Carl Gustav Jung (1794–1864)

Carl Gustav Jung (1794–1864)

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Carl Gustav Jung (1794 -1864) Dieter Sasse und Hugo Kurz Anato misches Institut der Universitat Basel, Pestalozzistral3e 20, CH-4056 Basel, Schweiz

Sagen Sie ihm, dafi er f ur die Traume seiner Jugend soil A chtung tragen, wenn er ein Mann sein wird. Schiller; Don Carlos

Am 7. September 1994 jahrt sich zum 200. Male der Geburtstag des Anatomen Carl Gustav lung. Es ist nicht so sehr sein eher bescheiden zu nennendes wissenschaftliches Werk oder die Begrundung einer bedeutenden Schule, welche die Erinnerung an ihn rechtfertigen, sondern es sind zwei bis in die heutige Zeit fortdauernde Leistungen, die Veranlassung geben, seiner zu gedenken : die Rettung und Reorganisation der altesten Medizinischen Fakultat der Schweiz und die Grundung des Anatomischen Mu seum s Basel, eine der ersten Einrichtungen zur Popularisierung der Wissenschaft. Wer war dieser Dr. C. G. lung, der von deutschen Staaten verfolgt und ausgewiesen wurde, der andererseits aber auch tiber Empfehlungsschreiben von Alexander von Humboldt, dem Pariser Anatomen Gilbert Breschet, dem Heidelberger Chemiker Leopold Gmel in und dem Heidelberger Gynakologen Franz Karl Naegele verfugte und im Jahr 1822 in Basel erschien? Der Aufsichtsbehorde tiber die Universitat Basel, der Kuratel , war offenbar nicht ganz wohl, diesen "nobody" an die Medizinische Fakultat zu berufen, und so wurde der bisherige Amtsinhaber Professor Johann Rudolf Burckhardt beauftragt, lungs Kurse und Vorlesun gen zu besuchen, urn .vor allem die Kenntnisse und Lehrart des Herrn Dr. lung vollstandig und richtig wtirdigen zu konnen", Es scheint, daB lung diese Probezeit erfolgreich absolvierte, denn noch im gleichen Jahr wurd e er als Profe ssor fur Chirurgie, Anatomie und Entbindungskunst gewahlt. So ehrenvoll diese Berufung auch erscheinen mag, aber sie erfolgte an eine Fakultat, die sich durch die Napoleoni schen Kriege und aus Mangel an Interesse bei der Btirgerschaft in einem Korresponden z an: D. Sasse

Ann Anat (1994) 176: 385-388 Gustav Fischer Verlag lena

desolaten Zustand befand. So besagen Quellen , daB im Wintersemester 1819 nur noch ein einziger Medizinstudent immatrikuliert gewesen war, hinzu kamen einige "studiosi chirurgiae", also eigentlich Barbiergesellen. lung entfaltete unmittelbar nach seinem Amtsantritt eine rege Tat igkeit. Schon im Oktober 1822 gelangte er mit einem " Entwur f zur Errichtung einer theoretisch medizinisch-chirurgischen Lehranstalt" an die Kuratel, in dem er klare Zustandigkeiten der Professoren zu ihren Fachrichtungen empfahl und die Lehraufgaben definierte. Im folgenden Jahr kursierte dann in der Btirgerschaft eine Schrift: "Konnen in Basel die nothigsten Htilfsanstalten zur Forderung medizinischer Studien gegrundet werden?" Der Verfasser gab sich als Laie aus, aber bereits His (1885) fand hera us, daB dieser Laie offensichtlich detaillierte Kenntnisse von den Verhaltnissen in Heidelberg, Halle und lena hatte, und daB sich nur lung hinte r diesem Anonymus verbergen konnte. Indem lung auf solche Weise die offentliche Meinung fur eine Reform der Medizinischen Fakultat zu gewinnen suchte, wand te er sich gleichzeitig auch mit konkreten Vorstellungen an die vorgesetzten Behord en, Er wies in dem alten Universi tatsgebaude, in dem sich noch aus Bauhins Zeiten (1589) das Theatrum anatomicum befand und das tiber weitere, inzwischen heruntergekommene Raumlichkeiten verfugte, Moglichkeiten fur bauliche Verbesserungen und Erweiterungen nach und erreichte schlieBlich eine Erweiterung des H6rsaals, die Einrichtung eines Prapariersaals und den Ausbau weiterer Arbeitszimmer. Von Anfang an gab lung mit groBern personlichern Einsatz nicht nur Vorlesungen in Anatomie, die er zunehmend als sein eigentliches Fach betrachtete, sondern auch in Chirurgie, Augen- und Ohrenheilkunde, Geburtshilfe, Gerichtlicher Medizin, Geschichte der Medi-

zin und Toxikologie. Sein "enormes Talent als Lehrer zog bald Schiiler herbei, und diejenigen Basler Sohne, die sich dem medicinischen Studium widmen wollten, zogen es vor, in Basel ihre ersten Studien zu machen. So hatte er bald einen Kreis von 8 - 10 Zuhorern, die alle mit Liebe und grosser Verehrung an ihm hingen, und denen er auch mit Liebe zugethan war". Nach zehn Jahren waren es 30 Studenten, die die Vorlesungen Jungs horten und seine Vortrage als "klar, lebendig und geistreich" beschrieben. Neben seinem Einsatz fur die Reform der Fakultat und fur die Ausbildung seiner Studenten war es Jung ein aulierst wichtiges Anliegen, ein anatomisches "Kabinett" zu errichten. Zwar hatte Jung bei seiner Berufung in Basel alte Skelettpraparate von Vesal und Platter vorgefunden, aber im iibrigen waren die Trocken- und Weingeistpraparate unbrauchbar. 1m Jahre 1824 wurden Mittel bewilligt, die den Aufbau einer anatomischen Sammlung ermoglichten, und ein Jahr spater konnte Jung in seinem Jahresbericht vermerken, daB diese bereits 300 Praparate aufwiese. Die standig wachsende Sammlung, ab 1824 .Anatomisches Museum" genannt, wurde an Sonntagen dem Publikum zur Besichtigung freigegeben, und der Erfolg war so groB, daB in einem spateren Jahresbericht zu lesen ist, daB "nur mit Muhe die Schaulustigen wahrend der Zeit, in der die Anstalt geschlossen war, zuriickgehalten werden konnten". Es stellt sich die Frage, wie es denn moglich war, daB ein bisher unbekannter und zunachst nur mit groller Zuruckhaltung eingestellter Doktor der Medizin eine soleh umfangreiche und zielgerichtete Tatigkeit entfalten konnte, daB ein junger Mann von zunachst 28 Jahren sieh derartig rasch und offenbar nahtlos in eine gewachsene, traditionsreiehe Stadtdemokratie einzufugen vermochte, wo er die Biirger ebenso fur sich zu gewinnen wuBte wie die Studenten, daB er iiber Konzepte der Universitatsreform ebenso verfugte wie uber konkrete Vorstellungen von der notwendigen Offentlichkeitsarbeit eines Wissenschaftlers. Betrachten wir aber die der Berufung nach Basel vorangegangenen Jugendjahre des Neuberufenen, so wird deutlich, daB das Jungsche Verhalten nieht nur als eine geschiekte Anpassung an die neuen Verhaltnisse erklart werden kann, sondern daB hier ein Mann seine Vorstellungen verwirklichte, dessen Jugend von einer turbulenten Umbruchszeit gepragt worden war, die wenig mit der heute so nachempfundenen Behaglichkeit der Biedermeierzeit zu tun hatte. Carl Gustav Jung war am 7. September 1794 in Mannheim als Sohn des Hofrates Franz Jung, Doktor der Medizin, und dessen Ehefrau, der geborenen Josepha Ziegler geboren worden. Nach dem Besuch des ortlichen Lyceums bezog er 1812 die Universitat Heidelberg und immatrikulierte sich zunachst fur Staatswissenschaften, dann aber fur Medizin. Trotz der Napoleonischen Kriegswirren bestand er nach nur 3 Jahren das medizinische Doktorexamen schriftlich und miindlich mit der Gesamtnote "summa cum laude". AnschlieBend ging Jung als Assistent der Chirurgie nach Berlin und erhielt dort einen Lehrauftrag fur Chemie an der koniglich-preullischen Militarakademie, AIle diese Daten lassen auf einen pflichtbewuBten eifrigen Studenten schlieBen, der in kurzer Zeit sein Studium absol-

Abb. 1. C. G. lung im Alter von 27 lahren. Zeichnung von E. Fries (1821) (Privatbesitz)

vierte und danach seinen Beruf ergriff. Aber eine solehe Auffassung wurde nur einem Teil der Entwicklung Jungs gerecht. Jung war schon in Heidelberg von der aufkommenden Freiheitsbewegung erfaBt worden; eine Zeiehnung aus dem Jahre 1816 von Karl Philipp Fohr, dem romantischen Maler und spateren Nazarener, zeigt ihn in "altdeutscher Tracht" zusammen mit weiteren Kommilitonen, unter anderem mit Karl Follen, dessen blutriinstige Lieder nieht zuletzt dessen Ausweisung aus Deutschland bewirkten. Von solehem revolutionaren, antifeudalistischen Gedankengut durchdrungen, trat Jung der Burschenschaft bei und nahm am 18. Oktober 1817 an der Wartburgfeier teil. In Berlin und Jena knupfte er weitere Verbindungen. Unter dem EinfluB Schleiermachers konvertierte er vom katholischen zum evangelischen Glauben. In dieser Phase seines Lebens, so durfen wir vermuten, entwiekelte Jung sein Gefuhl fur burgerliche Freiheiten, fur Demokratie und Nahe zum Yolk. Zu gleicher Zeit hatte Wilhelm von Humboldt das universitare Konzept der Einheit von Forschung und Lehre entwiekelt, unter seiner maBgeblichen Leitung wurde 1810 die Universitat in Berlin gegrundet, dazu ausersehen, den physischen Verlust PreuBens durch geistige Krafte zu ersetzen. Keine Universitat Deutschlands hat spater wieder eine starkere Ausstrahlung und Anziehungskraft gehabt. Er gewann fur diese Neugrundung Personlichkeiten wie Schleiermacher, Wolf, Fichte, de Wette, A. Bockh, Savigny, Niebuhr, Thaer, Reil, Hufeland, Marheineke. Zu diesem allgemeinen

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Klima geistiger Aufgeschlossenheit trug auch Alexander von Humboldt wesentlich bei. Dieser veroffentlichte seine naturwissenschaftlichen Studien nicht nur in Fachkreisen , sondern er wandte sich an ein breitgefachertes Publikum, das zu seinen Vortragen stromte, So schreibt Fanny Mendelssohn, die Schwester Felix Mendelssohn-Bartholdys, in einem Brief: "daB Alexander von Humboldt ein Kollegium an der Universitat liest, ist Ihnen vielleicht bekannt. Wissen Sie aber auch, dass er auf Hochstes Begehren einen zweiten Kursus im Saal der Singakademie begonnen hat , an dem alles teilnimmt, was nur einigermaBen auf Bildung und Mode Anspruch macht?" .. . "es ist herrlich, daB in unseren Tagen uns die Mittel geboten werden, auch einmal ein gescheites Wort zu horen ...". Man darf vermuten, daB es dieses geistige Umfeld in Berlin war, diese freie Kommunikation von Wissenschaft und Offentlichkeit, die sich lung einpragten und die er als Vorbild nahm, urn sie in spateren Jahren in Basel umzusetzen. Zunachst aber geriet lung in den Strudel der Restauration. Der Burschenschafter Carl Sand hatte den beriihmten Schriftsteller August von Kotzebue erdolcht, der den Freiheitlichen als die Inkarnation leichtfertiger Sittenlosigkeit galt. Sand wurde 1820 hingerichtet, und Metternich nutzte das Attentat als einen willkommenen AnlaB, die Karlsbader Beschliisse herbeizufiihren, nach denen alle freiheitlichen Regungen verboten wurden. Eine Verhaftungswelle durchlief ganz Deutschland, und auch lung wurde verhaftet und 13 Monate unter elenden Bedingungen eingekerkert. Viel spater erst folgte die Begrundung: " er habe ein aufriihrerisches Lied verbreitet". 1m August des Jahres 1820 wurde Jung aus der Haft entlassen und aus den preuBischen Hoheitsgebieten ausgewiesen. Mit einem AuslandspaB reiste er nach Pari s, wo er sich bei den beriihmten Medizinern, dem Chirurgen Guillaume Baron Dupuytren sowie bei dem Anatomen Gilbert Breschet, weiterbildete. So verkniipfte lung die beiden intellektuellen Brennpunkte seiner Zeit, da - wie A. v. Humboldt schreibt - "es in der damaligen Welt keine groliartigere Philosophie als den transzendentalen deutschen Idealismus ... gab und keinc exaktere Naturwissenschaft als diejenige, die damals im Jardin des Plantes und seinen hervorragenden Forschung sinstituten in Paris betrieben wurde' '. In Paris begegnete lung auch Alexander von Humboldt personlich, ihm hat er es schlieBlich zu verdanken , daB er die Chance einer Berufung nach Basel erhielt und dann auch diese Position gewann. Jetzt wird vielleicht verstandlich, warum sich Jung sehr schnell in das demokratische Gefuge seiner neuen Wahlheimat einfugte, daB er sich vorbereitet fand , dem Vorbild der Berliner Universitat folgend , die Medizinische Fakultat Basel zu reformieren und wieder attraktiv zu machen, und daB er schlieBlich mit der Griindung des Anatomischen Museums ein Ideal verwirklichte, urn Wissenschaft und Offent lichkeit einander zuzufiihren. Glanzvoll wiirde man die weitere Laufbahn lungs nennen konnen , wenn er nicht so viel personliches Leid hatte erfahren mussen: lung war dreimal verheiratet; alle drei Ehefrauen starben vor ihm; von seinen insgesamt 13 Kindem starben

allein 7 an der Schwindsucht. Aus seiner dritten Ehe mit der Basler Biirgermeisterstochter Sophie Frey stammt der Sohn Ernst; dieser wurde der Vater des bis heute beriihmten Psychiaters, der wie sein GroBvater C. G. lung hiell,

Abb. 2. C. G. lung zur Zeit seines Rektorat s. 01 au f Leinwand von Belz (1848) (Aula Naturhist. Museum, Basel)

Trotz aller Schicksalsschlage war lung unermiidlich tatig, als praktizierender Arzt, als Hochschullehrer, er war 11 mal Dekan der Medizinischen Fakultat. In seiner Rede als Rektor der Universitat 1848 geht lung noch einmal auf sein Anliegen ein, Wissenschaft und Gesellschaft in ihrer gegenseitigen Abhangigkeit zu begreifen: "Wenn in Freistaaten wissenschaftliche Anstalten errichtet werden, so ist wohl darauf zu achten, dass diesen, so oft als nur immer moglich, Gelegenhcit verschafft werde, offentlich Beweise ihres Wirkens und Strebens abzulegen. Wo diese Grundbedingungen fur das Bestehen von wissenschaftlichen Anstalten mangelt, da zerfallen diese entweder nach kurzer Dauer, vergebens durch wenige gehalten, wieder ins Nichts, oder sie verlieren doch da s meiste von ihrer ursprunglichcn Bedeutung. Weder Leben noch Lebenskrafte durfen solche Anstalten einzelnen allein zu danken haben; sie konnen nur durch den Gesamtwillen eines Burgertums geschaffen werden, und finden in der offentlichen Meinung allein nur die unerschiitterliche Grundlage fur ihr Fortbestehen. Wohl haben daher diejenigen, die wissenschaftlichen Anstalten vorstehen, nicht allein sich zu bernuhen, daB auf das punktlichste den Forderungen

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gewisser Gesetze entsprochen werde, sondern es ist auch eine Pflicht, keine Gelegenheit unbenutzt voruber gehen zu lassen, wo sie versuchen konnen, eine Burgerschaft noch genauer mit dem Wesen ihrer Anstalten bekannt zu machen". Ganz in diesem Sinne hat Jung auch noch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt das Privileg erbeten, das Anatomische Museum unter seiner Obhut behalten zu durfen. Jung starb am 12. Juni 1864. Entsprechend altern akade-

mischem Brauch verabschiedete sich die studentische Jugend von ihrem verehrten Lehrer mit einem Trauerfackelzug; nach den Reden senkten sich Fackeln und Fahnen unter den Klangen des vertrauten Liedes: "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus",

Accepted February 21, 1994

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