Die Bedeutung des intestinalen Mikrobioms in einer kombinierten Behandlung der Pollinosis

Die Bedeutung des intestinalen Mikrobioms in einer kombinierten Behandlung der Pollinosis

Fallbericht | Case Report A. Rubach Die Bedeutung des intestinalen Mikrobioms in einer kombinierten Behandlung der Pollinosis Significance of the in...

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Fallbericht | Case Report

A. Rubach

Die Bedeutung des intestinalen Mikrobioms in einer kombinierten Behandlung der Pollinosis Significance of the intestinal microbiom as part of a combined treatment of pollinosis Zusammenfassung

Abstract

Dieser Fall beschreibt die erfolgreiche kombinierte Behandlung einer Pollinosis am Beispiel eines Patienten, bei dem es trotz zeitweise erfolgreicher Akupunktur wiederholt zu saisonalen Rezidiven kam. Eine Ernährungstherapie zur Optimierung der intestinalen mikrobiellen Besiedelung und eine nachfolgende sechsmalige Ohr- und Körperakupunktur führte zu einer nachhaltigen Rezidivfreiheit über bisher sechs Jahre.

This case report covers the successful combined treatment of a patient suffering from pollinosis having experienced repeated seasonal recurrences in spite of a temporarily successful acupuncture therapy. Sustained absence of recurrences for up to now six years were achieved by means of a nutritional therapy intended to optimize the microbial intestinal colonization, followed by six sessions of ear- and body-acupuncture.

Schlüsselwörter

Keywords

Pollinosis, Mikrobiom, Mikroben, Körperakupunktur, Ohrakupunktur, Ernährungstherapie, Rezidivfreiheit

Pollinosis, nutritional therapy, microbiom, microbes, acupuncture, ear-acupuncture, sustained without recurrence

Patient

Untersuchung

A., G., 38 J. Rechtsanwalt; leicht übergewichtig, Erstkontakt 22. Februar 2006 Der Patient wirkt vorgealtert, Anlass seines Besuchs ist der Wunsch nach Akupunktur wegen seiner Pollinose.

Seit Wochen (Frühblüher) zeitweise, seit einer Woche zunehmend allergische Rhinitiden mit Augenbeteiligung, zum Zeitpunkt der Untersuchung unauffälliger HNO-Befund mit Ausnahme einer weißlich belegten Zunge, unauffälligen Thoraxorganen. Abdominalbefund: auffallend lebhafte nicht klingende unregelmäßige Darmgeräusche, ausgeprägter Meteorismus, kein Druckschmerz. Nerven- und Bewegungssystem unauffällig.

Vorgeschichte In der Kindheit und als Jugendlicher häufige antibiotische Behandlungen wegen wiederholter Otitiden und Tonsillitiden. Ständig nasokomiale Infekte teils über Wochen andauernd, häufig in Verbindung mit quälenden Bronchitiden. Mit 19 Jahren Tonsillektomie, danach seltener Antibiotika, die vorbestehende Infektanfälligkeit jedoch persistierend. Ansonsten bisher keine ernsteren Erkrankungen. Seit drei Jahren geplagt von einer unvermittelt aufgetretenen heftigen saisonalen (März, April) Pollinosis ohne pulmonale Beteiligung. Bisherige Therapie konventionell mit Antiallergika und einer Hyposensibilisierung sowie mehrfacher homöopathischer Behandlungsversuche.

Sozial- und Familienanamnese Seit zehn Jahren erfolgreicher Rechtsanwalt in eigener Kanzlei. Verheiratet, zwei Kinder (Zwillinge). Die letzten vier Jahre sehr belastend und kräfteraubend (beruflich und familiär). Die Zäsur vor vier Jahren nach frustranem Kinderwunsch die unerwartete Zwillingsgeburt mit begleitender Schwangerschaftsdepression der Ehefrau. Inzwischen hat sich die Familiensituation stabilisiert. Die Ernährungsgewohnheiten selbst und im familiären Umfeld entsprechen dem üblichen Standard wie regelmäßig Süßes und Weißmehlprodukte, häufig Alkoholika, viel Fleisch. Ferner keine regelmäßige Bewegung bzw. Sport, außer diverser Spaziergänge. Eltern ohne krankheitsrelevante Vorgeschichte, keine allergischen Diathesen. Dr. med. Axel Rubach Holzstr. 22 D-80469 München [email protected]

Methode/Therapie Zunächst setzte ich eine erste Akupunkturserie über acht Behandlungen an und beginne mit zwei Sitzungen/Woche. Zur Anwendung kommen die bekannten Punktkombinationen, getestet mit „Very Point“ nach Gleditsch [1]: Ohr: Innere Nase, Auge, Allergie, Interferon u. Thymus (Kolon nicht untersucht, da keine Symptomatik) Körper: Bl 2, Ex-KH 3 (Yintang), Di 4, 10–11, 20. Darunter kam es zu einer rückläufigen Symptomatik und nach vier Sitzungen zu einer Stabilisierung bei persistierender leichter Augenbeteiligung, die nach weiteren zwei Sitzungen, jedoch nur noch 1/Woche, vollends abklang. Die Beschwerdefreiheit hielt unter fünf weiteren Sitzungen (1/Woche) an. Die Behandlung wurde schließlich bei völliger Beschwerdefreiheit des Patienten Anfang Mai beendet. Im Folgejahr kam der Patient zur nahezu gleichen Zeit mit den vorgenannten Beschwerden erneut zur Behandlung. In Anbetracht seiner unvermindert fortbestehenden Infektanfälligkeit kam ich mit dem Patienten überein, parallel zur Akupunkturbehandlung über acht bis zehn Wochen eine Ernährungstherapie im Sinne einer Ernährungsumstellung zu praktizieren. Das Ziel ist die Optimierung der intestinalen Mikrobiota (Syn.: „Symbioselenkung“, „Darmsanierung“). Der Patient hatte sich zuvor auf meine Empfehlung eine Art „Pflichtlektüre“ zum Thema, einen

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Deutsche Zeitschrift für

Akupunktur

German Journal of Acupuncture & Related Techniques

Mein Therapieschema zur Optimierung der intestinalen Mikrobiota • Ernährungstraining, zu dem der Patient ein viertägiges Ernährungsprotokoll seiner bisherigen Ernährungsweise mitbringt. Die ernährungstherapeutische Vermeidungsstrategie liegt dabei auf den mengenmäßig relativ neuen Nahrungsinhalten, wie Süßem, Alkohol und dem modernen Weizen und darüber hinaus den vielfältigen Zusätzen in der industriellen Nahrungsmittelproduktion, speziell im Fleisch, Zuchtfisch u. Geflügel, wie z. B. Antibiotikaund Hormonrückstände. Die allgemeine alternative Empfehlung ist naturbelassene, nicht industriell aufbereitete Nahrung mit hohem Rohkostanteil einzunehmen, bzw. was schmeckt. • Dem folgt eine zehntägige Probe- bzw. Vorbereitungszeit, in der der Patient seine Ernährung zunächst ohne Medikation umstellt und dabei ggf. auch eine Besserung seines Allgemeinbefindens feststellt. • Die Überprüfung des Erreichten, der „artgerechten“ Optimierung der intestinalen klimatischen Verhältnisse, wird klinisch am Verschwinden des weißen Zungenbelags erkennbar, dem deutlichen Rückgang von Blähungen und auskultatorisch einer deutlichen Abnahme der lebhaften Darmgeräusche. • Es folgt – unter Beibehaltung der Ernährungsvorgaben – in Abständen von ca. zwei bis drei Wochen die Eingewöhnung gängiger Probiotika [3] und probiotischer Autolysatgemische (z. B. Eschericha coli, Enterococcus faecalis). Sie machen dabei nicht die wesentliche Bereicherung der intestinalen Mikrobiota aus, sondern sie dienen eher als „Lockvögel“, um die vielfältigeren Mikroben in der naturbelassenen Nahrung zum Bleiben zu bewegen. • Nach erfolgreichem Abschluss der Ernährungstherapie empfehle ich dem Patienten eine Orientierung an den Ernährungsgewohnheiten der Menschen in der Nachkriegszeit (1945–1955). Das heißt, Süßes, Alkohol und Weißbrot gab es meist nur sonntags (alle sieben Tage) und Fisch, Fleisch, Geflügel waren ohnehin „Bio“. • Der Konsum von Genussmitteln in einem Rhythmus von etwa sieben Tagen lässt den intestinalen Mikroben erfahrungsgemäß Zeit, sich zu regenerieren mit der Folge einer nachhaltigen Stabilisierung der intestinalen Mikrobiota.

GEO-Artikel [2], zu Gemüte geführt und die Zusammenhänge Ernährung, Mikroben, Darmschleimhaut und Immunsystem verstanden. Die Therapie folgte einem relativ festen Schema: Der therapeutische Verlauf von Herrn A.G. gestaltete sich bis Anfang Mai ähnlich wie in dem Jahr zuvor. Der Patient schloss die Ernährungsumstellung erfolgreich ab und wurde mit sechs nachfolgenden Akupunkturbehandlungen wieder beschwerde-

frei. Im darauffolgenden Frühjahr (drittes Jahr) berichtete der Patient anlässlich eines Gesundheitschecks im Juli, bisher keinerlei Beschwerden mehr gehabt zu haben. Der Patient stellte sich in der Folgezeit nur noch in großen Abständen anlässlich interkurrenter Erkrankungen vor, letztmals im Juni 2016. Die vorbeschriebene Infektanfälligkeit war nahezu zeitgleich mit dem Verschwinden der Heuschnupfensymptomatik abgeklungen.

Diskussion Das therapeutische Ergebnis bei diesem Patienten war für mich nicht ganz unerwartet, da ich in den letzten Jahrzehnten wiederholt derartige Beobachtungen gemacht habe. Es läuft jedoch nicht immer so glatt und der Weg bis zu einer Übereinkunft ist beiderseitig mühsamer und aufwändiger, als in diesem Fall geschildert. Vermutlich reagiert das Immunsystem auf einen natürlichen Stimulus, Akupunktur oder auch Homöopathie, abgestuft – je nach Fähigkeit bzw. Ausgangslage. So habe ich auch häufig die Beobachtung gemacht, dass eine homöopathische Migränebehandlung erst, oder besser nach einer „Symbioselenkung“ wirkt. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass mehr als 70 % unseres Immunsystems [4] vom direkten Zusammenspiel mit dem Darm und seinen Mikroben bestimmt wird, ist gemessen an der Halbwertszeit medizinischen Wissens schon ziemlich alt. Der Mikrobiologe und Genetiker Nobelpreisträger Yoshua Lederberg [5] hat den Zusammenhang beschrieben und den Begriff Mikrobiom in Anlehnung an das Genom geprägt. Auch die Beobachtungen naturheilkundlich geprägter Ärzte [6–8] in der Folgezeit haben bereits den Weg dahin gewiesen. Die Konsequenz daraus war und ist in der Medizin dennoch betrüblich: Ohne Aufschrei der Ärzteschaft haben nach dem Krieg Antibiotika (Abb. 1) und Nahrungsmittelzusätze den Weg in unsere Nahrung gefunden und so nachweislich zu immer mehr Störungen und Krankheiten unseres Immunsystems geführt. Die Kompensations- und Anpassungsfähigkeit unseres Organsystems wiegte uns lange in trügerischer Sicherheit, die Reparaturfähigkeit der modernen Medizin tat ihr Übriges. Irgendwie fühlte ich mich auch in der Akupunktur bei Indikationen aus dem immunologischen Formenkreis nicht mehr ganz wohl. Ich hatte das Gefühl auch nur passager zu reparieren, Symptome zu kurieren und den Ansatz der Krankheitsvermeidung außer Acht zu lassen. Selbst die

211 mg 86 % ANTIBIOTIKA setzten deutsche Mäster „pro Kilogramm behandelter Biomasse“ 2013 ein. Mehr von diesen Wirkstoffen verbrauchen in der EU nur ihre spanischen, italienischen und zyprischen Kollegen. In Dänemark kommen die Tierhalten mit 42 Milligramm aus.

Abb. 1: Fleisch und Antibiotika aus „Fluch des Fleisches“ GEO Magazin 2014, Heft 10“

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DER BAUERN UND TIERÄRZTE, die in Mastställen direkten Kontakt zu keimbelasteten Hühnern, Rindern oder Schweinen haben, tragen die entsprechenden Erreger auch selbst in sich. Gefährliche Bakterien wechseln offenbar mühelos zwischen Mensch und Tier.

3,29 € KOSTETEN DEUTSCHE BRATHÄHNCHEN, 1,4 Kilogramm, Ende August beim Discounter. Mäster, die bei solchen Preisen noch verdienen wollen, pferchen oft Zehntausende Tiere zusammen. Massentierhaltung in diesem Maßstab setzt auf Antibiotika.

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immunmodulativen Zonen am Ohr (Allergie, Interferon und Thymus) und die Stimmulation mittels „Very Point“ von Di 10–11 nach Gleditsch [9] bieten keinen primärpräventiven Ansatz, sondern ermöglichen ein halbwegs noch funktionierendes Immunsystem zu optimieren. In der chinesischen Medizin finden sich Hinweise auf Zusammenhänge, sinngemäß „wenn der Darm seinen Aufgaben nicht mehr gerecht werden kann, reagieren Haut und/oder die Lunge“. Gemeint sind allergische Reaktionen dieser Organe. Interessant ist in diesem Fall auch der mögliche Zusammenhang der anhaltenden psychischen Belastung (siehe Sozial- und Familienanamnese „Zäsur“) mit dem erstmaligen Auftreten der Heuschnupfen-Symptomatik. Das unterstreicht meine oft gemachte Erfahrung, dass das Wegbrechen des stärkenden Effektes unserer Psyche das Schwächeln des Zusammenspiels intestinaler Mikroben und Immunsystem offenlegt. Am Beispiel dieses Fallberichtes wird ersichtlich, dass wir in Anbetracht erkennbarer Grenzen einer Methode wieder neue – alte – therapeutische Wege finden und nutzen können. Das ist nun mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Besinnung auf die Ursprünge unserer regenerativen Fähigkeiten, respektive der des Immunsystems, möglich. Somit ließen sich unserer entwicklungsgeschichtlichen Prägung entsprechend, dem primärpräventiven Ansatz folgend, vornehmlich Krankheiten vermeiden, wenn dem nicht Rendite und Wachstum zuwiderliefen.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung des intestinalen Mikrobioms und eines sich anbahnenden Paradigmenwechsels in der Medizin versucht vielleicht der eine oder andere Kollege mit dem einfachen o.  g. Vorgehen zunächst einmal persönliche Erfahrungen zu sammeln, als kleinen Nebeneffekt wird er damit die durchschnittliche Erkrankungshäufigkeit und Gesamtsterblichkeit von uns Ärzten, die sich bekanntermaßen nicht von der unserer Patienten unterscheiden, positiv verändern.

Literatur 1. Gleditsch J. Akupunktur in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Stuttgart: Hippokrates 1999 2. Luczak H. Signale aus dem Reich der Mitte. GEO Das neue Bild der Erde 2000:11 3. Stange R. Probiotika und EBM – Eine Auswahl wichtiger systematischer Reviews. Ztschr f Kompl 2015;7,4:58–60 4. Goeser F. Mikrobiomforschung: Wie körpereigene Keime als „Superorgan“ agieren. Deutsches Ärzteblatt 2012;25 5. Lederberg J. Biological weapons – limiting the threat. Cambridge: MIT 1999 6. Kolb H. Kompendium der mikrobiologischen Therapie. Stuttgart: Haug 1991 7. Rusch V. Wissenschaftlich begründetes Immunmodulationskonzept. Ztschr f Erfahr 1994;9,43 8. Rusch V. Bakterien – Freunde oder Feinde? Berlin: Urania 1999 9. Gleditsch J. Mikroakupunktsysteme (MAPS). Stuttgart: Hippokrates 2002

Quellennachweis Foto Abbildung 1: Gallery Stock/GS3526192/Jan Kornstaedt; aus GEO Magazin 10/2014: „Fluch des Fleisches“

BACOPA V E R S A N D

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