ARTICLE IN PRESS
www.elsevier.de/zefq Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 103 (2009) 364–366
Schwerpunkt IIa
¨ Ubertragbarkeit von Studienergebnissen in die Praxis: Beispiele aus der P¨adiatrie Johannes Forster ¨ ¨ Kinder- und Jugendmedizin, Albert-Ludwigs-Universitat St. Josefskrankenhaus (Akademisches Lehrkrankenhaus) und Zentrum fur Freiburg
Zusammenfassung Seit dem Jahr 2000 besteht hinreichend Evidenz, daß zur Behandlung unkomplizierter tiefer Luftwegsinfektionen bei Kindern bis zu 5 Jahren ein ¨ Rontgenbild des Thorax nicht notwendig ist. Grunde ¨ dafur ¨ sind, daß zum ¨ Beispiel bei einer Bronchiolitis und Pneumonie durch RS-Virus (haufigster ¨ ¨ Erreger) auch das Rontgenbild nicht zuverlassig zwischen beiden Erkrankungsformen differenzieren kann und die Therapie gleich ist.
¨ Trotzdem ist die Zahl der Rontgenbilder bei diesen Kindern nicht nennenswert zuruckgegangen. ¨ Eine Rolle dabei mag spielen, daß im deut¨ schen DRG-System bis heute die Pneumonie mit einem hoheren Fallwert dotiert ist – und die Meinung besteht, eine Pneumonie den Prufinstanzen ¨ ¨ mit einem Rontgenbild beweisen zu mussen. ¨
¨ Schlusselw orter: ¨ Respiratory Syncytial Virus, Bronchiolitis, Pneumonie, Rontgen, German Diagnosis Related Groups ¨ (Wie vom Gastherausgeber eingereicht)
Transferability of trial results into clinical practice: Examples taken from paediatric practice Summary Since 2000 there has been sufficient evidence that chest X-rays are unnecessary in infants and children with uncomplicated lower respiratory tract infection. The reason is that neither the diagnosis nor the first therapeutic decisions will be influenced by the result of this procedure, and especially so if children have been infected with the respiratory syncytial virus.
However, epidemiological studies in Germany reveal an ongoing use of chest X-ray in these cases. This might suggest that the X-ray images are taken as ‘‘proof’’ of pneumonia, which indeed pays off in the German DRG (Diagnosis Related Groups) system since hospitals receive a higher reimbursement for RSV pneumonia than for RSV bronchiolitis.
Key words: respiratory syncytial virus, bronchiolitis, pneumonia, chest X-ray, German Diagnosis Related Groups (DRGs) (As supplied by publisher)
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Johannes Forster, MME (Bern), St. Josefskrankenhaus, Abteilung fur ¨ Kinder- und Jugendmedizin St. Hedwig, Sautierstraße 1,
D-79104 Freiburg. Tel.: +49 (761) 2711-2800. E-Mail:
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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2009.06.002
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Das klinische Problem Zur Vorstellung im Kinderkrankenhaus ¨ mit den typikommt ein Zweijahriger schen Zeichen einer Infektion der tiefen Luftwege (Tachydyspnoe, leichte thorakale Einziehungen, Husten) und Fieber. Diese Erscheinungen sind innerhalb von 2 Tagen entstanden. Der Appetit ist ¨ beeintrachtigt. Die zu entscheidende Frage ist: Bringt ¨ die weitere Diaes diesem Kind (fur gnostik, Behandlung und den Heilerfolg) etwas eine Rontgen-Thorax¨ aufnahme zu machen? Die Antwort hierauf gibt eine Studie von Swingler et al. [1]. Kinder im Alter von 2 bis 59 (Mittel: 8) Monaten wurden bei der ersten Vorstellung in der Notfallaufnahme eines Kinderkranken¨ hauses (Kapstadt) zunachst vom Arzt untersucht. Bei dieser Gelegenheit wur¨ den 5% der Kinder direkt zum Rontgen geschickt, die weiteren 95% wurden
¨ Moglicher Einfluss des Entgeltsystems Die unter dem Begriff der tiefen Luftwegsinfektionen gesammelten Diagnosen Bronchitis, Bronchiolitis und Pneu¨ monie lassen sich goldstandardmaßig nicht definieren. Dies gilt fur ¨ das ¨ Rontgen [4–6], die Symptome und Be-
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funde [7–10] und die Laborwerte [11]. Deswegen werden die Diagnosen letztlich in der Zusammenschau epikritisch erstellt. Eine Wegweisung zur Diagnoseer’’ sind die Entgelte [12], die stellung ¨ abhangig von der Behandlungsdauer fur ¨ die einzelnen Diagnosen erhalten ¨ werden konnen. ¨ Fur ¨ ein 1 bis 3-jahriges Kind mit Bronchiolitis (obstruktive Bronchitis) ergab sich im Jahr 2008 ab dem 3. Behandlungstag ein Fallwert von 0,848, fur ¨ eine Pneumonie ein Fallwert von 0,810. Beide Diagnosen sind wohlgemerkt klinisch stellbar und insbeson¨ dere, wenn eine Virus-Atiologie vorliegt ¨ (in uber ¨ 80% der Falle), von der Behandlung her identisch. Ein Spezialfall liegt bei der RS-Virus¨ ¨ Atiologie vor (20 bis 30% aller Falle). Hier wird z.B. 2008 fur ¨ die RS-Bronchiolitis der Fallwert von maximal 0,848 ¨ erreicht, wahrend fur ¨ die RS-Pneumonie ein Fallwert von 1,353 erreicht werden kann. Wiederum ist es so, daß Diagnose und Behandlungsparameter ¨ ¨ Die gleich sein konnen. letztlich vollig Erstellung der Enddiagnose wird vermutlich entgeltgesteuert sein. Dies hat Auswirkungen auf die Gesundheitsberichterstattung (ICD), aber auch auf die klinische Forschung, die sich auf Krankengeschichten stutzen ¨ wollte.
Schlussfolgerung 1. Bei Studien zu diagnostischen Tests, auch bei pragmatischen Studien, ¨ konnen hohe methodische Standards eingehalten werden. 2. Dokumentierte klinische Daten und ¨ Diagnosen konnen durch Steue’’ Entrungs-Instrumente , wie z.B. geltsysteme verzerrt sein. ¨ 3. Steuerungsinstrumente konnen dabei auch z.B. durch vermeintlich notwendige Diagnostik, die Implementierung von evidenzbasierten Studienergebnissen in die Versorgungspraxis behindern. ’’
Durchschnittlich 10% aller hospitalisierten Kinder sind in Deutschland solche mit Infektion der tiefen Luftwege im Alter bis zu 5 Jahren. Es scheint plausibel, daß eine effektive Therapie nur nach Stellung einer (zumindest Arbeits-) ¨ Diagnose moglich ist. Plausibel scheint auch, daß bei Erkrankungen der tiefen ¨ Luftwege ein Rontgenbild des Thorax ¨ zur Diagnose wesentlich beitragt. Im ersten Teil will ich zeigen, daß dies bei dem speziellen Krankheitsbild nicht der Fall ist. Diesbezugliche ¨ Studienergebnisse dringen jedoch, trotz Leitlinien-Empfehlung, nur langsam in die klinische Praxis vor. ¨ Damit dem Rontgenbild auch der vermeintliche diagnostische Goldstandard nicht zur Verfugung ¨ steht, liegt die Diagnose – Plausibilisierung im wesentli¨ chen beim klinisch tagigen betreuenden Arzt. Eine Plausibilisierung der Diagnose ist aber auch fur ¨ die Fallabrechnung im Verfahren der Bildung von DRG’s (Diagnosis Related Groups) notwendig. Einen Hinweis, wie in diesem Zusammenhang die Steuerungsinstrumente die Diagnose¨ Findung beeinflussen konnen, gebe ich im zweiten Teil.
¨ randomisiert entweder gerontgt oder ¨ nicht gerontgt. Der behandelnde Arzt konnte dann entweder auf ein ¨ zugreifen oder nicht. Rontgen-Bild Zwischen beiden Gruppen bestand kein Unterschied in der Diagnostik: ¨ Die Arzte haben je zu 10% weitere Untersuchungen angestrengt, bei 20% ¨ ein (weiteres) Thorax-Rontgen durchgefuhrt ¨ und im Durchschnitt je 3 Medikamente verschrieben. Auch bestand kein Unterschied in den relevanten Outcomes: Insbesondere nicht der ¨ Aufnahme zur stationaren Behandlung (3%), bei der Krankheitsdauer (7 Tage) und der Notwendigkeit der Wiedervorstellung in 28 Tagen (30%). ¨ Diese und ahnliche Arbeiten haben letztlich dazu gefuhrt, ¨ daß um die Jahrtausendwende (2000) Lehrbucher ¨ und Leitlinien angaben, daß bei die¨ – ambulant wie sen Kindern primar ¨ – auf eine Rontgen-Thorax¨ stationar ¨ aufnahme verzichtet werden konne. Im Rahmen zweier epidemiologischer Studien zur Erregeridentifizierung wurde in Freiburg bei genau dieser Klientel die klinische Versorgung beobachtend miterfaßt. Zum Vergleich wurde die Infektion der tiefen Luft¨ wege mit dem haufigsten Erreger, dem Respiratory-Syncytial (RS)-Virus herangezogen. Wir konnten in 2 Querschnitten 1999 [2] und 2005 [3] beobachten, ¨ Rontgen-Thorax-Rate ¨ daß die primare von 78 auf 58% sank. Die Therapie mit Sauerstoffsupplementation, Beta-Agonisten, Steroiden und Antibiotika war in beiden Querschnitten gleich. ¨ Außer dem Beharrungsvermogen in uberkommenen ¨ Verhaltensweisen mag ¨ fur ¨ die weiterhin haufige Durchfuhrung ¨ ¨ von Rontgen-Thorax-Aufnahmen die Einfuhrung ¨ des Entgeltsystems mit den DRG ausschlaggebend gewesen sein.
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Einleitung
¨ Erklarung Es bestehen kein Interessenskonflikt des Autors im Sinne des Uniform
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ARTICLE IN PRESS Requirements for Manuscripts Submitted to Biomedical Journals (Stand 2004).
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Interessenkonflikten vorbeugen
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Die Problematik der Interessenkonflikte ist seit langer Zeit bekannt und wurde in der Vergangenheit meist stillschweigend hingenom¨ men. Das andert sich jetzt. Auch in Deutschland gibt es viele Bemuhungen, ¨ Interessenkonflikten vorzubeugen und mehr Transparenz in die medizinische Forschung, Versorgung und Ausbildung zu bringen. Beispiele hierfur ¨ sind die geforderten Darlegun¨ gen uber ¨ mogliche Interessenkonflikte zum Beispiel in Leitlinienprogrammen oder ¨ ¨ Erklarungen uber ¨ mogliche Interessenkon¨ flikte von Vorstanden medizinischer Fachgesellschaften und Organisationen, wie zum Beispiel vom Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin praktiziert. Aber auch Initiativen wie MEZIS – Mein Essen zahl ich selbst ’’ (www.mezis.de) sind ein Ausdruck fur ¨ das ge¨ stiegene Problembewusstsein der Fachoffentlichkeit gegenuber ¨ dem Thema Interessenkonflikte. Auch die Patientenselbsthilfe hat den Handlungsbedarf erkannt. So formuliert die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Er¨ krankung und ihren Angehorigen e.V. (BAG SELBSTHILFE) in Zusammenhang mit ihrer Sat¨ zung Leitsatze der Selbsthilfe fur ¨ die Zusam’’ menarbeit mit Personen des privaten und ¨ offentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen , die auf der Internetseite www.bag-selbsthilfe.de/62/satzung/ frei ¨ sind. zuganglich
Informationen im Internet Der Bericht ‘‘Conflict of Interest in Medical
Research, Education, and Practice’’ des IOM ist nicht im Volltext im Internet verfugbar, ¨ kann aber unter der folgenden Adresse bestellt werden: www.iom.edu/ CMS/3740/47464/65721.aspx Eine Zusammenstellung von Materialien und Organisationen, die sich mit den Thema Interessenkonflikte auseinander ¨ das Wissensportal der KBV setzen, enthalt Arztbibliothek : http://arztbibliothek.de ’’ (dort: Themen von A bis Z, Thema Inter¨ essenkonflikte auswahlen) ¨ Leitsatze der Selbsthilfe fur ¨ die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und ¨ offentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen www.bag-selbsthilfe. de/62/satzung/ ’’
Das Institute of Medicine (IOM) of the National Academies mit Sitz in Washington hat im April 2009 einen Bericht uber ¨ Interessenkon¨ flikte in der Medizin veroffentlicht, der auch fur ¨ das deutsche Gesundheitswesen wegweisend ist. ¨ Die Zusammenarbeit von Arzten und Wissenschaftlern mit der Industrie ist notwendig. ¨ der medizinische Fortschritt Ohne sie ware nicht denkbar. Andererseits ist diese Koopera¨ tion mit Abhangigkeiten verknupft, ¨ die das ¨ ¨ Urteilsvermogen von Arzten und Wissenschaftlern beeinflussen kann. Es kommt zu Interessenkonflikten. Gleiches gilt auch fur ¨ Selbsthilfeorganisationen. Ein Komitee des amerikanischen Instituts of Medicine hat jetzt Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung, Ausbildung und Praxis analysiert. Im Ergebnis wurde eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet, die sich mit der Implementierung von Richtlinien und ¨ Vorgehensweisen zur Minimierung moglicher Interessenkonflikte befassen. Diese Empfehlungen beziehen sich auf die biomedizinische Forschung, die klinische Versorgung und die ¨ Ausbildung von Arzten. Den Schlussel ¨ zu ei¨ medizinischer ner Verbesserung der Integritat ¨ in der AusbilForschung, mehr Objektivitat ¨ der Patiendung und Sicherung der Qualitat tenversorgung sehen die Autoren in einer Offenlegung jeglicher Verbindungen zwischen Medizin und Industrie, der Begrenzung von ¨ Nebenverdienstmoglichkeiten und Geschenken und in der Unterbindung des Einflusses der Industrie auf die medizinische Aus-, Fortund Weiterbildung.
Magazin
Korrespondenzadresse: ¨ Dr. Sylvia Sanger ¨ ¨ in der Arztliches Zentrum fur ¨ Qualitat Medizin Wegelystraße 3/Herbert-Lewin-Platz 10623 Berlin Tel.: 030 4005 2520 Fax: 030 4005 2555 E-Mail:
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