Soziales Kapital und Gesundheit im städtischen Raum

Soziales Kapital und Gesundheit im städtischen Raum

Public Health Forum 20 Heft 75 (2012) www.journals.elsevier.de/pubhef €dtischen Raum Soziales Kapital und Gesundheit im sta Nico Dragano Die Umweltbe...

115KB Sizes 2 Downloads 83 Views

Public Health Forum 20 Heft 75 (2012) www.journals.elsevier.de/pubhef

€dtischen Raum Soziales Kapital und Gesundheit im sta Nico Dragano Die Umweltbedingungen in Sta¨dten beeinflussen die Gesundheit der dort lebenden Menschen. Verkehrsla¨rm, Autoabgase oder Industrieemissionen sind Beispiele hierfu¨r. Zugleich gibt es aber auch eine soziale Realita¨t im sta¨dtischen Raum und die ist ebenfalls bedeutsam fu¨r die Gesundheit der Bewohner. In den Gesundheitswissenschaften wird ha¨ufig auf das Konzept des ‚sozialen Kapitals‘ zuru¨ckgegriffen, wenn soziale Realita¨ten beschrieben, gemessen und in ihrer Gesundheitswirkung eingescha¨tzt werden. Es stammt aus der Soziologie und geht zuru¨ck bis auf Arbeiten von Emile Durkheim, der sich im ausgehenden 19. Jahrhundert mit sozialen Merkmalen von Gruppen bescha¨ftigte. Es ist an dieser Stelle nicht mo¨glich, die lebhafte Debatte u¨ber die Definition sozialen Kapitals angemessen wieder zu geben (siehe hierzu: Kroll und Lampert, 2007; Szreter und Woolcock, 2004). Stattdessen soll eine kurze Zusammenfassung ausreichen. Allgemein festgehalten, sind soziale Beziehungen die Quelle, aus der sich soziales Kapital speist. Hierbei sind verschiedene Aspekte von Bedeutung. Zuna¨chst ist zu fragen, welche Tiefe und Besta¨ndigkeit Beziehungen haben. Neben der Qualita¨t ist die Quantita¨t von Belang, also die Anzahl an Kontakten und die Gro¨ße sozialer Netzwerke. Eine weitere Dimension ist das Maß der Integration einzelner in die Gesellschaft, die sowohl von der Durchla¨ssigkeit der Sozialstruktur, als auch von Konventionen bestimmt wird. In umgekehrter Richtung meint Integration auch, wie sich die einzelnen Mitglieder zur Gesellschaft als Ganzes stellen. Integration in diesem

Sinne a¨ußert sich etwa in der Akzeptanz von Normen, in Vertrauen in die Gemeinschaft sowie auf der Handlungsebene in sozialem Engagement. Bei den genannten Elementen sozialen Kapitals existiert fraglos eine individuelle Varianz, da Menschen perso¨nliche Pra¨ferenzen fu¨r Formen der Integration und Interaktion besitzen. Soziale Beziehungen sind aber auch gesellschaftlich gepra¨gt, so dass allgemeine ,,Stile‘‘ sozialer Beziehungen zwischen Regionen, La¨ndern, Kulturen, Religionen, aber auch zwischen Stadt- und Landbevo¨lkerungen unterschieden werden ko¨nnen. Es geho¨rt weiterhin zum Konzept des sozialen Kapitals, dass es auf verschiedenen Ebenen vom Individuum bis zur Gesamtgesellschaft betrachtet werden kann. Die handelnden Personen etwa erleben soziales Kapital in ihren perso¨nlichen Kontakten oder durch das Gefu¨hl der Zugeho¨rigkeit. Aus der Summe der sozialen Handlungen in Verbindung mit strukturellen Grundlagen entstehen dann wiederum u¨bergeordnete soziale Realita¨ten, die sich als kollektive soziale Eigenschaften von Orten (z.B. Stadtteilen), Gruppen oder ganzen Gesellschaft manifestieren. Bereits Emile Durkheim vermutete Zusammenha¨nge zwischen sozialen Realita¨ten und der Gesundheit und untersuchte Assoziationen zwischen dem Grad sozialer Integration und dem Suizid. Dieser Faden ist in den Gesundheitswissenschaften aufgegriffen und empirisch untersucht worden. Die neuen Ergebnisse legen nahe, dass soziales Kapital tatsa¨chlich mit psychischen und ko¨rperlichen Erkrankungen assoziiert ist (Siegrist et al., 2006).

Dieser Befund ist hier deshalb von Interesse, weil zahlreiche soziale Kontakte eben im Kontext von sta¨dtischen Lebenswelten stattfinden. Denn obwohl es Mo¨glichkeiten gibt, Beziehungen ra¨umlich unabha¨ngig zu pflegen, sind die Hausgemeinschaft, die Nachbarschaft oder der Kiez immer noch Orte, an denen sich ein wichtiger Teil des sozialen Lebens vieler Menschen abspielt. Daraus ergeben sich Beru¨hrungspunkte zur Gesundheit. So ist bekannt, dass soziales Kapital eine gesundheitsfo¨rderliche Ressource sein kann (Berkman und Glass, 2000). Personen, die soziale Unterstu¨tzung durch Andere genießen, haben in Studien durchga¨ngig eine bessere Gesundheit als Personen ohne dieses Kapital (HoltLunstad et al., 2010). Diese Wirkung resultiert einerseits aus einer positiven Wirkung auf die psychische Gesundheit. Andererseits bietet soziale Unterstu¨tzung einen gewissen Schutz vor den gesundheitlichen Folgen allta¨glicher Belastungen. Da nun die Nachbarschaft eine wichtige Quelle sozialer Unterstu¨tzung ist, ergibt sich ein plausibler Mechanismus, der lokales soziales Kapital mit Gesundheit verknu¨pft. Ein indirekter Mechanismus sind hingegen Einflu¨sse auf gesundheitsbezogene Verhaltensweisen. So bestimmt beispielsweise das Gefu¨hl des Vertrauens und der Sicherheit mit daru¨ber, wie Menschen sich in ihrer Umwelt bewegen. Verschiedene Studien zeigen beispielsweise, dass Menschen in Stadtvierteln mit niedrigem Vertrauen seltener Sport treiben als Bewohner anderer Viertel (Stafford et al., 2007). Vertrauen und Sicherheit wiederum sind Ausdru¨cke sozialen Kapitals und Zusammenhalts.

5.e1

Public Health Forum 20 Heft 75 (2012) www.journals.elsevier.de/pubhef

Das Gesundheitsverhalten kann noch auf andere Weise durch die Umgebung beeinflusst sein. Lokale soziale Netzwerke ko¨nnen bestimmte gesundheitsbezogene Normen pra¨ferieren (z.B. zum Freizeitverhalten), die dann wiederum die Mitglieder beeinflussen. Verhaltensbeeinflussungen entstehen auch dann, wenn Menschen ihr Verhalten an einem sichtbaren kollektiven Verhalten der Mitmenschen ausrichten. Beispielsweise ko¨nnte Rauchen im o¨ffentlichen Raum eine versta¨rkende Wirkung auf die Akzeptanz des Rauchens insgesamt haben. Als letzter Aspekt ist anzufu¨hren, dass sich viele Ressourcen im urbanen Raum u¨berhaupt erst u¨ber die Vermittlung durch soziale Netzwerke

5.e2

erschließen (Bernard et al., 2007). Das kann einmal durch den Austausch ¨ rzte von Informationen u¨ber gute A ¨ ber oder Sportangebote geschehen. U Informationen hinaus ist manchmal auch praktische Hilfe bei der Nutzung von Ressourcen no¨tig, etwa wenn Nachbarn fu¨reinander einkaufen. Fu¨r Public Health ist das lokale soziale Kapital also eine relevante Gro¨ße. Das betrifft beispielsweise die Planung stadtteilbezogener Maßnahmen, die erfahrungsgema¨ß vor allem dann erfolgreich sind, wenn sie vorhandene soziale Strukturen nutzen. Aber auch die Stadtentwicklung sollte sich ihrer Verantwortung fu¨r den Erhalt und die Fo¨rderung sozialer Strukturen bewusst sein, denn u¨ber eine Fo¨rderung

des sozialen Kapitals kann sie die Gesundheit der sta¨dtischen Bevo¨lkerung fo¨rdern. Der korrespondierende Autor erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. Literatur siehe Literatur zum Schwerpunktthema. http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur doi:10.1016/j.phf.2012.03.005

PD Dr. Nico Dragano Universita¨t Duisburg-Essen Universita¨tsklinikum Essen Institut fu¨r Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie Hufelandstraße 55 45122 Essen [email protected]

Public Health Forum 20 Heft 75 (2012) www.journals.elsevier.de/pubhef

Einleitung Das Zusammenleben in Sta¨dten schafft eigene soziale Realita¨ten. Daraus kann sich soziales Kapital bilden, das je nach Auspra¨gung die Gesundheit gu¨nstig oder ungu¨nstig beeinflussen kann. Soziales Kapital a¨ußert sich etwa in Vertrauen und sozialem Ru¨ckhalt, beides psychische Ressourcen mit gesundheitsfo¨rderlicher Wirkung. Ebenfalls nachgewiesen sind Effekte die durch kollektives Verhalten, die Akzeptanz von gesundheitsbezogenen Normen oder durch praktische Formen der Nachbarschaftshilfe entstehen. Summary Social interactions in urban settings could transform into social capital and social capital is related to both negative and positive health outcomes. Social capital could for instance promote feelings of trust and social support which are important mental resources. Moreover it has been shown, that local social capital influences health by other pathways, e.g. collective behaviours, the acceptance of health related norms or instrumental social support in neighbourhoods. Schlu¨sselwo¨rter: soziales Kapital = social capital, sozialer Ru¨ckhalt = social support, Ressourcen = resources, urbane Gesundheit = urban health, kollektives Verhalten = collective behaviour

Literaturverzeichnis Berkman L, Glass T. Social integration, social networks, social support, and health. In: Berkman L, Kawachi I, editors. Social Epidemiology. New York: Oxford University Press; 2000. p. 137–73. Bernard P, Charafeddine R, Frohlich KL, Daniel M, Kestens Y, Potvin L. Health inequalities and place: a theoretical conception of neighbourhood. Social Science & Medicine 2007;65:1839–52.

Holt-Lunstad J, Smith TB, Layton JB. Social Relationships and Mortality Risk: A Metaanalytic Review. PLoS Medicine 2010;7: e1000316. Kroll L, Lampert T. Sozialkapital und Gesundheit in Deutschland. Gesundheitswesen 2007;69:120–7. Siegrist J, Dragano N, von dem Knesebeck O. Soziales Kapital, soziale Ungleichheit und Gesundheit. In: Richter M, Hurrelmann K, editors. Gesundheitliche Ungleichheit. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. Wiesba-

den: VS Verlag fu¨r Sozialwissenschaften; 2006. p. 157–70. Szreter S, Woolcock M. Health by association? Social capital social theory and the political economy of public heatlh International Journal of Epidemiology 2004; 33:667. Stafford M, Cummins S, Ellaway A, Sacker A, Wiggins RD, Macintyre S. Pathways to obesity: identifying local, modifiable determinants of physical activity and diet. Soc Sci Med 2007;65:1882–97.

5.e3