Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 140 (2019) 1–13
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Qualität und Sicherheit in der Gesundheitsversorgung / Quality and Safety in Health Care
Evaluation und Beurteilung des Versorgungsprozesses von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung in Deutschland夽 Evaluation and assessment of the health care process in patients with carbon monoxide poisoning in Germany Marieke Jüttner 1 , Hella Körner-Göbel 2 , Henning Starke 1 , Sascha Enax 1 , Hendrik Eismann 1 , Volker Göbel 3 , Lars Eichhorn 4 , Björn Jüttner 1,∗ 1
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal, Institut für Notfallmedizin, Wuppertal, Deutschland 3 Berufsfeuerwehr Wuppertal, Wuppertal, Deutschland 4 Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland 2
a r t i k e l
i n f o
Artikel-Historie: Eingegangen: 25. Juni 2018 Revision eingegangen: 3. Dezember 2018 Akzeptiert: 4. Dezember 2018 Online gestellt: 28. Dezember 2018
Schlüsselwörter: Kohlenmonoxidvergiftung Hyperbare Sauerstofftherapie Kennzahlen Versorgungsqualität Routinedaten
z u s a m m e n f a s s u n g Hintergrund: Die Vergiftung mit Kohlenmonoxid gehört in Deutschland unverändert zu den häufigsten Ursachen von Unfällen durch Gase. Die Sterbefälle durch Kohlenmonoxidvergiftungen haben sich in den letzten 8 Jahren bundesweit mehr als verdoppelt. Eine nationale Stellungnahme, Empfehlung oder Leitlinie in Deutschland besteht nicht. Patienten und Methoden: In einer systematischen Literatursuche in den zugreifbaren LeitlinienDatenbanken und bibliographischen Datenbanken wurde untersucht, ob internationale Empfehlungen oder Stellungnahmen für die Versorgung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung bestehen. Weiterhin wurde der Versorgungsprozess in Deutschland vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2016 auf der Grundlage präklinischer Einsatzdaten einer prospektiven Beobachtungsstudie und den verfügbaren Sekundärdaten des Statistischen Bundesamtes beurteilt. Ergebnisse: In der Literaturrecherche konnte weltweit keine evidenz- oder konsensbasierte Leitlinie für den vollständigen Versorgungsprozess von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung gefunden werden. Aus den Kernaussagen der fünf einbezogenen Empfehlungen und Stellungnahmen für die Therapie der Kohlenmonoxidvergiftung wurden 8 Kennzahlen definiert, die vermutlich mit der (Ergebnis-) Qualität der Versorgung zusammenhängen. Die Kennzahlen sind in Präklinik, durchgeführte Diagnostik und Interventionen sowie Prozesszeiten in der Klinik gegliedert worden. Insbesondere die Kennzahl ,,start oxygen‘‘ zeigte, dass bis zu 41% der in ein Krankenhaus transportierten Patienten nicht mit Sauerstoff behandelt wurden. Insgesamt war die Datenerfassung für eine Beurteilung des Versorgungsprozesses vor allem aufgrund fehlender Zeitstempel im Versorgungsablauf nicht vollständig. Aus den vorliegenden Daten des Statistischen Bundesamtes konnte die Ergebnisqualität der Behandlung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung nicht bewertet werden. Schlussfolgerungen: Um eine standardisierte Versorgung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung in Deutschland zu erreichen, ist es dringend erforderlich, eine Leitlinie zu konsentieren und zu etablieren. Weiterhin sollte zur Qualitätssicherung der Versorgung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung eine bundesweite prospektive Datenerfassung durch die nationalen Fachgesellschaften angestrebt werden.
夽 This research did not receive any specific grant from funding agencies in the public, commercial, or not-for-profit sectors. ∗ Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Björn Jüttner, M.A., Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover, Deutschland. E-mail:
[email protected] (B. Jüttner). https://doi.org/10.1016/j.zefq.2018.12.002 1865-9217/
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Article History: Received: 25 June 2018 Received in revised form: 3 December 2018 Accepted: 4 December 2018 Available online: 28 December 2018
Keywords: carbon monoxide poisoning hyperbaric oxygen therapy key performance indicator quality of care routine data
a b s t r a c t Background: Carbon monoxide poisoning (COP) is the most common cause for poisoning by inhalation in Germany. In the past 8 years, a marked increase in the number of COP-related deaths has been registered nationwide. A national German guideline is missing. Methods: The national and international literature was screened systematically. Existing international guidelines and expert recommendations for the diagnosis and treatment of COP were compared and evaluated. Furthermore, quality of health care was analyzed by a prospective preclinical dataset of emergency rescue services and retrospective analysis of routine data from 2014 to 2016 in Germany. Results: There is not a single evidence-based guideline worldwide. We determined 8 key performance indicators based on the five recommendations available for treatment of COP. These indices were subdivided into prehospital terms, hospital facilities, and diagnostic and therapeutic measures performed; they act as indicators for quality of care. In particular, the key figure ‘‘start oxygen’’ revealed that up to 41 % of the patients had not been treated with inhaled oxygen. In summary, data capture showed considerable incompleteness that is mainly due to missing time stamps. Conclusion: In order to achieve a consistent treatment of patients with COP which meets the standard of recommended care, there is an urgent need for a consented national guideline. Another objective is to establish a nationwide prospective registry evaluating the treatment of carbon monoxide poisoning.
Einleitung Die Vergiftung mit Kohlenmonoxid gehört in Deutschland unverändert zu den häufigsten Ursachen von Unfällen durch Gase. Die Sterbefälle durch Kohlenmonoxidvergiftungen haben sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2007 bis 2015 bundesweit mehr als verdoppelt (282 –> 648 pro Jahr), siehe Tabelle 1. Im Rettungsdienst ist eine Inzidenz von Kohlenmonoxidvergiftungen von einem pro 1000 der transportierten Patienten beschrieben [1]. Für die klinische Versorgung liegen nur Sekundärdaten des Statistischen Bundesamtes für vollstationäre Patienten vor, im Jahr 2016 wurden 3.613 Fällen mit Kohlenmonoxidvergiftung dokumentiert. Eine deutlich größere Zahl von Patienten wird vermutlich ambulant versorgt. Hierzu existiert keine aktive nationale Registrierung von Kohlenmonoxidvergiftungen. Die Aufnahme von Kohlenmonoxid über die Atmung verdrängt bei einer im Vergleich zu Sauerstoff 200- bis 300-fachen Affinität die Sauerstoffmoleküle von den Bindungsstellen des Hämoglobins (Hb) in den Erythrozyten und bildet das sogenannte Carboxyhämoglobin (CO-Hb). In der Folge verringern sich die Sauerstofftransportkapazität des Blutes und die Sauerstoffabgabe in die Körpergewebe. Eine Reihe von weiteren Schädigungsmechanismen wird angenommen und diskutiert. Betroffen sind vor allem das zentrale Nervensystem und der Herzmuskel [2]. Nach Kohlenmonoxidvergiftung besteht ein erhebliches Risiko für das verzögerte Auftreten eines neurologischen Defizits mit Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses ebenso wie für Depressionen oder Psychosen [3]. Die klinischen Symptome einer akuten Kohlenmonoxidvergiftung reichen von Kopfschmerzen und Schwindel bis hin zum Orientierungsverlust, Ohnmacht, pektangionösen Beschwerden, Herzrhytmusstörungen, Lungenödem und Tod [4,5]. Patienten mit einer Schädigung des Herzmuskels durch Kohlenmonoxid haben ein erhöhtes Risiko für kardiale Erkrankungen und eine erhöhte Gesamtmortalität bis zu 7 Jahre nach der Vergiftung [6,7]. Die Therapie der Kohlenmonoxidvergiftung wird international kontrovers diskutiert. Die frühzeitige Behandlung mit 100% Sauerstoffgabe erscheint hier eindeutig und unkritisch. Die Bedeutung der Hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT - die Atmung von Sauerstoff unter einem erhöhten Umgebungsdruck in einer Druckkammer) hingegen wird uneinheitlich bewertet. Weiterhin sind die notwendige Diagnostik und der bestmögliche Versorgungsablauf nicht definiert. Eine nationale Stellungnahme, Empfehlung oder Leitlinie in Deutschland besteht nicht. Weiterhin hat eine Evaluation der
Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität bisher nicht stattgefunden. Ziel der vorliegenden Studie ist es, zuerst die international verfügbaren Therapieempfehlungen zusammenfassend darzustellen. Daraus folgend soll der Versorgungsprozesses von Patientinnen und Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung beschrieben werden. Für diesen Versorgungsablauf sollen Kennzahlen formuliert werden, die vermutlich mit der (Ergebnis-)Qualität zusammenhängen. Weiterhin soll auf der Grundlage der Daten einer prospektiven Beobachtungsstudie und der verfügbaren Sekundärdaten des Statistischen Bundesamtes dieser Versorgungsprozess qualitativ und quantitativ beurteilt werden.
Methoden Literaturrecherche Es wurde eine systematische Literaturrecherche nach existierenden Leitlinien in den zugreifbaren Leitlinien-Datenbanken der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF, http://www.awmf.org), des National Guideline Clearinghouse (NGC, https://www.guidelines.gov) und der Guidelines International Library (GIN, http://www.g-i-n.net) innerhalb der Publikationstypen ,,Leitlinie‘‘/,,Guideline‘‘ mit dem Suchbegriff ,,Kohlenmonoxid‘‘ bzw. ,,carbon monoxide‘‘ durchgeführt. Zudem wurde in den bibliographischen Datenbanken Medical Literature Analysis and Retrieval System Online (MEDLINE, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed), Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL, http://www.cochranelibrary.com), Cochrane Database of Systematic Reviews (CDSR), Database of Abstracts of Reviews of Effects (DARE) and Health Technology Assessment Database (HTA) gesucht. Die MEDLINE-Recherche umfasste nachstehenden Suchstring. (,,Guideline‘‘[Publication Type] OR ,,Practice Guideline‘‘[Publication Type] OR ,,Guideline‘‘[All Fields] OR ,,Clinical Policy‘‘[All Fields] OR ,,Recommendations‘‘[All Fields]) AND ((,,carbon monoxide poisoning‘‘[MeSH Terms]) OR (,,carbon‘‘[All Fields] AND ,,monoxide‘‘[All Fields] AND ,,intoxication‘‘[All Fields]) OR (,,carbon‘‘[All Fields] AND ,,monoxide‘‘[All Fields] AND ,,poisoning‘‘[All Fields])) In den frei zugänglichen Datenbanken der Cochrane Library wurde der Suchbegriff ,,carbon monoxide poisoning‘‘ verwendet.
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Tabelle 1 (ICD 10: T58) Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid. 2007 Absolute Fallzahl (Deutschland) Sterbefälle (Deutschland)
3.943 282
[. . .]
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
4.171 481
3.914 494
4.302 582
3.910 514
3.764 594
3.481 648
3.613 --
Krankenhausstatistik, Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern, Statistisches Bundesamt, Zweigstelle Bonn. Internet: www.gbe-bund.de [Stand: 05.06.2018].
Es wurden Studien in der Publikationssprache Englisch oder Deutsch erfasst. Bewertung der Ergebnisse Die Ergebnisses aus der Literaturrecherche wurden orientierend nach den Kriterien 31 und 32 des Deutschen Leitlinien-Bewertungsinstrumentes (DELBI) auf die Herausgeber, Methodische Qualität, angegebenen Evidenzklassen (,,Levels of Evidence‘‘) und Empfehlungsgrade (,,Grades of Recommendation‘‘) überprüft [8]. Auf dieser Grundlage wurden die Anforderungen an den Versorgungsprozess dargestellt. Weiterhin sind Kennzahlen definiert worden, anhand derer die medizinische Versorgung quantifiziert und bewertet werden kann. Einsatzdaten des Rettungsdienstes in Nordrhein-Westfalen 2014 bis 2016 In Nordrhein-Westfalen sind in Kooperation des HELIOS Universitätsklinikums Wuppertal, Institut für Notfallmedizin und der Berufsfeuerwehr Wuppertal vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2016 im Rahmen einer prospektiven Beobachtungsstudie präklinische Einsatzdaten mit einer webbasierten freiwilligen Datendokumentation anonymisiert erfasst worden. In Zusammenarbeit mit der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und nach Zustimmung der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen (Aktenzeichen: 32.15.0.1-1633/18) sowie Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten und der Ethikkommission der MHH wurden die Daten exploriert, ausgewertet und den definierten Kennzahlen gegenübergestellt. Diagnosedaten der vollstationären Patienten in Deutschland 2014 bis 2016 Für die Jahre 2014 bis 2016 wurden Diagnosedaten der vollstationären Patienten nach der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD10) für die Diagnose: ,,T58 Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid‘‘ mit der Angabe von Altersgruppe, Entlass- und Verlegungsdaten sowie der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) Kodierung: ,,8-721 Hyperbare Oxygenation (HBOT)‘‘ bei dem Statistischen Bundesamt abgefragt und ebenfalls mit den definierten Kennzahlen verglichen. Statistische Auswertung Die erfassten Daten wurden in das Tabellenkalkulationspro® ® gramm Microsoft Office Excel 2010 eingegeben oder von dem Statistischen Bundesamt in dieser Form zur Verfügung gestellt. Die anschließende statistische Auswertung erfolgte mit dem Pro® gramm SPSS Statistics 24 (Statistical Package for the Social Sciences, München). Allgemein sollte bei der Überprüfung von Verteilungen und Testentscheidungen die Nullhypothese bis zu einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% angenommen werden.
Die objektive Überprüfung des Datenmaterials auf Vorliegen einer Normalverteilung wurde für stetige Merkmale mit Hilfe des nichtparametrischen Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstests und des Shapiro-Wilk-Tests durchgeführt. Bei gegebener Normalverteilung und Varianzhomogenität wurde univariat mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse untersucht, ob sich die Parameter in den verschiedenen Gruppen signifikant voneinander unterschieden. Andernfalls wurde der für ordinalskalierte Testvariablen geeignete H-Test nach Kruskal und Wallis verwandt. Neben Häufigkeitsauszählungen wurden Zusammenhänge von zwei Variablen als bivariate Analyse untersucht. Die nominalund ordinalskalierten Variablen sind in Kreuztabellen gegenübergestellt worden. Mit dem Chi-Quadrat-Test wurde geprüft, ob sich die beobachteten Häufigkeiten signifikant von den erwarteten Häufigkeiten unterschieden. Post hoc sind unter Berücksichtigung der standardisierten Residuen diejenige Kategorien identifiziert worden, in denen einen signifikante Abweichung der beobachteten von der erwarteten Häufigkeit vorlag: Standardisierte Residuen ≥ |2,0| zeigen eine signifikante, jene ≥ |2,6| eine sehr signifikante und solche ≥ |3,3| eine höchst signifikante Abweichung an.
Ergebnisse Literaturrecherche Die systematische Literaturrecherche identifizierte insgesamt 157 Treffer, siehe Abbildung 1. Vier Autoren bewerteten die Ergebnisse unabhängig voneinander hinsichtlich ihrer Relevanz, diskutierten die Differenzen und erreichten eine Konsens. Eine evidenz- oder konsenbasierte Leitlinie für den vollständigen Versorgungsprozess konnte nicht gefunden werden. Eingeschlossen wurden fünf Therapieempfehlungen und Stellungnahmen, die mindestens im Rahmen einer Expertengruppe konsentiert worden sind. In der Tabelle 2 sind neben dem Publikationstyp die Empfehlungsinhalte, die in diesen Publikationen angegebene methodische Qualität, der angegebene Empfehlungsgrad und die nachvollziehbare Evidenzklasse aufgelistet. Das Cochrane Review [9] und die Clinical Policy des American College of Emergency Physicians [10] empfehlen keine routinemäßige HBOT bei fehlendem Überlegenheitsnachweis. Die weiteren Therapieempfehlungen sehen eine hyperbare Sauerstofftherapie zumindest bei schweren Kohlenmonoxidvergiftungen vor [11–13]. Gemeinsam ist den eingeschlossenen Empfehlungen die sofortige 100% Sauerstoffgabe.
Darstellung des Versorgungsprozesses Die Anforderungen an den Versorgungsprozess wurden entsprechend der Kernaussagen der gefundenen Empfehlungen und Stellungnahmen für die Therapie der Kohlenmonoxidvergiftung wie nachstehend zusammengefasst:
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Abbildung 1. Flussdiagramm Literatursuche
1) 100% Sauerstoffgabe bei dem Verdacht einer Kohlenmonoxidvergiftung [10,11–13]. 2) Die Diagnose der Kohlenmonoxidvergiftung erfordert entsprechende Symptome und einen erhöhten CO-Hb Wert in einer Blutgasanalyse [10]. 3) Bei schweren Brandrauchvergiftungen ist eine Kombinationsvergiftung von CO und Zyaniden in Betracht zu ziehen [14]. 4) Fortführung der 100% Sauerstoffgabe bis der Patient symptomfrei oder eine Kohlenmonoxidvergiftung nicht mehr nachweisbar ist [10,12,13]. 5) Entscheidung für eine HBOT, wenn bei einer Kohlenmonoxidvergiftung eine Bewusstseinsstörung, eine kardiale Ischämie, neurologische Defizite, eine Schwangerschaft oder sehr hohe CO-Hb Werte größer 25% bestehen [12,13]. 6) Bei Patienten mit einer schweren Kohlenmonoxidvergiftung soll ein EKG und eine Untersuchung von Biomarkern für eine kardiale Ischämie durchgeführt werden [10].
7) Wenn eine HBOT durchgeführt wird, soll diese innerhalb von 6 Stunden [10], aber in keinem Fall nach mehr als 24 Stunden beginnen [13]. 8) Die Patienten sollen 4–6 Wochen nach der Kohlenmonoxidvergiftung auf kognitive Folgeschäden untersucht werden [9]. Unter Berücksichtigung des Versorgungsablaufes wurden Parameter beschrieben und weiterhin Kennzahlen formuliert, die vermutlich mit der (Ergebnis-)Qualität der Versorgung zusammenhängen, siehe Tabelle 3. Die definierten Kennzahlen sind folgenderweise gegliedert worden, siehe Abbildung 2. – Präklinische Kennzahlen (die durch die Klinik nur bedingt beeinflussbar sind), – durchgeführte Diagnostik und Interventionen, – Prozesszeiten in der Klinik und – Outcome.
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Tabelle 2 Inhalte und Evidenzklasse der gefundenen Empfehlungen und Stellungnahmen. Titel
Publikationstyp
Empfehlungsinhalte (primärer Endpunkt)
angegebene methodische Qualität
angegebener Empfehlungsgrad
Evidenzklasse (LoE1 )
1) Buckley et al. Hyperbaric oxygen for carbon monoxide poisoning [14] 2) Mintegi et al. Pediatric cyanide poisoning by fire smoke inhalation [10] 3) Truhlar et al. Kreislaufstillstand in besonderen Situationen [11]
Systematische Übersichtsarbeit (Cochrane Review) Handlungsempfehlung einer Expertengruppe
- 100% Sauerstoff versus HBOT (Symptomfreiheit nach 4–6 Wochen) - 100% Sauerstoff
Systematische Recherche und Bewertung, strukturierte Konsensfindung Konsensfindung (informelles Verfahren)
sehr niedrig (nach GRADE Qualität der Evidenz2 ) (-)
1a
Evidenz- und konsensbasierte Leitlinie eines repräsentativen Gremiums Evidenz- und konsensbasierte Leitlinie eines repräsentativen Gremiums
- 100% Sauerstoff - HBOT bei Schwangerschaft oder kardialer Ischämie - nicht-invasive CO-Hb Messung - NBOT oder HBOT - EKG und Herzenzyme
Systematische Recherche und Bewertung, strukturierte Konsensfindung
hoch
2b
Systematische Recherche und Bewertung, strukturierte Konsensfindung
moderat
2b
Evidenz- und konsensbasierte Handlungsempfehlung einer Expertengruppe
- 100% Sauerstoff - HBOT bis zu 24 Stunden nach Exposition
Systematische Recherche und Bewertung, strukturierte Konsensfindung
(hoch)
(2-3)
4) Wolf et al. Clinical Policy: Critical Issues in the Evaluation and Management of [. . .] With Acute Carbon Monoxide Poisoning [12] 5) Mathieu et al. [. . .] recommendations for accepted and non-accepted clinical indications and practice of hyperbaric oxygen treatment [13] 1
(-)
Evidenzbewertung nach dem Oxfordschema von 2009 (Oxford Centre for Evidence-based Medicine - Levels of Evidence (March 2009): https://www.cebm.net/2009/06/ oxford-centre-evidence-based-medicine-levels-evidence-march-2009) HBOT (Hyperbare Sauerstofftherapie), NBOT (normobare Sauerstofftherapie), EKG (Elektrokardiogramm), CO (Kohlenmonoxid) 2 GRADE (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation) Qualität der Evidenz: hoch = Es ist sehr unwahrscheinlich, dass weitere Forschung das Vertrauen in den beobachteten Behandlungseffekt verändert. moderat = Weitere Forschung wird sich vermutlich erheblich auf unser Vertrauen in den beobachteten Behandlungseffekt auswirken. Möglicherweise ändert sich der Behandlungseffekt. niedrig = Weitere Forschung wird sich sehr wahrscheinlich auf unser Vertrauen in den beobachteten Behandlungseffekt auswirken. Wahrscheinlich ändert sich der Behandlungseffekt. sehr niedrig = Der beobachtete Behandlungseffekt ist mit sehr großer Unsicherheit behaftet.
Tabelle 3 Parameter des Versorgungsablaufes mit Kennzahlen der Prozessqualität.
* door to hbot time
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Tabelle 4 CO-Hb Nachweisgerät in der prospektiven Kohorte in NRW. CO-Hb Nachweisgerät Gültig
Fehlend Gesamt
AVOXimeter Rad57 BGA Andere ToxCO Gesamt System
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
449 29 17 12 2 509 42 551
81,5 5,3 3,1 2,2 ,4 92,4 7,6 100,0
88,2 5,7 3,3 2,4 ,4 100,0
88,2 93,9 97,2 99,6 100,0
Abbildung 2. Kennzahlen des Versorgungsprozesses
Bewertung des Versorgungsprozesses in Deutschland Aus den Einsatzdaten des Rettungsdienstes in NordrheinWestfalen vom 01.01.2014 bis 31.12.2016 wurden 551 Fälle von Patienten (254 weiblich, keine Schwangerschaften) mit Kohlenmonoxidvergiftung erfasst, Alter in Jahren 38,3 ± 20,0; 1/92 (Mittelwert ± Standardabweichung; Min/Max).
Bei den angegebenen Ursachen für die Vergiftung mit Kohlenmonoxid war die Exposition bei Bränden am häufigsten (322 Fälle; 58,4%), weiterhin wurden defekte Heizungsanlagen (77 Fälle; 14,0%) sowie mutmaßlich Selbsttötungsversuche durch einen Grill (76 Fälle; 13,8%) dokumentiert. Eine Kohlenmonoxidvergiftung nach Shisha-Konsum lag in 35 Fällen (6,4%) vor, siehe Abbildung 3.
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Abbildung 3. Häufigkeit und prozentualer Anteil der Ursachen der Kohlenmonoxidvergiftung in der prospektiven Kohorte in NRW
Präklinische Zeit (,,field to hospital time‘‘) In der webbasierten freiwilligen Datendokumentation wurden keine Einsatzzeiten (Zeitstempel) erfasst. Dementsprechend konnte die präklinische Versorgungszeit nicht angegeben werden. Von den insgesamt erfassten 551 Fällen wurden 290 Patienten (52,6%) nicht transportiert. Im Rahmen des Primärtransportes sind 217 Patienten (39,4%) von der Einsatzstelle in ein Krankenhaus ohne die Möglichkeit einer Hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT) und 44 Patienten (8%) in eine Klinik mit HBOT transportiert worden. Bestimmung des ersten CO-Hb Wertes Der CO-Hb Wert wurde in 475 Fällen (86,2%) zuerst an der Einsatzstelle und in 34 Fällen (6,2%) in der Klinik bestimmt. Bei 42 Fällen (7,6%) fehlte die Angabe. Präklinische Symptome Für 551 Fälle wurden präklinisch neurologische Befunde erfasst. Bei 497 Patienten wurde keine relevante Bewusstseinsstörung dokumentiert (90,2% wach, Glasgow Coma Scale GCS 13–15), bei 25 Patienten wurde ein getrübtes Bewußtsein (4,5% getrübt, GCS 8-12) beschrieben, 24 Patienten waren bewußtlos (4,4% bewußtlos, GCS ≤ 8) und fünf Patienten verstarben an der Einsatzstelle. In der Abbildung 4 ist der signifikant unterschiedliche präklinische Bewusstseinszustand der überlebenden Patienten gegenüber dem erfassten ersten CO-Hb Wert dargestellt (p < 0,001). Präklinische Symptome für eine kardiale Ischämie wurden nicht erfasst. Sauerstoffgabe (,,start oxygen‘‘) Für die Beurteilung der frühestmöglichen Atmung von 100% Sauerstoff sind alle vom Rettungsdienst transportierten Patienten eingeschlossen worden, bei denen präklinisch ein CO-Hb Wert von mehr als 5% nachgewiesen wurde. Für 219 Patienten, die in ein Krankenhaus transportiert wurden war ein CO-Hb Wert > 5% dokumentiert. Bei den 180 Patienten ohne relevante Bewusstseinsstörung (wach, GCS 13-15) ist in 73 Fällen (40,6%) keine Sauerstoffgabe erfasst worden. In einem Fall (5%) von 20 Patienten mit getrübtem Bewußtsein (getrübt, GCS 8-12) und in zwei Fällen (11,1%) von 18 bewußtlosen Patienten
(bewußtlos, GCS < 8) wurde keine Sauerstoffgabe beschrieben, siehe Abbildung 5. Bestimmung des CO-Hb Wertes in einer Blutgasanalyse Standardverfahren zum Nachweis von Carboxyhämoglobin (CO-Hb) ist neben der Gaschromatographie die Spektrophotometrie. Die Blutgasanalyse verwendet ein spektrophotometrisch messendes CO-Oximeter. Für den Nachweis von CO-Hb im Blut konnte nur für das ® AVOXimeter in einer forensischen Studie eine signifikante Korrelation (r = 0,972) mit einer Standard-DoppelwellenlängenSpektrophotometrie nachgewiesen werden [15]. ® Der nicht-invasive Nachweis von CO-Hb mit dem Gerät ToxCO ® (Bedfont Scientific Ltd., Station Road, Harrietsham, Maidstone, Kent, ME17 1JA) ist bisher nicht validiert. Eine Diagnosestel® lung der Kohlenmonoxidvergiftung mit dem Pulsoximeter Rad-57 (Masimo Corporation, 40 Parker, Irvine, CA 92618, USA) wird nicht empfohlen [10]. In 466 Fällen (BGA und AVOXimeter, 84,6%) wurde der COHb Wert valide entsprechend einer Blutgasanalyse nachgewiesen, siehe Tabelle 4. Zeit bis zu der Verlegung zu einer HBOT (,,hospital to hbot time‘‘) Die Zeit bis zu der Verlegung zu einer HBOT (,,hospital to hbot time‘‘) wurde nicht erfasst. In der Dateneingabe wurde nur unterschieden ob der Transport in ein Krankenhaus primär in eine Klinik mit der Möglichkeit für eine HBOT oder ein Sekundärtransport zu einer HBOT durchgeführt worden ist. Zeit bis zum Beginn einer HBOT (,,field to hbot time‘‘ / ,,door to hbot time‘‘) Auf der Grundlage der eingeschlossenen Empfehlungen und Stellungnahmen soll eine HBOT gegebenenfalls innerhalb von 6 Stunden (360 Minuten) [10,16], aber in keinem Fall nach mehr als 24 Stunden beginnen [13]. Insgesamt wurde bei den Patienten die primär in eine Klinik mit der Möglichkeit für eine HBOT transportiert wurden in 41 Fällen eine HBOT durchgeführt. In 8 Fällen wurde eine HBOT nach einem Sekundärtransport begonnen.
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Abbildung 4. Präklinischer Bewusstseinszustand gegenüber dem CO-Hb Wert in der prospektiven Kohorte in NRW Die Linie innerhalb der Box stellt den Median, die obere Abgrenzung die 75%-Perzentile, die untere Abgrenzung die 25%-Perzentile dar. Der Messbereich in dem ca. 95% der Daten liegen ist als vertikale T-Linie dargestellt. Die Ausreißer sind mit den Fallnummern beschriftet. Ausreißer (O) sind Werte, die nicht innerhalb der Fühler liegen. Extreme Ausreißer ( ) sind Fälle, deren Werte mehr als dreimal so groß sind wie die Höhe der Boxen.
Abbildung 5. Präklinische Sauerstoffatmung bei den vom Rettungsdienst transportierten Patienten mit einem CO-Hb Wert > 5% in der prospektiven Kohorte in NRW
Wenn ein Sekundärtransport für eine HBOT notwendig war, konnte diese nicht in jedem Fall innerhalb von 360 Minuten beginnen, siehe Tabelle 5 und Abbildung 6. Die Patienten ohne relevante Bewusstseinsstörung (wach, GCS 13-15) erhielten im Vergleich seltener eine HBOT (28 von 503 Fällen), die Patienten mit getrübtem Bewußtsein (getrübt, GCS 812) (14 von 25 Fällen) und bewußtlose Patienten (bewußtlos, GCS <8) (7 von 24 Fällen) wurden häufiger mit einer HBOT behandelt. Der mittlere CO-Hb Wert war bei den Patienten mit einer durchgeführten HBOT signifikant höher (p < 0,001), siehe Tabelle 6.
Tabelle 5 Zeit bis zum Beginn einer HBOT (,,field to hbot time‘‘) in der retrospektiven Kohorte in NRW.
Zeit bis HBOT [min]
Mittelwert
Standardfehler
Primärtransport zur HBOT
161,3
11,8
Sekundärtransport zur HBOT
388,8
99,9
Häufigkeit einer Hyperbaren Sauerstofftherapie in Deutschland Es wurden Daten der vollstationären Patienten in Deutschland vom 01.01.2014 bis 31.12.2016 des Statistischen Bundesamtes
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Abbildung 6. Vergleich von Primär- gegenüber Sekundärtransport bis zum Beginn einer HBOT in der prospektiven Kohorte in NRW Die Linie innerhalb der Box stellt den Median, die obere Abgrenzung die 75%-Perzentile, die untere Abgrenzung die 25%-Perzentile dar. Der Messbereich in dem ca. 95% der Daten liegen ist als vertikale T-Linie dargestellt. Die Ausreißer sind mit den Fallnummern beschriftet. Ausreißer (O) sind Werte, die nicht innerhalb der Fühler liegen. Tabelle 6 Deskriptive Statistik für den CO-Hb Wert gegenüber der Durchführung einer HBOT in der prospektiven Kohorte in NRW.
CO-Hb [%]
Hyperbare Sauerstofftherapie
N
Minimum
Maximum
Mittelwert
Standard-abweichung
keine HBOT mit HBOT
463 49
,0 7,0
69,0 68,0
6,574 26,708
9,6123 10,8496
ausgewertet. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 10.840 Fälle (4.553 weiblich) mit der Diagnose Kohlenmonoxidvergiftung (T58) gemäß der ,,Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme, 10. Revision German Modification‘‘ (ICD-10-GM) erfasst. In dem in der Abbildung 7 dargestellten Histogramm ist neben den eher gleichverteilten Altersgruppen von 15-60 Jahren eine vor allem rechtsschiefe Verteilung insbesondere der über 80jährigen zu sehen. Weiterhin ist eine relevante Zahl von Kindern unter 5 Jahre betroffen. Für die vollstationären Patienten wurde bei 840 Patienten (7,6%) eine HBOT gemäß dem ,,Operationen- und Prozedurenschlüssel Internationale Klassifikation der Prozeduren in der Medizin‘‘ (OPS) eine Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT, OPS 8-721) dokumentiert. Die Häufigkeitsverteilung zeigte unter der Berücksichtigung der standardisierten Residuen, dass eine HBOT bei den vollstationären Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung in Nordrhein-Westfalen signifikant häufiger durchgeführt wurde (Daten des Statistischen Bundesamtes, Deutschland ohne NRW: 6,8% gegenüber NRW: 10,3%). Der Anteil der HBOT in den Einsatzdaten der prospektiven Beobachtungsstudie in NRW (17,9%) war weiterhin signifikant höher gegenüber den Daten des Statistischen Bundesamtes, siehe Tabelle 7.
Outcome Bei den eingeschlossenen vollstationären Patienten in Deutschland mit Kohlenmonoxidvergiftung wurde die Behandlung in 8.388 Fällen (77,4%) regulär beendet, in 1.289 Fällen (11,9%) die Behandlung gegen ärztlichen Rat abgebrochen, für 740 Patienten (6,8%) ist eine Verlegung in ein anderes Krankenhaus angegeben worden und 81 Patienten (0,8%) verstarben.
Es lagen keine Angaben über stationäre Wiederaufnahmen, ambulante Nachbehandlungen, kardiologische oder neurologische Komplikationen vor.
Diskussion Die Sterbefälle nach Vergiftung mit Kohlenmonoxid haben sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2007 bis 2015 bundesweit mehr als verdoppelt. Zudem besteht neben den ca. 4.000 stationär versorgten Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung pro Jahr vermutlich eine große Zahl von nicht erkannten Fällen. Akute Kohlenmonoxidvergiftung können lebensbedrohliche Symptome wie Bewusstlosigkeit, pektangionösen Beschwerden, Lungenödem und Tod verursachen [3,4]. Obwohl das Risiko zu versterben der in ein Krankenhaus transportierten Patienten mit nur ungefähr 3% angegeben wurde, besteht dennoch nach einer Kohlenmonoxidvergiftung unter anderem die Gefahr von spät einsetzenden kognitiven Einschränkungen wie Gedächtnisstörungen, Depressionen, Ängsten, Dyskalkulien, Innenohrproblemen oder Bewegungsstörungen [17] und ein erhöhtes Risiko für kardiale Erkrankungen [6,7]. Aus der Recherche nach existierenden internationalen Empfehlungen oder Leitlinien in den einschlägigen Leitlinien- und medizinischen Literaturdatenbanken konnten nur 5 Quellen identifiziert werden, die einzelne evidenz- oder/und konsensbasierte Therapieempfehlungen enthielten. Das systematische Review von Buckley et al. erfüllte alle Ansprüche einer evidenzbasierten Bewertung der alleinigen Fragestellung, ob eine HBOT ein eingeschränktes neurologisches Outcome nach Kohlenmonoxidvergiftungen reduziert [9]. Von den weiteren eingeschlossenen Empfehlungen und Stellungnahmen waren nur für die Clinical Policy des American College of
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Abbildung 7. Verteilung der Altersgruppen der vollstationären Patienten aus den Diagnosedaten in Deutschland 2014 bis 2016
Tabelle 7 Kreuztabelle für Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung gegenüber der Durchführung einer Hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT) 2014–2016. Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung
keine HBOT
mit HBOT
Gesamt
Anzahl Erwartete Anzahl prozentuale Anteil Standardisiertes Residuum Anzahl Erwartete Anzahl prozentuale Anteil Standardisiertes Residuum Anzahl Erwartete Anzahl prozentuale Anteil
Gesamt
Deutschland (ohne NRW)
NRW (statistisches BA)
NRW (Datenerhebung)
7829 7741,3 93,2% 1,0 568 655,7 6,8% −3,4 8397 8397,0 100,0%
2191 2252,2 89,7% −1,3 252 190,8 10,3% 4,4 2443 2443,0 100,0%
216 242,5 82,1% −1,7 47 20,5 17,9% 5,8 263 263,0 100,0%
Emergency Physicians Clinical Policies Subcommittee (Writing Committee) on Carbon Monoxide Poisoning [10] und weitgehend für das Kapitel 4 Kreislaufstillstand in besonderen Situationen der Leitlinien zur Reanimation 2015 des European Resuscitation Council [12] die grundlegenden methodischen Voraussetzungen für eine Leitlinienentwicklung nachvollziehbar. Die wesentlichen Kritikpunkte für die von Mintegi et al. [11] und Mathieu et al. [13] publizierten Empfehlungen betreffen die Zusammensetzung der Autorengruppen und unvollständige Beteiligung von weiteren Interessengruppen sowie die nicht dargestellte Recherche, Auswahl und Bewertung von Literatur. Insbesondere die Empfehlungen der 10. Europäischen Konsensuskonferenz für hyperbare Medizin [13] beteiligten ausschließlich Vertreter und Anwender der Hyperbaren Sauerstofftherapie mit einem wahrscheinlichen Interessenkonflikt für diese Behandlung. Zusammenfassend findet sich derzeit weltweit keine evidenzoder konsensbasierte Therapieempfehlung für den vollständigen Versorgungsprozess von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung, die von einer repräsentativ zusammengesetzten Expertengruppe und nach den methodischen Grundsätzen für eine Leitlinienentwicklung erstellt wurde.
10236 10236,0 92,2% 867 867,0 7,8% 11103 11103,0 100,0%
Beurteilung der Kennzahlen des Versorgungsprozesses von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung in Deutschland Die in dieser Untersuchung dargestellten Kernaussagen sollten einen Zusammenhang mit der Struktur-, Prozess- oder/und Ergebnisqualität des Versorgungsprozesses repräsentieren. Für Qualitätsmessungen in der stationären Versorgung werden häufig Kennzahlen als Qualitätsindikatoren eingesetzt. Qualitätsindikatoren sollen eine Unterscheidung zwischen guter und schlechter Qualität von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen der Versorgung ermöglichen, um somit kritische Bereiche der Leistungserbringung zu identifizieren [18]. Präklinische Kennzahlen I. Präklinische Zeit (,,field to hospital time‘‘) Für lebensbedrohliche Erkrankungen im Rahmen einer Schwerverletztenversorgung, bei Patienten mit Herzinfarkt oder apoplektischen Insult ist ein bestmöglich kurzes präklinisches Intervall ein anerkannter Qualitätsindikator [19,20]. Es liegt kein evidenzbasierter Nachweis vor, dass die Versorgung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung von einer kurzen präklinischen Zeit profitiert. Auf Grund der besseren Diagnosemöglichkeiten und der vermutlich sinnvollen Behandlung von schwer
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vergifteten Patienten mit einer Hyperbaren Sauerstofftherapie in einem Krankenhaus erscheint ein kurzes präklinisches Intervall dennoch empfehlenswert. In der prospektiven Analyse der Einsatzdaten des Rettungsdienstes in Nordrhein-Westfalen war die Zeit bis zum Beginn der HBOT signifikant kürzer, wenn der Primärtransport zu einem Krankenhaus mit der Möglichkeit zur HBOT erfolgte. Eine eindeutige Empfehlung für einen Primär- gegenüber einem Sekundärtransport ist im Hinblick auf verschiedene logistische Aspekte derzeit unsicher. Der Transport des Patienten ist grundsätzlich boden- und luftgebunden möglich. Die Entscheidung richtet sich u.a. nach Entfernung und Aufnahmekapazität des HBOT-Zentrums, Patientenzustand, Verfügbarkeit und Art der Rettungsmittel. II. Bestimmung des präklinischen CO-Hb Wertes Die frühzeitige Erstdiagnose einer Kohlenmonoxidvergiftung beziehungsweise die Erstellung einer Verdachtsdiagnose ist ein entscheidender Schritt für eine ziel- und zeitgerechte Behandlung. Die Diagnosestellung sollte daher mit dem ersten medizinischen Kontakt beginnen. Grundsätzlich basiert die Diagnose der Kohlenmonoxidvergiftung auf klinischen Symptomen und einer vermuteten oder nachgewiesenen Exposition. Zudem soll der CO-Hb Wert in einer Blutgasanalyse bestimmt werden [10]. Präklinisch steht ein validiertes spektrophotometrisches Verfahren vermutlich nicht regelhaft zur Verfügung. Nach Wolf et al. [10] erscheint daher ein pulsoximetrisches Screening des Rettungsdienstes als orientierende Bestimmung des CO-Hb sinnvoll gegenüber der definitiven Diagnostik mit einer BGA. In der prospektiven Analyse der Einsatzdaten des Rettungsdienstes in Nordrhein-Westfalen wurde der CO-Hb Wert präklinisch in 86,2% der Fälle erfasst. In 84,6% der Fälle erfolgte der erste Nachweis bereits spektrophotometrisch entsprechend einer Blutgasanalyse. Dieser Anteil erscheint ausdrücklich hoch. III. 100% Sauerstoffgabe (,,start oxygen‘‘) Die Atmung von 100% Sauerstoff ist eine medizinisch allgegenwärtige einfache Therapie für alle Patienten mit vermuteter oder bestätigter Kohlenmonoxidvergiftung. Von den dokumentierten Patienten in Nordrhein-Westfalen wurden trotz der Verdachtsdiagnose einer Kohlenmonoxidvergiftung über 40% der Patienten durch den Rettungsdienst nicht mit einer Sauerstoffgabe behandelt. Diese einfach anzuwendende und nebenwirkungsarme Therapie sollte konsequent empfohlen und eingesetzt werden. Durchgeführte Diagnostik und Interventionen IV. Zeit bis zu der ersten Blutgasanalyse (,,field to bga time‘‘) V. EKG und Untersuchung von Biomarkern für eine kardiale Ischämie Die Zeit bis zu der ersten BGA, die Anfertigung eines EKGs oder die Bestimmung von Biomarkern für eine kardiale Ischämie wurden in der ausgewerteten prospektiven Kohorte in NordrheinWestfalen und den Sekundärdaten des Statistischen Bundesamtes nicht angegeben. Leider wurden in der Beobachtungsstudie weitere Vitalparameter präklinisch und klinisch nicht erfasst. Prozesszeiten in der Klinik VI. Zeit bis zu der Verlegung zu einer HBOT (,,hospital to hbot time‘‘) Die hier grundlegende Diskussion über die Evidenz der Hyperbaren Sauerstofftherapie zur Vermeidung von langfristigen neurologischen Defiziten oder Reduzierung der Sterblichkeit bei Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung wird international kontrovers geführt.
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In einer älteren randomisierten Studie konnte bei 629 akut vergifteten Patienten kein Vorteil der HBOT nach einem Monat nachgewiesen werden [21]. In einer randomisiert-kontrollierten Doppelblindstudie mit 191 Patienten zeigten sich ungeachtet des gewählten Behandlungsmusters (HBOT versus NBOT) nach einem Monat kein Unterschied [22]. Der Anteil der Patienten im Follow-up war mit 46% allerdings sehr niedrig. Annane et al. randomisierten 385 Patienten in zwei Studienarmen [23]. Eine HBOT zeigte gegenüber einer NBOT bezogen auf die Gedächtnisleistungen keinen Vorteil; es deutete sich sogar ein eher schlechteres Outcome bei wiederholter HBOT ab. Diese drei Studien schlossen Patienten mit Beginn der Therapie bis zwölf Stunden nach Exposition mit Kohlenmonoxid ein. Eine ungeblindete prospektiv-randomisiert Studie von Thom et al. berichtete nach HBOT über weniger verzögert auftretende neurologische Symptome unabhängig vom initialen Ausmaß und klinischem Bild der Vergiftung. Auch eine neurologische Testung zeigte bessere Ergebnisse für die HBOT-Gruppe nach einem Monat [24]. Weaver et al. bewerteten in einer prospektiv-randomisierten Doppelblindstudie den Langzeitverlauf nach HBOT. Es zeigte sich ein Vorteil der HBOT im kognitiven Outcome nach sechs und zwölf Monaten [25]. Einschränkend war in der Studie von Weaver et al. vorab angekündigt worden, den Zielparameter eines verzögert einsetzenden neurologischen Defizits auszuwerten; dargestellt wurde aber die Häufigkeit eines persistierenden neurologischen Defizites. Zudem wurde die Untersuchung vorzeitig bei einem Vorteil der HBOT beendet [26]. Das Review der Cochrane Collaboration von 2011 diskutiert die bisherigen randomisierten Studien kritisch. Die Autoren kamen in ihrer Metaanalyse zu dem Ergebnis, dass für die Reduzierung eines neurologischen Defizites 4 bis 6 Wochen nach akuter Kohlenmonoxidvergiftung ein Vorteil einer HBOT versus einer normobaren Sauerstoffgabe als nicht erwiesen gilt (OR: 0,78 [0,54-1,12]). Allerdings wird die Aussage durch die Heterogenität der vorliegenden Studien eingeschränkt und die Qualität der Evidenz als sehr niedrig eingestuft [9]. Eine eindeutige Empfehlung besteht nicht. Die von Trhular et al. [12] und Mathieu et al. [13] publizierten Stellungnahmen befürworten eine HBOT bei der schweren Kohlenmonoxidvergiftung. Bisher wurde in keiner prospektiven randomisierten Studie nachgewiesen, dass die HBOT zu einer Reduktion der Letalität führt. In kürzlich publizierten großen retrospektiven Kohortenstudien identifizierten Huang et al. [27] in einer nationalen Datenbank 25.737 Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung und fanden eine geringere Letalitätsrate über 4 Jahre nach HBOT. Rose et al. [28] berichtete für 1.099 Patienten älter als 18 Jahre, dass eine HBOT zu einer reduzierten akuten und 1-Jahres Letalität führte. Als Bias-Risiko dieser retrospektiven Analysen sind insbesondere die heterogenen HBOT-Therapieschemata und der bei Huang et al. fehlende Schweregrad der Intoxikation zu kritisieren. Zudem ist es möglich, dass kritisch kranke Patienten nicht für eine HBOT vorgesehen wurden. Zusammenfassend ist nach Einschätzung der Autoren die Empfehlung einer HBOT zumindest bei der schweren Kohlenmonoxidvergiftung nachvollziehbar. Die prospektive Analyse der Kohorte in Nordrhein-Westfalen zeigte gegenüber dem bundesweiten Anteil eine signifikant häufigere HBOT bei Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung. VII. Zeit bis zum Beginn einer HBOT (,,field to hbot time‘‘ / ,, door to hbot time‘‘) Die Empfehlung, eine HBOT innerhalb von 6 Stunden zu beginnen basiert auf einer ausschließlich physiologischen Betrachtung der angenommenen Halbwertzeiten des CO-Hb bei 100% Sauerstoffgabe [29]. Insgesamt besteht bis dato keine evidenzbasierte Empfehlung.
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In der hier ausgewerteten prospektiven Kohorte erschien diese Forderung erreichbar. Bei Primärtransporten in ein Krankenhaus mit der Möglichkeit für eine HBOT war die Zeit bis zum Beginn der Behandlung signifikant kürzer. Outcome VIII. Entlassung, Letalität, Nachuntersuchung Nach Hampson et al. versterben von den in einem Krankenhaus versorgten Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung nur ungefähr 3% [17]. Aus den vorliegenden Daten des Statistischen Bundesamtes ergab sich eine Letalitätsrate von 0,8%. Die Sterblichkeitsrate ist ein häufig verwendeter Ergebnisindikator. Die Sterblichkeit ist naturgemäß die medizinisch schwerwiegendste Komplikation und steht damit aus Sicht des Patienten wie des Arztes im Mittelpunkt des Interesses. Bei Krankheitsbildern mit vergleichsweise hoher Akutsterblichkeit oder bei Operationen mit hohem Risiko ist die Sterblichkeitsmessung heute ein international üblicher Qualitätsparameter. Bei vergleichsweise niedriger Sterblichkeit ist diese stärkeren Zufallseinflüssen unterworfen [30,31]. Bisher wurde in keiner prospektiven randomisierten Studie nachgewiesen, dass die HBOT zu einer Reduktion der Letalität führt. Im Hinblick auf die publizierten retrospektiven Kohortenstudien ist die Erfassung der Sterblichkeitsrate nach Kohlenmonoxidvergiftung im Verlauf vermutlich dennoch sinnvoll [27,28]. Neben der epidemiologisch unbekannten Inzidenz der Kohlenmonoxidvergiftung besteht insbesondere für Leistungserbringer und Kostenträger die grundsätzliche Frage nach der Prozessund Ergebnisqualität sowie der möglicherweise notwendigen Strukturqualität der Hyperbaren Sauerstofftherapie in Deutschland. Die bestmögliche Voraussetzung für eine Beurteilung von Versorgungsprozessen wäre eine prospektive Datenerhebung mit Zeitstempeln im Verlauf der Versorgung einschließlich der Nachbeobachtung einer repräsentativen Kohorte. Die erste Herausforderung hierbei wäre die Erfassung der Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung beispielsweise aus dem Kollektiv der Patienten in einer Zentralen Notaufnahme. Nach eindeutigen Algorithmen müssten alle Patienten mit den häufigsten Symptomen einer Kohlenmonoxidvergiftung wie nicht erklärbarer Synkope, Schwindel, Kopfschmerzen oder Übelkeit ein zumindest pulsoximetrisches CO-Hb Screening erhalten. Weiterhin wäre die Nachverfolgung der Therapie bis hin zu notwendigen Nachbehandlungen in möglicherweise unterschiedlichen Versorgungssektoren notwendig. Ein wichtiges Instrument zur wissenschaftlichen Analyse des Versorgungsgeschehens sind hier Register mit einer möglichst aktiven, standardisierten Dokumentation [32]. Ob durch zukünftige Entwicklungen im Bereich der klinischen Notfallmedizin auch Strategien zur Erfassung, Zusammenführung und Analyse von Diagnosedaten möglich werden, bleibt abzuwarten. Die Nachbeobachtung der Patienten 4 bis 6 Wochen nach einer Kohlenmonoxidvergiftung erfordert die Zusammenführung von Daten aus dem stationären und ambulanten Versorgungssektor. Im Grundsatz wurde bereits im August 2009 die sektorenübergreifende Qualitätssicherung der medizinischen Versorgung in Deutschland (G-BA) beschlossen. Durch definierte Qualitätskriterien beispielsweise auf der Basis der hier beschriebenen Kennzahlen des Versorgungsprozesses könnte die Behandlungsqualität im ambulanten und stationären Bereich überprüft und gesichert werden. Demgegenüber hat die Erfassung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung im Rahmen einer spezifischen Behandlungsform wie der Hyperbaren Sauerstofftherapie den erheblichen Nachteil eines ,,Selection Bias‘‘. Dieser selektive Fehler tritt ein, wenn die Zuteilung von Studienteilnehmern in der Interventionsgruppe
(HBOT) nicht zufällig (randomisiert) erfolgt, sondern abhängig von Merkmalen (z.B. schwere Kohlenmonoxidvergiftung) der Teilnehmer ist, die ihrerseits das Outcome bzw. hier das Therapieverfahren beeinflussen können [33]. Eine epidemiologische repräsentative Kohorte könnte auf diesem Weg nicht erfasst werden. Eine weitere Möglichkeit zur Messung medizinischer Ergebnisqualität ist die Verwendung von administrativen Routinedaten. Sowohl international als auch für Deutschland ist die grundsätzliche Darstellung und Anwendbarkeit von Qualitätsmessungen mit administrativen Routinedaten in den vergangenen Jahren nachgewiesen worden [34–36]. Die vorliegenden Daten des Statistischen Bundesamtes sind für eine Bewertung der Ergebnisqualität der Behandlung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung nicht ausreichend. Die bedeutenden Endpunkte wie Letalität im Verlauf, (neu) auftretende psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen (F00-F99 gemäß ICD-10) oder kardiale Erkrankungen werden nicht erfasst. Die grundsätzlichen Vorteile routinedatenbasierter Datenanalysen würden demnach nur für die von Krankenkassen gespeicherten Daten zutreffen. Durch Fallverknüpfung der stationären und ambulanten Versorgung der Versicherten wäre eine Analyse von Behandlungsverläufen über die Krankenhausentlassung hinaus möglich.
Schlussfolgerung Aus den Kernaussagen der gefundenen Empfehlungen und Stellungnahmen für die Therapie der Kohlenmonoxidvergiftung wurden 8 Kennzahlen definiert, die vermutlich mit der (Ergebnis-) Qualität der Versorgung zusammenhängen. Diese Kennzahlen können ein grundlegender Beitrag für die Entwicklung von Qualitätsindikatoren der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität dieses Versorgungsprozesses sein. In der Auswertung der präklinischen Kennzahlen wurden bis zu 41% der in ein Krankenhaus transportierten Patienten nicht mit Sauerstoff behandelt. Um eine standardisierte Versorgung der Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung in Deutschland zu erreichen, ist es dringend erforderlich, eine Leitlinie zu konsentieren und zu etablieren. Hier ist auf die Initiative der Sektion Hyperbarmedizin der DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) zu hoffen [37]. Weiterhin sollte zur Qualitätssicherung der Versorgung von Patienten mit Kohlenmonoxidvergiftung eine bundesweite prospektive Datenerfassung durch die nationalen Fachgesellschaften angestrebt werden.
Interessenkonflikt Lars Eichhorn und Björn Jüttner sind Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM). Björn Jüttner ist Sprecher der Sektion Hyperbarmedizin der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Hella Körner-Göbel und Björn Jüttner sind Mitglieder der Leitliniengruppe des angemeldeten Leitlinienvorhabens ‘‘S2kLeitlinie – Diagnostik und Therapie der Kohlenmonoxidvergiftung’’ [37]. Die weiteren Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Appendix A. Zusätzliche Daten Zusätzliche Daten verbunden mit diesem Artikel finden sich in der Online-Version unter: doi:10.1016/j.zefq.2018.12.002.
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