ARTICLE IN PRESS ORIGINALARBEIT
Brillengla¨ser im Sport: Optimierung der Abbildungseigenschaften unter physiologischen Aspekten Wolfgang Becken, Anne Seidemann, Helmut Altheimer, Gregor Esser, Dietmar Uttenweiler Rodenstock GmbH, Isartalstraße 43, D-80469 Mu¨nchen Eingegangen am 15. Mai 2006; akzeptiert am 6. November 2006
Zusammenfassung Zweck einer Korrektionsbrille ist, durch die Kombination von Auge und Brille auch bei einer gegebenen Fehlsichtigkeit ein scharfes Netzhautbild zu erzeugen. Prinzipiell kann in diesem zusammengesetzten optischen System eine fehlerfreie Korrektion am optischen Mittelpunkt des Brillenglases, jedoch nie u¨ber ein ausgedehntes Blickfeld erreicht werden. Anders als in der paraxialen Optik, in der nur achsennahe Strahlen mit kleinen Einfallswinkeln relevant sind, spielen in der Brillenoptik große Einfallswinkel eine wichtige Rolle. Hierdurch entstehen zusa¨tzliche Aberrationen, u. a. der Astigmatismus schiefer Bu¨ndel, der nur auf Kosten der spha¨rischen Wirkung kompensiert werden kann. Jedes Brillenglas stellt also –außer eventuell im zentralen Hauptdurchblickspunkt– einen mehr oder weniger guten Kompromiss dar. Fu¨r Sportgla¨ser in den heute u¨blichen gebogenen Fassungen entsteht nun eine zusa¨tzliche Herausforderung dadurch, dass sie nicht senkrecht zur Hauptblickrichtung, sondern verkippt vor dem Auge stehen. In diesem Artikel werden speziell Abbildungseigenschaften von solchen schiefgestellten Sportbrillengla¨sern diskutiert und dargestellt. Deshalb ko¨nnen diese ohne eine gezielte Beru¨cksichtigung dieser Gegebenheiten nur eine geringe Abbildungsgu¨te erreichen. Dass aber auch schiefgestellte Sportgla¨ser ein fu¨r alle Blickwinkel verbessertes Korrektionsverhalten aufweisen ko¨nnen, ist insbesondere aufgrund individueller mathematischer Optimierungsverfahren mo¨glich. Ziel dieses Artikels ist, auf der Basis der zugrundeliegenden physikalischen und physiologischen Effekte die Vorteile individuell optimierter Sportgla¨ser im Vergleich zu schiefgestellten Gla¨sern aufzuzeigen, die ohne diese hochentwickelte Berechnungsmethode berechnet sind. Schlu¨sselwo¨rter: Sportgla¨ser, schiefgestellte Brillengla¨ser, individuelle Optimierung
Spectacle lenses in sports: Optimization of the imaging properties based on physiological aspects Abstract The goal of correction spectacles is to create a sharp image on the retina by the combined optical system of the eye and the spectacle lens for a given ametropia. As a matter of principle, in this optical system an aberration free correction can be achieved in the optical centre of the spectacle lens, but not over the entire range of gaze angles. In spectacle optics large angles play an important role, different from paraxial optics where only rays close to the axis with small angles of incidence are relevant. This generates additional aberrations, the so-called oblique astigmatism, which can only be compensated at the expense of the spherical power. Therefore, every spectacle lens represents –apart from the main visual point–, a more or less good compromise. For sports lenses in the currently used curved frames, an additional challenge arises from the fact that their orientation in front of the eye is generally not perpendicular to the principal gaze direction but tilted. In this article the imaging properties of such tilted sports lenses are discussed, and it is described why this results in a minor quality without a specific consideration of the obliqueness. The fact that tilted sports spectacles are also able to possess an improved correction behaviour for all gaze angles is due to individual mathematical optimization methods. The aim of the present article is, based on the underlying physical and physiological effects, to point out the advantages of individually optimized sports spectacle lenses in comparison to tilted lenses generated without applying this sophisticated computational method. Keywords: Sports spectacle lenses, tilted spectacle lenses, individual optimization
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Z. Med. Phys. 17 (2007) 56–66 doi: 10.1016/j.zemedi.2006.11.007 http://www.elsevier.de/zemedi
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Einleitung Allgemeine Eigenschaften von Brillengla¨sern Optimales Sehen ist eine Grundvoraussetzung fu¨r die effiziente Nutzung eines unserer wichtigsten Sinnesorgane, des visuellen Systems. Auch beim Sport und vor allem bei Sportarten, die hohe Sehanforderungen stellen, ist dies besonders wichtig und fu¨r viele Personen nur durch die Verwendung von korrigierenden Sehhilfen mo¨glich. Die wichtigste Aufteilung von Brillengla¨sern unterscheidet zwischen Einsta¨rkengla¨sern und Progressivgla¨sern. Einsta¨rkengla¨ser dienen Personen, die noch akkommodieren ko¨nnen, zur Korrektion ihrer Fehlsichtigkeit, wobei zur Korrektion von Kurzsichtigkeit streuende (Minus-) Gla¨ser und bei Weitsichtigkeit sammelnde (Plus-) Gla¨ser verwendet werden. Liegt zusa¨tzlich ein Astigmatismus vor, so korrigiert man mit torischen (Zylinder-)Gla¨sern oder einer Kombination aus torischen Gla¨sern und Plus- bzw. Minusgla¨sern. Presbyopie (Alterssichtigkeit) wird mittels Progressivlinsen mit positiver Addition korrigiert, so dass im unteren Teil der Brille (Nahteil) verschieden nahe und im oberen Teil (Fernteil) ferne Gegensta¨nde scharf gesehen werden ko¨nnen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Eigenschaften von Brillengla¨sern exemplarisch anhand von Einsta¨rkengla¨sern diskutiert werden. Das Licht, das durch ein Brillenglas in das Auge fa¨llt, kann durch Wellenfronten beschrieben werden. Die Form und die Orientierung einer solchen Wellenfront fu¨r eine bestimmte Blickrichtung sind nicht nur abha¨ngig von den Fla¨chenformen des Brillenglases, sondern auch von seiner Ausrichtung vor dem Auge und dem Strahlengang (‘‘s. z.B.’’ Abb. 4). Die Bedingungen, die die Position charakterisieren, in der das Glas tatsa¨chlich genutzt wird, bezeichnet man als Gebrauchsstellung. Die Eigenschaften der durch das Brillenglas hindurchtretenden Wellenfront lassen sich auch als Spha¨re, Zylinder, Achslage, Prisma und Basis schreiben (s. Abschnitt ‘‘Material und Methoden’’), in Analogie zu den Refraktionsdaten des Brillentra¨gers, also der Verordnung von Spha¨re, Zylinder, Achslage, Prisma und Basis. Grundsa¨tzlich verstehen wir unter exakter Korrektion (Vollkorrektion), dass die Gebrauchswerte des Brillenglases mit den Refraktionsdaten u¨bereinstimmen. Schon im einfachen Fall von Einsta¨rkenlinsen ist eine exakte Korrektion u¨ber das ganze Blickfeld prinzipiell nicht mo¨glich. Fu¨r jede Blickrichtung, die nicht mit der optischen Achse zusammenfa¨llt, sollte das Glas sowohl im meridionalen Meridian ( ¼ dem Schnitt mit einer Ebene, die die Achse entha¨lt), als auch im sagittalen Meridian ( ¼ dem Schnitt mit einer Ebene senkrecht dazu) die richtige Korrektion besitzen. Dies ist jedoch nicht gleichzeitig u¨berall im Glas mo¨glich, weil beim schra¨gen Durchblick die Wirkungen in den beiden Meridianen verschieden sind, was als Astigmatismus schiefer Bu¨ndel bezeichnet
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wird. In Abbildung 1a sind die diesen Meridianen entsprechenden Brennlinien rot dargestellt. Man kann mit spha¨rischen Fla¨chen durch Anpassung der Durchbiegung nur erreichen, dass entweder der Astigmatismus schiefer Bu¨ndel oder die Brechkraft außer in der Glasmitte auch noch fu¨r einen zweiten Blickwinkel korrigiert wird [5]. Die so entstehenden Fehler (spha¨rischer Refraktionsfehler), in Abbildung 1a gru¨n dargestellt, und Astigmatismus, rot dargestellt, nehmen dann Werte ungleich Null an. Abbildung 1b zeigt schematisch, wie beide Fehler in gegensinniger Weise in Abha¨ngigkeit vom Abstand vom Glasmittelpunkt zunehmen. Gibt man jedoch die Fla¨chenform frei, d.h. la¨sst man rotationssymmetrische Aspha¨ren zu, dann kann man einen der beiden Fehler fu¨r alle Blickwinkel gleichzeitig korrigieren, und außerdem ist dies sogar fu¨r alle Durchbiegungen mo¨glich. Doch auch mit Aspha¨ren lassen sich nicht beide Fehler gleichzeitig kompensieren, denn Aspha¨ren lo¨sen nicht das Grundproblem, dass zwei Brillenglasfla¨chen zu wenige Freiheitsgrade bieten, um alle Fehler gleichzeitig zu korrigieren. Die Verwendung mehrerer Linsen, die ja beim Bau von Kameraobjektiven u¨blich und erfolgreich ist, verbietet sich bei Brillengla¨sern. Es gibt außer den refraktionsbezogenen Gro¨ßen weitere Eigenschaften, die fu¨r die Qualita¨t des Sehens entscheidend sind, und zwar sowohl die monokularen Werte von Vergro¨ßerung und Verzerrung als auch deren binokulares Ungleichgewicht. Diese sowie prismatische Differenzen sind fu¨r Sportgla¨ser von besonderer Relevanz, wie im folgenden Abschnitt beschrieben wird.
Brillengla¨ser im Sport Sportgla¨ser unterscheiden sich von gewo¨hnlichen Gla¨sern durch ihre Anordnung vor dem Auge aufgrund der speziellen Sportfassungen. Durch sie sind Sportgla¨ser einerseits gro¨ßer und sta¨rker durchgebogen als gewo¨hnliche Gla¨ser, vor allem aber stehen sie nicht senkrecht auf der Hauptblickrichtung (Blick geradeaus durch den Bezugspunkt), sondern sind seitlich verkippt (schiefgestellt; Abb. 2). Dies ist nicht nur eine Modeerscheinung, sondern ergonomisch und physiologisch begru¨ndet: Eine Sportbrille soll das Blickfeld nicht einschra¨nken, um sto¨rungsfrei (bewegte) Objekte im ganzen Gesichtsfeld abzubilden, große Augenbewegungen zulassen und das Auge vor Wind und Gegensta¨nden schu¨tzen. Abgesehen von dieser Schutzfunktion ist im Fall vorhandener Sehfehler eine passende dioptrische Korrektion beim Sport ganz wesentlich, denn diese kann den Erfolg beim Sport verbessern [9]: Eine Sportbrille soll Fehlsichtigen durch perfekte Optik bestes Auflo¨sungsvermo¨gen gewa¨hrleisten, um das Erkennen feiner Details (z.B. den Drall eines Balls [9]) zu ermo¨glichen. Vor diesen Hintergru¨nden erscheint fu¨r einen fehlsichtigen Sportler eine stark durchgebogene, gut an die Kopf-
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r/mm astigm. Fehler
sph. Refraktionsfehler Augendrehpunkt Z' F´BG Fehler /dpt
R
ast i Feh gm. ler R
sph feh .Ref ler .-
(a) astigm. Fehler
Y
X
r/mm
Fehler/dpt
(b)
Abbildung 1. Verteilung des spha¨rischen Refraktionsfehlers und des Astigmatismus eines unverkippten Scheitelmessstellungsglases: (a) Meridiandarstellung und (b) Isoliniendarstellung, schematisch; bei der Korrektion einer spha¨rischen Fehlsichtigkeit und Zentrierung nach der Augendrehpunktforderung sind im Glasmittelpunkt (r ¼ 0) beide Aberrationen gleich Null. Fu¨r Blickauslenkungen (r6¼0) nehmen spha¨rischer Refraktionsfehler (gru¨ne Kurve) und Astigmatismus (rote Kurve) in gegensinniger Weise endliche Werte an. In Teilbild (b) stellen die Isolinien in der Draufsicht auf das Glas die Kurven zu gleichen Werten des Astigmatismus dar.
form angepasste Brille mit entsprechenden Scheiben und mit Korrektionswirkung als ideale Sportbrille. Es ist wichtig zu verstehen, dass hinsichtlich der Abbildungseigenschaften zusa¨tzliche Aberrationen aufgrund der Schiefstellung auftreten, die ohne Schiefstellung nicht vorhanden wa¨ren (Abb. 2 and 3). Im weiteren Verlauf werden diese Aberrationen diskutiert, und es wird erla¨utert, wie sie durch geeignete Berechnungs- und Optimierungsverfahren verringert werden ko¨nnen. In dieser sog. Online-Optimierung von Brillengla¨sern, welche Rodenstock seit einigen Jahren sehr erfolgreich anwendet (z.B. im Glas Rodenstock Impression Mono Sport), liegt der Schlu¨ssel zu einer erfolgreichen Berechnung von Sportgla¨sern. Dies beruht auf der Tatsache, dass der entscheidende Parameter bei Sportbrillen, der Fassungsscheibenwinkel (FSW), direkt in der Optimierung beru¨cksichtigt werden kann. Der FSW ist ein sog. individueller Parameter, andere individuelle Parameter
sind Hornhaut-Scheitel-Abstand (HSA), Pupillendistanz (PD) und Vorneigung (VN). Diese Parameter werden individuell genannt, weil sie fu¨r jeden Brillenglastra¨ger und jede Fassung andere Werte annehmen. Nach deren Messung werden sie dem Brillenglashersteller u¨bermittelt und stellen die Grundlage fu¨r die anschließende Berechnung der Online-Optimierung des jeweiligen Glases dar, so dass wir diese auch als individuelle Online-Optimierung bezeichnen. Zur genauen Berechnung wird in diesem Fall das Glas in der Stellung der individuellen Parameter vor den Augen positioniert, dann die –von den individuellen Parametern abha¨ngigen– Gebrauchswerte berechnet und die Glasfla¨chen mit einem flexiblen Freiformfla¨chenansatz solange variiert, bis die Gebrauchswerte in einem bestmo¨glichen Maße die Refraktionsdaten erreichen. In der Historie der Brillenglasentwicklung war solch ein Verfahren wegen des hohen Aufwandes nicht
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(a)
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(b)
Abbildung 2. (a) Ein schiefgestelltes Scheitelmessstellungsglas (SMS-Glas) besitzt ein Prisma Basis außen, das durch Konvergenz ausgeglichen werden muss. (b) In einem konventionellen oder individuellen Sportglas wird das Prisma durch ein Kompensationsprisma Basis innen korrigiert.
Abbildung 3. Aberrationen zweiter Ordnung; ein im Unendlichen befindliches quadratisches Objekt wird durch beide Augen abgebildet. Links: Brennpunkt ist in den verschiedenen Meridianen verschieden (Astigmatismus); rechts: Brennpunkt ist in den verschiedenen Meridianen gleich, liegt aber nicht auf der Retina (spha¨rischer Refraktionsfehler); schematisch ist außerdem die Vera¨nderung der Form und Gro¨ße des Quadrats dargestellt (Verzerrung bzw. Vergro¨ßerung)
selbstversta¨ndlich, ja noch bis Ende der 1990er Jahre gar nicht durchfu¨hrbar. Warum ist solch ein aufwa¨ndiges Online-Optimierungsverfahren u¨berhaupt erforderlich? Die einfachste denkbare Mo¨glichkeit scheint doch, das Glas mit denjenigen Refraktionsdaten zu versehen, die es in unverkipptem Zustand braucht und es dann einfach nachtra¨glich verkippt vor das Auge zu setzen. Der (scheinbare) Vorteil hiervon ist, dass die Glasfla¨chen nach einfachen bekannten Regeln der technischen Optik zu bestimmen sind und außerdem dann durch Anlegen eines Scheitelmessgera¨tes direkt u¨berpru¨ft werden ko¨nnen. Ein solches Glas, das wir Scheitelmessstellungs-Glas (SMS-Glas) nennen wollen, hat jedoch in verkipptem Zustand andere Gebrauchswerte, weil sich der dann tatsa¨chlich vorliegende sog. Gebrauchsstellungsstrahlengang von dem schon erwa¨hnten Scheitelmessstrahlengang unterscheidet. Bei-
spielsweise kommen ein betra¨chtlicher Astigmatismus schiefer Bu¨ndel sowie ein Prisma hinzu, durch die das Glas schon zentral im Bezugspunkt unerwu¨nschte Aberrationen besitzt, d.h. dass die Gebrauchswerte erheblich von den Refraktionsdaten abweichen. Ein Fortschritt demgegenu¨ber ist, einer der Fla¨chen des SMS-Glases einen Torus und ein Prisma so zu u¨berlagern, dass diese Aberrationen zumindest im Bezugspunkt genau kompensiert werden. Ein solches Glas bezeichnen wir als konventionelles Sportglas, ein Vertreter hiervon ist beispielsweise das Glas Rodenstock Perfalit Sport. Aber auch im konventionellen Sportglas ko¨nnen die peripheren Abbildungseigenschaften des Glases noch u¨berhaupt nicht in die Berechnung eingehen. Erst in der individuellen Optimierung u¨ber alle Blickwinkel werden auch diese gezielt verbessert. Im vorliegenden Artikel werden diese drei Kategorien, also das SMS-Glas, das konventionelle Sportglas und das individuell optimierte Sportglas verglichen. Anhand von Ergebnissen fu¨r die Verteilung von Abbildungseigenschaften wird gezeigt, dass das konventionelle Sportglas im Bezugspunkt einen Fortschritt gegenu¨ber dem SMS-Glas darstellt (s. Abschnitt Vom SMS-Glas zum konventio’’ nellen Sportglas:y’’), und dass durchgreifende Verbesserungen fu¨r alle Blickwinkel aber erst durch die individuelle Optimierung erreicht werden (s. Abschnitt Vom konven’’ tionellen Sportglas zum individuell optimierten Glas’’).
Material und Methoden Klassifizierung der Abbildungseigenschaften von Brillengla¨sern Die Gebrauchswerte, unter denen wir Spha¨re, Zylinder, Achslage, Prisma und Basis eines Brillenglases in einem bestimmten Strahlengang verstehen, sind nach Gro¨ßen erster und zweiter Ordnung zu unterscheiden. Jene erster Ordnung gehen auf die Richtung der abbildenden Strahlen zuru¨ck und betreffen daher die Position des Objektes, d.h. sie sind durch die prismatischen Eigenschaften des Glases gegeben. Die Eigenschaften zweiter Ordnung sind mit der Kru¨mmung der Wellenfronten entlang der
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abbildenden Strahlen verknu¨pft und betreffen die Scha¨rfe des Objekts. Zu ihnen rechnen spha¨rischer Refraktionsfehler, Astigmatismus und Achslage. Es gibt noch weitere Abbildungseigenschaften, die ebenso die Qualita¨t des Sehens beeinflussen. Sie betreffen u.a. die Form des Objekts und sind dann durch Vergro¨ßerung und Verzerrung gegeben. Diese Abbildungseigenschaften geho¨ren auch zu den Gro¨ßen zweiter Ordnung.
Das Optimierungsverfahren fu¨r beliebige Verkippung Im Folgenden soll ein Optimierungsverfahren beschrieben werden, das unabha¨ngig von der Schiefstellung eines Glases immer anwendbar ist. Die mo¨glichst gute U¨bereinstimmung von Refraktionsdaten und Gebrauchswerten wird dadurch erzielt, dass die Optimierung nach den Refraktionsdaten zweiter Ordnung durchgefu¨hrt wird, die wir im Folgenden als SZA-Werte bezeichnen (fu¨r Spha¨re, Zylinder, Achse). Das Idealziel besteht somit darin, dass die SZA-Werte der Wellenfront mit den SZA-Werten der Refraktion u¨bereinstimmen. Der Vollsta¨ndigkeit halber sei erwa¨hnt, dass die SZA-Werte einer vom Glas zum Auge laufenden Wellenfront immer an der Scheitelpunktkugel (SK) auszuwerten sind, das ist eine gedachte Kugel, die um den Augendrehpunkt gelegt ist und die den Brillenglasscheitel beru¨hrt. Nur dann ergibt die Forderung Sinn, dass die SZA-Werte der Wellenfront unabha¨ngig von der Blickrichtung einheitliche Werte annehmen sollen, so dass beispielsweise fu¨r verschwindenden Zylinder die Kru¨mmungsmittelpunkte der Wellenfronten fu¨r alle Blickrichtungen die gleiche Entfernung vom Augendrehpunkt haben. Da Vollkorrektion, d.h. U¨bereinstimmung der SZAWerte von Wellenfront und Refraktion, nicht gleichzeitig fu¨r jeden Punkt eines Brillenglases zu erreichen ist, muss ein Kompromiss gefunden werden, der durch eine alle Blickwinkel umfassende Optimierung gesucht wird. Doch nach welchen Zielvorgaben soll optimiert werden? Da die Wellenfronten von der Fla¨chengestaltung des Glases abha¨ngen, kann man durch Variation der Fla¨chen lokal die Abweichung zwischen Refraktions- und Istwerten steuern. In der von uns verwendeten Optimierung werden die SZA-Werte der Wellenfront fu¨r u¨ber 10000 verschiedene Blickrichtungen bestimmt und die Summe geeigneter Fehlerquadrate (s. Gl. (2)) durch Fla¨chenvariation minimiert. Bei der konkreten Auswertung dieser Fehlerquadratsumme ist es sinnvoll, zuna¨chst die gesamte SZA-Kombination der Wellenfront von der SZA-Kombination der Refraktion nach der Methode der schief gekreuzten Zylinder zu subtrahieren. Zur Durchfu¨hrung dieser Subtraktion verwenden wir die matrixbasierte Vergenzenmethode, bei der (z.B. nach S. 481 ff im Lehrbuch von Diepes und Blendowske (Ref. [5])) die symmetrische Vergenzmatrix S folgendermaßen mit den SZA-Werten zus-
ammenha¨ngt: S¼
S xy S yy
S xx S xy
! ¼
ðS þ Z2 Þ Z2 cos 2a Z2 sin 2a Z 2 sin 2a ðS þ Z2 Þ þ Z2 cos 2a
!
(1a) Z¼
qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ðSxx Syy Þ2 þ 4S 2xy
S ¼ 12ðS xx þ S yy ZÞ S S xx . tan a ¼ S xy
ð1bÞ
Gl. (1a) ist dabei die Definition der Vergenzmatrix bei gegebenen SZA-Werten (hier, S, Z und a), Gl. (1b) die Ru¨cktransformation. Bildet man nach Gl. (4d) die Vergenzmatrix SSK der Wellenfront an der Scheitelpunktkugel, so ist fu¨r eine punktuelle Abbildung zu fordern, dass SSK mit der Vergenzmatrix SREF der Refraktion identisch ist, die nach Gl. (1a) aus den SZA-Werten der Refraktion zu bilden ist. Ist die Abbildung nicht punktuell, dann ist die Differenzmatrix SD ¼ SSKSREF von Null verschieden, und nach Gl. (1b) ko¨nnen SD dann SZA-Werte (analog SD, ZD und aD) zugeordnet werden, die fu¨r das Refraktionsdefizit stehen. Da die Unscha¨rfe bei endlichem SD nur von SD und ZD abha¨ngt, nicht aber von aD, fu¨hren wir eine Optimierung nur nach SD und ZD durch (die Achslagen der Wellenfront und der Refraktion gehen aber sehr wohl beide ein! Man beachte, dass falls SD ¼ 0 und ZD ¼ 0 ist, gleichzeitig folgt, dass SSK ¼ SREF, ZSK ¼ ZREF und aSK ¼ aREF ist). Es hat sich fu¨r die Stabilita¨t der Optimierung als praktisch erwiesen, endliche Werte SD,Soll und ZD,Soll von SD und ZD bereits per Zieldefinition zuzulassen (die sog. Sollvorgaben), so dass die Optimierung auf die Minimierung folgender (monokularer) Zielfunktion gerichtet ist: F mono ¼
X
gZ ðiÞðZ D ðiÞ Z D;Soll ðiÞÞ2 þ gS ðiÞðS D ðiÞ S D;Soll ðiÞÞ2
i
(2) Dabei la¨uft die Summe u¨ber die mehr als 10000 Bewertungsstellen, wobei gz(i) und gs(i) lokale Gewichte sind. Diese und auch die Sollvorgaben sind unter Beru¨cksichtigung der Erfahrung gewa¨hlt, die aus Trageversuchen u¨ber die physiologische Vertra¨glichkeit gewonnen wurden. Die Berechnung der Vergenzmatrix S aus den Glasfla¨chendaten, insbesondere ihre Abha¨ngigkeit von der Verkippung, ist im Folgenden dargestellt. Die exakte Wellenfrontdurchrechnung Bei der Berechnung von SREF wird die physiologisch begru¨ndete Listing’sche Regel zugrunde gelegt (fu¨r ausfu¨hrliche Darstellung s.[7]). Die Berechnung von SSK hingegen erfolgt durch wave-tracing. Dazu wird die Wellenfrontdurchrechnung, die im Gaußschen spha¨rischen
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Fall durch S 01 ¼ S 1 þ D1
(3a)
S 01 1 dnS 01
(3b)
S 02 ¼ S 2 þ D2
(3c)
S2 ¼
S SK ¼
S 02 1 ðe rSK ÞS 02
(3d)
gegeben ist (Di sind die Fla¨chenbrechwerte, Si ; S01 die Vergenzen vor bzw. nach der Brechung, rSK der Radius der Scheitelpunktkugel), auf den beliebig schiefwinkligen Fall verallgemeinert: C01 S01 C01 ¼ C1 S1 C1 þ n1 D1 S2 ¼ R1 12
S01 R12 1 dnS01
C02 S02 C02 ¼ C2 S2 C2 þ n2 D2 SSK ¼ R1 2
S02 R2 1 ðe rSK ÞS02
(4a) (4b) (4c) (4d)
Dabei sind die Di die Fla¨chenbrechwertmatrizen analog zu Gl. (1a), Si ; S0i sind die Vergenzmatrizen vor und nach ! cos ci sin ci der Brechung, und Ri Rðci Þ ¼ sin ci cos ci
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S 1 þ F ist, wobei F ¼ D1+D2 die Brechkraft ist. Fu¨r eine spha¨rozylindrische Kombination und schiefen Einfall lassen sich die Gln. (4a–c) auf analoge Weise zusammenfassen, d.h. wir erhalten dann in Matrixform S02 ¼ S1 þ Fkorr ; wobei nun Fkorr ¼ T(j1)FT(j1) die fu¨r die Schiefstellung korrigierte Brechwertmatrix ist, die die unverkippte Brechwertmatrix F ¼ F1+F2 in Abha¨ngigkeit vom Verkippungswinkel j1 modifiziert. Die Korrekturmatrix ist dapffiffiffiffiffi bei durch Tðj1 Þ ¼ n1 C1 1 gegeben. Verwandte Resultate werden in der Literatur diskutiert: Na¨herungsausdru¨cke fu¨r die Brechkraft zentrierter und seitlich schiefgestellter du¨nner Linsen (d-0) wurden erstmals von Keating [10] eingefu¨hrt. Diese wurden dann spa¨ter von Keating [11], Blendowske [3], [5] und Harris [8] verfeinert und sogar auf den kombinierten Fall von schiefgestellten Gla¨sern mit Vorneigung verallgemeinert. Alle Varianten dieser Na¨herungsformeln fu¨hren auf den Ausdruck Fkorr ¼ T(j1)FT(j1), nur dass je nach Bezugssystem die Matrix T(j1) verschieden angegeben wird (der Faktor n1 2wird dabei oft wiederum durch den Ausdruck h ¼ 1 þ sin2nj1 gena¨hert, was einer Potenzreihenentwicklung von n1 nach j1 entspricht, siehe z.B. Gl. (21.84) in [5]). Man sieht an der Gestalt von T(j1), dass die verkippungskorrigierte Brechkraft Fkorr gegenu¨ber der unverkippten Brechkraft F immer zunimmt.
chend den Coddington-Gleichungen– durch die Korrekn cos j01 cos j1 cos j02 n cos j2 turfaktoren n1 ¼ , n2 ¼ exakt n1 1n beru¨cksichtigt. Dabei sind ji ; j0i die Ein- und Ausfallwinkel an der i-ten Fla¨che. Es muss betont werden, dass die durch Gl. (4) beschriebene Wellenfrontdurchrechnung exakt ist, und zwar auch bei jedem noch so schief gestellten oder gewo¨lbten Glas.
Aussagekraft der Na¨herung du¨nner Linsen fu¨r den Fall dicker Linsen Aus den Aussagen des obigen Abschnittes lassen sich fu¨r dicke Linsen zwar qualitative Schlu¨sse ziehen, jedoch sind sie dann nicht mehr exakt. Erstens ist die Brechkraft dann dickenabha¨ngig und fu¨r unverkippte Gla¨ser durch F ¼ F1 þ F2 dnF2 F1 statt durch F ¼ F1+F2 gegeben. Zweitens ist fu¨r die Brechkraft einer dicken verkippten Linse bis heute kein exakter Ausdruck hergeleitet worden. Drittens ist bei dicken Linsen die Brechkraft allein gar nicht maßgeblich fu¨r die Berechnung der ausfallenden Wellenfront S02 , sondern ebenso die optische Dicke, die Winkelvergro¨ßerung und der Abbildungsmaßstab, so dass eine Betrachtung allein der Brechkraft verkippter Linsen nicht ausreichend wa¨re. Dies ist jedoch auch gar nicht erforderlich. Denn man kann mit Hilfe der Gln. (4a–c) die Optimierung sogar auf exakten Wellenfrontberechnungen aufbauen. Ohnehin von keiner der Na¨herungen betroffen ist die Referenz auf die Scheitelpunktkugel.
Interpretation der Verkippung: anschauliche Na¨herung fu¨r die du¨nne Linse Um einen anschaulichen Eindruck zu bekommen, wie sich die Schiefstellung auswirkt, ist eine Na¨herung sinnvoll, die von einer du¨nnen Linse ausgeht. Fu¨r verschwindende Dicke d-0 und verschwindendes Prisma ðj1 ¼ j02 Þ lassen sich die Gln. (3a–c) so zusammenfassen, dass S02 ¼
Binokulare Anwendungen Hat man einmal mit der Matrix SD des Refraktionsdefizits ein exaktes Kriterium zur Bewertung der monokularen Abbildungseigenschaften gefunden, insbesondere von schiefgestellten Gla¨sern, so kann man durch den Vergleich der Refraktionsdefizite SD,links und SD,rechts der beiden Augen das binokulare Ungleichgewicht bestimmen,
sind Rotationsmatrizen, die auf das jeweilige System transformieren, dessen Achsen senkrecht zur bzw. in der Brechungsebene liegen. Die Gro¨ßen d und e sind nun die schiefe Dicke bzw. der Abstand zwischen Ru¨ckfla¨che und Eintrittspupille entlang des Strahls. Der schiefe Einfall, also der Hauptaspekt des vorliegenden Artikels, wird ! nun durch die !sog. Tiltmatrizen 1 0 1 0 Ci ¼ , C0i ¼ , sowie –entspre0 cos j0i 0 cos ji
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das gerade bei schiefgestellten Gla¨sern zu drastischen Beeintra¨chtigungen fu¨hren kann. Bildet man die Matrix DSD,linksSD,rechts des spha¨rischen Refraktionsgleichgewichts, so liefern die Gln. (1b) daraus das skalare Refraktionunsgleichgewicht DSD und die astigmatische Differenz DZD. Weitere, sogar noch gravierendere Beeintra¨chtigungen des Binokularsehens entstehen durch prismatische Differenzen. Das kann sowohl die physiologisch kritische vertikale Prismendifferenz DPrv sein als auch die horizontale Vergenzstellung DPrh [4]. Schließlich ergeben sich auch noch Beeintra¨chtigungen des Raumsehens durch die Links-Rechts-Differenzen der Vergro¨ßerung und der Verzerrung. Die verschiedenen Vergro¨ßerungsmatrizen Nlinks und Nrechts (deren Berechnung eine vo¨llig neue Problematik betrifft, die fu¨r unverkippte Systeme z.B. in Ref. [5] und fu¨r verkippte Systeme in Ref. [1] behandelt wird) fu¨hren analog zu DSD zu einer Vergro¨ßerungs- und Verzerrungsdifferenz, die als Eigenschaften der Differenzmatrix DN ¼ NlinksNrechts ausgedru¨ckt werden ko¨nnen. Diese ist i.A. unsymmetrisch und besitzt daher einen Freiheitsgrad mehr, den wir Torsionswinkeldifferenz DcT nennen [1]). Diese ist so definiert, dass durch die Rotationsmatrix R(DcT) das Produkt R(DcT)DN symmetrisch wird und nach Gl. (1) parametrisiert werden kann. Die S und Z entsprechenden Gro¨ßen sind dann die Vergro¨ßerungsdifferenz DN und die Verzerrungsdifferenz DV. Durch Untersuchung der Gro¨ßen DSD, DZD, DPrv, DN, DV, DcT kann allgemein die binokulare Qualita¨t eines Brillenglases beurteilt werden.
Ergebnisse Vom SMS-Glas zum konventionellen Sportglas: Kompensation der Schiefstellung im Bezugspunkt Gedanklich gehen wir bei der Kompensation der Aberrationen im Bezugspunkt, die durch die Schiefstellung eines SMS-Glases entstehen, in zwei Schritten vor. Zuna¨chst werden die Aberrationen erster Ordnung und dann jene zweiter Ordnung behandelt. Effekt erster Ordnung: Prisma im Bezugspunkt. Die Schiefstellung wirkt sich auf das Prisma so aus, dass sowohl bei einem Plusglas als auch bei einem Minusglas ein (evtl. zusa¨tzliches) Prisma Basis außen entsteht (siehe Abb. 2 und Abb. 4a,b). Da die Prismen vor allen Dingen fu¨r die Qualita¨t des Binokularsehens entscheidend sind, werden wir die Auswirkungen der zusa¨tzlichen Prismen und ihre mo¨gliche Verbesserung im folgenden Abschnitt u¨ber die individuell optimierten Gla¨ser noch einmal diskutieren. Der prismatische Effekt im Bezugspunkt kann durch ein geeignet gewa¨hltes U¨berlagerungsprisma korrigiert werden (Abb. 4c).
Effekte zweiter Ordnung im Bezugspunkt. In Abbildung 3 ist schematisch dargestellt, wie ein quadratisches Objekt i.A. verzerrt oder vergro¨ßert und aufgrund von spha¨rischem Refraktionsfehler und Astigmatismus (bzw. aufgrund eines Fehlzylinders) unscharf auf der Retina abgebildet wird (dies sind die vier Aberrationen zweiter Ordnung). Auch wenn im vorliegenden Abschnitt das Verhalten im Bezugspunkt im Vordergrund steht, stellt Abbildung 4 die Verha¨ltnisse an einem beliebigen Punkt des Glases dar. Spha¨rischer Refraktionsfehler und Astigmatismus sind Aberrationen, die nicht gleichzeitig u¨berall im Glas auf Null reduziert werden ko¨nnen, welche aber so gering wie mo¨glich gehalten werden sollen. Idealerweise sind sie zumindest im Bezugspunkt Null. Im Gegensatz dazu sind Verzerrung und Vergro¨ßerung unvermeidliche Begleiterscheinungen der Korrektion, die zwangsla¨ufig nichtverschwindende Werte annehmen mu¨ssen, und fu¨r die somit das Ziel nicht die Reduktion auf Null, sondern eine mo¨glichst gleichma¨ßige Verteilung sein muss. Alle vier betrachteten Aberrationen zweiter Ordnung gibt es also prinzipiell auch beim unverkippten Glas. In Abb. 5a sind die Verla¨ufe von Astigmatismus und Brechwert eines unverkippten SMS-Glases dargestellt. Hier wie auch im Folgenden (Abbildung 5ff) wird immer das Beispiel eines Plusglases mit der Verordnung Sph ¼ +4,0 dpt, Zyl ¼ 0,0 dpt, Pr ¼ 0,0 betrachtet. Die individuellen Parameter sind HSA ¼ 13 mm, PD ¼ 66 mm, VN ¼ 01 und FSW ¼ 251 (außer FSW ¼ 01 in Abb. 5a). Das unverkippte Glas ist in der Mitte vollkorrigierend und besitzt auch in der Peripherie nur geringe refraktive Aberrationen. Durch die Schiefstellung desselben SMS-Glases wird dies aber systematisch vera¨ndert: es kommt nun ein Astigmatismus schiefer Bu¨ndel hinzu, und auch der spha¨rische Refraktionsfehler wird sich im Allgemeinen drastisch vera¨ndern (Abb. 5b). Der zentrale Astigmatismus betra¨gt 0,62 dpt, der Brechwert ist um +0.5 dpt zu hoch! Dies la¨sst sich nun im Bezugspunkt B aber dadurch exakt kompensieren, dass ein Torus mit geeigneten Werten von Spha¨re, Zylinder und Achslage einer der Fla¨chen u¨berlagert wird. Wesentlich ist, dass die Korrektur des Prismas als Aberration erster Ordnung im Bezugspunkt dadurch nicht beeintra¨chtigt wird. Die Wirkung dieser Torusu¨berlagerung auf Astigmatismus- und Brechwertverlauf, also eine Vollkorrektion im Bezugspunkt B ohne gleichzeitige Verbesserung in der Peripherie, ist in Abbildung 5c dargestellt. Binokulare Effekte in den Bezugspunkten. Neben den monokularen Aberrationen gibt es beim schiefgestellten Glas aufgrund der Asymmetrie aber auch ein deutliches binokulares Ungleichgewicht. Fu¨r die Qualita¨t des Binokularsehens ist nicht nur der Absolutwert monokularer Abbildungseigenschaften entscheidend, sondern die
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SMS-Glas
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konventionelles oder individuell optimiertes Sportglas
Objektpunkt in Unendlich
Objektpunkt in Unendlich Prisma Basis außen x u
x u
F
F pR pR astigmatische Abbildung vor der Netzhaut (a)
(c)
punktuelle Abbildung auf der Netzhaut
SMS-Glas konvergente Ausgleichbewegung wegen Prisma Basis außen
Objektpunkt in Unendlich
x u
F
pR
(b)
astigmatische Abbildung vor der Netzhaut
Abbildung 4. (a) Gebrauchsstrahlengang durch ein SMS-Glas ohne Konvergenzbewegung des Auges; (b) Gebrauchsstrahlengang durch das gleiche SMS-Glas wie in (a), aber mit ausgleichender Konvergenz des Auges; (c) Gebrauchsstrahlengang durch den Bezugspunkt eines konventionellen oder eines individuell optimierten Sportglases. Bei beiden Glaskategorien ist aufgrund des Kompensationsprismas im Bezugspunkt keine konvergente Einstellbewegung des Augenpaares mehr no¨tig, um binokular einfach zu sehen. Die Augen befinden sich dann, wenn keine prismatische Verordnung vorgegeben wurde, in Parallelstellung. Der Astigmatismus schiefer Bu¨ndel ist im Bezugspunkt fu¨r beide Glaskategorien ebenfalls kompensiert, d.h. der Objektpunkt wird scharf auf die Netzhaut abgebildet.
Differenz entsprechender Gro¨ßen zwischen linkem und rechtem Auge an korrespondierenden Durchblickspunkten [2]. Der linke und der rechte Bezugspunkt sind ein solches korrespondierendes Punktepaar. Wie im monokularen Fall auch lassen sich die binokularen Eigenschaften in solche erster Ordnung (vertikale Prismendifferenz DPrv links/rechts, Vergenzbedarf bzw. DPrh) und zweiter Ordnung (spha¨risches Refraktionsun-
gleichgewicht DSD, astigmatische Differenz DZD, Vergro¨ßerungs- und Verzerrungsdifferenz DN und DV) unterscheiden. Eine zu starke Prismendifferenz kann ebenso zu Fusionsschwierigkeiten fu¨hren wie eine zu starke Vergro¨ßerungs- oder Verzerrungsdifferenz [4], das spha¨rische Refraktionsungleichgewicht und die astigmatische Differenz dagegen verhindern, dass in beiden Augen gleichzeitig scharf abgebildet wird. Wie sich zeigt,
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Abbildung 5. Verteilung von Astigmatismus (oben) und Brechkraft (unten) fu¨r (a) unverkipptes Scheitelmessstellungsglas (SMS)Glas, (b) verkipptes SMS-Glas, (c) konventionelles Sportglas, (d) individuell optimiertes Sportglas. Alle Gla¨ser haben die Verordnung Sph ¼ +4,0 dpt, Zyl ¼ 0,0 dpt, Pr ¼ 0.0. Die individuellen Parameter sind HSA ¼ 13 mm, PD ¼ 66 mm, VN ¼ 01 und FSW ¼ 251 (außer FSW ¼ 01 in Abb. 5a). Die Isolinien stellen Kurven gleicher Werte von Astigmatismus bzw. Brechkraft in dpt dar. Wa¨hrend das verkippte SMS-Glas im Bezugspunkt B einen hohen Astigmatismus von 0,62 dpt und einen Refraktionsfehler von fast 0,5 dpt besitzt, ist das konventionelle Sportglas zentral (und nur dort) vollkorrigierend. Im Gegensatz dazu erreicht das individuell optimierte Glas auch in der Peripherie nahezu wieder die Qualita¨t des unverkippten SMS-Glases.
wird das binokulare Ungleichgewicht schon mit der teilweisen Wiederherstellung der Symmetrie durch die Vollkorrektion im Bezugspunkt (Abb. 5) stark verbessert. Vom konventionellen Sportglas zum individuell optimierten Glas Die Vollkorrektion im Bezugspunkt durch die U¨berlagerung eines Torus oder eines Prismas zieht die Abbildungseigenschaften in der Peripherie eines Brillenglases noch nicht in Betracht. Eine Optimierung mit Freiformfla¨chen u¨ber alle Blickwinkel, in der die Aberrationen u¨ber das ganze Glas beru¨cksichtigt werden, fu¨hrt zu Abbildungseigenschaften, die auch u¨ber den Bezugspunkt hinaus wesentlich verbessert sind. Um die zentrale Vollkorrektion nicht wieder zu zersto¨ren, geht diese Optimierung von der Torusu¨berlagerung aus und beha¨lt die Werte in den Bezugspunkten bei. Eigenschaften erster Ordnung bei individueller Optimierung: Prisma. Da in die Optimierung Astigmatismus und Brechwert einbezogen sind (Gl. (2)) und das Prisma u¨ber die Prenticesche Regel eng mit dem Brechwertverlauf verknu¨pft ist [5], beeinflusst die Optimierung auch den Verlauf des Prismas. Die Optimierung kann so gesteuert
werden, dass das Ergebnis auch hinsichtlich der prismatischen Verteilung gu¨nstig ist. Individuelle Optimierung der Eigenschaften zweiter Ordnung. Die Optimierung von Brechwert und Astigmatismus u¨ber alle Blickwinkel gema¨ß Gl. (2) verbessert das in Abbildung 5c gezeigte Glas nun auch in der Peripherie. Diesen erneuten Fortschritt haben wir in Abbildung 5d dem konventionellen Sportglas gegenu¨bergestellt. Wie in Abbildung 5d dargestellt ist, verschwindet der Astigmatismus nach der individuellen Optimierung weitgehend (d.h. liegt unter 0,18 dpt, in weiten Teilen des Glases sogar unter 0,12 dpt). Auch die spha¨rische Brechwertverteilung wird durch die Optimierung sehr viel symmetrischer und ausgeglichener. Der Vergleich der Bildfolge Abbildung 5a bis d zeigt, dass das individuell optimierte Glas bezu¨glich des Brechwertverlaufs nahezu wieder die Qualita¨t des unverkippten SMS-Glases erreicht und bezu¨glich des Astigmatismus sogar vollsta¨ndig. Binokulare Eigenschaften bei individueller Optimierung. Auch auf die Verteilung binokularer Eigenschaften als Funktion der Blickwinkel wirkt sich die monokulare Optimierung aus. Dadurch, dass die monokularen Sollvor-
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Abbildung 6. Verteilung der astigmatischen Differenz (in dpt) zwischen den Brillengla¨sern fu¨r das rechte und linke Auge. (a) konventionelles Sportglas (b) individuell optimiertes Glas. Wa¨hrend im konventionellen Sportglas die astigmatische Differenz bereits in zentralen Bereichen Werte von 0,75 dpt und daru¨ber annimmt, liegt sie im individuell optimierten Glas praktisch u¨ber den ganzen Blickwinkelbereich unter 0,25 dpt.
Abbildung 7. Verteilung der vertikalen Prismendifferenz (in cm/ m) zwischen den Brillengla¨sern fu¨r das rechte und linke Auge. (a) konventionelles Sportglas, (b) individuell optimiertes Glas. Im individuell optimierten Glas sind die Bereiche, in denen die Prismendifferenz einen gegebenen Wert nicht u¨berschreitet (z.B. 0.5 cm/m) um etwa 20% gro¨ßer als im konventionellen Sportglas.
gaben (Gl. (2)) fu¨r die Aberrationen zweiter Ordnung sinnvollerweise symmetrisch gewa¨hlt sind, passen die beiden Gla¨ser nach der Optimierung auch außerhalb der Bezugspunkte besser zusammen als vor der Optimierung, so dass das spha¨rische Refraktionsgleichgewicht verbessert und die astigmatische Differenz verringert wird. Man erkennt (Abb. 6), dass die astigmatische Differenz durch die Optimierung u¨berall auf einen Wert unter 0,25 dpt sinkt, obwohl sie ohne Optimierung teilweise Werte von u¨ber 1,25 dpt angenommen hatte. Die prismatischen binokularen Differenzen werden durch die monokulare Optimierung zwar nicht beseitigt, jedoch spu¨rbar verbessert. Die Gebiete, in welchen die vertikale Prismendifferenz (Abb. 7) unter bestimmten Schwellenwerten liegt, werden durch die Optimierung deutlich gro¨ßer.
lita¨t wie im unverkippten Zustand. Nur die individuell optimierten Gla¨ser bleiben u¨ber die ganze Fla¨che hinweg praktisch unvera¨ndert gut, in U¨bereinstimmung mit der Darstellung von Schwarz und Zimmermann [12,13]. Allerdings ergeben sich auch hier physikalische Grenzen, die jedoch nicht durch refraktive Aberrationen, sondern durch binokulare prismatische Nebenwirkungen gesetzt sind. Die Performance – ein Maß fu¨r die Gu¨te hinsichtlich der refraktiven Aberrationen – der individuell optimierten Gla¨ser variiert u¨ber den kompletten Lieferbereich nur leicht, im Gegensatz zu den anderen diskutierten Glastypen. Eine umfassende quantitative Analyse der Performance der verschiedenen Glastypen im hochdimensionalen Raum der Verordnungen und der Parameter ist in Ref. [6] gegeben. Zur Veranschaulichung der hier diskutierten Sachverhalte existiert ein interaktives Computerprogramm (Impression Consulting), das die Leistungsfa¨higkeit individuell optimierter Gla¨ser mit jener von konventionellen Gla¨sern und SMS-Gla¨sern fu¨r gegebene individuelle Parameter vergleicht [6].
Diskussion Der in diesem Artikel exemplarisch dargestelle Vergleich unterschiedlicher Brillenglastypen la¨sst sich auf einen breiten Bereich von Verordnungen und individuellen Parametern erweitern. Stets ist das individuell optimierte Glas besser als das SMS-Glas oder das konventionelle Glas. Es zeigt sich, dass die Unterschiede umso ausgepra¨gter sind, je weiter die individuellen Parameter von den Standardwerten abweichen. Insbesondere fu¨r Sportgla¨ser mit allgemein hohem Fassungsscheibenwinkel weisen SMS-Gla¨ser auf der ganzen Fla¨che hohe Aberrationen auf, und konventionelle Gla¨ser erreichen nur in der Umgebung des Bezugspunktes eine a¨hnlich gute Qua-
Zusammenfassung Fu¨r Sportbrillengla¨ser ist aus ergonomischen und physiologischen Gru¨nden eine große gemuschelte und insbesondere schiefgestellte Form von Vorteil. Die Abbildungseigenschaften von Gla¨sern werden aber durch diese seitliche Verkippung stark beeinflusst. Zur Diskussion dieser Auswirkungen wurden drei Kategorien von Gla¨sern betrachtet. Der einfachste Ansatz ist, Scheitelmessstellungsgla¨ser (SMS-Gla¨ser) verkippt vor dem
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Auge anzubringen. Diese besitzen dann aufgrund der Schiefstellung erhebliche Abbildungsfehler, z.B. den Astigmatismus schiefer Bu¨ndel. Die zweite Kategorie sind konventionelle Sportgla¨ser, die eine deutliche Verbesserung darstellen, indem im Bezugspunkt alle prismatischen Aberrationen und Refraktionsfehler aufgrund der Schiefstellung durch geeignete Prismen/Torusu¨berlagerung kompensiert werden. Die individuelle Online-Optimierung ermo¨glicht es, die Abbildungsfehler fu¨r alle Blickwinkel gering zu halten, worin eine weitere Verbesserung gegenu¨ber der Bezugspunktkorrektur besteht. Dieses ma¨chtige Berechnungsverfahren benutzt einen Freiformfla¨chenansatz und beru¨cksichtigt wa¨hrend der Berechnung außer der Verordnung auch alle sog. individuellen Parameter, die die Position und die Ausrichtung der Gla¨ser vor den Augen beschreiben, darunter insbesondere den Fassungsscheibenwinkel (FSW), der ein Maß fu¨r die Schiefstellung darstellt. Individuell optimierte Gla¨ser werden im vorliegenden Artikel als dritte Kategorie betrachtet, und die dargestellten Ergebnisse fu¨r die Verteilung verschiedener Abbildungseigenschaften (z.B. Astigmatismus, Brechwert, Verzerrung) zeigen die U¨berlegenheit gegenu¨ber den beiden anderen Glaskategorien. Eine umfassendere Untersuchung u¨ber den Einfluss aller relevanten Gro¨ßen hat ergeben, dass in die Qualita¨tsabstufung vom SMS-Glas zum individuell optimierten Glas der FSW als besonders ausschlaggebender Parameter eingeht [6], so dass gerade fu¨r die Entwicklung von Sportgla¨sern die individuelle Optimierung einen Durchbruch darstellt.
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