Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2014) 108, 249—250
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EDITORIAL
Wissenstransfer und Implementierung
Prof. Dr. med. Joachim Szecsenyi Universitätsklinikum Heidelberg Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung Voßstraße 2, Geb. 37 D-69115 Heidelberg Tel. +49 (0)6221-56-4745; Fax: 49 (0)6221-56-1972. E-Mail:
[email protected] Warum sind Veränderungen in der Patientenversorgung so schwierig? Haben wir doch in Deutschland für viele Bereiche eine gute Evidenzbasierung durch Leitlinienprogramme der Fachgesellschaften mit der AWMF, eine ausgefeilte Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sowie zahlreiche Qualitätsmanagement-Aktivitäten im ambulanten und stationären Sektor. Das derzeit vom AQUA-Institut im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses durchgeführte Qualitätsmonitoring in 30 Leistungsbereichen der deutschen http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2014.06.014 1865-9217/
Krankenhäuser genießt internationale Anerkennung [1] und macht sich auf den Weg Sektorengrenzen zu überspringen und die Patientenperspektive stärker einzubeziehen. Der Gesetzgeber will Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen durch Einrichtung einer Stiftung nachhaltig stärken. Wir sehen in Deutschland nach wie vor eine große Variabilität in Behandlungsprozessen und —Ergebnissen zwischen Regionen, Einrichtungen und Leistungserbringern. Wie kommen diese Zustande und wie können Veränderungen wirksam angestoßen werden: International widmed sich inzwischen ein neuer spannender Forschungszweig, der durchaus der Versorgungsforschung zuzurechnen ist, unter Begriffen wie Wissenstranfer (Knowledge Transfer [2]) oder Implentierungswissenschaften (Implementation Science [3]) der Frage, wie man evidenzbasiertes Wissen breitflächig in die Versorgung bekommt. In diesem Heft analysieren Freund et al. Krankenhausfälle für ambulant behandelbare Erkrankungen aus den Jahren 2000-2010 für Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz und Hypertonie. Außer für Asthma bronchiale kommt es bei allen anderen genannten potentiell ambulant behandelbaren Gesundheitsproblemen zu einer teilweise erheblichen Fallzahlsteigerung im zeitlichen Verlauf, mit deutlichen Unterschieden zwischen den Bundesländern. Die Autoren diskutieren nachvollziehbare Zusammenhänge mit der Anzahl aufgestellter Betten in den Regionen und der Hausarztdichte. Insbesondere in den neuen Bundesländern und im Saarland werden weitere Anstrengungen angemahnt, dem bestehenden Hausarztmangel zu begegnen und durch optimierte ambulante und sektorübergreifende Versorgungskonzepte potentiell vermeidbare Krankenhauseinweisungen zu verringern. Es ist hinreichend bekannt, dass Probleme in der Arzneimitteltherapiesicherheit neben patientenbezogenen Faktoren auch mit dem Medikamentenmanagement in den Praxen der verschreibenden Ärzte zusammenhängen. Mahler und Kollegen haben zusammen mit klinischen Pharmakologen und Hausärzten sowie Medizinischen Fachangestellten
250 ein Konzept zur Strukturierung des Medikamentenmanagements einschließlich eines Leitfadens für Patientengespräche ermittelt und erprobt. Bleibt zu hoffen, dass die jetzt vorhandenen Werkzeuge einen breiten Nutzerkreis finden. Einen Schritt weiter in der Implementierung gehen Jäger et al., die am Beispiel von Empfehlungen zur Medikation bei multimorbiden Patienten beschreiben, wie man eine Intervention auf die späteren Zielgruppen maßgerecht zuschneiden kann. Nach dem hier vorgestellten Konzept sollte man sich bei der Implementierung von evidenzbasierten Empfehlungen oder Leitlinien darüber im Klaren werden, dass nicht jeder Schuh auch jedem passt. Vielmehr wird vorgestellt, wie man hinderliche Faktoren oder Barrieren genauso systematisch identifizieren und analysieren kann wie förderliche Faktoren für eine gute Umsetzung von Leitlinien oder eine Veränderung bisheriger Versorgung. Fördernde und hinderliche Faktoren können sowohl auf Patienten- als auch auf Arzt — oder Systemseite liegen. Vorgestellt wird, wie diese herausgearbeitet werden und in ein logisches Modell einer Intervention zur Verbesserung der Medikation bei multimorbiden Patienten einmünden können. Eine möglicherweise vernachlässigte Barriere für einen Wissenstransfer zwischen Arzt und Patient ist die Sprache. Langer und Wirth beschreiben in ihrem Beitrag den Einsatz von Telefondolmetschern für Eltern betroffener Kinder in einer Kinderklinik. Sowohl Eltern als auch Ärzte beurteilten dieses Angebot, das hoffentlich weiter Schule macht, positiv. ,,Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler‘‘. Diese Binsenweisheit gilt wohl auch für Leitlinien.
Editorial Siebenhofer und Koautoren haben am Beispiel onkologischer Leitlinien herausgearbeitet, dass darin oft hausarztrelevante Empfehlungen stehen, die allerdings nicht immer umsetzbar sind. Hier scheint es (noch) Nachholbedarf bei der Einbeziehung von Hausärzten in die Leitlinienempfehlungen zu geben. Eine wichtige Frage bei der Umsetzung guter und sicherer Versorgung ist die Zusammenarbeit im Team. Am Beispiel der Teamarbeit im OP stellen Passauer-Baierl und Kollegen in einer Literaturrecherche fest, dass es bisher keine deutschsprachigen standardisierten und professionsübergreifenden Instrumente zur Erfassung vorliegen. Diese sind aber Voraussetzungen, um Teams durch Training und Simulation gezielt zu beraten. Ihnen allen wünsche ich eine spannende Lektüre dieses Doppelheftes. Ihr Joachim Szecsenyi
Literatur [1] AQUA-Institut: Sektorenübergreifende Qualität im Gesundheitswesen. www.sqg.de.(download 10.6.2014). [2] Staus S, Tetroe J, Graham ID, editors. Knowledge Translation in Health Care: Moving from Evidence to Practice. 2nd Ed. Chichester, UK: John Wiley & Sons; 2013. [3] Grol R, Wensing M, Eccles M, Davis D, editors. Improving patient care: the implementation of change in health care. 2nd. Ed. Oxford, UK: Wiley Blackwell; 2013.