Das Zusammenwirken Angeborener und Erworbener Verhaltensformen bei Säugern, Dargestellt am Nestbauverhalten der Ratte

Das Zusammenwirken Angeborener und Erworbener Verhaltensformen bei Säugern, Dargestellt am Nestbauverhalten der Ratte

ANGEBORENES UND ERWORBENES IM INSTINKTVERHALTEN 171 DAS Z U S A M M E N W I R K E N A N G E B O R E N E R U N D E R W O R B E N E R V E R H A L T E ...

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ANGEBORENES UND ERWORBENES IM INSTINKTVERHALTEN

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DAS Z U S A M M E N W I R K E N A N G E B O R E N E R U N D E R W O R B E N E R V E R H A L T E N S F O R M E N BEI SAUGERN, D A R G E S T E L L T NESTBAUVERHALTEN DER RATTE

AM

IRENA.US EIBL-EIBESFELDT Seewiesen/Starnberg (Deutschland)

Eine Reihe amcrikanischer Psychologen (Hebb, 3); Lehrmaan (5); Schneirla (8) habcn kiirzlich die Vorstellungen verschiedener Ethologen iiber den Begriff ,,angeboren" kritisiert. Nach ihrer Ansicht machen diese Forscher, bei der Unterscheidung von angeborenen und erworbenen Anteilen im Verhalten, eine ktinstliche Dichotomie. Hebb schreibt unter anderem ,,I strongly urge that there are not two kinds of factors determining behavior and that the term ,instinct' is completely misleading, as it implies a nervous process or mechanism which is independent of environmental factors and different from the processes into which learning enters." Sorgf~.ltige Analyse tier ontogenetischen Entwicklung des Verhaltens h~itte in einigen Ftillen ganz deutlich gezeigt, class ein sogenanntes angeborenes Verhalten letztlich doch dutch eine Art Lernprozess erworben wurde. So hat Kuo (4) die Entwicklung des Pickens beim HiihnerkiJcken genau studiert. Er sah, wie bereits beim drei Tage alten Embryo der Kopf dutch den Hcrzschlag passiv gehoben und gesenkt wird. Wenig sp~iter rut es das aktiv, und Kuo mcint die Bewegung w~re dutch den Herzschlag induziert und hicmit crworben worden. In ~ihnlicher Weise soll SchnabelOffnen und Schlucken zum Kopfnicken hiazutreten, sodass zum Zeitpunkt des SchliJpfens die Pickhandlung fertig ist. Was wir dann als scheinbar angeborenes Verhalten beobachten, ist in Wirklichkeit im Ei erworben worden. Eine andere Arbeit befasste sich rnit dem Nestbauverhalten der Ratte. Bekanntlich baut jede erwachsene Ratte ein Nest, und man folgerte aus der Tatsache, dass auch isoliert aufgezoffene Ratten das tun, dass dieses Verhalten nicht erst gelernt werden miisste, sondern angeboren sei. Riess (7) zog jedoch Ratten in Gitterk~figen auf und gab ihnen nut Pulverfutter zu fressen, sodass sic keinedei Gelegenheit batten, durch Hantieren mit festen Gegensttinden Erfahrungen zu sammeln. Als er sic dann in einen TestkS.fig setzte, yon dessert Seiten Papierstreifen herabhingen, da zeigte sich, dass die Ratten nicht in dcr Lage waren, ein Nest zu bauen. Sic verstrcuten nur ziellos die Nestmaterialstreifen auf dem K/gfigboden. Man hat aus diesen Versuchen gefolgert CLehrmann, 5), die Ratten miJssten das Nestbauen durch den Umgang mit festen Gegenstiinden ]ernen, etwa in der Art, dass eine Ratte einmal zuf~,llig Futterbrocken und dergleichen

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in ihre Wohnecke schleppt, danu bcim Daraufliegen bemcrkt, dass wiirmeisolierendc Gegenst~inde wSrmen, und diesc Erfahrung verwcrtct, um sich vor Kalte zu schiitzen. Auf Grund eigener verglcichender Studien an verschiedenen Nagern, war ich jedoch mit einer Rcihe spezJfischer Nes'~baubcwegungen vcrtraut, dic bei verschiedenen Artcn in nahezu glcicher Wcise bcobachtet wcrden konmen. Bodenbewohnendc Nager graben racist einen Erdbau. Sic scharren mit den Vorderbeinen das Erdreich vor der Schnauze weg, stossen e s mit den Hinterbeinen welter nach rtickwga'ts und schieben es yon Zeit zu Zcit auch mit den Vorderbeinen stossend vor sich her aus dcm Gang. tst tier Bau mit HiKe dieser drei Bewegungen gegraben, dann triigt sic Nestmaterial ein, deponiert es am Nestplatz, forint scharrend und mit Stossbewegungen der Vorderbeine eine Nestmulde. Grobes Material spalten sic mit den Schneide~hnea der L~inge nach. So bauen Ratten und v i d e andere Nager; die Verhaltensweisen wurden an anderer Stellc ausfiihrlich beschrieben (Eibl-Eibesfeldt, 1957). Ferner hatte ich die Erfahrung gemacht, dass Nager nur in vertrautcr Umgebung ein Nest bauen und ausserdem aueh gesehiJtzte Orte zu diesem Zweck ausw~ihlen. Vielleicht war ~dso das Versagcn der Vcrsuchstiere yon Riess auf den Umstand zuriickzufiJhren, dass seine Tiere mit der Versuchssituation nieht geniigend vertraut waren. Auch schien mir dic Riess'sche Fragestellung - - ist Nestbau angeboren oder erlemt? - - zu einfach, lch iiberpriifte daher seine Ve.,'suche, wobei ich reich im cinzclncn fragte: t) Gibt es angeborene Bewegungen oder Orientierungsreaktionen, die sich im Einzeltier unabb~ingig yon Kffahrungen entwickeln? 2) Stirnmt die Annahme der Ethologen, dass Verhakensweisen, die sich beim Vergleich verwandter Arten homologisieren lassen, vom kernen unabhhngig sind? 3) Welche Ro[le schliesslich spielt das Lcrnen in der Ablindcrung oder Entwicklung der Verhaltensweisen "oder bei der Integration allfiilliger angeborener Verhaltensweisen zu einem funktionellen Ganzen? 82 Albino-Wanderratten wurden dazu im Alter yon 12 his 2l Tagen isoliert nach Art der Riess'schen Versuchstiere einzeln in G i t t e r k ~ g e n mit Puiverfutter aufgezogen. Jeder Ratte wurde der Schwanz amputiert, da Ratten mangels anderer Materialien oft ihren eigenen Schwanz eintragen. Z u m Unterschicd yon Riess testete ich die Ratten jedoch, als sic erwachsen waren, in ihrem vertrauten Wohnk~tig. Streifen yon Kreppapier wurden dazu in einer Raufe geboten. 37 dieser Ratten hatten ausser ihrem Futter- und Wasserglas keinerlci

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Einrichtungsgegenst~indc in ihrem K~ifig. Von diesen bauten 12 innerhalb der ersten Stunde, w~ihrend die iJbrigen zun~chst ziellos mit den Papierstreifen ira Maul herumlicfen. Die Durchsicht der Protokolle ergab, dass alle jene die ziellos hcrumlicfen keinen festen Schlafplatz batten, w~ihrend diejenigen, die gleich bauten, eine bestimmte Ecke zum Schlafen bevorzugten. Als ich daraufhin bci allen weiteren Versuchen eine Ecke des Versuchsktifigs durch einc senkrechte Blechplatte abteilte, bauten yon 45 Wcibchen 33 innerhalb der ersten Stunde, der Rest innerhalb yon 5 Stunden. Bei alien Tieren, die sich ftir das Nestmaterial interessierten, warden die eingangs erw~hnten Nestbaubewegungen beobaehtet. Sie holten die Slreifen aus der Raufe, deponierten sie am Nestplatz, driickten das Nestmaterial mit den Pfoten fest, scharrten eine Mulde und zerspleissten g~'obes Nestmaterial, wie Stroh, das ich in einigen F~,illen darbot. Allerdings ]iefer~ die Bewegungen in ungeordneter Folge ab. Es geschah z.B. oft, dass eine Ratte eine Nestmulde zu scharren begann, gleich nachdem sie den ersten Strcifen eingetragen hatte, was natiirlich vNiig zwecklos war. Das Nesmlaterial l~3ste eine zun~ichst noch ungeordnete Folge yon Bewegungen aus. Nut das Ergreifen yon Nestmaterial, Transportieren zum Nestort und Ablegen war yon vorneherein als Folge festgelegt. A/le Ratten bauten schliesslich ein Nest. Die Versuehe zeigen also, dass auch Ratten, die hie mit feslen Gegenstiinden hamieren konnten, ein Nest bauen kiSnt~en. Es muss nur ein Nestplatz gegeben sein, entweder dureh Selbstdressur oder dutch bestimmte Raumstrukturen, die wohl angeborene Orientierungsreaktionen ausl6sen, sonst kann die Ratte nicht gerichtet eimragen. Ein Ptmkt, den Riess wohl iibersah, als er seine Ratten in einen Testk~fig setzte. Ferner zeigte es sich, dass den Ratten fiir das Nestbauen eine Reihe von spezifischen Verhaltensweisen zur Verfiigung stehen. Nur die richtige Zeitfolge ihres Einsatzes wird durch Erfahrungen verbessert. Es handelt sich um Bewegungen, die schon auf Grund vergleichender Beobachmngen als Erbkoordinationen gedeutet wurden. Versuche mit trSchtigen Weibchen und solche, die unmittelbar nach dem Werfen getestet wurden, die abet im iibrigen auch keinerlei Gelegenheit hatten, mit GegenstSnden zu manipulieren, ergaben das gleiche Bild. Wir werden das Verhalten der unerfahrenen Ratten beim Nestbau im Filme sehen. Die Versuche haben unsere Ansicht, dass es auch bei S'augern ein angeborenes Verhalten gibt, bestarkt. D e m Einwand, man k~Jnne nie mit Sicherheit aussehliessen, dass bei der Eutwieklung der betreffenden Verhaltensweisen nicht doeh auch Lernprozesse eine Rolle spielen, es kiSnnten ja z.B. Muskelkontraktionen eingeiibt werden, wollen wit uns nleht vet-

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schliessen, nut ist das fiir unscrc t:ragcstcliung bekmglos. W i t mtissen uns vor Augen halten, dass icdes Verttalten im Dienste ciner bcstimmten F'unktion entstanden i s t Es ist auf spezifische Simationcn dcr Umwclt angepasst und dioso A n p a s s u n g katm sich, wit: L o r e n z (6) kiJrzlich betonte, in der Auscinandcrsetzurlg t i n e s Ir~dividuums tnit seincr U m w e l t , also d u t c h Lerncn, vollzogcn haben odor auch als A n p a s s u n g der A r t im Laura dep Phylogencse. Und ob die Angepasstheit einer bestitnmten Verhaltcnswcisc im L a u r a der Ontogenese odor im L a u r a der Phylogenese erworben wurde, das k,tnnen wir priifen. Hat man n~.imlich den adaptiven C h a r a k t e r einer Vcrhaltensweise e r k a n n t , dann braucht man dam T i e r nut die speziiischc I[nformation aus seiner U m w e l t , an die sein Vcrhalten angepasst ist, vorentha}ten. Zcigt es im Konlrollversueh dann dennoch jenes hoehapazilische, angepasste Verhalten, d a n n nennen wir es angeboren, unbesehadet der T a t s a c h e , dass in die G e s a m t h a n d l u n g auch Lernprozesse im weitcsten Sinne, wie etwa ()bung einzelner Muskein odor M u s k e l f a s e r n , eingegangen scin kbtmten. Die A u f z u c h t unter Erfahrungsentzug informietl uns iiber die Herkuttft yon Angepassthcitcn. Wcitcre Beispiele und Diskussion dazu S. Eibl~Eibesfeldt (2a). s.'211R1F'I-rU.M I. EtBL-EIIIESFELDT, 1., Da5 VerhMten tier Nageticre. H a n d b u c h der Z o o l o g i c 1958 10, (13), Berlin: W. de Gruyter. 2. - - - - - - , Versuche iiber den Nestbau erfahrungs}c~scr Rattan. lnstitut f. d. wiss. Film, G61tingen. Wiss. Fihr. B 757 1969. 2a.----, The interaction of unlearned behaviour patterns anal Learning in Mammals. Brain Meehanislns and Learlting (Symposium of the CIOMS), Oxford: Blackwe[L 1961. 3. HEr~, D. O., Heredity and Environment in Mammalian Behavior. Brit. J A t , ira. Behavior 1953 1, 43-47. 4. KuO, Z. Y., Otltogeny of Embryonic Behavior in Ayes. 1. expcr. Zooi. 1932 61, 395-430, a53~489. 5. LEImMASS, D. S., A Critique of Konrad Lorenz's Theory of Instinctive Behavior. Quart. Roy. BioL 1953 28, 337-363. 6. LoP.ESz, K., Phylogeneti~che Aupa~sung und adaptive Modifikation des VerhaBens. Z.fi T i e r p s y c h o l 1961, 18, 139-187. 7. RIESS, E. F., The Effect of Aitered Environment and of Age on the Motheryoung Relationships anaong Animals. A n n . N . Y . A c a d . Si. 1954 57, 606-610. 8. SC:qNEI~.LA, T. C., Interrelationships of ~be "Innate" and the "Acquired" in Instinctive Behavior. lm F P. GrassY: L'institlct darts le Cot~;porte~nent des A n i m a u x et de l ' H o m m e . Pmis, I956, 387-452