhaftigkeit mit Ausnahmen und Abweichungen

suchenden, auch von Kranken Tag für Tag an der See betrieben wird, das lässt sich für mich nicht auf einen therapeutischen Nenner bringen. Ich empfehle, bei mittelproportionierten und mageren Personen größere Zurückhaltung zu wahren mit allen wärmeentziehenden Maßnahmen, in der KlimaThalasso-Therapie mit kühlen Luftbädern und kalten Seebädern. Je magerer der Betreffende ist, umso kürzer und seltener sollte er baden. Manch einer wird gar nicht schlecht fahren, wenn er das Baden in der freien See einmal ganz lässt und sich auf kurze Luftbäder, auf Strand- und Dünenwanderungen und auf „Wassertreten“ in der auflaufenden Brandung beschränkt. Und der Hausarzt sollte überlegen, ob er einen mageren Kranken in kühle oder kalte Klimate schicken kann, zur kühlen oder gar kalten Jahreszeit. Eine Herbstkur zählt nicht unbedingt doppelt. Beleibteren Patienten darf man in der Regel mehr zumuten, allerdings auch immer unter Berücksichtigung all der Gesichtspunkte, die unser therapeutisches Vorgehen mitzubestimmen haben: Krankheitsform, Krankheitsphase, Alter, Abhärtungszustand und anderes mehr. Dass Kranke auf physikalisch-therapeutische Maßnahmen unterschiedlich reagieren und dass es daher eines individuellen Vorgehens bedarf, das ist im Grunde eine banale Feststellung. Ob wir einen Kranken – beispielsweise – zu stark belastet haben, ob sich ein Kurgast

zu viel zugemutet hat, das erfahren wir aber erst nach der Maßnahme, im Verlaufe der Badekur oder hinterher. Unser Ziel ist daher stets, möglichst vorher festzustellen, mit welcher Verträglichkeit wir beim Patienten oder beim Kurgast zu rechnen haben. Wir möchten schon vor der Behandlung die Dosis und das Kurregime kennen, das der konstitutionell verankerten, oft aIlerdings krankhaft veränderten Reaktionslage angepasst ist. Wir streben eine „Prognose der individuellen Verträglichkeit“ an. Die Beziehungen zwischen körperbaulicher Eigenart und thermophysiologischen Größen sind nun so eng, dass man aus der Entwicklung des subkutanen Fettpolsters (auch aus Gesicht, Körperbau und Wesensart) recht genau auf die Belastbarkeit mit wärmeentziehenden thalasso-therapeutischen Maßnahmen schließen kann. Hier bietet sich eine solche Prognose der individuellen Verträglichkeit an – und die Möglichkeit eines wissenschaftlich begründeten, individuellen therapeutischen Vorgehens.

Konstitutionsphysiologische Merkmale und ihre Varianten Zusammenfassung und therapeutische Empfehlungen In der Abbildung 1 sind physiologische Merkmale aufgeführt, deren Varianten

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eine Beziehung zur Konstitutionsreihe leptosom – pyknosom aufweisen. Diese konstitutionellen Besonderheiten sind großenteils durch experimentelle Daten belegt; teilweise sind sie von mir und zahlreichen Kollegen beobachtet und therapeutisch bestätigt worden. Ich stehe zu diesen Beobachtungen. Es sind Empfehlungen für den persönlichen Alltag und für die therapeutische Praxis. Nachfolgend fasse ich zusammen, was ich glaube weitervermitteln zu können.

Der Körperbau Das führende und auffallendste Merkmal ist die unterschiedliche Entwicklung des Fettgewebes, vor allem des subkutanen Fettpolsters. Der Leptosome ist hager und mager; der Pyknosome wirkt füllig. Es haben sich – auch bei präzisen röntgenologischen Vermessungen – keine Unterschiede der Skelettproportionen gefunden. Unterschiede der Messzahlen und Indizes (Kretschmer) ergeben sich nur aus der unterschiedlichen Aufpolsterung durch Fettgewebe. Lediglich der knöcherne Schädel zeigt Besonderheiten: Beim Leptosomen zum Unterkiefer hin schmal, von der Seite häufig ein Winkelprofil; der Schädel des Pyknosomen ist breit und rund.

Die psychische Reaktionsweise Die Kretschmer‘sche Charakterisierung schizothym-zyklothym scheint mir nicht treffend. Der Leptosome h at kein „gespaltenes Seelenleben!“ Er ist vorsichtig, verhalten, stärker in sich gekehrt. Die Worte „introvertiert und extrovertiert“ scheinen mir die psychischen Eigenarten besser zu kennzeichnen. Der extrovertierte Pyknosome bietet sich bei seinem Auftreten an; er kommt auf einen zu; er stellt sich zur Verfügung; er will dabei sein; er will zeigen, was er kann. Er ist ein guter Partner für den introvertierten zurückhaltenden Leptosomen. Man sagt ja „Extreme ziehen sich an“. Es heißt aber auch „Gleich und Gleich gesellt sich gern“; das gilt dann für mittlere, für mesosome Konstitutionsvarianten.

Die physische Reaktionsweise Die „typologische“ Unterscheidung von Lampert deckt sich weitgehend mit der Typologie von Kretschmer. Allerdings haben meine experimentellen Arbeiten gezeigt, dass der „mikro-kinetische“

Leptosome (Lampert) auf wichtige physikalische Umwelteinflüsse wie Kälte und Wärme nicht schwach und langsam, sondern schnell und stark reagiert. Er muss so reagieren. Er ist mager und kühlt leicht aus. Der adipöse Pyknosome kann unter Kältebelastung auf stärkere gegenregulatorische Aktionen weitgehend verzichten; Fett hält ihn warm.

Die Fettentwicklung Ein Merkmal, das jeden Menschen in seiner Einmaligkeit prägt – in Gesicht und Statur. Ohne die Fettumpolsterung des Schädels würden wir alle recht ähnlich aussehen. Die Dicke des subkutanen Fettpolsters (die mittlere Hautschichtdicke) steht in enger Beziehung zu physiologischen Daten – zum Energieumsatz der Zelle, zur Kreislaufstruktur und zum Wärmehaushalt.

Der Energie-Umsatz im Zellraum So weit ich Messdaten habe erarbeiten können: Der Energieumsatz im zellulären Raum liegt beim Leptosomen wesentlich niedriger als beim Pyknosomen. Dieser Befund fügt sich widerspruchsfrei in das physiologisch-somatische Gesamtbild der beiden Konstitutionsvarianten ein.

Die Kälte-Gegenregulation Der magere Leptosome drosselt in der Kälte die periphere Durchblutung, damit die Wärmeabgabe (kalte Hände und Füße); und er steigert die Wärmebildung wesentlich früher und stärker als der Pyknosome. Der Magere kann unter kühlen und kalten Bedingungen das Absinken der Bluttemperatur nicht verhindern. Jeder Kaltreiz, jeder Wärmeentzug, führt beim mageren Leptosomen zu einer besonders starken mehrphasischen Verstellung der hypothalamisch regulierten Sollwerte, damit auch zu einer starken Irritation aller funktional miteinander vernetzten zentral-nervösen Systeme.

Die Kälte-Toleranz Die Kältetoleranz des mageren Leptosomen ist gering. Kühle und kalte Bedingungen meidet er, ebenso harte Kaltreize in der Hydrotherapie. Gerade bei ihm müssen wärmeentziehende Maßnahmen sehr behutsam dosiert werden. Dem adipösen Pyknosomen kann meist alles zugemutet werden, was ein thermotherapeutisches Repertoire zur Verfügung hält – etwa bei einer Kneipp-Kur, bei einem Aufenthalt an der Nordsee, auch zur kalten Jahreszeit.

Die Kreislauf-Ruhestruktur Nicht die Funktionsdaten des Herzens, wie Schlagvolumen und Minutenvolumen, prägen die Kreislaufstruktur, sondern die Kenngrößen der arteriellen Gefäße: Die Pulswellengeschwindigkeit, die Grundschwingungszeit. Sie geben Aufschluss über den Tonuszustand der glatten Muskelzellen in Aorta und weiterführenden muskulären Arterien. Man könnte beim Leptosomen eventuell von einer mehr vagotonen, beim Pyknosomen von einer mehr sympathikotonen Kreislaufstruktur sprechen.

Der Wärmehaushalt Der magere Leptosome gibt über seine dünne Körperschale wesentlich mehr Wärme ab als der adipöse Pyknosome. Der Leptosome kühlt also eher aus – schon im normalen thermoindifferenten Alltag, erst recht unter kühleren Bedingungen, in der kalten Jahreszeit. Fast dramatisch tief sinkt die Kerntemperatur, die Bluttemperatur, im kalten Wasser ab. Der adipöse Pyknosome nimmt die regulatorischen Hilfen von Kreislauf und Stoffwechsel kaum in Anspruch. Fett hält ihn warm.

Die Überwärmungs-Toleranz Die Belastungsgrenzen des Leptosomen sind in vielerlei Hinsicht eng gezogen. In der Sauna, in Kabine und Kaltbecken möchte er es den anderen gleichtun. Es kommt bei ihm aber zu besonders starken Auslenkungen der zentralregulatorischen Größen (eigene experimentelle Untersuchungen). Zu hoch dosierte physikalisch-therapeutische Maßnahmen führen beim Leptosomen oft zum Dys-Stress. Der Pyknosome kann häufiger und länger in die Sauna. Er kann sich in kürzeren Abständen ein höher dosiertes Überwärmungsbad genehmigen. Er leidet allerdings, wenn er bei warmem Wetter und bei körperlicher Aktivität die Wärme, die er selbst vermehrt bildet, nach außen hin nicht so leicht abgeben kann. Er fängt früher an zu schwitzen.

Die Verdauungsleistung Sie ist beim mageren Leptosomen von Natur aus schwach. Die Leistungsgrenzen der Verdauungsorgane sind eng gezogen. Um aber mit anderen gleichzuhalten, überschreitet der Leptosome diese

Grenzen häufig – er isst zu viel, zu vielerlei, zu hastig, für ihn zu schwer verdaulich. Beim Leptosomen stößt man besonders oft auf chronifizierte Verdauungstörungen. Dem Pyknosomen schmeckt alles, ihm bekommt alles. Er versteht die Vorsicht und die Empfindlichkeit des Leptosomen nicht.

Die Fastentoleranz Der magere Leptosome geht zum Fasten, weil er seine Verdauungsstörungen loswerden möchte. Er kann aber nicht lange fasten; er wird oft noch hypotoner, noch hypoglykämischer. Salinische Wässer in üblicher Dosierung reizen seine schon überstapazierten Schleimhäute. Für den Pyknosomen ist Fasten oft ein Vergnügen. Man kann ihm mit den begleitenden physikalisch-therapeutischen Maßnahmen einiges abverlangen. Er ist ein dankbarer Fastenpatient.

Der Säure-Basen-Haushalt Dem Leptosomen mit „alkalotischer“ Tendenz geht es unter einer langfristigen „basenreichen“ Kost schlecht (viel Gemüse und Kartoffeln). Besser fährt der Leptosome mit einer leicht verdaulichen, gemischten, eiweißbetonten, damit angeblich „säureüberschüssigen“ Ernährungsweise. Voraussetzung ist aber, dass im Darm keine Gärungssäuren mehr gebildet werden – die Hauptursache einer sogenannten „sauren“ Stoffwechsellage. Dem Pyknosomen bekommt jede basenüberschüssige Kost. Er verdaut sie gut, und er profitiert sogar von einer zusätzlichen Basenzufuhr. Aber auch bei ihm ihm gilt die Forderung: Diätetische Beseitigung der intestinalen Gärungs-und Fäulnis-Vorgänge. Sonst nutzt ihm auf Dauer alle Basenzufuhr nichts.

Bewegung und Sport Der magere hagere Leptosome zeigt Ausdauer – sofern er genügend Kohlenhydrate in Reserve hat. Nicht Kraftsport, sondern locker zelebrierter Laufsport ist seine Königsdisziplin. Der Pyknosome tut sich sportlich schwer. Er trägt zu viel mit sich herum. Kurze Läufe, kurze sportliche Einsätze wie Tennis und Ballspiele sind ihm lieber. Kommt zum leptosomen oder pyknosomen Körperbau eine athletische Komponente hinzu, dann sehen wir die Spitzenleistungen im 100-Meter-Lauf, beim Hammerwerfen, im Zehnkampf.

Die Tag-Nacht-Rhythmik Kenntlich vor allem am Auf und Ab der Körpertemperatur, damit verkoppelt alle anderen endokrin und nerval gesteuerten Funktionssysteme. Der Pyknosome hat seinen nächtlichen Tiefst- und Umkehrpunkt schon zwischen 2 und 3 Uhr morgens, der Leptosome erst zwischen 4 und 5 Uhr. Eine Differenz von etwa 2 Stunden. Eine entsprechende Zeitverschiebung am Tag. Die Gipfelzeiten des Pyknosomen liegen zwischen 15 und 17 Uhr, die des Leptosomen zwischen 17 und 19 Uhr. Der Pyknosome wird relativ früh müde; dafür ist er morgens früher auf. Er ist ein „Lerchentyp“; er kann in der Frühe gut arbeiten. Der Leptosome ist ein Nachtarbeiter, ein „Eulentyp“. Er sollte nicht vor 23– 24 Uhr ins Bett gehen. Schlaf vor Mitternacht zählt für ihn nicht doppelt. Abschließend möchte ich auf zwei große Naturheiltherapeuten, auf zwei Laienpraktiker hinweisen:

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In der gesamten Physikalischen und Diätetischen Therapie stehen wir Tag für Tag vor dem Dosisproblem: Das richtige Maß finden – in allem! Auch zuhause im Alltag! Bekannt ist das Wort von Paracelsus: Jedes Ding kann Gift, jedes Ding kann Arznei sein; allein die Dosis macht‘s. Wissenschaftliche Konstitutionsforschung und sachliche objektive Erfahrung kann uns hier weiterhelfen. dcs

Abb. 2: Arnold Rikli (1823–1906)

Abb. 3: Sebastian Kneipp (1821–1897)

• Arnold Rikli – der Sonnen-Doktor • Sebastian Kneipp – der Wasser-Doktor Rikli in Abbildung 2 – ein hagerer, dem Gesichtsschnitt nach, eher leptosomer Konstitutionstyp. Kaltwasserkuren schienen seinem angeschlagenen Gesundheitszustand nicht zu bekommen, auch die streng vegetarische Ernährungsweise nicht. Er nahm Abstand von den harten Kaltanwendungen und schwor nach 10 Jahren auch der vegetarischen Kostform ab. Er begeisterte sich für die behutsame Ernährungsweise von Luigi Cornaro, begeisterte sich für das milde hydrotherapeutische Regime von Christian Hufeland. Und er entwickelte in Veldes im Oberkrain mit großem Erfolg seine LuftLicht-Sonnen-Kuren – mit aufwärmenden Bädern und verhaltenen Kaltreizen. „Wasser tut‘s freilich, höher steht jedoch die Luft und am höchsten das Licht“. Kneipp in Abbildung 3 – ein fülliger Mann, mit dem Gesichtsschnitt und der Kopfform eines mehr pyknosomen Typus. Durch harte Kaltanwendungen genas er

von einer Lungenkrankheit, entwickelte daraufhin in Wörishofen – aufbauend auf den Erfahrungen und Schriften von Vincenz Priessnitz – ein „naturheilkundliches“ Regime. Kaltes Wasser zur Anregung der körpereigenen Heilkräfte spielte die dominierende Rolle. Die Kost war einfach, grob, laktovegetabil. „Was die Gesundheit erhält, das kann auch die Krankheit heilen“. Mein Kommentar: Zwei verschiedene Konstitutionstypen haben sich von ihren ganz persönlichen Erfahrungen leiten lassen. Erfolge (gesundheitliche Besserungen) stellten sich bei den Patienten ein, die ihrem Konstitutionstyp, ihrem Gesundheitszustand nach für das jeweilige Regime geeignet waren. Ich selbst kenne viele Patienten, die von irgendwelchen Kuren verschlechtert und enttäuscht zurückkamen. Der Mensch liebt zwar kühlende und wärmende Einflüsse. Es braucht aber nicht unbedingt ein kalter Blitzguss oder ein schweißtreibendes Sonnenbad zu sein.

Quelle: Pirlet K. Konstitution und Individualität. Die physiologischen Besonderheiten von Körperbau und Körperfunktion. In: Pirlet-Gottwald M, Falkenbach A (Hrsg.) Die Erhaltung von Leben und Gesundheit. Hamburg: Verlag Dr. Kovac: S. 126–178 Prof. Dr. med. Karl Pirlet Em. Ordinarius der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Innere Medizin, Rheumatologie, Pysikalische und Diätetische Therapie, Naturheilkunde Hörmannstraße 22 82467 GarmischPartenkirchen

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