Schaltungen des Nervensystems von Organismen im Vergleich zu Schaltungen der Mikroelektronik

Schaltungen des Nervensystems von Organismen im Vergleich zu Schaltungen der Mikroelektronik

9. Schlu6vortrag Schaltungen des Nervensystems von Organismen im Vergleich zu Schaltungen der Mikroelektronik H. TISCHNER, Technische Hochschule Ha...

2MB Sizes 0 Downloads 41 Views

9.

Schlu6vortrag

Schaltungen des Nervensystems von Organismen im Vergleich zu Schaltungen der Mikroelektronik

H. TISCHNER, Technische Hochschule Hannover, Deutschland

1. Einleitung Die Schaltungen des Nervensystems von Organismen dienen ebenso wie die Schaltungen der Mikroelektronik zur V'bertragung und Verarbeitung von Nachrichten. Jedes Lebewesen nimmt physikalische und chemische Reize aus seiner Umgebung auf. Empfangsorgane kodieren diesp. Reize in eine Form, die den Eigenschaften des nervosen Ubertragungssystems angepaBt sind. Die Nachrichten laufen entweder unmittelbar zu den Effektoren oder in der tiberwiegenden Zahl in das Rtickenmark oder das Gehirn. Von diesen datenverarbeitenden Zentren gelangen sie zum Teil wiederum zu den Effektoren, z. B. den Muskeln und Drtisen. Neben den mit der Umwelt in Verbindung stehenden Rezeptoren und Effektoren verftigt der Organismus tiber Elemente zur Uberwachung der Tatigkeit der inner en Organe. So befindet sich in unserem Korper eine Vielzahl von Nachrichtenverbindungen, die bei einem gesunden Menschen tiber viele Jahre in voller Tatigkeit sind . Das Ubertragungssystem ist in seiner Grundform alIen vielzelligen Tieren mit Ausnahme der Schwamme zu eigen (Abb. 1, 2) . Bei den Arbeiten der Neuroanatomen und Neurophysiologen hat sich gezeigt, daB in den elektrischen und chemise hen Eigenschaften der Elemente des Nervensystems von Insekten und Wirbeltieren kein Unterschied besteht. Sie differieren - von dieser Seite her betrachtet - nur dadurch, daB die Zahl der Elemente, aus denen sich das Gehirn zusammensetzt, beim Menschen ungleich groBer als etwa bei einer Fliege ist. Dies bedeutet eine wesentliche Erleichterung im Versuch: die Experimente zur Erfassung der Eigenschaften der Baueinheiten lassen sich an niederen Tieren durchftihren, deren Anatomie oft bessere Einblicke erlaubt. Auf der einen Seite hat man sich ein Urteil tiber die Form der gegebenen Elemente durch licht- und elektronenmikroskopische Studien zu bilden, zum anderen ist man mit einer Sondentechnik in

802

H.Ti sc hner

... "

. '. '. -..

"

~.

Ep

., ':

Abb. l. Nervensystem eines Hohltieres (Qualle). Siz SiJUleszelle, Nz Nervenzelle, Mf Muskelfaser, Ep Epithel

iii::: ,'. ft ' ..,....... .. :., -, . , "

h

'

.

"

. '} '

' "

"

"

, : .":"::

M!

Abb . 2. Grubenauge einer Schnecke (Pate lla). Siz SiJUleszellen, Nf Nervenfasern

der Lage, die elektrischen Vorgange Hings eines einzelnen Nervs zu verfolgen .

2. Bou und Wirkungsweise des Neurons Die Grundziige des Aufbaues einer Ubertragungseinheit, des Neurons, sind den Biologen seit etwa 75 Jahren geHiufig. Seit dieser Zeit vergingen weitere 60 Jahre bis zu einer einigermaBen klaren und durch Versuche be-

9. Schlu/3vortrag

803

legten Vorstellung iiber die Wirkungsweise eines Neurons (Abb. 3). Die Sendeeinrichtung wird durch die Dendriten dargestellt, die mit Nachrichten versorgt werden . Die AusUiufer der eigentlichen Nervenzelle, die wir

R

SI'!

o

E

Abb. 3. Rezeptor - N,erv - Effektor. R Rezeptor, SN Nervenzelle, Sy Synapsen, MN Motoneuron, IN Zwischenneuron, E Effektor

als Soma bezeichnen, fiihren Spannungen, die den Dendriten einer nachfolgenden Zelle zugefiihrt werden . Das Soma wirkt als astabile Kippschaltung (Abb . 4). Die Dendriten konnen sehr zahlreich sein wie bei den Pur kin j e schen Zellen. Jede Zelle miindet in ein oder gelegentlich auch zwei konzentrische Kabel, die man Axone nennt. Das Axon spaltet sich in der unmittelbaren Umgebung einer nachfolgenden Zelle in viele Zweige

D

Abb. 4. Pyramidenzelle, motorische Vorderwurzelzelle, Purkinjesche Zelle . D Dendriten, A Axon

804

H. Ti sc hner

auf , die auf der OberfUiche der Dendriten dies er Zelle in Gestalt von kleinen Knopfchen enden (Abb . 5) . Sie stellen das Verknilpfungsglied mit den Dendriten dar . Der Ubergang vom Knopfchen zum Dendriten, als synaptische Verbindung bezeichnet, wurde in den letzten Jahren eingehend mit elektronenmikroskopischen Methoden untersucht. Der Abstand zwischen Knopfchen und Soma ist sehr klein; er betragt etwa 1/ 100 [Lm bei einem Durchmesser des Knopfchens von rund 1 [Lm.

Abb . 5. Enciknopfchen auf einem Motoneuron

Das Axon tritt in zweierlei Form auf. Der vegetative Teil des Nervennetzes enthalt markarme Fasern, die relativ kurz sind und vom Soma unmittelbar zu nachsten Dendriten laufen. Die Dampfung dieser Fasern ist so , daB eine groBere Uinge nicht ilberbrilckt werden kann . FUr diese Zwecke setzt die Natur die markhalti gen Nervenfasern (Abb. 6) ein, deren Markscheide in Abst anden von 1 ... 3 mm von den Ran vie r schen Schnilrringen unterbrochen wird . Neuere Untersuchungen zeigen , daB die Faser an dies en Stellen durch eine dilnne Membran getrennt ist. Bei jedem einlaufenden Impuls wirkt sie als elektrochemisches Relais und sorgt so fUr den Ablauf des Pulses mit einer Amplitude, die ilber dem Ansprechwert der nachfolgenden Membran liegt. Die Zeitverzogerung je Schnilrring liegt bei 0,1 msec ; die Dampfung des Internodiums ist etwa 3,5 dB/ mm . Das Internodium hat die Eigenschaften eines Kabels mit endlicher Querableitung und zu vernachlassigender Induktivitat. Das FortpflanzungsmaB wachst mit

9. SchluBvortrag

805

Abb . 6. Axon (Langsschnitt)

der Wurzel aus der Frequenz, so daB ein Impuls langs seines Weges flacher wird . Urn seine Form zu erhalten, die offenbar fUr die weitere Verarbeitung des Signals wesentlich ist, setzt die Natur in kurzen AbsUinden Relais ein. Ein Reiz am FuB legt bis zur Mitte des Rlickenmarks,d. h . bei einer Lange des Axons von 1 m die Strecke in 50 msec zurlick. Dies entspricht einer Signalgeschwindigkeit von 20 m sec -1, die bei motorischen Fasern auf 120 m sec - 1 steigen kann . Der Durchmesser des Axons liegt im Mittel bei 10 [Lm und schwankt zwischen 0,5 und 20 [Lm. Bei den dikken Fasern arbeiten die Relais schneller als bei den dlinnen. Die sich in der Nervenfaser fortpflanzenden Pulse haben eine charakteristische Form; ihr Maximalwert liegt bei etwa 100 mY; die Dauerbetragt rund 0,5 msec. Die Form entspricht in erster Naherung der eines binaren Impulses, wie er in Ziffernrechenautomaten auftritt . Diese Beobachtung wurde von den alteren Physiologen als Alles-oder-Nichts-Gesetz bezeichnet. Die Kodierung eines Reizes erfolgt jedoch, wie wir heute genau wissen, nicht in Gestalt eines Binarkodes; im gesamten Tierreich wird allein das Prinzip der Puls-Frequenzmodulation verwendet (Abb . 7) . Die Pulsfrequenz wachst gewohnlich mit dem Logarithmus des Reizes. Dazu tritt die Erscheinung der Adaptation, die zu einer intensiven Antwort des

~

.

.

Abb . 7. Impulse in den Kilte fase rn e iner Kat ze (nac h Hen s el , Umschau 54 , 289, 1954)

806

H. Tischner

Effektors, etwa eines Muskels, beim Einsetzen eines wichtigen Reizes flihrt. Die im Soma vor dem Beginn des Reizes latent gespeicherte Energie wird zur BeUitigung der monostabilen Kippschaltung voll eingesetzt (Abb. 8). Sie klingt schnell ab und reicht filr Uingere Zeit zur Erzeugung einer kon-

- rrrrrr",- r- r- ,- r-,- ,- - - - - - - - Abb. 8 .

Pulsfrequenz des Vorganges

f-----I

5 ms

stanten Pulsfolge. Die mittlere Frequenz nach Ablauf des Adaptationsvorganges liegt zwischen'O, 1 und 800 Pulsen je sec. Der Sitz des Generators ist das Soma, der Zellkorper. Die genaue Arbeitsweise der astabilen Kippschaltung ist zur Zeit noch nicht bekannt. Sie wird mit Pulsen gesteuert, die in den Dendriten durch die Vorgange an den Synapsen entstehen . Die synaptischen Verbindungen liegen entweder auf der OberfUiche der Dendriten nahe dem Soma oder auch in einiger Entfernung . Da der Spannungsabfall langs der Dendriten relativ groB ist, konnen nur somanahe Synapsen den Kippvorgang in der Zelle beeinfiussen . Sornaferne Synapsen dienen zur Steuerung der Leitfahigkeit der Flilssigkeit in den Dendriten durch erhohte Ionenbildung. Man nennt heute die langeren Dendriten, die bereits von Ca j a 1 am Ausgang des vergangenen Jahrhunderts beschrieben wurden, Modulatoren (Abb. 9), urn zum Ausdruck zu bringen, daB diese Dendriten zeitveranderliche Parameter enthalten.

Abb . 9 .

Soma, Axon , Dendriten , Modulator

100 :;.

9. Schluflvortrag

807

Der am Ausgang des Somas gemessene PuIs entsteht, wenn die von den Dendriten erzeugte Spannung einen vorgegebenen Betrag tiberschreitet. Das System besitzt einen ausgesprochenenSchwellwert. So kann beispielsweise die an einer Synapse in dem zugehorigen Dendriten erzeugte Spannung zur EinIeitung des Kippvorganges noch nicht ausreichen . Dagegen feuert das Soma, wenn zwei Synapsen zur gleichen Zeit aktiv sind . 1st andererseits die auf einer Faser liegende Pulsfrequenz hoher, so gentigt bereits eine einzige Synapse . Man bezeichnet diese Erscheinung in der Physiologie als diumliche Summation. Im ersten Fall laBt sich im Sinne des AussagenkaIktils der Theoretischen Logik die Wirkung mit dem Begriff UND, im zweiten mit ODER beschreiben. Eine Nervenzelle feuert auch dann, wenn auf einer einzigen Synapse zwei oder mehrere Impulse innerhalb einer kurzen Zeit aufeinanderfolgen, die unterhalb 5 msec liegt . Man nennt dies die zeitliche Summation. Dartiber hinaus sind synaptische Verbindungen bekannt, die im Gegensatz zu den erregenden Vorgangen im Soma ausgesprochen hemmend wirken. Sie konnen das Feuern einer Zelle sogar verhindern . Man wird dem sich aus dieser Eigenschaft ergebenden Vorgang die Operation NICHT zuordnen . Die Neuren arbeiten wahrend der gesamten Lebenszeit eines Organismus; sie werden nicht erneuert wie andere Zellen, wiedies bei den Zellen der Haut der Fall ist. Ihre Ernahrung und Lage wird im Gehirn und Rtickenmark durch die Gliazellen gesichert, deren Zahl etwa gleich der Zahl der Somazellen ist. In Abb . 10 sind einige Eigenschaften des Zellverbandes zusammengefaBt dargestellt und mit den entsprechenden GroBen integrierter Schaltungen verglichen.

Abb. 10.

Vergleich der Daten von Zellen mit denen einer integrierten Schaltung

integrierte Schaltungen

Gehirn des Menschen

. 10 3

::::: 10 7

Zahl der Bauelemente je cm3

~3

Leistungsbedarf je Element in Watt

,,=0,5 . 10- 3

::::: 10- 9

Lebensdauer in Jahren

::::: 20

::::: 65

Verhalten gegeniiber Umwelt

unempfindlich

empfindlich

Im Gehirn und Rtickenmark vereinigen sich die von den verschiedenen Rezeptoren kommenden Leitungen und werden dort miteinander verbunden,

808

H. Tischner

urn entweder als afferente Nerven zu den Effektoren zu gehen oder - miteinander im Gehirn gekoppelt - sich zu Anordnungen zu vereinigen, die als Gedachtnis, Denken, Phantasie und Empfindung in ihrer Wirkung nach auBen treten . Uber die Art der Kopplung ist kaum etwas bekannt. Man ist auf die Entwicklung von Vorstellungen angewiesen, letzten Endes auf die Konstruktion von Schaltungen, die als Baueinheit eine Vielzahl von Neuren enthalten.

3. Modelle des Neurons Im Sinne der Betrachtungen der Systemtheorie ist das Soma des Neurons als ein Kasten aufzufassen, dessen Eingang Leitungen entsprechend den anatomischen Beobachtungen zugefUhrt werden . Bei einem Modell, das auf die Ubertragung und Verarbeitung von Nachrichten zugeschnitten ist, wird man die Bauelemente der Technik, also Widerstande, Kondensatoren und Halbleiter zur Realisierung heranziehen. Es sind die gleichen Elemente, die in der Mikroelektronik Verwendung finden . BewuBt wird bei dies er Art von Modellen auf die Nachbildung elektrochemischer Vorgange verzichtet. Mit den passiven und aktiven Bauelementen der Elektrotechnik lassen sich die Eigenschaften eines Neurons, als 2n-Pol betrachtet, ausnahmslos erfassen. So ergibt sich beinahe von selbst die Frage nach dem Wert dieser Modelle fUr die Technik der Zukunft. Sic her ist es lehrreich, mit den Methoden der Nachrichtentechnikdie Vorgange in einem Neuron quantitativ zu beschreiben . Dies ist zunachst jedoch mehr fUr den Biologen und Mediziner als Beitrag zu neuen Erkenntnissen als fUr den Ingenieur von Belang . Jedoch kann auch dieser Nutzen aus den Schaltungen des Nervensystems ziehen. Das Netz der Neuren arbeitet mit Sicherheit nichtlinear. Die miteinander verbundenen Nerven geben AnlaB zu Gedachtnis- und Lernleistungen . Die Kenntnis der Eigenschaften des Nervennetzes lliBt sich zu einem Vergleich mit elektronischen Rechenanlagen heranziehen. In seiner Wirkung ist das Neuron ein Ubertragungssystem, in dem die von einem Rezeptor ausgehende Nachricht als Puls-Frequenz-Modulation verschliisselt wird . Man hat eine analoge Datenverarbeitungsanlage vor sich im Gegensatz zur digitalen . Zum anderen sind Ahnlichkeiten mit den binar arbeitenden Rechenarbeiten durch die Addition (ODER-Operation) und die Multiplikation (UND-Operation) der einlaufenden Nachricht zweifellos vorhanden . Damit ist die Einordnung des Geschehens in die Gedankenkreise der Theoretischen Logik gegeben. Tatsachlich stiitzt sich die erste grundlegende Arbeit von McC u 11 0 ch und Pit t s vor 22 Jahren auf den Aussagekalkiil dieser Logik. Mit ihm lliBt sich die Ubertragung von einzelnen

809

9. Schlu13vortr a g

Pulsen, die im Soma eine zeitliche, definierte Verzogerung erfahren, exakt beschreiben . Man erh~Ht auf diese Weise eine stark idealisierte Nachbildung eines Neurons. Mit einem Modell dieser Art wurde beispielsweise die FrequenzauflOsung des menschlischen Ohres mit der Nervenverbindung bis zur Horrinde im GroBhirn theoretisch und experimentell behandelt. AnlaB dazu gab die Beobachtung, daB das Produkt der Bandbreite eines Bandpasses und der dieser Bandbreite zugeordneten Einschwingzeit kleiner als 1 wird; eine Feststellung, die den klassischen Vorstellungen von der linear en F 0 u r i e r schen Analyse widerspricht. Auf diese Weise entstand ein einfaches Netzwerk gemlill Abb . 11. Es feuert hinter der UND-Synapse, wenn ein PuIs

Abb. 11.

Frequenz Diskriminator

unmittelbar und der andere urn einen oder mehrere PulsabsUinde verzogert an der Synapse 2 auftritt. Schaltet man ein Gatter hinter diese Synapse und steuert es in passender Weise vom Eingang, so erhalt man den Verlauf der EingangsgroBe urn eine oder zwei Perioden verzogert (Abb. 12) .

,



.



-.



t

Abb. 12 .

Einschwingvorgang des Diskriminators

Der Frequenzdiskriminator feuert nur bei dem gleichzeitigen Eintreffen

beider EingangsgroBen (Abb . 13). FUr zeitlich sinusformig ablaufende Vorgange erhalt man eine Art BandpaB, dessen DurchlaBbereich relativ schmal einzurichten ist (Abb . 14).

810

H. Tischner

-

-

0,9 Hertz

I I I I

-

1010

1011

1012

~27 Hertz----

Abb. 13. Koinzidenz-Schema

--

1000

10tO

1020

1030

1040

f Hertz -----.. Koinzidenz-Passe

Wenn dieser Frequenzdiskriminator auch ein stark abstrahiertes Neuron ist, so zeigt sich dennoch, daB mit einem JA-NEIN-Verhalten eines Neurons Wirkungen entstehen, die mit linear en Einrichtungen zur Frequenztrennung nicht zu erreichen sind. In wesentlich verfeinerter Form wurden sie an verschiedenen Stellen des Hornervs an der Katze beobachtet (Abb. 15 und 16) . Anordnungen dieser Art lass en sich erweitern, wennmanzeitveranderliche Parameter des Systems einflihrt. Unabhangig von diesen auf besondere Zwecke zugeschnittenen und idealisierten Modellen gibt es heute eine ganze Reihe von NachbUdungen, deren Verhalten sich dem von den Physiologen beobachteten anpaBt (Abb . 17) . Durch eine geeignete Wahl der Parameter der Nachbildung gelang es auch, das Adaptationsverhalten des Neurons nachzubilden (Abb . 18).

4. Schaltungen von Neuren Das Verhalten eines einzigen Neurons spiegelt sich in der Zusammenschaltung vieler Neuren wieder . Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen, jede Faser im Gehirn oder Rlickenmark in ihrem Verlauf zu verfolgen und zur Zeit ausgeschlossen, im morphologischen BUd erregende und hem-

811

9. Schlullvortrag

I

tf=,Tlt---.

-1~I__ IL._ _ _..J~f--________....LD __

...L_ _ '

IL..

Zeit

t---"l---i

1___~h-----,-------&....-D _________. 1

I.....--_--LD------I_~D------l~.

Zeit

Zeit

DurchlaB· Bereich

16 ~

"h

T,

-1_I-_-'-______..&_ _ _ ...L_ _ _ _ _....

L..

1

Abb. 14. Durchlallbereich eines Diskriminators

,~

I

1-.-~1--1

I

..Jhl-._...L.:________. Zeit

L.._ ' _ _ _ _ _

1'--______________, Sperrbereich Verhalten eines Koinzidenz-Bandpasses

- 10 -20 - 30

t

- 40

- 50

dB - 60

- 70 - 80 - 90 - 100

Zeit

100



5

1000

,

5

fHertz~

Abb. 15. Frequenzselektion im Hornerv der Katze (Nervus cochlearis)

10000

Zeit

812

H. Tischner

1000

3

4

5

10000

Abb. 16. Frequenzselektion im Hornerv der Katze (Colliculus inferior)

t

27

~

c:

;J

..9:; 29 Z

~

"

~ :2 31

~

;:

2-

-=~

.::

4 Zeit lsl _

10

4

10

30

Abb. 17. Pulsfrequenz eines Kalterezeptors

t

20

0..

c..

10

Zeitlsl_

9. Schluflvortrag

813

1500,------,------,------,------,

1000~----4------+-----,~----~

t 500~----~--~--~-----+----~

Abb. 18. Nachbildung des Adaptationsverhaltens . Kennlinie eines Neuronenmodells

6

8

mende Synapsen voneinander zu trennen. Unter diesen Umstanden bleibt nur ein Weg, urn eine halbwegs zutreffende Vorstellung von den Schaltungen des Nervensystems zu gewinnen . An einzelnen Organen, z . B. den von auBen erregbaren Druckrezeptoren der Haut sind Beziehungen zwischen den Vorgangen zwischen den ablaufenden Nerven und der auf die Empfangszellen wirkenden Kraft auf experimentellem Wege zu ermitteln und eine Schaltung von Neuren zu entwickeln, die in moglichst guter Ubereinstimmung mit den uns bekannten morphologischen und physiologischen Gegebenheiten ist. So ergeben sich Anordnungen gemaB Abb . 19 . Mehrere nebeneinander liegende Rezeptoren werden mit verschiedener Kraft erregt . In den ihnen zugeordneten Axonen ist die Pulsfrequenz verschieden . Von dem ersten Soma des folgenden Kerngebietes teilen sich die Axone auf und wirken in der stark vereinfachten Skizze auf die benachbartenSomen. Da der Reiz in der Mitte am groBten ist, iiben die Synapsen der benachbarten Zellen nur eine geringe Wirkung aus; der zentrale Reiz iiberwiegt. Anders ist es bei den Verbanden in der U mgebung des zentralen Rezeptors . Dort ist die erregende Kraft kleiner und wird vor allem vom zentralen Rezeptor sUirker gehemmt. Die Folge ist eine Verscharlung des Reizbildes in der obersten Ebene. Beim Hornerv (Abb. 20) sind mindestens vier Ebenen zu unterscheiden . Die Ahnlichkeit der Datenverarbeitung mit den in Abb . 15 und Abb. 16 gezeigten Beobachtungen ist offensichtlich . Das Schema Abb . 20 ist si-

814

H . Tischner

Abb. 19.

Schema des Nervennetzes eines Druckrezeptors

cher noch zu einfach. Es sind nicht nur aufsteigende, sondern auch abfallende Fasern vorhanden. Diese haben vorzugsweise hemmende Eigenschaften . Damit treten in den Schaltungen typische Gegenkopplungen auf . Wir unterscheiden heute zwischen Vorwarts- und Rilckwartshemmungen . So ergibt sich im Schema eine Schaltung gemaB Abb. 21, bei der in Richtung des Signalflusses an filnf Somen allein erregende Eingange vorhanden sind, wahrend die rilcklaufenden Verbindungen hemmenden Charakter aufweisen . Man muB sich die Verzweigungen in unmittelbarer Nahe der Somen vorstellen. Meine Assistenten filhrten Versuche mit einer Schaltung durch, die maximal neun Zellen enthielt . Um einen klaren Aufbau zu erhalten, milssen die Inhibitionskoeffizienten definiert sein. Wir lehnten uns unter anderem an die Eigenschaften des Horbahnnervs an und konnten eine klare Versteilerung der Resonanzkurven der Basilarmembran nachweisen. Dabei wurden zunachst je drei Baueinheiten in zwei Ebenen angeordnet. Wesentlich ist ferner die Beobachtung, daB das Produkt von Bandbreite und Einschwingzeit der resultierenden Bandpasse etwa 0,2 ist, also wesentlich kleiner als der von der linearen Theorie im Minimum geforderte Wert 1.

9. Schlu13vortra g

815

r----:---- - ----, I

lonks

remts

-r-

...j-----" H orrinde

--1

I

I

t--I I I

-----l I --+Corp. genic. I

mediale

I

~

-.j

I --t-- Ca ll. infer.

__ J

I I Nucl. lemnisci lateralis

Nud . olivaris metencephali

Abb. 20. Netz der Horbahn

Nud . comlearis u

" E

""I -

J

Hu~~

- - - -

-

- - -------

Synapsen der Horbahn links (smematism)

Das angegebene Schema erlaubt auch eine Kritik seiner Lebensfahigkeit. Nerven mlissen laufend ernahrt werden . Das gesamte angeborene Netz entwickelt sich in den ersten Lebensjahren . Im Alter von 20 Jahren sind bereits 50 % der Neuren ausgefallen . Andererseits ist die Zahl der Leitungen, die etwa im Hornerv geblindelt sind, recht groB. Man schatzt sie auf (20 .. . 30) . 10 3 . Bei der facherformigen Verdrahtung des Netzes ist es relativ unerheblich, ob AusfaIle in einzelnen Fasern eintreten. Das System arbeitet mit hoher Sicherheit in einer Art Parallelbetrieb . Bei dem Bauplan ist eins zu beachten; es ist nicht anzunehmen, daB die Natur die Zusammenschaltung des gesamten Nervennetzes in den Chromosomen der Zellen, aus denen sich der Organismus entwickelt, im einzelnen festgelegt hat. Es genligt eine allgemeine Information, etwa das Prinzip der Facherung, urn ein Nervensystem zu erhalten, das einen spezifischen Organismus gegen das Leben schwachende auBere Einfllisse schlitzt und den positiven Gelegenheit zur Entfaltung gibt. Im Sinne der Informationstheorie hat das Nervennetz eine groBe Redundanz .

816

H. Tischner

Abb. 21.

Netz kiinstlicher Neuren

Die Kodierung der Signale als frequenzmodulierte Pulse erfolgt ebenfalls nicht in strenger Weise . Der zeitliche Abstand der Pulse ist nicht konstant. Bei einer vorgegebenen Erregung schwankt er in gewissen Grenzen wie bei einer schlechten astabilen Kippschaltung; er unterliegt einer Statistik . Damit ist auch gesagt, daB das Nervensystem nicht wie ein Ziffernrechner in der Lage ist , vielstellige Zahlen mit hoher Genauigkeit miteinander zu multiplizieren . Es verftigt jedoch wegen der groBen Zahl von laufend getibten logischen Operationen \iber ein hohes MaB logischer ZuverUissigkeit. Da die Operationen nicht digital, sondern auf analogem Weg erfolgen, ergeben sich viele Variationsmoglichkeiten . So schUigt beispielsweise die UND- zur ODER-Operation bei bestimmten Kopplungskoeffizienten der Zuleitung zum Modell tiber . FUr den Wechsel sind die Modulatoren als Teile des Neurons verantwortlich, deren Leitfiihigkeit von den an dieser Stelle einflieBenden Signalen gesteuert wird. Wenn wir nach Schaltungen des Nervensystems fragen, welche die Eigenschaften eines Gedachtnisses aufweisen, so begeben wir uns auf ein Gebiet, das zur Zeit mehr Fragen als Antworten enthaJ.t. Man hat Mitkopplungsschaltungen vorgeschlagen, in denen Folgen von Pulsen laufendkreisen. In ihnen konnen wahrscheinlich Ereignisse fUr einige Minuten gespei-

9 . SchluClvortrag

817

chert werden . Bei dem Gedachtnis fUr Hingere Zeiten ist man auf die Vermutung angewiesen, daB im Soma spezifische Anderungen eintreten. Eine Hypothese nimmt an, daB die intrazelluHiren Nukleinsauren Erinnerungen speichern. Man kann sich auch vorstellen, daB sich die physikalischen Eigenschaften der Zelle auf lange Zeit durch Einfllisse der Modulatoren auf die Fliissigkeit in den Dendriten andern. Netzwerke von Nerven, die in der Lage sind zu lernen, miissen neben einem Gedachtnis, in dem friihere Erfahrungen festgelegt wurden, Anordnungen besitzen, die durch Vergleiche - etwa in Form einer Differenzbildung mit dem gespeicherten Geschehen logische Operationen ausfiihren . Wenn das aufgenommene Ereignis mit dem gespeicherten in seinen wesentlichen Merkmalen identisch ist, so haben wir es erkannt und sind in der Lage, dies mit einem Namen zu belegen. So unterscheiden wir einen Wiirfel von einer Kugel. Die Differenz zwischen Ist- und Sollwert ist zu einem Minimum zu bringen. Diese Aufgabe lOsen Folgeregelkreise. Zur Zeit muB man sich auf die Feststellung beschranken, daB die lernenden und die darin eingeschlossenen merkfahigen Systeme als Baueinheiten diejenigen Elemente enthalten miissen, die wir beim Neuron finden . S. Vergleich mit der Mikroelektronik Die Schaltungen der Mikroelektronik enthalten die gleichen Bausteine wie die Modelle von Neuren. So ist es grundsatzlich moglich, Nachbildungen von Nerven-Netzen mit Halbleitern, Kondensatoren und Widerstanden aufzubauen . Die Einschrankung der elektrischen Eigenschaften auf bestimmte Werte stellt dabei kein grundsatzliches Hindernis dar. Es ware jedoch kein sinnvolles Unternehmen, die Schaltungen des Gehirns auf diese Weise nachzubilden. Bei dem vorliegenden Stand unserer Erkenntnisse scheint es mir , als ob die Nachrichtentechnik noch der gebende und die Nervenphysiologie der nehmende Teil ist. Diese Lage kann sich jedoch andern, wenn wir mehr iiber die logischen Schaltungen des Neurons, die Arbeitsweise des Gedachtnisses und die Lernvorgange wissen.