SPORTVERLETZUNGEN BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN

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SPORT EPIPHYSEOLYSIS CAPITIS FEMORIS Orthopädie Traumatologie Sportorthopädie · Sporttraumatologie 21, 251–258 (2005) Elsevier – Urban&Fischer www...

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SPORT

EPIPHYSEOLYSIS CAPITIS FEMORIS

Orthopädie Traumatologie

Sportorthopädie · Sporttraumatologie 21, 251–258 (2005) Elsevier – Urban&Fischer www.elsevier.de/sportmed

SPORTVERLETZUNGEN BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN U. Kohlhaas-Styk, C. C. Hasler, F. Hefti

Slipped capital femoral epiphysis Summary The slipped capital femoral epiphysis belongs beside the perthes disease and the congenital hip dysplasia to the most important diseases of the hip of the growing child. The classification differences stable and instable forms, which differs in the capacity of walking. Sportive adolescence people have also slipped capital femoral epiphysis that aren’t clinical present. But they become a “tilt deformity” with the risk of an impingement. For the concept of treatment, above all the extent of the slip is important.When the angle of slip is under 40°, we realize a closed reposition and fix it with nails, canulated screws or pins. By the end of growing, the decrease of the offset can be corrected by outlining the neck of the femur. If the angle of the slip is more than 40° a reorientation of the head of the femur is necessary. This reorientation can be done with an open reduction, subcapital wedge-osteotomy or an intertrochanteric flexion-valgisation-derotation-osteotomy by Imhäuser (sorted after decreasing risk of a necrosis of the femur head and decreasing approach to the original anatomy). Juveniles who are very sporting in clubs should have regularly sport medicine checks, which include the examination of the ability of the internal rotation of the hip. If there is a clear restriction (also without pain), X-rays a.p and axial should be taken. The hidden slipped capital femoral epiphysis is the most relevant sport medical joint problem of the youth. Key words Slipped capital femoral epiphysis – impingement – offset – tilt deformity

Epiphyseolysis capitis femoris Urs Kohlhaas-Styk, Carol Claudius Hasler, Fritz Hefti Universitäts-Kinderspital beider Basel UKBB – Orthopädische Klinik, CH-4005 Basel (Institutsvorsteher: Prof. Dr. med. Fritz Hefti)

Einleitung Bei der Epiphyseolysis capitis femoris handelt es sich um ein Weggleiten des Schenkelhalses nach ventrokranial ohne akutes Makrotrauma. Die Epiphysenfuge weist bei diesen Patienten eine verminderte mechanische Festigkeit auf (20). Neben dem Morbus Perthes und der kongenitalen Hüftdysplasie gehört die Epiphyseolysis capitis femoris zu den wichtigsten Erkrankungen der Hüfte im Wachstumsalter. Bei ausgeprägter akuter Form bestehen Schmerzen und Gehunfähigkeit, chronische Verläufe sind durch schleichend auftretende Hüft- und/oder Knieschmerzen charakterisiert (17). Sowohl das Abkippen wie auch die danach folgende Reposition bergen die Gefahr einer Hüftkopfnekrose in sich und stellen damit eine Präarthrose dar (6). Die Ursachen der so genannten primären Koxarthrose wurden anhand der frühesten verfügbaren Röntgenaufnahmen untersucht. Es wurden bei 45% der 200 untersuchten Fälle Zeichen einer abgelaufenen Epiphysenlösung wie Kippdeformität des Femurkopfes („tilt deformity“) sowie auch die typische Verteilung mit Dominanz des männlichen Geschlechts gefunden (21). Bei einer Untersuchung von 80 Patienten mit einer Koxarthrose (25), die eine Hälfte mit Sportanamnese (n = 44), die andere ohne Sportanamnese (n = 36), welche sich vor dem 60. Lebensjahr einer Hüftprothesenoperation unterziehen muss-

ten fand sich bei denjenigen mit Sportanamnese eine Epiphyseolyse in 57% und bei den Nichtsportlern nur in 22%. Somit trat bei ehemaligen aktiven Sportlern 2,5-mal häufiger eine früher nicht klinisch manifest gewordene Epiphysenlösung auf. Kein einziger der Patienten mit radiologischen Zeichen einer abgelaufen Epiphysenlösung konnte sich während der Wachstums- und aktiven Sportlerzeit an Schmerzen erinnern.

Ätiologie und Pathogenese Die Epiphyseolyse entsteht auf Grund eines Missverhältnisses zwischen den wirkenden Scherkräften und der lokalen Widerstandsfähigkeit des Fugenknorpels. Das Alter bei Krankheitsbeginn liegt zwischen 10 und 18 Jahren. Auf das Skelettalter bezogen ist die Streuung wesentlich geringer und liegt bei Knaben zwischen 14,1 und 15,7 Jahren und bei Mädchen zwischen 12,0 und 13,9 Jahren (15). Mechanische Faktoren werden als auslösende Faktoren betrachtet, da die Epiphysenfuge des proximalen Femurs durch ihre anatomische Stellung sehr starken Scherkräften ausgesetzt ist (19). Während des pubertären Wachstumsschubes ist die mechanische Festigkeit der Epiphysenfugen vermindert. Der Befall der Gegenseite spricht für ein systemisches Problem (11, 16). Bei Jungen und Mädchen kommen Testosterone und Östrogene gleichzeitig aber in unterschiedlicher Quan-

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a

b

Abbildung 1 Abkippwinkel im seitlichen (a) und a.p. Röntgenbild (b).

tität vor. Am Ende des Wachstums zeigt sich eine Verschmälerung des perichondralen Ringes aus fibrösen Bändern (23). Bei chronischen Überlastungen, wie sie bei adipösen oder sportlich sehr aktiven Jugendlichen vorkommen, kann dieser perichondrale Ring durch die Überlastung reißen. Besteht eine Störung des Hormonstatus, wie bei der Hypothyreose, einem Wachstumshormonmangel, dem Panhypopituitarismus sowie auch beim Hypogonadismus, kann es auch bei normalgewichtigen Kindern zur Fermurkopfepiphysenlösung kommen. Bei der Dystrophia adiposogenitalis (Morbus Fröhlich) besteht eine starke Gefährdung einer Epiphyseolysis capitis femoris. Bei einer Epiphyseolyse verbleibt der Femurkopf im Azetabulum und der Schenkelhals bzw. das Femur gleitet beim Rutschvorgang nach lateral und ventral. In der Bildgebung zeigt sich dieser Mechanismus als Abrutschen des Femurkopfes nach medial und dorsal. Das Gleiten des Femur-

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kopfes nach medial und dorsal ist bei Kindern mit einer Coxa valga et antetorta bis zu einem bestimmten Ausmaß physiologisch und führt im Laufe des Wachstums zur physiologischen Detorsion.

die Abduktion ist eingeschränkt. Das Drehmann-Zeichen besteht in einer zwangsläufigen Außenrotationstellung bei Flexion der betroffenen Hüfte.

Bildgebung Anamnese und Klinik Hauptsymptome sind plötzliche oder auch schleichend auftretende Schmerzen, welche sich in der Hüfte oder/und auch oft im Knie präsentieren. Unklare Knieschmerzen bei Adoleszenten müssen immer an eine Epiphyseolysis capitis femoris denken lassen. Oft weisen die Jugendlichen einen Schmerz und/oder ein Verkürzungshinken sowie eine Außenrotationsstellung des Beines auf – Symptome, welche bei längerer Anamnesedauer zunehmen können. Es kann auch eine Beinverkürzung bestehen. Klinisch findet sich eine verminderte Innenrotation der Hüfte und auch

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Im konventionellen Röntgenbild lässt sich eine Epiphyseolysis capitis femoris in einer Becken-Aufnahme a.p. tief zentriert und in einem axiales Röntgenbild nach Lauenstein darstellen. Wichtig ist die Darstellung in zwei Ebenen, da ansonsten ein Abrutschen verpasst werden kann. Auf diesen Aufnahmen mit einer Epipyseolyse kann man im a.p. Bild eine Verbreiterung der Epiphysenfuge erkennen, lateral ragt der Femurkopf nicht mehr so deutlich über den Schenkelhals hinaus, es fehlt der so genannte Offset (s. Abb. 7). Vor allem die axiale Aufnahme ist wichtig, da auf dieser der nach hinten abgerutschte Kopf bzw. der nach

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vorne verlagerte Hals zu erkennen ist. Eine Röntgenaufnahme nach Dunn (Froschstellung) wäre präziser als die nicht gut standardisierte Aufnahme nach Lauenstein. Doch die 90°-Flexionsstellung, die bei einer Aufnahme nach Dunn notwendig ist, bereitet Patienten mit Epiphysenlösung Schmerzen. Sonographisch kann eine Epiphyseolyse ebenfalls diagnostiziert bzw. dargestellt werden, doch hierzu bedarf es einer großen Erfahrung. Sie gilt oft noch als unsicher. Der Vorteil ist aber die einfache Durchführ- und Wiederholbarkeit (10). Die Kernspintomographie soll bei sonographisch und röntgenologisch unklaren Fällen und bei der Frage nach Chondrolyse und avaskulärer Nekrose eingesetzt werden (10) Eine CT-Bildgebung kann zur Planung einer offenen Reposition sinnvoll sein. Mit dem CT kann insbesondere der fugennahe Kallus bei chronischer Epiphysenlösung gut dargestellt werden.

Gleitwinkel > 40°: schwere Epiphysenlösung

Klassifikation Klassische Einteilung der Epiphysenlösung: • Akute Form (Anamnesedauer unter 2 Wochen) • Akut auf chronische Form (Anamnesedauer > 2 Wochen mit akutem Ereignis) • Chronische (Lenta) Form (Anamnesedauer > 2 Wochen) Da die Anamnese oft keine klare Unterteilung erlaubt, hat sich vor allem im angelsächsischen Raum eine einfachere und eindeutigere Einteilung durchgesetzt: stabil instabil

gehfähiger Patient gehunfähiger Patient

Einteilung nach Schweregrad: Gleitwinkel < 40°: leichte bis mittlere Epiphysenlösung

Behandlung In Tabelle 1 ist unser Behandlungskonzept für die Epiphysenlösung dargestellt. Bei florider Phase ist immer ein operativer Eingriff notwendig, sei sie akut oder chronisch. 1. Gleitwinkel unter 40° Geschlossene Reposition Die Versuche der Reposition von akuten Epiphysenlösungen mittels Längszug und Innenrotation konnten nicht überzeugen. Bei einer akuten Epiphysenlösung müssen notfallmäßig eine Reposition und Fixation durchgeführt werden. Die Reposition erfolgt durch Flexion (ca. 90–100°), Innenrotation und Abduktion in der Hüfte. Die Kontrolle erfolgt mittels Bildverstärker. Bei gelungener Reposition tempo-

Tabelle 1. Behandlungskonzept für die Epiphysenlösung. Akute auf chronische Epiphysenlösung Gleitwinkel < 40°

Reposition der abgerutschten Seite und Nagelung mit Haken-Nagel oder Verschraubung der betroffenen wie auch der Gegenseite

Gleitwinkel > 40°

Offene Reposition mit Trochanter-Flip-Osteotomie, Verschraubung

Chronische Epiphysenlösung Gleitwinkel < 40°

Nagelung mit Haken-Nagel oder Verschraubung der betroffenen wie auch der Gegenseite

Gleitwinkel > 40°

Offene Reposition mit Trochanter-Flip-Osteotomie, Verschraubung

Deformität nach Wachstumsabschluss „Konturierung des Schenkelhalses mittels ,bump resection‘ mit chirurgischer Hüftluxation, evtl. auch durch vorderen Zugang ohne Hüftluxation“ Gleitwinkel < 40°

Nur wenig Verminderung des Offset (d.h. gutes Remodelling)

Intertrochantäre Flexions-Valgisations-Innenrotations-Osteotomie

Gleitwinkel > 40°

Deutliche Verminderung des Offset

Subkapitale Keilosteotomie (mit chirurgischer Hüftluxation)

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räre Fixation mit Kirschnerdrähten oder direkt mit einem SteinmannNagel. Fixation mit Nägeln oder Schrauben (Steinmann-Nägel, Haken-Nagel) Die definitive Fixation erfolgt nach gelungener Reposition mit 3 Stein-

mann-Nägeln, einer Schraube oder dem Haken-Nagel nach Hansson™ (9). Bei den Steinmann-Nägeln wird der erste Nagel bereits beim Repositionsmanöver eingeführt. Ein weiterer Nagel wird kranial davon von dorsal nach ventral und ein dritter Nagel

Abbildung 2 Fixation mit Steinmann-Nägeln.

Abbildung 3 Fixation mittels 7,0-mm-Schrauben kanüliert.

distal davon von ventral nach dorsal eingebracht. Eine weitere Möglichkeit ist die Stabilisierung mit einer 7,0-mmSchraube mit kurzem Gewinde, das vollständig epiphysär liegen muss und die Fuge nicht überschreiten darf. Wir verwenden rückschneidende, kanülierte Schrauben aus Titan. Hier muss der Schraubenkopf ca. 1 cm über die Kortikalis hinaus ragen, damit die Schraube die Funktion einer dynamischen Hüftschraube übernehmen kann. Eine weitere Alternative stellt der Haken-Nagel dar. Hier verwenden wir das Hansson™-Pin-System. Dieses enthält ein Stift, der über ein Gewinde aus der Nagelspitze in den Femurkopf hinaus gedreht wird. Der Pin wird so gewählt, dass er lateral ca. 1,5 cm aus dem Femur heraussteht (9). Bei all diesen Methoden bleibt das Schenkelhalswachstum erhalten, da die Fuge selbst im Wachstum nicht eingeschränkt, ein Abrutschen aber verhindert wird. Die Schraube und der Hansson Pin™ haben den Vorteil, dass sie minimal-invasiv erfolgen können. Ein Wechsel des Haken bzw. der Schraube wird nicht notwendig, da durch den lateralen Überstand ein weiteres Schenkelhalswachstum möglich ist. 2. Gleitwinkel über 40° Bei einem Gleitwinkel ab ca. 40° ist eine Reorientierung des Femurkopfes zwingend notwendig. Diese kann durch • offene Reposition, • subkapitale Keilosteotomie, • intertrochantäre Flexions-Valgisations-Derotations-Osteotomie erfolgen.

Abbildung 4 Stabilisierung mit Hansson™-PinSystem.

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Offene Reposition Die offene Reposition erfolgt mit einer Trochanter-„flip“-Osteotomie in Seitenlage. Die Glutealmuskulatur

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und der Musculus vastus lateralis werden am Trochanterfragment belassen. Hierdurch ist ein späteres Einheilen des Fragmentes erleichtert. Die Gelenkkapsel wird ventral Zförmig eröffnet, der dorsale Kallus wird unter Schonung der dorsalen Gefäße entfernt und der Femurkopf reponiert, bis ein genügendes Offset wieder hergestellt ist. Die Fixation des Kopfes erfolgt mit zwei Schrauben, auch der Trochanter wird mit Schrauben refixiert (14). Subkapitale Keilosteotomie Die Keilosteotomie führen wir (im Gegensatz zur offenen Reposition) durch einen vorderen Zugang nach Smith-Petersen durch. Nach Eröffnung des Hüftgelenks osteotomieren wir subkapital, d.h. etwas proximal der Epiphysenfuge. Im Gegensatz zur offenen Reposition wird keine Translationsbewegung des Kopfes durchgeführt. Der Kopf bleibt nach dorsal verschoben und rotiert, die Abkippung wird jedoch behoben. Mit dieser Maßnahme wird auch der Offsetverlust korrigiert. Je nach anatomischer Gegebenheit wird der Schenkelhals etwas verschmälert. Der Vorteil der Keilosteotomie ist das gegenüber der offenen Reposition deutliche geringere Risiko der Fe-

murkopfnekrose. Falls eine störende Rotationsfehlstellung bleibt, so kann dies allenfalls sekundär mittels intertrochantärer Osteotomie korrigiert werden. Intertrochantäre Flexions-ValgisationsDerotations-Osteotomie Die Methode, welche Imhäuser 1954 (12) und im angelsächsischen Raum Southwick 1967 (26) beschrieben haben, ist eine Alternative zur subkapitalen Keilosteotomie. Die Vorteile bestehen in einem nochmals geringeren Risiko einer Femurkopfnekrose. Eine Durchführung im akuten Stadium mit gleichzeitiger Nagelung ist möglich. Nachteile sind, dass die Korrektur nicht am Ort der Deformität erfolgt und die Verformung des Schenkelhalses (Offsetverminderung) nicht behoben wird. Die Flexion des Schenkelhalses vermindert zwar das ventrale Impingement, jedoch nur in limitiertem Ausmaß. Der ventral vorstehende Schenkelhals schlägt am vorderen Pfannenrand nicht nur beim Sitzen, sondern auch beim Gehen an, was durch eine Außenrotation des Beines vermieden werden kann. Aus diesen Gründen sollte neben einer Flexion und Valgisation auch die Antetorsion verstärkt werden.

Abbildung 5 Keilentnahme und Fixation mit 7,0-mm-Schrauben.

3. Behandlung der Gegenseite Wir führen die Stabilisierung auf der nicht abgerutschten Gegenseite grundsätzlich durch. Die Fixierung bzw. Stabilisierung der Gegenseite wird kontrovers diskutiert. Die Inzidenz eines Abrutschens auch der Gegenseite wird in der Literatur zwischen 18% bis 80% angegeben (3, 13). Die neueren operativen Methoden (Schrauben, Haken-Nagel) erlauben heute eine genügende Sicherheit bei Einbringung eines Implantates, ohne die früher gefürchteten Komplikationen der Epiphysendislokation oder der Pinpenetration. Komplikationen Eine Chrondrolyse kann einerseits durch die Perforation eines Nagels bzw. einer Schraube entstehen oder auch idiopathisch, als Komplikation der Krankheit selbst. Die Femurkopfnekrose ist eine weitere schwere Komplikation der Epiphysenlösung. Sie kann spontan bei akuter Epiphysenlösung erfolgen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ereignet sie sich jedoch iatrogen. Dabei ist vor allem das Repositionsmanöver gefährlich. Durchblutungsstörungen können nach unsorgfältiger geschlossener Reposi-

Abbildung 6 Imhäuser-Osteotomie im Schema.

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Abbildung 7 Tilt deformity, fehlender Offset.

tion auftreten. Noch viel gefährlicher ist die offene Reposition. Die von Leunig et al. (14) beschriebene Operationstechnik muss genau beachtet werden. Wir haben trotz Anwendung dieser Technik Fälle von Kopfnekrose beobachten müssen. Die Keilosteotomie stellt zwar die anatomischen Verhältnisse weniger gut wieder her, sie birgt andererseits deutlich weniger Risiko bezüglich Kopfnekrose in sich, da keine Translationsbewegung und damit kein Zug an den Gefäßen stattfindet. Ein vorzeitiger Fugenverschluss kann nach konventioneller Verwendung von Schrauben gehäuft vorkommen, ist aber bei den oben beschriebenen fugenschonenden Techniken eine Gefahr. Allgemeine Komplikationen wie auch bei anderen Operationen sind die Infektion und ein Implantatversagen. Metallentfernung Grundsätzlich erfolgt eine Implantatentfernung (Schrauben und Nägel)

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Abbildung 8 Korrektur der Tilt deformity.

nach Wachstumsabschluss. Durch die oben genannten Methoden wird eine Umnagelung meist nicht mehr notwendig. Tilt deformity, Restfehlstellung Bei einer Restfehlstellung kann es zu einem verminderten oder fehlenden Offset kommen, dadurch entsteht ein Impingement des Schenkelhalses am Pfannenerker Hierdurch können Schmerzen bei Belastung auftreten. Diese können bei der Untersuchung durch Innenrotation, Flexion und Adduktion provoziert werden. Eine solche Tilt deformity kann durch eine so genannte Konturierung des Schenkelhalses („bump resection“, Einkerbung) korrigiert werden. Bei noch geringer Labrumläsion kann die Konturierung durch einen ventralen Zugang ohne chirurgische Hüftluxation erfolgen. Ist bereits eine relevante Labrumläsion vorhanden, so wird die Konturierung mittels einer chirurgischen Hüftluxation (7) notwendig. Bei

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stärkerem Abkippen können subkapitale Keil- oder Imhäuser-Osteotomie notwendig werden. Nachbehandlung Nach einigen Tagen Bettruhe, Mobilisation unter Teilbelastung mit halbem Körpergewicht der betroffenen Seite für 6 Wochen, danach Übergang auf Vollbelastung. Eine Röntgenkontrolle soll unbedingt postoperativ (zur Kontrolle, dass das Implantat nicht in das Gelenk perforiert) sowie nach 6 Wochen erfolgen. Nachfolgend empfehlen wir weitere 1 /2-jährliche Kontrollen. Der Zeitpunkt, an welchem das laterale Ende der verwendeten Schrauben oder Haken-Nagel in die laterale Kortikalis einzuwachsen droht, darf nicht verpasst werden, da ein Wechsel oder die Entfernung dann schwierig und aufwendig wird. Auch bei Verwendung der Steinmann-Nägel muss der Zeitpunkt zum Wechsel anhand der Fugenüberlappung und des noch vorhandenen Wachstumspotential beurteilt werden.

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Diskussion In der Literatur finden sich uneinheitlich beschriebene Operationstechniken und Behandlungsstrategien. Es existiert kein allgemein akzeptiertes Therapiekonzept. Von einer rein konservativen Behandlung (2, 5, 18) zur Fixierung in situ (1, 8) bis zur geschlossenen Reposition und Stabilisierung der Epiphyse mit Schrauben, Nägeln oder HakenNägeln (13, 22), oder offenen Reposition (14), subkapitalen Keilosteotomie oder intertrochantären Flexions-Valgisations-Osteotomie (12, 26) werden sehr unterschiedliche Behandlungen empfohlen. Bei der Epiphyseolysis capitis femoris kommt es bereits bei wenig abgerutschtem Femurkopf zu einem ventro-lateralen Verlust des so genannten Offsets. Die Folge davon können Labrumläsionen sein und wegen Scherwirkungen kann es (meist primäre im dorsalen Bereich) zu Knorpelschaden kommen (14). Das Impingement ist wahrscheinlich hauptverantworlich für die spätere Arthrose. Bei den ersten beiden Formen und einem Gleitwinkel unter 40° fixieren wir mit Haken-Nagelung oder Verschraubung. Verschiedene Arbeiten postulieren ein In-situ-Pinning bei der chronischen Form, da es durch den Remodellierungsvorgang spontan zu einer teilweisen Reposition komme (24, 27). Diese Meinung teilen wir nicht. Das Remodelling wurde nur in 1/3 der Fälle beobachtet. Ein vorsichtiger geschlossener Repositionsversuch bringt keine Nachteile, wenn die Kraft bei der Innenrotation dosiert angewandt wird. Zur Reposition einer chronischen Form darf der Kopf nicht mit Gewalt in seine ursprüngliche Form zurück gebracht werden, da ansonsten die Gefahr der Femurkopfnekrose steigt. Andere Autoren postulieren schon bei geringgradiger Epiphysenlösung eine

offene Reposition (13), da bereits bei Gleitwinkeln unter 30° ausnahmslos Knorpelschäden beobachtet wurden. Es wird argumentiert, dass eine spätere Arthrose zwingende Konsequenz sei. Dem widerspricht die Tatsache, dass nach leichter bis mittelgradiger Epiphysenlösung (4, 6, 27) im Langzeitverlauf nur wenig Arthrosen beobachtet wurden. Bei 65 Hüften mit milder Epiphysenlösung betrug nach 40 Jahren das Hip-rating immer noch durchschnittlich 87% (4). Es besteht somit ein erheblicher Widerspruch zwischen dem anatomisch feststellbaren Befund in der Akutphase mit dem theoretisch antizipierten Verlauf und dem tatsächlichen Ergebnis gegen Ende der berufsaktiven Lebensphase. Aus diesem Grund stehen für uns Risiko (vor allem bezüglich Femurkopfnekrose) und möglicher Nutzen einer offenen Reposition in dieser Krankheitsgruppe nicht in einem adäquaten Verhältnis. Besteht nach Wachstumsabschluss ein störendes Cam-Impingement, so kann dieses durch ein risikoarmes Remodelling des Schenkelhalses (Einkerbeoperation) behoben werden. Bei einem Winkel über 40° steigt das langfristige Arthroserisiko erheblich (4, 6, 27). Hier ist eine reorierentierende Operation aus unserer Sicht indiziert. Die korrekteste Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse wird mit der offenen Reposition erreicht, wie sie von Leunig et al. (14) beschrieben wurde. Allerdings ist das Nekroserisiko wesentlich größer als bei den alternativen Verfahren, auch wenn man die in Bern entwickelte Operationstechnik korrekt beachtet. Wir mussten eigene Fälle wie auch solche aus anderen Kliniken beobachten, bei denen es zu Nekrosen gekommen ist. Zwar kann man bei korrekter Technik die Verletzung der Gefäße vermeiden, aber wegen der Translationsbewegung bei der Reposition kommt es

zwingend zur Zugwirkung an den dorsalen Gefäßen, was risikobehaftet ist. In nicht allzu schweren Fällen bevorzugen wir deshalb die subkapitale Keilosteotomie. Die anatomischen Verhältnisse werden zwar nicht ganz so optimal wiederhergestellt, aber es findet keine Translationsbewegung statt, wodurch der Zug an den dorsalen Gefäßen entfällt. Das Cam-Impingement kann recht zuverlässig vermieden werden. Die Rotationsverhältnisse müssen bei Bedarf mit einer späteren intertrochantären Osteotomie wiederhergestellt werden. Noch risikoärmer bezüglich Femurkopfnekrose ist die intertrochantäre Flexions-Valgisations-Rotations-Osteotomie nach Imhäuser. Allerdings erfolgt sie weit weg von der Deformität. Es ist eine unanatomische Korrektur, es wird im Gegenteil eine neue Deformität erzeugt, welche die bestehende im Bereich des Femurkopfes kompensieren soll. Wir haben diese Methode in den letzten Jahren nicht mehr angewendet. Bei Kindern mit Coxa valga et antetorta ist das Gleiten des Femurkopfes nach medial dorsal ein physiologischer Vorgang, der im Laufe des Wachstums stattfindet und zur physiologischen Detorsion führt. Die sportliche Aktivität ist neben einem hohen Gewicht eine besondere Belastung für die Epiphysenfuge. Eine vergleichende Untersuchung mit zwei Gruppen von Jugendlichen zeigte, dass bei sportlich aktiven Jugendlichen die so genannte “Tilt deformity“ viel häufiger war als bei den sportlich weniger Aktiven (21). Sportlich aktive Jugendliche haben demnach ein erhöhtes Risiko einer Epiphyseolysis capitis femoris, die oft asymptomatisch bleibt. Es kann hierdurch ein Impingement mit der Spätfolge einer verfrühten Arthrose entstehen. Die Empfehlung muss demnach sein, dass bei sportlich aktiven Jugend-

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lichen mit Hüft und/oder Knieschmerzen eine Epiphyseolysis capitis femoris aktiv gesucht werden muss. Bei sehr aktiven Kindern in Sportvereinen muss auch bei der regelmäßigen sportärztlichen Untersuchung die Innenrotationsfähigkeit der Hüftgelenke überprüft werden. Bei deutlicher Einschränkung (auch ohne Beschwerden) sollten Röntgenbilder a.p. und axial angefertigt werden. Es ist zu hoffen, dass in Zukunft eine Ultraschallmethode entwickelt wird, welche die latente Epiphysenlösung zuverlässig erkennen lässt. Letztere ist wohl das relevanteste sportmedizinische Problem am Bewegungsapparat im Jugendalter.

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Korrespondenzadresse: Dr. med. Urs Kohlhaas-Styk Orthopädische Klinik Universitäts-Kinderspital beider Basel UKBB Postfach CH-4005 Basel Tel.: +41-61-685 54 70 Fax: +41-61-685 50 11 e-mail: [email protected]