RECHTSFRAGEN
SPORT OT
rthopädie raumatologie
Sportorthopädie · Sporttraumatologie 19, 311–313 (2003) © Urban & Fischer Verlag www.urbanfischer.de/journals/sportmed
Das Recht zur Lüge beim Einstellungsgespräch zu Fragen nach einer bestehenden Schwangerschaft Markus Parzeller Zentrum der Rechtsmedizin, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Einleitung
In einer aktuellen Entscheidung hat
sich das BAG (Bundesarbeitsgericht) mit dem Recht zur Lüge von Stellenbewerberinnen auf Fragen des neuen Arbeitgebers nach bestehender Schwangerschaft auseinander gesetzt (1). Die Entscheidung hat sowohl für Ärztinnen als Arbeitnehmerinnen als auch für Ärzte (für die bessere Lesbarkeit des Textes wird auf die geschlechtsspezifische Unterscheidung der Personengruppen bei allgemeinen Angaben verzichtet) als potenzielle Arbeitgeber hohe Praxisrelevanz. Nach Auffassung des Gerichts verstoßen Fragen des Arbeitgebers nach einer Schwangerschaft vor einer geplanten unbefristeten Einstellung regelmäßig gegen § 611a BGB. In § 611a BGB ist ein Gleichbehandlungsgebot normiert, das es
dem Arbeitgeber ausdrücklich verbietet, aus geschlechtsbezogenen Gründen einen Arbeitnehmer zu benachteiligen.
Fragerecht des Arbeitgebers Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen des Arbeitgebers im Rahmen der Einstellungsgespräche verpflichtet. Bei dem Fragerecht des Arbeitgebers ist zwischen zulässigen und unzulässigen Fragen zu differenzieren (Tab. 1), wobei den unterschiedlichen Interessensphären des Arbeitgebers und Arbeitnehmers Rechnung zu tragen ist. Der Arbeitgeber geht mit dem Arbeitsvertrag u. a. weitreichende finanzielle Verpflichtungen ein und möchte deshalb die leistungsfähigste und optimal geeignete Kandidatin einstellen.
Die Arbeitnehmerin hat ihrerseits ein Interesse auf Schutz ihrer Intimsphäre und ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Bei Streit über falsche Angaben der Arbeitnehmerin ist daher eine Abwägung der widerstreitenden Interessenslagen vorzunehmen und zu überprüfen, ob der Arbeitnehmerin ein Recht zur unwahrheitsgemäßen Beantwortung von Fragen des Arbeitgebers, also ein Recht zur Lüge, zustand. In der rechtlichen Auseinandersetzung wird der Arbeitgeber wegen der Lüge versuchen, das Arbeitsvertragsverhältnis wegen einer arglistigen Täuschung anzufechten, um die anfängliche Nichtigkeit des Vertrages herbeizuführen. Eine arglistige Täuschung erfordert die widerrechtliche Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums durch ein positives Tun oder Unterlassen mit Täuschungswillen (13).
Sachverhalt der aktuellen BAG-Entscheidung
Tabelle 1. Fragerecht des Arbeitgebers. Zulässige Fragen
Unzulässige Fragen
Qualifikation und berufliche Fähigkeiten, Ausbildung, beruflicher Werdegang etc.
Schwangerschaft
Stasi-Mitarbeit für Bewerbung zum öffentlichen Dienst (6)
Intimleben, bevorstehende Heirat
Vorstrafen (wenn relevant für die zu besetzende Position, z. B. Bankkassierer und Unterschlagung als Vorstrafe; Kraftfahrer und Trunkenheit im Straßenverkehr)
Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, Partei oder Religionsgemeinschaft: Ausnahme Tendenzbetriebe (z. B. Arbeitgeber ist Gewerkschaft, Partei oder kirchlicher Träger eines Krankenhauses)
Krankheit (umstritten)
Höhe des bisherigen Einkommens (2)
Der Gerichtsentscheidung lag ein Rechtsstreit über die Anfechtung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber wegen arglistiger Täuschung durch die Arbeitnehmerin nach §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB zugrunde (1). Der Betreiber einer Wäscherei hatte einen Arbeitsvertrag mit einer unbefristet eingestellten Wäschereigehilfin angefochten, da diese wahrheitswidrig und in Kenntnis ihrer Schwangerschaft im Arbeitsvertrag versichert hatte, nicht M. Parzeller · Rechtsfragen
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schwanger zu sein. Aus Gründen des Mutterschutzes durfte die Arbeitnehmerin die vereinbarte Tätigkeit nicht ausüben. Sie wollte deshalb einer anderen Tätigkeit zugewiesen werden, die in dem Kleinbetrieb aber nicht bestand.
Rechtshistorische Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Die rechtliche Bewertung zum Fragerecht des Arbeitgebers nach einer Schwangerschaft im Einstellungsgespräch hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Rechtsprechung aufgrund gesetzlicher Modifikationen und europarechtlicher Vorgaben gravierend verändert (16). Auch in der juristischen Literatur wurden die Zulässigkeit der Frage des Arbeitgebers nach der Schwangerschaft und ein Recht zur Lüge kontrovers diskutiert (14, 15). Im Jahre 1961 sprach das BAG dem Arbeitgeber noch ein Fragerecht bezüglich einer bestehenden Schwangerschaft zu (3) und begründete seine Entscheidung mit den weitreichenden Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber der Arbeitnehmerin (finanzielle Lasten, Schutzpflichten, Beschäftigungsverbote). Mit der gesetzlichen Neuregelung durch den § 611a BGB wurde vom BAG eine „gespaltene“ Lösung vertreten, die dem Arbeitgeber ein Fragerecht nach der Schwangerschaft zuerkannte, wenn sich nur Frauen um die Stelle beworben hatten (4). Nach einer nachfolgenden Entscheidung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) spielte es jedoch keine Rolle, dass sich gerade kein Mann um die Stelle beworben hatte (8). Die Entscheidung hob hervor, dass das Motiv für die Einstellungsverweigerung in diesem konkreten Fall auf die bestehende Schwanger-
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schaft zurückzuführen war. Damit stelle die Frage eine unmittelbare Diskriminierung dar, weil die Frage nach der Schwangerschaft lediglich bei Frauen relevant sei. Auf der Basis der EuGH-Rechtsprechung gab das BAG die „gespaltene“ Lösung auf und wertete Fragen nach der Schwangerschaft als einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 611 a BGB, unabhängig davon ob sich nur Frauen um die Stelle beworben hatten. Von dieser Regel sah das BAG jedoch Ausnahmen vor, wenn die Bewerberin aufgrund der Schwangerschaft die Stelle überhaupt nicht antreten konnte (Beschäftigungsverbote wegen Mutterschutz) (7) oder die Frage zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken für die Schwangere und das ungeborene Leben erforderlich war (5). Allerdings führte der EuGH (9, 10) in weiteren Entscheidungen aus, dass bei der Einstellung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wegen einer Schwangerschaft Benachteiligung und Diskriminierung der Schwangeren auch dann vorliegen, wenn die Stelle wegen eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots für Schwangere überhaupt nicht angetreten werden durfte. Seine Entscheidungen begründete der EuGH mit dem Schutzzweck der Richtlinien, Argumenten der praktischen Wirksamkeit sowie der beschränkten zeitlichen Dauer von Beschäftigungsverboten im Zusammenhang mit der Gesamtdauer des unbefristeten Arbeitsvertrags. Der EuGH hat das Kündigungsverbot gegenüber schwangeren Arbeitnehmerinnen inzwischen auch auf befristete Arbeitsverträge ausgedehnt. Nach der Auffassung der EuGH-Richter ist es für die diskriminierende Wirkung einer Entlassung wegen einer Schwangerschaft unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis auf bestimmte oder unbestimmte Zeit abgeschlossen wird (11, 12).
Aktuelle rechtliche Würdigung durch das BAG Das BAG hatte bei seiner aktuellen Entscheidung die Rechtsprechung des EuGH und Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2002/73/EG vom 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie des Rates 76/207/EWG zu beachten (1). Nach der geänderten Richtlinie ist in Art. 2 Abs. 7 bestimmt, dass eine ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft als Diskriminierung gilt. In Art. 5 Abs. 1 ist normiert, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden müssen. Der EuGH hat unter Verweis auf den Schutzzweck der Richtlinie eine Benachteiligung und Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot selbst dann gesehen, wenn die schwangere Bewerberin aufgrund von gesetzlichen Beschäftigungsverboten die Arbeitstätigkeit in dem vertraglich vereinbarten Bereich aufgrund der Schwangerschaft gar nicht aufnehmen durfte (9, 10). Das BAG gab deshalb seine bisherige Rechtsprechung unter Verweis auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht und der besonderen Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH teilweise auf. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG (5) sind Fragen nach einer Schwangerschaft selbst dann unzulässig, wenn die Frau die vereinbarte Tätigkeit wegen mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote zunächst gar nicht aufnehmen kann. Als entscheidendes Kriterium wertet das BAG nunmehr, dass nach Ablauf der Mutterschutzfristen die Bewerberin zur Leistung der Arbeit in der Lage ist. Ein vorübergehendes Beschäftigungshindernis dürfe aber nicht dazu führen, die Bewerberin durch die erkennbare Zielrichtung
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einer Frage nach der Schwangerschaft von der Stellenbesetzung in diskriminierender Weise entgegen § 611a Abs. 1 S. 1 BGB auszuschließen.
Fazit und Bedeutung für die Praxis Der erweiterte generelle Schutz von Schwangeren vor einer Diskriminierung bei der Bewerberauswahl ist einerseits zu begrüßen, andererseits sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass aufgrund bestimmter Beschäftigungsverbote von Schwangeren die Nachfrage nicht der Diskriminierung sondern der Fürsorgepflicht entsprach. Gerade vor Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses kann die Offenlegung einer Schwangerschaft die Einstellungschancen der Schwangeren gegenüber anderen Mitbewerbern wegen der gesetzlichen und finanziellen Verpflichtungen für den Arbeitgeber verschlechtern. Schulte Westenberg kritisiert, dass die Rechtsprechung des EuGH dem Arbeitgeber jede Möglichkeit nimmt, das Arbeitsverhältnis mit einer schwangeren Bewerberin bzw. Arbeitnehmerin zu beenden (16). Er verweist auf das finanzielle Risiko gerade für kleine Betriebe, zu denen auch Arztpraxen gerechnet werden.
Er sieht in der weiterreichenden Entwicklung der Rechtsprechung für weibliche Stellenbewerberinnen im gebärfähigen Alter in der Praxis um die Stellenbewerbung eher Nachteile. Auch Thomas warnt vor der Gefahr einer verdeckten Diskriminierung, wenn der Arbeitgeber aus Angst vor einer Schwangerschaft von der Einstellung Abstand nimmt (17). Thüsing sieht hingegen neben der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts noch weiteren Handlungsbedarf für die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, sexuelle Ausrichtung, Religion, Behinderung und Alter (18).
Literatur 1 BAG (6.2.2003 – 2 AZR 621/01) NZA 2003, 848–849 2 BAG DB 1984, 298 3 BAG NJW 1962, 74–75 4 BAG NJW 1987, 397–398 5 BAG NJW 1994, 148–149 (Bewerbung einer Schwangeren um die Stelle in einer Praxis für Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie: Probenannahme, unter anderem auch infektiöses Material) 6 BAG NZA 1998, 1052–1053 7 BAG, NJW 1993, 1154–1156 8 EuGH NJW 1991, 628–629 (Fall: Dekker ./. VJV-Centrum) 9 EuGH NJW 2000, 1019–1020 (Fall: Mahlburg ./. Mecklenburg-Vorpommern): Innerbetriebliche Bewerbung einer schwangeren Arbeitnehmerin um eine ausgeschrie-
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bene Stelle im OP der Chirurgie und deren Ablehnung mit Hinweis auf Infektionsgefahr und Mutterschutz EuGH NZA 1994, 783 (Fall: Webb) EuGH, NJW 2002, 123–124 EuGH, NJW 2002, 125–127 Heinrichs H (2003): § 123 Rn. 2,11, in Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch. Beck Verlag München, 62. Aufl. Hunold W (1987). Das Fragerecht des Arbeitgebers nach Schwangerschaft einer Bewerberin. NZA, 4–7 Schatzschneider W (1993): Frage nach der Schwangerschaft und gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot. NJW, 1115–1116 Schulte Westenberg M (2003): Aktuelles vom EuGH zur Kündigung wegen Schwangerschaft, NJW: 490–492 Thomas H-F (2003): Urteilsanmerkung BAG (6.2.2003 – 2 AZR 621/01). RÜ: 433–435 Thüsing G (2001): Handlungsbedarf im Diskriminierungsrecht – Die Umsetzungserfordernisse auf Grund der Richtlinien 2000/78/EG und 2000/43/EG. NZA, 1061–1064.
Korrespondenzadresse: Rechtsanwalt Dr. med. Markus Parzeller Zentrum der Rechtsmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Kennedyallee 104 D-60596 Frankfurt am Main Tel.: 069/630183576 Fax: 069/630183639 E-Mail:
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