Stellenwert der Biotechnologie in der pharmazeutischen Wirkstoffentwicklung

Stellenwert der Biotechnologie in der pharmazeutischen Wirkstoffentwicklung

Available online at www.sciencedirect.com Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737 Schwerpunkt Stellenwert der Biotechnolo...

2MB Sizes 4 Downloads 73 Views

Available online at www.sciencedirect.com

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737

Schwerpunkt

Stellenwert der Biotechnologie in der pharmazeutischen Wirkstoffentwicklung Sibylle Gaissera,∗ , Michael Nusserb a Fakultät b Fakultät

Ingenieurwissenschaften, Hochschule Ansbach und Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung Wirtschaft und Informatik, Fachhochschule Hannover

Zusammenfassung Die Methoden der Biotechnologie wurden in den letzten 10 Jahren zu einem wichtigen Instrumentarium in der pharmazeutischen Wirkstoffforschung und -entwicklung. Bereits heute machen Biopharmazeutika rund 15% des gesamten Umsatzes mit Arzneistoffen aus. Dabei sind die drei wichtigsten Indikationsgruppen die Onkologie, Stoffwechselerkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats. Für die nächsten Jahre kann damit gerechnet werden, dass Biopharmazeutika weiter an Bedeutung gewinnen. Der Anteil von Substanzen in der präklinischen Forschung, die auf biotechnologischen Verfahren beruhen, liegt mittlerweile bei über 25%. Neben Produkten für die Onkologie und Stoffwechselerkrankungen spie-

len hier Antiinfektiva eine wichtige Rolle. Neuartige Therapieverfahren wie die RNA-Interferenz stecken dagegen mit 1,5% aller kommerziellen Forschungsprojekte noch in den Kinderschuhen. Investitionen in zukunftsfähige Spitzentechnologien wie die Biotechnologie sind für ein hoch entwickeltes und rohstoffarmes Land wie Deutschland von zentraler Bedeutung. Die Biotechnologie hilft den deutschen Pharmaakteuren vor allem dabei, neue Produkte, Prozesse/ Verfahren und Dienstleistungen zu entwickeln und existierende zu verbessern. Dadurch kann die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, neue Arbeitsplätze in Deutschland können geschaffen und bestehende gesichert werden.

Schlüsselwörter: Biotechnologie, Pharmaindustrie, Marktpotenziale, Beschäftigungspotenziale, FuE-Potenziale, neue Therapeutika

The role of biotechnology in pharmaceutical drug design Summary Biotechnological methods have become an important tool in pharmaceutical drug research and development. Today approximately 15 % of drug revenues are derived from biopharmaceuticals. The most relevant indications are oncology, metabolic disorders and disorders of the musculoskeletal system. For the future it can be expected that the relevance of biopharmaceuticals will further increase. Currently, the share of substances in preclinical testing that rely on biotechnology is more than

25 % of all substances in preclinical testing. Products for the treatment of cancer, metabolic disorders and infectious diseases are most important. New therapeutic approaches such as RNA interference only play a minor role in current commercial drug research and development with 1.5 % of all biological preclinical substances. Investments in sustainable high technology such as biotechnology are of vital importance for a highly developed country like Germany because of its lack of raw

∗ Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Sibylle Gaisser, Hochschule Ansbach, Residenzstraße 8, 91522 Ansbach, Deutschland. Tel.: +49 0 981 4877 304. E-Mail: [email protected].

732

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2010.05.001

materials. Biotechnology helps the pharmaceutical industry to develop new products, new processes, methods and services and to improve existing

ones. Thus, international competitiveness can be strengthened, new jobs can be created and existing jobs preserved.

Key words: biotechnology, pharmaceutical industry, market potential, employment potential, potential in research and development, new therapeutics

Einleitung und Methodik Biotechnologie als Stimulus des Pharmasektors Die Dynamik der letzten Jahre im Pharmasektor wurde stark durch Trends aus der Biotechnologie geprägt. Die Methoden der Bio- und Gentechnik haben sich als zentrale Methoden in der medizinischen und pharmazeutischen Forschung etabliert. Den biotechnologischen Verfahren kommt eine immer wichtigere Rolle bei der Entwicklung und Herstellung von pharmazeutischen Produkten (Diagnostika, Therapeutika, Impfstoffe) zu [1]. Dabei wird das seit Jahrzehnten vorherrschende chemische Paradigma zunehmend durch ein biotechnologisches abgelöst: Molekularbiologische und gentechnische Ansätze tragen wesentlich zur Aufklärung der physiologischen Vorgänge bei, die im Krankheitsfall vom Normalzustand abweichen. Somit wird die Grundlage für neue Therapien und damit auch neue Medikamente gelegt [2]. Dieser Trend ging mit einer grundlegenden Strukturänderung im Pharmasektor einher. Ab der Jahrtausendwende hatten sich BiotechStart-up-Unternehmen als neue Akteure im Pharmasektor zu begehrten Fusions- und Übernahmekandidaten entwickelt. Nach einer Studie von PricewaterhouseCoopers im Jahr 2001 hatten Biotech-Unternehmen mit 44 % (= 27 Mrd. US$) den weltweit höchsten Anteil am Gesamtwert aller Pharmafusionen und -übernahmen erreicht [3]. Dies verdeutlicht den hohen Stellenwert, der den Biotech-Unternehmen aus der Perspektive der pharmazeutischen Industrie zugeschrieben wird.

Anbieters informa healthcare gelisteten Forschungsprojekte und der am Markt registrierten und eingeführten Produkte, die am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung durchgeführt wurden. In der Datenbank sind alle in der Pharmaentwicklung befindlichen Substanzen systematisch erfasst. Dieser Substanzfokus führt dazu, dass einzelne Forschungsprojekte, die zur selben Substanz durchgeführt werden, zu einem Projekt/einer Aktivität zusammengefasst sind. So werden zum Beispiel verschiedene Tierexperimente und klinische Studien mit einer bestimmten Substanz zu verschiedenen Indikationen jeweils unter dem Substanznamen als ein Treffer zusammengefasst. Damit unterscheidet sich die in der Datenbank vorgenommene Projektdefinition vom gängigen Projektverständnis, bei dem die Abgrenzung über den Untersuchungsgegenstand (eingesetztes Tier im Tierversuch, untersuchte Indikation, Dosis oder Zielgruppe) oder die das Projekt durchführende Einrichtung erfolgt. Bedingt durch diesen Substanzfokus der Projektdefinition liegt die absolute Anzahl der in der Datenbank PHARMAPROJECTS ermittelten Projekte unter der im universi-

tären und industriellen Forschungsalltag wahrgenommenen Anzahl von Projekten.

Markt- und Umsatzpotentiale von Biopharmazeutika Biotechnologieprodukte in der Pharmazeutischen Industrie fallen in die Kategorien der Therapeutika, Vakzine und Diagnostika. Zu den Biopharmazeutika zählen u.a. gentechnisch produzierte (rekombinante) Proteine, therapeutische Antikörper und Medikamente auf Nukleinsäurebasis. Über die letzten Jahre hinweg konnten Biopharmazeutika zunehmend Marktanteile gewinnen. Eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) basierend auf Umsatzzahlen von IMS Health zeigte, dass Biopharmazeutika zwischen 1995 und 2005 ihre Marktanteile in Europa von 3,5 % aller durch Pharmazeutika gemachten Umsätze auf 8% steigern konnten (Abb. 1). In den USA lag nach dieser Untersuchung der Umsatz mit Biopharmazeutika im Jahr 2005 bereits bei 12% [4]. Die Unterschiede zwischen

Methodik Ein Großteil der in dieser Untersuchung dargestellten Analysen basiert auf einer Auswertung der in der Datenbank PHARMAPROJECTS des kommerziellen

Abb. 1. Umsatzanteile von Biopharmazeutika am Gesamtpharmamarkt: Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf Daten von IMS Health [4].

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737 www.elsevier.de/zefq

733

Abb. 2. Neu zugelassene Biopharmazeutika nach Indikationsgebiet im Jahr 2005. Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf PHARMAPROJECTS (2006) [4].

den USA und Europa erklären Danzon and Furukawa [5] mit der Tatsache, dass häufig neue Produkte zunächst in den USA zugelassen werden und dann mit einigen Jahren Verzögerung erst am europäischen Markt eingeführt werden. Nach einer aktuellen Untersuchung der Boston Consulting Group im Auftrag des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller lag der Umsatzanteil der Biopharmazeutika am deutschen Pharmamarkt im Jahr 2008 bei 16% [6]. Dies entspricht einem Umsatz von 4,4 Mrd. D für Biopharmazeutika [6]. Die meisten neu zugelassenen Biopharmazeutika gab es in 2005 nach einer Analyse des Fraunhofer ISI in der Datenbank PHARMAPROJECTS in den Bereichen Stoffwechselerkrankungen, Krebs, Erkrankungen des Bewegungsapparates, Immunologika, bei rekombinanten Hormonen, bei Erkrankungen des Blutbildenden Systems und zur Behandlung von Hauterkrankungen (Abb. 2) [4]. Dies deckt sich in weiten Teilen mit den fünf umsatzstärksten Bereichen, die in der BCG-Studie 2009 identifiziert wurden. Spitzenreiter waren dabei Biopharmazeutika bei Stoffwechselerkrankungen (Umsatz in 2008 lag bei 904 Mio D ), gefolgt von Therapeutika bei Infektionskrankheiten (861 Mio D ), Immunologika (769 Mio D ), Onkologika (627 Mio D ), und Biopharmazeutika für Erkrankungen des ZNS (563 Mio D ) [6].

734

FuE-Potenzial Forschungspipeline für Biopharmazeutika Aktuelle Untersuchungen des Fraunhofer ISI im Auftrag von Agilent Technologies Deutschland GmbH zu den Forschungsaktivitäten im Bereich der Biopharmazeutika zeigen, dass die Pipeline gut gefüllt ist. Nach einer Untersuchung in der Datenbank PHARMAPROJECTS hat sich der Anteil biotechnologischer Substanzen in der präklinischen Forschung auf rund 26% aller neuen Substanzen in den letzten 5 Jahren eingependelt (Abb. 3). Insgesamt befanden sich nach der Datenbank PHARMAPROJECTS in 2007 rund 1.400 biotechnologische Substan-

zen in 29 verschiedenen Ländern und knapp 600 Unternehmen in der präklinischen Entwicklung. Rund 3.100 Substanzen aus chemischen Synthesen waren in PHARMAPROJECTS bei knapp 1.000 Unternehmen in 31 Ländern in der präklinischen Entwicklung verzeichnet. Proteine sind dabei für die Biopharmazeutika mit über 60% die wichtigste Substanzklasse, gefolgt von Nukleinsäuren mit 13%, eukaryotischen Zellen (8%), Viruspartikeln (7%) und Peptiden (6%). Das am stärksten beforschte Indikationsgebiet bei den Biopharmazeutika ist mit knapp 500 verschiedenen Forschungsprojekten die Onkologie. Hier erwartet man sich insbesondere durch spezifische Antikörper neuartige, gezielte Therapieverfahren. Auch Forschung im Bereich der Antiinfektiva hat in jüngerer Zeit vor dem Hintergrund multiresistenter Keime wieder einen größeren Stellenwert. Antiinfektiva belegen mit 350 in PHARMAPROJECTS gelisteten präklinischen Forschungsprojekten Rang zwei. Zwischen 100 und 200 verschiedene präklinische Forschungsprojekte wurden für die Immunologika, Therapeutika für den Muskel-Skelett-Apparat, für Neurologika, und Hämatologika identifiziert. Das Forschungsinteresse an Therapeutika für das Herz-Kreislaufsystem hat in den letzten Jahren stetig abgenommen. Auch Hormone stellen derzeit kein Schwerpunktthema der präklinischen Forschung dar (Abb. 4).

Abb. 3. Anteil der neuen biotechnologischen Substanzen in der präklinischen Entwicklung (weltweit). Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf PHARMAPROJECTS (2008). Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 104 (2010) 732–737 www.elsevier.de/zefq

Abb. 4. Anzahl präklinischer Forschungsprojekte mit biotechnologisch erzeugten Substanzen nach Indikationsbereichen. Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf PHARMAPROJECTS (2008).

Neuartige Therapieansätze Für rund 80% der in PHARMAPROJECTS gelisteten präklinischen Forschungsprojekte konnte die Molekülart aufgrund der Projektbeschreibung eindeutig zugeordnet werden. Innerhalb der Biopharmazeutika spielen Antikörper mit 30% aller Produkte die wichtigste Rolle, gefolgt von Impfstoffen (18%) und Proteinen (12%) (Abb. 5). Neuartige Therapieansätze wie die RNA-Interferenz haben derzeit noch einen sehr geringen Stellenwert in der kommerziellen Pharmaforschung und sind in nur 1,5% aller präklinischen Forschungsprojekte ein Thema. Rund 8% aller präklinischen Forschungsprojekte befassen sich mit Ansätzen der zellbasierten Therapie. Auch die Gentherapie ist mit 8% relativ stark repräsentiert (Abb. 5). Dies wirkt sich auch auf die klinische Forschung aus. Eine Statistik des Journal of Gene Medicine listet weltweit 1579 klinische Studien im Bereich der Gentherapie, wobei rund 60% Studien in der Phase I sind [7].

len Anwenderbranchen (u.a. Pharma-, Chemie-, Lebensmittelindustrie sowie Umweltbiotechnik und Landwirtschaft) dauerhaft im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Die Biotechnologie spielt als Spitzen- und Querschnittstechnologie in vielen dieser Anwenderbranchen, so auch vor allem in der Pharmaindustrie, eine immer wichtigere Rolle im Innovations- und Wachstumsprozess. Dadurch erhöht sich deren internationale Wettbewerbsfähigkeit und es ergeben sich künftig neue Innovations- und Beschäftigungspotenziale für die deutschen Pharmaakteure (Abb. 6). Nukleinsäuren, Humanimpfstoffe, Insulin, Antikoagulanzien und andere Blutprodukte sowie Proteinderivate sind diejenigen fünf Produktgruppen, bei denen der Einfluss der Biotechnologie auf die internationale Wettbe-

werbsfähigkeit sowie der Beitrag der Biotechnologie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bis 2020 am höchsten eingestuft wird [8]. Dies sind auch diejenigen Segmente, in denen Biopharmazeutika bereits auf dem Markt sind. Die für die deutschen Pharmaakteure identifizierten aktuellen und zukünftigen wirtschaftlichen Potenziale der Biotechnologie zeichnen folgendes Bild (Abb. 6): Die Biotechnologie hilft den deutschen Pharmaakteuren vor allem dabei, neue Produkte, Prozesse/ Verfahren und Dienstleistungen zu entwickeln und existierende zu verbessern. Dadurch kann die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, neue Arbeitsplätze in Deutschland können geschaffen und bestehende gesichert werden. Die Hoffnungen der Industrie auf eine Beschleunigung von Wertschöpfungsprozessen („schneller Time to Market‘‘), eine Reduktion der Umweltbelastungen sowie eine erhöhte Flexibilität erfüllen sich derzeit nicht, wobei allerdings diese wirtschaftlichen Potenziale bis 2020 an Bedeutung gewinnen werden. In 2004, aber auch bis 2020 wird die Bedeutung der Biotechnologie zur Senkung der Personal-, Material- und Energiekosten oder zur Erfüllung/ Einhaltung rechtlicher Vorgaben in der Pharmaindustrie als gering eingeschätzt. Die Beschäftigungspotenziale der Biotechnologie in Deutschland sind an die internationale Wettbewerbsfähigkeit und entsprechende Umsatzpotenziale geknüpft. Im Rahmen ei-

Volkswirtschaftliche Bedeutung Investitionen in zukunftsfähige Spitzentechnologien wie die Biotechnologie sind für ein hoch entwickeltes und rohstoffarmes Land wie Deutschland von zentraler Bedeutung, um sich in vie-

Abb. 5. Relevanz verschiedener Molekülarten bei biotechnologischen Substanzen in der präklinischen Entwicklung. Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf PHARMAPROJECTS (2008).

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737 www.elsevier.de/zefq

735

Abb. 6. Wirtschaftliche Potenziale der Biotechnologie aus Sicht der Pharmaakteure (schriftliche Befragung mit n = 35 Pharmaakteure aus Industrie und Wissenschaft). [8].

ner Untersuchung des Fraunhofer ISI wurde mit Hilfe eines „Top-down‘‘ und „Bottom-up‘‘-Verfahrens und eines breiten Quellen- und Methoden-Mix (insb. schriftliche Befragung, Experteninterviews, Patentanalysen sowie technoökonomischen Studien) Marktpotenziale der Biotechnologie („Biotechnologie-Umsatzanteile‘‘) in der Pharmaindustrie für die Jahre 2004 und 2020 bestimmt (zur Methodik vgl. [8]). Da wie in neuen Technikfeldern üblich die tatsächliche Marktdurchdringung mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist (u.a. auf Grund aktuell begrenzter Datenverfügbarkeit, noch nicht getroffener strategischer Unternehmensentscheidungen, technologischer Durchbrüche oder der Entwicklung der innovationsfördernden und innovationshemmenden Standortfaktoren bis 2020), wurden sowohl für die Umsatzanteile als auch für die

736

Beschäftigungspotenziale Unter- und Obergrenzen angegeben im Sinne eines „wahrscheinlichen Korridors‘‘. Zu beachten ist zudem, dass der gesamtwirtschaftliche Beschäftigungseffekt mit dem üblichen Indikator der direkt Biotechnologie-Erwerbstätigen in der Pharmaindustrie nur unzureichend erfasst wird. Durch Investitionstätigkeiten (u.a. zur Modernisierung von BiotechnologieProduktionsanlagen/ Forschungslabors) und Ausgaben für Vorleistungskäufe bei Zulieferindustrien (u.a. chemische und pharmazeutische Vorprodukte, FuE-Dienstleistungen von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Biotechnologie-KMU) entstehen vorgelagerte indirekte Beschäftigungseffekte in den Zuliefersektoren der Pharmaindustrie. Zur Berechnung der direkten und indirekten Beschäftigungspotenziale wurde das Fraunhofer Input-Output-Modell

ISIS eingesetzt (zur Methodik vgl. [8]). Die Untersuchungen zeichnen folgendes Bild [8]: In 2004 basierten in der Pharmaindustrie 11 bis 18 Prozent des Umsatzes auf Biotechnologie. Bis 2020 steigt dieser Umsatzanteil voraussichtlich deutlich auf 18 bis 40 Prozent an mit positiven Folgen für die Beschäftigung. Dadurch ergeben sich für die Pharmabranche folgende „Biotechnologie-Beschäftigungseffekte‘‘: In 2004 induziert jeder der 12.500-20.500 direkten Biotechnologie-Arbeitsplätze in der Pharmaindustrie weitere ca. 1,05, d.h. insgesamt 13.000-21.500 Arbeitsplätze in vorgelagerten Zuliefersektoren. Die Gesamtzahl der direkt plus indirekt BiotechnologieErwerbstätigen liegt damit bei circa 25.500-42.000 in 2004; dieses gesamte Beschäftigungspotenzial steigt weiter an auf rund 40.500-90.000 in 2020.

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 104 (2010) 732–737 www.elsevier.de/zefq

Viele der direkten Beschäftigungseffekte in der Pharmaindustrie entstanden 2004 im Segment für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Denn ein wichtiger Grund für den hohen Akademikeranteil in der Pharmabranche (ca. 25%) im Vergleich zur Gesamtwirtschaft (ca. 16%) ist unter anderem die Bedeutung der Biotechnologie in der Pharmaindustrie [1]. Dies erfordert sowohl in den FuE-Prozessen als auch in der Produktion neuer innovativer Arzneimittel einen hohen Wissensstand in sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachdisziplinen (z.B. Biologie, Chemie, Biochemie, Bioinformatik, Verfahrenstechnik). Darüber hinaus entstehen durch die Biotechnologie weitere Beschäftigungseffekte in den anderen Anwenderindustrien (z.B. Chemieindustrie, Umweltbiotechnik) und der Bereitstellung von Biotechnologie-Know how (vgl. hierzu [8]): So zeigen die in Deutschland mit der Bereitstellung von Biotechnologie-Knowhow verbundenen Beschäftigungseffekte in Universitäten/FuEEinrichtungen, BiotechnologieKMU und BiotechnologieAusstattern 2004 ein Beschäftigungspotenzial von rund 85.000-90.000 direkten Erwerbstätigen. Bis 2020 ist mit einem Wachstum von 10-20% zu rechnen; dies entspricht etwa 95.000-110.000 direkten Arbeitsplätzen. Hinzu kommen indirekte Beschäftigungseffekte in der gleichen Größenordnung in deren vorgelagerten Zuliefererindustrien (z.B. Messund Steuerungstechnik, Laborausstatter). Diese Werte zur Bereitstellung von Biotechnologie-Know-how umfassen alle BiotechnologieBereiche (u.a. rote, weiße, graue

und grüne Biotechnologie); „grob‘‘ 60 bis 80 dieser Beschäftigten sind dem Bereich Gesundheit/Pharma zuordenbar.

Schlussfolgerungen Die Bedeutung der Biotechnologie in der Pharmaindustrie hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die Analysen des Fraunhofer ISI hinsichtlich der Forschungspipeline von Biopharmazeutika in der Datenbank PHARMAPROJECTS offenbaren, dass die eingeleitete Wende innerhalb des Pharmasektors hin zu einer biologisch-chemischen Produktionsweise weiter an Fahrt gewinnt. Die Realisierung der wirtschaftlichen Potenziale der Biotechnologie steht erst am Anfang ihrer Entwicklung. Dadurch ergeben sich künftig weitere Innovations-, Marktwachstumsund Beschäftigungspotenziale für die deutschen Pharmaakteure und den Pharma-Innovationsstandort Deutschland.

Angaben zur Finanzierung der Arbeit Die zugrundeliegenden Forschungsarbeiten wurden finanziert durch

• Europäische Kommission, DG JRC, IPTS

• Hans-Böckler-Stiftung,

Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) und Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) • Agilent Technologies Deutschland GmbH

21. Leitlinienkonferenz der AWMF

Die 21. Leitlinienkonferenz der AWMF findet am Freitag, dem 10. Dezember 2010 von 9.45 bis ca. 16 Uhr im Hösaal der Ärztekammer Berlin in der Friedrichstr. 16, 10969 Berlin, statt.

Auf dem Programm stehen folgende Themen und Vorträge:

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737 www.elsevier.de/zefq

Literatur [1] Nusser M, Gaisser, S. Innovation, Innovationssystem und Innovationsprozesse in der pharmazeutischen Industrie. In: Gaisser S, Nusser M, Reiß T. Hrsg. Stärkung des Pharma-Innovationsstandortes Deutschland. Stuttgart: IRB-Verlag; 2005. S. 7-28. [2] Reiss, T.; Hinze, S. Innovation Process and Techno-scientific Dynamics. In: Jungmittag, R.; Reger, G.; Reiss, T. Hrsg. Changing Innovation in the Pharmaceutical Industry. Berlin: Springer. 2000, S. 53-70. [3] PricewaterhouseCoopers Pharmaceutical Sector Insights: Analysis and opinions on merger and acquisition activity. Annual Report 2001. 2002. [4] Reiss, T. Gaisser, S., Dominguez LaCasa, I. et al. Consequences, opportunities, and challenges of modern biotechnology for Europe (BIO4EU) – Task 2, 2007. http://bio4eu.jrc.ec. europa.eu/documents/Bio4EU-Task2 Mainreport.pdf. [5] Danzon, P. M. and Furukawa. International Prices and Availability Of Pharmaceuticals in 2005. Health Affairs, 27, no. 1, 2008, S. 221-233. [6] Michl, D. und Heinemann, A. Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2009. Wirtschaftsdaten von Biopharmazeutika und Therapiefortschritt durch Antikörper. The Boston Consulting Group GmbH, 2009. [7] The Journal of Gene Medicine: Statistics and Charts 2009. http://www.wiley.co.uk/genetherapy/ clinical/. [8] Nusser M, Wydra S. Aktuelle und zukünftige Beschäftigungspotenziale der Biotechnologie in Deutschland. In: Nusser M, Soete B, Wydra S. Hrsg. Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungspotenziale der Biotechnologie in Deutschland. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung; 2007; S 51-152. Link: http://publica. fraunhofer.de/documents/N-61026. html.

ZEFQ-Service: Ankündigung http://www.egms.de/static/en/journals/ awmf/2010-7/awmf000211.shtml

737