Leserbrief zur Stellungnahme von Medizinstudenten und deren Dozenten des Wochenendseminars „Bewertung des Nutzens von Gesundheitsleistungen“ Universität Ulm, 13.-15. Mai 2011 zum Aufsatz Die „Gute Praxis Gesundheitsinformation“

Leserbrief zur Stellungnahme von Medizinstudenten und deren Dozenten des Wochenendseminars „Bewertung des Nutzens von Gesundheitsleistungen“ Universität Ulm, 13.-15. Mai 2011 zum Aufsatz Die „Gute Praxis Gesundheitsinformation“

Leserbrief zur Stellungnahme von Medizinstudenten und deren Dozenten des Wochenendseminars ,,Bewertung des Nutzens von Gesundheitsleistungen‘‘ Univers...

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Leserbrief zur Stellungnahme von Medizinstudenten und deren Dozenten des Wochenendseminars ,,Bewertung des Nutzens von Gesundheitsleistungen‘‘ Universität Ulm, 13.-15. Mai 2011 zum Aufsatz Die ,,Gute Praxis Gesundheitsinformation‘‘

Die Stellungnahme, für die ich mich bedanken möchte, beruht auf einem Missverständnis. Für die Gute Praxis Gesundheitsinformation war es erforderlich, das zugrunde gelegte Konzept von Interessenkonflikt [1–3] in einer sehr knappen Form darzulegen, was Missverständnissen natürlich Vorschub leisten kann. Zum Thompson-Konzept ein Beispiel aus meinem Erfahrungsbereich. Für meine Tätigkeit im ärztlichen Bereitschaftsdienst besitze ich ein Gerät zur Messung des Sauerstoffgehalts im Blut (Pulsoxymeter). Diese Messung dauert wenige Sekunden und wird bei Privatpatienten nach Ziffer 602 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs in Verbindung mit dem Steigerungsfaktor 1,8 mit EUR 15,95 vergütet. Bei gesetzlich Krankenversicherten ist die Pulsoxymetrie über die Komplexziffer für den Hausbesuch abgegolten. Hier besteht also bei einer von zwei Patientengruppen ein finanzieller Anreiz zur Leistungserbringung. Das Risiko ist somit erhöht, dass meine finanziellen Interessen die medizinischen Aspekte der Indikationsstellung bei Privatversicherten unangemessen beeinflussen [4]. Bezeichnet man das Patienteninteresse an bestmöglicher Behandlung als primäres und die finanziellen Interessen des Arztes als sekundäres Interesse dürfte die von der AWMF übernommene Definition von Thompson nachvollziehbar werden: ,,Interessenkonflikte sind definiert als Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse beziehen, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst werden.‘‘ [5] Als primäres Interesse wird das Anliegen des Berufsstandes bezeichnet, also die bestmögliche Behandlung der Patienten durch Ärzte bzw. die bestmögliche Forschung durch Wissenschaftler. Sekundäre Interessen sind häufig etwas völlig Natürliches und Unvermeidliches, so z.B. Ehrgeiz, Streben nach Status, Anerkennung und Einkommen, Wunsch nach Aufnahme oder Verbleib in einer Gruppe, Wohlwollen von einflussreichen Personen, der Wunsch, Familienangehörige und Freunde zu fördern und zu unterstützen. Problema-

tisch werden sie erst dann, wenn sie über die primären Interessen Oberhand gewinnen [4]. Primäre und sekundäre Interessen sind in aller Regel gut erfassbar. Kaum zu klären ist hingegen die Frage, ob ein sekundäres Interesse das primäre Interesse tatsächlich unangemessen beeinflusst hat. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die kognitiven Prozesse, die zu einem Urteil oder zu einer Handlung geführt haben, nicht sichtbar gemacht werden können. An dieser Stelle kommt der Aspekt des Unbewussten hinzu: auch der betroffenen Person selbst entgeht die Verzerrung des eigenen Urteils, was als ,,bias blind spot‘‘ bezeichnet wird [6]. Wenn also Wissenschaftler Teile ihres Einkommens durch Zuwendungen von pharmazeutischen Firmen erzielen, mögen sie ehrlich davon überzeugt sein, dass dies ihr Urteilsvermögen nicht beeinträchtigt. Wissen können sie es nicht, denn die Verzerrung entzieht sich bei ihnen wie auch bei jedem Anderen der eigenen Wahrnehmung. In jedem Fall besteht ein Sachverhalt, der das Risiko eines verzerrten Urteils erhöht, also ein Interessenkonflikt. Ganz in Übereinstimmung mit Porszolt [7] bin ich der Meinung, dass wir zielführende und wissenschaftlich gestützte, also evidenzbasierte Strategien und Maßnahmen entwickeln müssen, um unvermeidbare Interessenkonflikt zu regulieren. Unser Wissen darüber, was funktioniert und was nicht, ist lückenhaft. Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin hat deshalb dazu vor Kurzem ein Diskussionspapier veröffentlicht: ,,Interessenkonfliktregulierung: Internationale Entwicklungen und offene Fragen‘‘ [8]. Die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme laden wir herzlich dazu ein, sich auch zu diesem Diskussionspapier zu äußern.

Literatur [1] Thompson DF. Understanding financial conflicts of interest. N Engl J Med 1993;329:573–6.

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2011.07.008

ZEFQ-Service: Leserbriefe

[2] Klemperer D (2008) Interessenkonflikte: Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen. Dtsch Arztebl 105: 2098-2100 http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel. asp?id=61694. [3] Thompson DF. The challenge of conflict of interest in medicine. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2009;103:136–40. [4] Klemperer D. Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest? in: Lieb K, Klemperer D, Ludwig WD (Hrsg.) Interessenskonflikte in der Medizin - Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten. Springer-Verlag; 2011 (im Erscheinen). [5] Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) (Hrsg) Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften. GMS Mitteilungen aus der AWMF 2010;7:1860–4269 http://www.egms.de/static/en/journals/ awmf/2010-7/awmf000206.shtml. [6] Felser G, Klemperer D. Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten Lieb K, Klemperer D, Ludwig WD (Hrsg.) Interessenskonflikte in der Medizin - Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten. Springer-Verlag; 2011 (im Erscheinen). [7] Porzsolt F. Von der Studienplanung bis zur Nutzenbewertung: Mit oder ohne Pharmazeutische Industrie? Med Klin 2010;105:930–5, doi:10.1007/s00063-010-1159-7. [8] Strech D, Klemperer D, Knüppel H, Kopp IB, Meyer G, Koch K. Interessenkonfliktregulierung: Internationale Entwicklungen und offene Fragen. Ein Diskussionspapier, 2011 http://www.ebm-netzwerk.de/aktuelles/ news2011-03-16-1. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. David Klemperer Hochschule Regensburg Fakultät Sozialwissenschaften Seybothstraße 2 93053 Regensburg E-Mail: [email protected]

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