ARTICLE IN PRESS
Neurophysiol. Lab. 32 (2010) 1–27
www.elsevier.de/neulab
Grundlagen der EMG Untersuchung Electromyography Fundamentals Stefan Quasthoff Neurologische Klinik der Medizinischen Universitat ¨ Graz, Auenbruggerplatz 22, ¨ sterreich A-8036 Graz O
Zusammenfassung Die Elektromyographie (EMG) ist eine klinische Untersuchung bei der die elektrische Aktivit¨at einzelner oder Gruppen von Muskelfasern untersucht wird. Das Untersuchungsverfahren der Elektromyographie ist immer noch die Methode der klinischen Elektrophysiologie, die mit den meisten Schwierigkeiten in Bezug auf Durchfuhrung und Interpretation behaftet ist. Der derzeitige Stand der ¨ Die EMG Untersuchung erlaubt viele wichtige Elektromyographie ist immer noch vielen ein Ratsel. ¨ und nutzliche Anwendungen, sie hat jedoch auch viele Einschr¨ankungen, die verstanden, beruck¨ ¨ sichtigt und ggf. korrigiert sein mussen, damit es sich um eine wissenschaftlich basierte Disziplin ¨ und somit besser vom handelt, die weniger von der Art und Weise ihrer Anwendung abhangt ¨ jeweiligen Untersucher gebraucht als missbraucht wird. Die elektrische Aktivitat ¨ der Muskeln kann mit Oberflachenoder Nadelelektroden aufgezeichnet werden. Nadelelektroden werden in der kli¨ nischen Praxis haufiger benutzt. Mit ihnen wird die Einstichaktivitat, ¨ ¨ die Ruheaktivitat ¨ (Spontanaktivitat) at Muskelaktivierung aufgezeichnet. Themenschwerpunkte ¨ und Willkuraktivit ¨ wahrend ¨ ¨ dieses Artikels sind die Grundlagen der EMG Untersuchung und die haufigsten EMG Befunde. ¨ Schlusselw orter: Elektromyographie; Spontanaktivitut; Rekrutierung ¨ ¨ ¨ Willkurpotentiale; ¨
Summary Electromyography (EMG) is the clinical study of the electrical activity of muscle fibers individually and collectively. The technique of electromyography still remains the most difficult method in clinical neurophysiology concerning their use and interpretation. The current state of electromyography is enigmatic. EMG provides many important and useful applications, but it has many limitations which must be understood, considered and eventually removed so that the discipline is scientifically based and less reliant on the art of use and by which it is used or even abused. The electrical activity of the muscle fibres can be recorded via surface or needle electrodes, the latter being used far more commonly in the clinical setting, and is evaluated during needle insertion, during periods of rest (spontaneous activity), and during periods of voluntary muscle contraction. This topic will review the basic principles of EMG and the most common findings. Keywords: electromyography; spontaneous activity; motor unit potential; recruitment
Korrespondierender Autor. Medical University Graz (MUG), Dept. of Neurology, Auenbrugger-
platz 22, A-8036 Graz, Austria. Fax: +43 316 385 3895. E-mail:
[email protected] doi: 10.1016/j.neulab.2009.08.003
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1. Grunds¨atzliches zur EMG Untersuchung Die Elektromyographie (EMG) ist unter den Untersuchungsverfahren der klinischen Elektrophysiologie immer noch die Technik, die mit den meisten Schwierigkeiten in Bezug auf Durchfuhrung und Interpretation behaftet ist. ¨ Dies gilt auch heute noch, obwohl automatisierte Analyseverfahren eine quantitative EMG Untersuchung erleichtern und damit die Interpretation der Befunde objektivieren sollen. Die Fragestellungen an die EMG Untersuchung sind sehr verschieden. Die Erwartungen der Untersuchungszuweiser und der EMG Untersucher an die Aussagekraft der EMG Untersuchung sind meist sehr unterschiedlich. So mochte z.B. der Untersuchungszuweiser einen Normalbefund durch die EMG ¨ ’’ haben, ohne zu wissen, dass die Erstellung eines NorUntersuchung bestatigt ¨ malbefundes auch bei gesunden Probanten den EMG Untersucher vor eine nicht immer leichte Aufgabe stellt. Trotz all dieser Schwierigkeiten und dem schnellen Fortschritt anderer Untersuchungsverfahren (z.B. Bildgebung) ist die EMG UnErkrankungen immer noch tersuchung in der Beurteilung neuro- muskularer ¨ unentbehrlich. Es ist zwar eine invasive Untersuchungstechnik, jedoch eine der wenigen, die noch ausschließlich den Neurologinnen und Neurologen vorbehalten ist. Die EMG Untersuchung ist zeitaufwendig und schmerzhaft. Deshalb sollte man sich vor der Untersuchung anhand von anatomischen und pathophysiologischen Kenntnissen und der eigenhandigen klinischen Untersuchung einen ¨ Plan erstellt haben, wie man vorzugehen hat, um den Patienten nicht unnotig ¨ Schmerzen zuzufugen. Wie beim Aktienhandel bedarf es auch bei der EMG ¨ Untersuchung einer ruhigen Hand. Die EMG Nadel ist wie die Aktien nichts fur ¨ zittrige entschlussschwache Hande! Oft wird gerade beim lernen zu viel her¨ ’’ Der Paumgestochert . Deshalb ist ein ruhiger Patient und Untersucher notig. ¨ tient soll sich in einer entspannten Position befinden, d.h. in der Regel liegen. Um die Mitarbeit zu erhohen, sollten die einzelnen Untersuchungsschritte vor¨ her erklart ¨ werden und der Patient vor dem Einstich mit der Nadel gewarnt werden. Bei der Untersuchung von Kindern ist manchmal das gleichzeitige Beklopfen der zu untersuchenden Extremitat ¨ mit dem Finger beim Einstich hilfreich, denn dann wird der Einstich selbst nicht so stark wahrgenommen. ’’
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1.1. Prinzip Bei der EMG Untersuchung wird mit Elektroden (meist Nadelelektroden) elektrische Aktivitat ¨ (Potentialschwankungen) von bzw. aus der Muskulatur abgeleitet. Mit drei Untersuchungsschritten wird nach: 1. pathologischer Spontanaktivitat ¨ (PSA) gesucht, 2. die Aktionspotentiale der motorischen Einheiten (MUAP) beurteilt und 3. das Rekrutierungsverhalten und das Interferenzmuster beobachtet. Untersuchungsschritte 1 und 2 sind obligat, Untersuchungsschritt 3 fakultativ, je nach Fragestellung und zu untersuchenden Muskel. Im Prinzip jedoch diese Untersuchungsschritte bei jedem beliebigen Muskel des konnen ¨
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Korpers durchgefuhrt werden, je nach dem welche Fragestellung mit der Un¨ ¨ tersuchung beantwortet werden soll. Bei Patienten mit Blutungsneigung bzw. Antikoagulationstherapie kann die EMG Untersuchung nicht oder nur sehr eingeschrankt durchgefuhrt werden. ¨ ¨ 1.2. Ger¨ateanforderungen Die auf dem Markt sich befindenden EMG Gerate ¨ unterscheiden sich nicht wesentlich in ihrem Aufbau und Ausstattung. Detailunterschiede ergeben sich in der Art und Ausfuhrlichkeit automatisierter Analyse Software fur ¨ ¨ die Beurteilung der Willkurpotentiale und des Interferenzmusters und Rekrutierungsver¨ haltens. Da die EMG Untersuchung trotz der automatisierten Verfahren noch stark vom visuellen und akustischen Eindruck abhangt, sollte bei den verschie¨ des Bildschirms und besonderes Augenmerk auf die Auflosung denen Geraten ¨ ¨ die Qualitat ¨ der Lautsprecher gelegt werden. Dies ist besonders wichtig bei den immer beliebter werdenden portablen Geraten auf Notebook Basis, die nicht ¨ immer die gewunschte visuelle und akustische Qualitat ¨ liefern. Weiterhin sollte ¨ und klar dokumentiert sein [1]. die CE Zertifizierung eine Selbstverstandlichkeit ¨ 1.3. EMG Nadeln Nachdem im Untersuchungsgebiet die Haut desinfiziert wurde, wird die Nadel senkrecht durch die Haut in den Muskel gestochen. Die EMG Untersuchung kann mit drei verschiedenen Nadelelektroden abgeleitet werden. Die koaxiale
Abb. 1. Konzentrische Nadelelektrode. Lange: 25–75 mm; Durchmesser 0,3–0,46 mm; Aufnahme¨ radius 0,07 mm2, Aufnahmevolumen im Muskel ca. 1 mm2.
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konzentrische Nadelelektrode, die bipolare konzentrische Nadelelektrode (Abb. 1), die monopolare Nadelelektrode (Abb. 2), Einzelfaserelektrode (Abb. 3) und sind die Am gebrauchlichsten Oberflachenelektroden. in seltenen Fallen ¨ ¨ ¨ bipolaren konzentrischen Nadelelektroden (siehe Abb. 1). Die konzentrische Nadelelektrode besteht aus einer Kanule ¨ ¨ aus rostfreiem Stahl, die schrag angeschliffen ist. Im Inneren der Nadel ist mit Kunstharz ein Platindraht isoliert eingeschlossen. Dieser Draht stellt die differente, der Kanulenschaft die ¨ indifferente Ableitflache dar und sie werden mit dem positiven und ¨ ’’ verbunden. Ob man die Elektrode negativen Eingang des Differenzverstarkers ¨ ’’ oder sie durch geeignete Sterilisation mehrfach als Einmal -Elektrode benutzt ¨ ’’ aus verwendet, bleibt dem Untersuchungslabor vorbehalten. Ich pladiere ¨ ’’
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Abb. 2. Monopolare Elektrode. Lange: 25–75 mm; Durchmesser 0,36–0,46 mm; Aufnahmeradius ¨ 0,28–0,34 mm2, Aufnahmevolumen im Muskel ca. 2–4 mm2.
Abb. 3. Einzelfaserelektrode. Lange: 37 mm; Durchmesser 0,45–0,75 mm; Aufnahmeradius ¨ 0,0005 mm2.
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hygienischen Grunden und, da die Nadel nach mehrfacher Verwendung stumpf ¨ wird, fur ¨ Einmal-Nadeln. die mit dem DiffeDie bipolare Nadelelektrode enthalt ¨ ¨ zwei Platindrahte, renzverstarker verbunden werden. Die Kanule ¨ ¨ wird an den Erdanschluss des Verstarkers angeschlossen. Durch die geringere Ableitflache dieser Elektroden¨ ¨ form liefert die bipolare Nadel eine selektivere Ableitung als die konzentrische Elektrode. Die Nadelelektroden sind in ihrem Aufnahmeradius begrenzt, so dass sie nur von einem Bruchteil der Muskelfasern ableiten. Das heißt, ahnlich der Suche ¨ nach der Nadel im Heuhaufen, ist es bei der EMG Untersuchung die Nadel die warum man an drei verschieim Heuhaufen sucht. So ist es gut verstandlich, ¨ denen Stellen des Muskels eine Ableitung durchgefuhrt haben muss, um eine ¨ der Untersuchung Untersuchung zu haben. Wahrend reprasentative annahernd ¨ ¨ ¨ kann sich durch die Muskelkontraktion die Position der Nadel verlagern, so dass von unterschiedlichen Subpopulationen von Muskelfasern abgeleitet wird. Ein zu zaghaftes Sondieren mit der Nadel hat jedoch die Folge, dass alle beobachteten Muskelaktionspotentiale von der gleichen motorischen Einheit fur stammen und somit nicht reprasentativ ¨ ¨ den Gesamtmuskel sind. Die Ableitung mit Einzelfaserelektroden und Oberflachenelektroden kommt nur bei ¨ wenigen speziellen Fragestellungen zum Einsatz, die hier nicht weiter ausgefuhrt ¨ werden sollen [1].
1.4. Aufnahmeparameter Filterung: Das EMG Signal sollte so wenig wie moglich und notig gefiltert werden, ¨ ¨ außer es stellen sich besondere Fragestellungen. Die Standard-Filtereinstellung liegt bei 2 Hz–10 kHz. Man unterscheidet ‘‘low pass’’ und ‘‘high pass’’ Filter. Die Filtereinstellung verandert in charakteristischer Weise die Potentialform. Jede ¨ Filtereinstellung hat ihre Vor- und Nachteile. Einstellung der niederen Frequenbzw. ‘‘high pass’’: Erhoht zen oder Basse ¨ man z.B. die untere Filterfrequenz von ¨ 10 Hz auf 100 Hz, so kann man die Grundlinie eines Signals stabilisieren. Dies kann hilfreich sein, wenn man bei ungunstigen Bedingungen nach Insertions¨ oder pathologischer Spontanaktivitat ¨ sucht. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass damit die Amplitude und Dauer des MUAP verringert und verkurzt ¨ wird. Die MUAP werden spitzer und die Stabilitat ¨ der Spitzen kann besser ’’ ’’ beurteilt werden. Auch das Klangbild andert sich. Es wird scharfer mit klaren ¨ ¨ und wenig dumpfen Anteilen. Hohen ¨ Standarteinstellungen: Spontanaktivitat ¨ 10 Hz–10 kHz Willkuraktivit at ¨ 2 Hz–10 kHz ¨ Interferenzbild 10 Hz–20 kHz (Filterung wird nur bei bestimmten Fragestellungen geandert). ¨ Der Einfluss der Filterung auf das Aussehen der MUAP ist in Abbildung 4 dargestellt. ’’
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Abb. 4. Einfluss der Filterung auf die Potentialform.
bzw. ‘‘low pass’’ (Treble conEinstellung der hohen Frequenzen oder Hohen ¨ trol): Verringert man z.B. die obere Filterfrequenz von 10 kHz auf 1 kHz, so kann man die hohen Frequenzanteile wegfiltern. Dies kann hilfreich sein, wenn man bei ungunstigen Bedingungen viel hochfrequentes Rauschen hat. Man muss sich ¨ jedoch bewusst sein, dass damit die Amplitude des MUAP verringert wird und die MUAP runder werden. Die kurzen und niederamplitudigen MUAP ’’ verschwinden, was zu einer Fehlinterpretation jedoch auch vollig konnen ¨ ¨ Auch das Klangbild fuhren kann. Die ‘‘rise time’’ des MUAP wird verlangert. ¨ ¨ andert sich. Es wird dumpf und es fehlen die scharfen und knackenden ¨ Gerausche. ¨ Ablenkgeschwindigkeit: zwischen 5 (10) ms/DIV, so dass das gesamte Potential einschließlich Nachschwankungen dargestellt wird. Bei Willkuraktivit at ¨ und Interferenzmuster so¨ wie einigen pathologischen Prozessen 50 (100) ms/DIV. Verstarkung: ¨ Die Verstarkung ist so zu wahlen, dass die Potentiale immer ganz dargestellt ¨ ¨ sind. Fur ¨ 0,020–0,050 mV/DIV. Beurtei¨ die Bestimmung der Spontanaktivitat at lung der Willkurpotentiale 0,200–0,500 mV/DIV. Bei der max. Willkuraktivit ¨ ¨ ¨ ’’
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und Interferenzmuster 1 mV/DIV. Bei modernen EMG Geraten stellt dies kein ¨ Problem mehr da, da die Potentiale nachtraglich verstarkt werden konnen. ¨ ¨ ¨ Triggermodus: Spontanaktivitat at ¨ und maximale Willkuraktivit ¨ im freien Durchlauf. ¨ Averaging (Mittelung): ist bei der Bestimmung der EMG Untersuchung nicht notwendig. Lautsprecher: Eine akustische Kontrolle ist unabdingbar, um fruhzeitig Artefakte bzw. eine ¨ mangelnde Entspannung des Patienten bei den Suchen nach PSA zu erkennen und die MUAP und Interferenz beurteilen zu konnen. ¨ 1.5. Artefakte und ihre Kontrolle 50 Hz-Brummen
Erde nicht angeschlossen oder defekt Erde nicht feucht genug Diktiergerate andere Gerate ¨ ¨ u.a.) ¨ ¨ im Raum (Neonrohren, Erdleiter in der Steckdose uberstrichen ¨ Defekte Ableitkabel (Elektrodenbruch, schlecht Abschirmung, Nadelhalter defekt).
Hochfrequentes Rauschen
Die EMG Nadel stellt eine Antenne im Raum dar und kann deshalb jede Art von elektromagnetischen Wellen einfangen (z.B. Radiosender).
Fehlendes Signal
Kanal geschlossen oder falscher Kanal gewahlt ¨ Ablenkgeschwindigkeit zu kurz.
1.6. Parameter des EMG Signals Das EMG Signal besteht aus Potentialschwankungen in positiver und negativer Richtung mit mehreren Nulldurchgangen. Beurteilt werden Anstiegssteil¨ heit, Amplitude und Dauer der Potentialschwankungen (siehe Beurteilung Willkurpotentiale) [2]. ¨ 1.7. Biologische und technische Einflussfaktoren auf die EMG Ableitung Alter Temperatur Ableiteort – Muskel Messfehler Alter: Das Alter hat nur einen geringen Einfluss auf die EMG Ableitung. Zwischen dem 10. und 70. Lebensjahr hat das Alter keine wesentliche Bedeutung. Mit
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zunehmendem Alter kann die Dauer der Potentiale zunehmen. Die Amplitude bleibt aber in der Regel unverandert. Die Wahrscheinlichkeit vereinzelt PSA zu ¨ finden nimmt mit dem Lebensalter zu, ohne dass ihr eine sichere pathologische Bedeutung zugewiesen werden muss. Ebenso kann die Polyphasierate erhoht ¨ sein. Temperatur: Die Temperatur hat bei der EMG Untersuchung keine so große Bedeutung wie bei der Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit. Grundsatzlich sind bei ¨ herabgesetzter Temperatur die MUAP breiter und bei hoherer Temperatur ¨ kurzer. Bei wenigen seltenen Muskelerkrankungen kann jedoch PSA (myotone ¨ Entladungen) durch eine Abkuhlung der Muskulatur provoziert werden. ¨ Ableiteort-Muskel: Jeder Muskel hat mehr oder weniger seine charakteristischen Eigenheiten in der EMG Ableitungen. Dies zeigt sich in den verschiedenen Amplituden der MUAP die je nach Muskel in der quantitativen EMG Analyse als normal angesehen werden. Variabilitat ¨ der Messung: Die EMG Untersuchung ist trotz der automatisierten Analyseverfahren noch immer einer großen Variabilitat als ¨ unterworfen, die Untersucher abhangig ¨ auch unabhangig ist. Die Verlasslichkeit der Messung hangt von der Standar¨ ¨ ¨ disierung der Untersuchung ab. Diese kann auch zwischen ausgewiesenen Center of Excellence sehr unterschiedlich sein [3, 4].
2. Spontanaktivit¨at 2.1. Prinzip Unter Ruhebedingungen sollte aus einem gesunden und entspannten Muskel außer der Einstichaktivitat ¨ abgeleitet werden ¨ keine elektrische Aktivitat konnen. Deshalb lautet die Grunddevise: Muskel vollstandig entspannt! Pati¨ ¨ ent in moglichst bequeme Position bringen, gute Lagerung, meist im Liegen, bei ¨ speziellen Muskelgruppen auch im Sitzen oder Seitenlagerung. Meist hilft schon at eine leichte Anspannung des Antagonisten, um die Willkuraktivit ¨ des abzu¨ leitenden Muskels zu unterdrucken. Passives Positionieren der Extremitat ¨ mit ¨ Kissen. Wenn dies nicht hilft kann auch eine pharmakologische Intervention versucht werden (sehr selten notwendig) mit Diazepam oder Chloralhydrat. Da pathologische Spontanaktivitat ¨ nicht immer leicht auffindbar ist und um eine Standardisierung der Untersuchung zu gewahrleisten, sollte in Abhangigkeit ¨ ¨ bei jedem Muskel an mindestens 10 Positionen, d.h. aus von der Muskelgroße, ¨ mindestens 3 verschiedenen Regionen eingestochen und abgeleitet werden. Der Zeitpunkt des Auftretens von pathologischer Spontanaktivitat zum einen ¨ hangt ¨ vom Zeitpunkt der Lasion ab (fruhestens nach 10–20 Tagen), zum anderen von ¨ ¨ kann in der Nach einer Nervenwurzellasion der Lokalisation der Schadigung. ¨ ¨ Paravertebralmuskulatur schon nach 3 Tagen path. Spontanaktivitat ¨ gefunden werden, wohingegen in der Kennmuskulatur der Peripherie diese erst fruhestens ¨ nach 14 Tagen zu finden ist.
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Man unterscheidet im Prinzip normale Spontanaktivitat ¨ (SP) von pathologischer Spontanaktivitat. ¨ gehoren: Zur normalen SP (da in der Entladungsfrequenz unregelmaßig) ¨ ¨
Einstichaktivitat ¨ Endplattenrauschen Endplattenspikes. Zur pathologischen SP (da in der Entladungsfrequenz regelmaßig) gehoren: ¨ ¨
Fibrillationen positiv scharfe Wellen komplex repetitive Entladungen myotone Entladungen myokyme Entladungen neuromyotone Entladungen Krampf-Entladungen Faszikulationen (nehmen eine Sonderstellung ein, da unregelmaßig und so¨ im Kontext mit Pathologien zu mit nicht per se pathologisch, jedoch haufig ¨ finden).
Frequenz Klang Generator Bedeutung
unregelmäßig, kurz, chaotisch Knacken, Kratzen, Rauschen Verletzungspotentiale Normal Abb. 5. Einstichaktivitat. ¨
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Die SP beurteilt man nach Form, Frequenzverhalten und Klang, wobei das Frequenzverhalten das wesentliche Kriterium zur Unterscheidung von normal und pathologisch ist.
2.2. Einstichaktivit¨at Beim Einstich mit der Nadel in den Muskel kommt es regelmaßig zu kurz¨ zeitiger (max. 1–2 Sekunden) nadelnaher Entladungsaktivitat. ¨ Sie entsteht durch Verletzungspotentiale in Folge mechanischer Muskelfaserirritation. Die Grundlinie zeigt eine charakteristische Schwankung (siehe Abb. 5).
2.3. Endplattenrauschen Sobald man sich mit der Nadel in der Nahe einer motorischen Endplatte ¨ befindet kann man irregulare ¨ niederamplitudige (o50 mV) Schwankungen um der Patient das die Grundlinie beobachten (siehe Abb. 6). Meist bestatigt ¨ Auffinden einer Endplatte mit einem einschießenden Schmerz.
Frequenz Klang Generator Bedeutung
kontinuierlich, unregelmäßig Rauschen einer Muschel (in der Ferne, hallend) Endplattenpotentiale Normal
Abb. 6. Endplattenrauschen.
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Abgang Frequenz Klang Generator Bedeutung
negativ unregelmäßig, 50–200 Hz ‚spritzendes Fett in der Pfanne‘ mechanische Aktivierung intramuskulärer Nervenendigungen und Sekunden MF-Entladungen normal Abb. 7. Endplattenspikes.
Endplattenspikes Endplattenspikes sind biphasische negative Potentiale mit Amplituden bis 200 mV und einer Dauer von 2–5 ms (siehe Abb. 7). 2.4. Fibrillationen ’’
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In der Literatur wird zwischen benignen und pathologischen Fibrilla’’ ’’ tionen unterschieden. Hier werden jedoch Fibrillationen immer als pathologisch angesehen, wenn sie eine lineare Frequenz aufweisen (Abb. 9). Im Gegensatz zur Willkuraktivit at ¨ (siehe Abb. 10) haben Fibrillationen meist eine feste Frequenz ¨ (siehe Abb. 8 und 9). 2.5. Positiv scharfe Wellen Positiv scharfe Wellen (PSW) sind Aktionspotentiale einzelner Muskelfasern im Sinne einer ektopen Entladung der instabilen Muskelfasermembran. Sie sind Zei-
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Abgang Frequenz Klang Generator Bedeutung
positiv regelmäßig, ~ 10 Hz ‚Regentropfen auf Blechdach‘ über-erregbare Membran pathologisch, 2. MN, periphere Nerv, NMJ, Muskel Abb. 8. Fibrillationen.
Abb. 9. Fibrillationspotentiale-Frequenz.
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Abb. 10. Willkur-Frequenz. ¨
chen eines denervierten Muskels. Der Einstich mit der Nadel genugt, um die Ent¨ PSA und Fibrillationspotentiale sind Zeichen des gleichen ladungen auszulosen. ¨ Ph¨anomens bei unterschiedlichen Ableitbedingungen. Man beachte den positiven Abgang (nach unten), der das Potential charakterisiert (siehe Abb. 11 und 12).
2.6. Faszikulationen Faszikulationen sind spontane, unwillkurliche, arrhythmische Entladungen ¨ motorischer Einheiten oder Teile derer. Sie treten in der Regel nicht bei Muskelerkrankungen auf (Abb. 12). Faszikulationspotentiale sind in Dauer, Amplitude und Konfiguration einem (siehe Abb. 13). Oft ist es hilfreich, wenn der Willkurpotential sehr ahnlich ¨ ¨ Untersucher die Muskelpartie, die gerade mit der Nadel untersucht wird, auch ¨ optisch Uberwacht und evtl. durch Beklopfen Aktivit¨at auslosen kann, die nicht ¨ von der Nadel wahrgenommen wird. Faszikulationspotentiale sind im Gegensatz zu Fibrillationspotentialen und PSW nicht vom Nadeleinstich abh¨angig.
2.7. Komplex repetitive Entladung (KRE) Komplex repetitive Entladungen werden auch als pseudomyotone Entladungen (siehe im Gegensatz Myotonie) bezeichnet. Wir bevorzugen den Ausdruck der komplex repetitiven Entladung. Es handelt sich um wiederholt auftretende Aktionspotentialsalven mit abrupten Beginn und Ende (siehe Abb. 14). Die Frequenz ist fix sowie die Amplitude (Abb. 15).
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Abgang Frequenz Klang Generator Bedeutung
positiv regelmäßig, 2–10 (100) Hz „dumpfer Regentropfen auf Blechdach“ Verletzungspotential; übererregbare Membran pathologisch, 2. MN, peripherer Nerv, NMJ, Muskelerkrankung Abb. 11. Positiv scharfe Welle (PSW).
2.8. Myotone Entladung Myotone Entladungen sind charakterisiert durch plotzlichen Beginn bei ¨ Nadeleinstich oder beklopfen der Muskulatur mit Variation der Frequenz (siehe Abb. 17) und Amplitude (siehe Abb. 16). Meist zeigen sich Monomorphe, bioder triphasische Potentialkonfigurationen.
2.9. Myokymie Myokymien oder Gruppenentladungen sind spontane Kontraktionen von Muskelfasern bzw. Mehrfachentladungen motorischer Einheiten. Charakteristischerweise liegen zwischen den kurzen repetitiven Entladungen Pausen variabler oder konstanten Lange (siehe Abb. 18 und 19). Die Konfiguration der ¨ Potentiale entspricht der von Willkur ¨ MUAP.
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sich nur durch Nadelbewegung. Abb. 12. PSW-Frequenz. Starre Frequenz, andert ¨
2.10. Neuromyotonie Neuromyotone Entladungsmuster finden sich sehr selten. Charakteristischerweise at hat der unerfahrene Untersucher große Schwierigkeiten sie von Willkuraktivit¨ ¨ eines nicht entspannten Patienten bei der Suche nach Spontanaktivit¨at zu differenzieren. Meist handelt es sich um hochfrequente Dauerentladungen, die akustisch dem summen eines Bienenstocks nahe kommt. Neben normal konfigurierten MUAP finden sich auch PSW sowie polymorph deformierte MUAP (siehe Abb. 20).
¨ 3. Willkurpotentialanalyse Hier soll nur kurz auf die Willkurpotentiale eingegangen werden. Bei Mus¨ kelkontraktion werden Aktionspotentiale motorischer Einheiten generiert, die als Willkurpotentiale oder im Englischen auch als MUAP (motor unit action ¨ potential) bezeichnet werden. Die Analyse der Willkurpotentiale ist neben der ¨ Suche nach PSA der zweite Schritt in der systematischen EMG Untersuchung. Heutzutage haben die meisten EMG Maschinen eine automatisierte MUAP Analyse implementiert. Trotzdem sollte der Untersucher Kenntnisse uber we¨ sentliche Merkmale und Kriterien zur Beurteilung der Willkurpotentiale haben. ¨ 3.1. MUAP – Parameter Im Folgenden werden die MUAP Parameter erklart ¨ (siehe Abb. 21). Die meisten Computerunterstutzten EMG Gerate ¨ haben schon Normwerte der ¨
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Form Frequenz Klang Generator Bedeutung
beliebiges MUAP unregelmäßig, 1–50 (500) / Minute „großer Regentropfen auf Blechdach“ spontane Entladung MU im 2. MN oder peripheren Nerv benigne (benigne Faszikulationen, z.B. familiäre Faszikulations-Krampf Syndrom) maligne Abb. 13. Faszikulationspotential.
MUAP Parameter fur ¨ die verschiedenen Muskeln implementiert und zeigen Abweichungen von diesen an. Es ist aber ratsam diese Werte nur als richtungweisend zu betrachten und sie mit den im eigenen Labor erstellten Werten zu vergleichen. Die Parameter eines Willkurpotentials setzen sich zusammen aus: ¨ Dauer: Die Dauer eines MUAP ist definiert als der Zeitraum zwischen dem Abgang des Potentials von der Grundlinie bis zur Ruckkehr zur Grundlinie. Die meisten ¨ Gerate ¨ besitzen eine automatisierte Bestimmung der MUAP Dauer, die aber in der Regel manuell nochmals mit großerer Verstarkung uberpr uft ¨ ¨ ¨ ¨ werden sollte. Wichtig dabei ist immer die gleiche Verstarkung zu benutzen. Großere Schwie¨ ¨ rigkeiten bereitet meist die Bestimmung des Endes des MUAP, denn das Potential nahert sich asymptotisch der Grundlinie und ist meist durch Nach¨ der Nadellage verurschwankungen, die durch die mechanische Veranderung ¨
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Abb. 14. Komplex repetitive Entladung.
Form Frequenz Klang Generator Bedeutung
repetitiv, polyphasisch, uniform; abrupter Beginn, Ende und Frequenzänderung regelmäßig, 3–40 (100) Hz „Fehlzündung eines Motorbootes“ ephaptische Aktivierung benachbarter MF; übererregbare Membran pathologisch, 2. MN, peripherer Nerv, Muskel Abb. 15. KRE-Frequenz.
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Abb. 16. Myotone Entladung.
Form Abgang Amplitude Frequenz Klang Generator Bedeutung
repetitive Entladung; mono- , biphasisch positiv zu- und abnehmend, 20–300 µV zu- und abnehmend, 40–60 (100) Hz „Dive-bomber; Kawasaki“ spontan depolarisierende Muskelfaser pathologisch, Myotonien, Saure Maltase Defizienz, hyperkaliämische periodische Paralyseralyse
Abb. 17. Myotone Entladung Frequenz.
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Abb. 18. Myokymie.
sacht werden, unterlagert. Die MUAP Dauer wird im Wesentlichen von der Faserdichte bestimmt. Amplitude: Die Bestimmung der Amplitude erfolgt durch Messung des hochsten posi¨ tiven und negativen Ausschlags des MUAP. Die Hohe ¨ der Amplitude wird von wenigen Muskelfasern einer motorischen Einheit bestimmt, die sich in unmitder Nadel befindet. Schon kleine Verschiebungen der Nadel telbarer Nahe ¨ verandern die Amplitude entscheidend. Fur korrekte Bestim¨ ¨ ¨ eine moglichst mung der MUAP Amplituden eines Muskels ist es deshalb wichtig, die Nadel nahe an die Fasern der augenblicklich zu untersuchenden motorimoglichst ¨ schen Einheit zu bringen. Die Gute ¨ der Nadelposition ergibt sich aus der Anstiegssteilheit des Potentials. Anstiegssteilheit: Die Anstiegssteilheit (engl. slope) eines MUAP ergibt sich aus der Tangente, die an den aufsteigenden Schenkel des MUAP angelegt wird. Diese Methode hat den Vorteil, dass auch aufgesplitterte, nadelnahe MUAP richtig erfasst werden. Dieses Verfahren wird von den meisten Computer basierten Analyseverfahren benutzt. Eine zweite Methode besteht in der Bestimmung der Anstiegszeit (engl. rise time) zwischen der maximal negativen und positiven Potentialspitze. Bei aufgesplitterten Potentialen wird mit diesem Verfahren die Anstiegszeit artifiziell verlangert. ¨ Phasen: des MUAP Mit Phasen bezeichnet man die Anzahl der Nullliniendurchgange ¨ plus 1. In gesunden Muskeln findet man weniger als 10% MUAP mit mehr als 4 Phasen, d.h. die Polyphasierate liegt unter 10%. Ob die Polyphasierate patho-
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Form Frequenz Klang Generator Bedeutung
rhythmische Bursts von Gruppen von MUAPs Bursts von 2–10 (70) MUAPs, (2) 30–60 Hz ‚marschierende Soldaten‘ ephaptische Aktivierung mehrerer MU im 2. MN oder peripheren Nerv Strahlenplexopathie, GBS, MS, Hirnstamm-Neoplasie, Facialisparese, chronische Nervenkompression, Myokymie-Krampf-Syndrom
Abb. 19. Frequenz der Myokymie.
logisch ist oder nicht ist vom Muskel abhangig, der untersucht wurde. Hierfur ¨ ¨ gibt es Normwerttabellen in der Literatur und den Fachbuchern (siehe Litera¨ turverzeichnis). Siehe auch Abbildung 22 mit polyphasischen Potentialen. Turns: des Potentials innerDie Anzahl der Richtungs- bzw. Polaritats ¨ ¨ anderungen als halb eines MUAP wird als Turn bezeichnet. Sie ist heutzutage gebrauchlicher ¨ die Phasenbestimmung. Ein Turn muss nicht durch die Nulllinie gehen. Satellit: Ein Satellitenpotential ist ein Aktionspotential einer einzelnen Muskelfaser einer motorischen Einheit und steht in fester zeitlicher Beziehung zum vorausgehenden MUAP (siehe Abb. 23). 3.2. Neurogene Ver¨anderung Neurogene Veranderungen der Willkurpotentiale sind charakterisiert durch ¨ ¨ Polyphasierate und große Amplituden. Die meisten Computer gestutzerhohte ¨ ¨
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Form Frequenz Klang Generator Bedeutung
repetitive Entladung von MUAPs zu- und abnehmend, 100–300 Hz ‚summend‘, Bienenstock übererregbarer peripherer Nerv Isaac Syndrom, Tetanie, AchE- Intoxikation, SMA, CMT-II, intra-operativ Abb. 20. Neuromyotonie.
ten EMG Programme analysieren automatisch Amplitude, Dauer, Phasen, Anstiegszeit, Steilheit, Flache und Frequenz. Ein Beispiel ist im Folgenden (Abb. ¨ 24) angefuhrt. Entscheidend fur ¨ ¨ die Richtigkeit der angegebenen Werte sind die Definition des Potentialanfangs und -endes mittels Cursor und die Auswahl der zu beurteilenden Potentiale.
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Turn T Amplitude
T
Phase Satellit
T T
T
T
Dauer Abb. 21. MUAP Parameter.
Abb. 22. Polyphasische Potentiale. (Abbildung aus Conrad und Bischoff: Das EMG Buch, Springer Verlag).
Abb. 23. Willkurpotential mit Satellit. ¨
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Abb. 24. Neurogene Veranderungen. ¨
Hilfreich bei der Beurteilung von neurogenen oder myogenen Prozessen ist das Amplituden – Umkehrpunkte Histogramm. Viele automatisierte EMG Programme haben fur ¨ die verschiedenen Muskeln schon Konfidenzintervalle der Ampl./Umkehrp. implementiert. Im hier angefuhrten Beispiel zeigt das Ampli¨ eines neurotuden-Umkehrpunkte Histogramm die typischen Veranderungen ¨ genen Musters. Neben den Messdaten spielt das akustische Muster bei der Erkennung neurogener Veranderungen eine Rolle. Die Klangmuster neurogener ¨ ¨ haben oft Ahnlichkeiten mit einem ‘‘Moped-Motor’’. Sie Veranderungen ¨ meist nieder bis hochfrequent (zentrale Kompensation) und die sind kraftig, ¨ einzelnen MUAP konnen meist akustisch klar voneinander unterschieden ¨ ’’ werden. ’’
3.3. Myogene Ver¨anderungen Die Veranderungen bei myogenen Prozessen sind nicht immer einfach zu ¨ identifizieren. Niedrigamplitudige Potentiale mit kurzer Potentialdauer lassen bestehenden wahrscheinlich erscheinen. Bei langer myogene Veranderungen ¨ ¨ myogenen Prozessen findet sich jedoch oft auch ein Mischbild aus myogenen und neurogenen Veranderungen. Das folgende Beispiel (siehe Abb. 25) wurde ¨ bei einem Patienten mit Myositis abgeleitet. Man beachte, dass die Cursor der
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Abb. 25. Myogene Veranderungen. ¨
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Potentialbegrenzung nicht immer exakt vom automatisierten System gesetzt wurden. erinnert an das Gehen auf geDas Klangmuster myogener Veranderungen ¨ ’’ frorenem Schnee , oder dem Zerdrucken von Cornflakes. Der akustische Ein¨ druck ist meist eindeutig, so dass das Klangbild einmal wahrgenommen immer wieder erkannt wird. ’’
4. Interferenzmuster und Rekrutierung Die Beurteilung des Interferenzmusters und der Rekrutierung erfolgt bei maximaler willkurlicher isometrischer Anspannung des Muskels. Das Interferenz¨ von der Zahl der willkurlich aktivierten bzw. aktivierbaren muster ist abhangig ¨ ¨ motorischen Einheiten, der Faserdichte der mot. Einheiten, deren EntladungsMUAP. Die frequenz, dem Rekrutierungsverhalten und Amplitude der großten ¨ Frequenz einer motorischen Einheit liegt im unteren Grenzbereich bei 6–8 Hz und am oberen Grenzbereich bei Maximalinnervation bei bis zu 20 Hz (siehe Abb. 26). Mit zunehmender Kraftentwicklung werden immer mehr Einheiten aktiviert, was als Rekrutierungsverhalten bezeichnet wird. Bei neurogenen ist das Interferenzbild gelichtet und die Rekrutierung normal, bei Veranderung ¨ myopathischen Prozessen zeigt sich ein normales (dichtes) Interferenzbild und Rekrutierung der motorischen Einheiten. eine fruhe ¨ ’’ Die Beurteilung von Interferenzbild und Rekrutierung erfolgt semiquantitativ durch Beurteilung des am Bildschirm beobachteten Musters sowie des akustischen Eindrucks. Folgende Kriterien werden beurteilt: ’’
Dichte der Entladungen der motorischen Einheiten (ist die Grundlinie noch abgrenzbar?) Amplitude der Entladungen (maximale, mittlere) Rekrutierungsverhalten (normal, fruh). ¨ Expertentip zur EMG Untersuchung
Geeignete Haltemoglichkeit fur ¨ ¨ die EMG Nadel anbringen, damit bei der Unterbrechung der Untersuchung die Nadel gesichert aufbewahrt ist. Fur ¨ geeigneten Abwurf und Entsorgung der Einmalnadel sorgen. Interferenzmessung immer bei isometrischer Muskelanspannung messen. Nicht nur Nadel und Muskel beobachten, sondern auch den Gesichtsausdruck des Patienten, bevor die Untersuchung wegen Schmerzhaftigkeit abgebrochen werden muss. Anatomische Gegebenheiten vor und nicht w¨ahrend der Untersuchung studieren. Nadellange nach wirklich benotigter Einstichtiefe aussuchen, denn lange ¨ ¨ Nadeln konnen als Antenne fungieren und somit Storungen einfangen. ¨ ¨ Unklare Untersuchungsergebnisse archivieren (Ausdruck, Aufnahme speichern) zur Re-Evaluierung.
ARTICLE IN PRESS 26 S. Quasthoff
Interferenzmuster bei max. Kraft. A. Normal dichtes Interferenzmuster. B. Myopathisches Interferenzmuster bei max. Kraft. C. Neurogenes Interferenzmuster bei maximaler Kraft. Abb. 26. Interferrenzmuster (dicht, gelichtet, Einzelentladung).
Fragliche pathologische Spontanaktivitat ¨ ausdrucken und mit Lineal nachder Entladungen gegeben ist. messen, ob Regelmaßigkeit ¨ Bei fraglichen Befunden ist es besser sich festzulegen, das der Befund nicht eindeutig war, als mit der Beurteilung: ein wenig neurogen oder myogen ’’ belegen. Nicht zuviel in die EMG Untersuchung hinein interpretieren, sondern immer im klinischen Kontext sehen. ’’
Literatur [1] C. Bischoff, A. Fuglsang-Fredriksen, L. Vendelbo, A. Sumner, Standards of instrumentation of EMG. The International Federation of Clinical Neurophysiology, Electroencephalogr. Clin. Neurophysiol. (Suppl. 52) (1999) S199–S211. [2] E. Stalberg, B. Falck, A. Gilai, J. Jabre, M. Sonoo, K. Todnem, Standards for quantification of EMG and neurography. The International Federation of Clinical Neurophysiology, Electroencephalogr. Clin. Neurophysiol. (Suppl. 52) (1999) S213–S220.
ARTICLE IN PRESS Grundlagen der EMG Untersuchung 27 [3] A. Fuglsang-Frederiksen, B. Johnsen, S. Vingtoft, M. Carvalho, P. Fawcett, R. Liguori, et al., Variation in performance of the EMG examination at six European laboratories, Electroencephalogr. Clin. Neurophysiol. 97(6) (1995) 444–450. [4] A. Fuglsang-Frederiksen, B. Johnsen, M. de Carvalho, P.R. Fawcett, R. Liguori, W. Nix, et al., Variation in diagnostic strategy of the EMG examination – a multicentre study, Clin. Neurophysiol. 110(10) (1999) 1814–1824.
Bucher und Nachschlagwerke ¨ [1] Das EMG – Buch von Bischoff, Christian/Schulte-Mattler, Wilhelm J./Conrad, Bastian, Thieme Verlag, 2005. Kohlhammer, [2] Atlas der klinischen Elektromyographie und Neurographie von Manfred Stohr, ¨ 5. Auflage 2005. [3] Klinische Elektromyographie von Borries Kukowski, Kohlhammer, 2001. [4] Principles of Clinical Electromyography, Case Studies von Shin J. Oh; Williams & Wilkins 1998. [5] Clinical Neurophysiology (Contemporary Neurology Series, 66) von Jasper R. Daube, Oxford Univ Pr; 2nd Ed. 2002. [6] Laboratory Reference for Clinical Neurophysiology von Jay A. Liveson, Dong M. Ma; Oxford Univ Pr; 1992. [7] Clinical Neurophysiology of Disorders of Muscle and Neuromuscular Junction, Including Fatigue Erik Stalberg, Elsevier 2003.