Beitr. Path. Bd. 149, 111-120 (1973)
Original Papers
Karyometrische Untersuchungen der Leberzelle in der chronischen Thioazetamidintoxikation und bei zusatzlicher partieller Hepatektomie Karyometrical Studies of the Liver Cell in Chronic Thioacetamide Intoxication and Additional Partial Hepatectomy G.
BADER
und N. G.
BADER
Mit I Abbildung und I Tabelle . Eingegangen am 10. November 1972 . Angenommen am 4. Januar 1973
Abstract Introduction: Nuclei of liver cells with their nucleoli were studied karyometrically and cytophotometrically (with Feulgen's reaction) in different stages of chronic intoxication by thioacetamide (2-4 weeks, 3-4 months, 6-9 months). Materials and Methods: Thioacetamide was applicated to young male wistar rats in a dosage of 25 mg/kg body weight/die in drinking water. The animals were killed after 2-4 weeks, 3-4 months and 6-9 months. In the last two groups a partial (50 %) hepatectomy was done. Investigations were performed after 0 hr (tissue of hepatectomy), after 24 hrs (biopsy material) and after 48 hrs (autopsy material) . In each group 5 animals and 3 controls were examined. Small pieces of the liver were removed and placed at once in 4 % formol for 24 hrs and embedded in paraffin by a constant procedure. After gallocyanine-chromalum stain the diameters of between 500 and 1.000 round nuclei with their nucleoli were determined-till a constant mean value of the diamerts was found. Comparative cytophotometrical measurements of DNA (12 min. hydrolysis in 60°C, Feulgen's reaction) were performed in smears of liver tissue. A cytophotometer (VEB Carl Zeiss, Jena) was employed at a wavelength of 570 nm. The multiplication of nuclear area with the mean extinction yielded arbitrary units of measured nuclear substance. Results and Discussion: In the maxi mal dysfunctional (toxic) nuclear swelling the diand tetraploid liver nuclei (also the octaploid nuclei of thioacetamide cirrhosis) were twice the size of the controls. Only in the pretumorous stage of thioacetamide carcinogenesis the nuclear edema decreased-possible because of adaptation to the toxin. The maximal (dys)functional nuclear swelling does not exceed double of the nuclear volume (in tetraploid liver cells a diameter of nearly 10 fLm). Also the additional effect of regeneration by partial hepatectomy did not exceed this limit. Therefore only liver cells in the pretumorous phase were able to increase significantly. Advanced nuclear swelling progress as to pathologic edema with decrease of the nuclear/nucleolar ratio (with a diameter of nearly I I fLm for tetraploid liver cells). It is supposed that doubling of nuclear volume may be a more general reaction in severe (dys)functional nuclear edema.
112 . G. BADER und N. G. BADER Das funktionelle bzw. dysfunktionelle (toxisch verursachte) Kernodem (DKO) steht etwas im Hintergrund von Betrachtungen der Reaktionen des Zellkerns. Seit langerer Zeit ist die Abhangigkeit der Kern-(Nukleolen-) GroBe yom nuklearen EiweiB-RNS-Gehalt (Stoffwechsel) bekannt (Literatur bei SANDRITTER, 1961). Fruhere Untersuchungen sprechen dafUr, daB diese GesetzmaBigkeit auch fur die Bedingungen der Thioazetamid-(TAA-) Intoxikation zutrifft (STOCKER, 1964, 1966; STOCKER und ALTMANN, 1963) und daB das maximale DKO unter TAA-Gabe in den ersten Wochen in Volumenverdopplungen des Leberzellkerns ablaufen kann (BADER et aI., 1967; siehe auch MeBwerte von HEIZER, 1955; RATHER, 1951; STOCKER, 1964, 1966; STOCKER und YOKOYAMA, 1966; u.a.). Letztere Fragestellung solI in vorliegendem Beitrag weiterverfolgt werden, auch in spateren Stadien der chronis chen TAA-Intoxikation und unter Einwirkung einer zusatzlichen Leistungsforderung der Leber durch eine partie lIe Hepatektomie.
Material und Methoden 50 mannliche Wistarratten (150-200 g Korpergewicht) erhielten bei normaler vitaminreicher, eiweiBhaltiger Ernahrung taglich 25 mg/kg Thioazetamid im Trinkwasser. I I Tiere wurden in der 2.-4. Woche der Intoxikation getotet. Bei je 5 Tieren wurde zusatzlich nach 3-4 Monaten bzw. 6-9 Monaten TAA-Gabe eine partielle Hepatektomie vorgenommen. Dabei war nur eine 50%ige Leberresektion moglich wegen hoher Operationsmortalitat. 24 Std. postoperativ erfolgte eine bioptische Lebergewebsentnahme, nach 48 Std. die Totung der Ratten durch Nackenschlag (zwischen 8.30 Uhr und 9.30 Uhr vormittags). Nach 24stUndiger Fixation in 4%igem neutralem Formalin wurden die dUnnen Leberscheiben in einem zeitlich konstanten Arbeitsgang in Paraffin eingebettet. Die Messungen dec Kern- und Nukleolendurchmesser erfolgten an 12 fLm dicken Schnitten und bei Gallocyanin-Chromalaun-Farbung mit einem MeBschraubenokular (VEB Carl Zeiss, Jena) in 2025facher GesamtvergroBerung unter AusschluB unrunder Kernformen. Die Zahl der MeBwerte pro Tier (Durchmesserfrequenzkurven) wurde mit Erreichen einer Konstanz ihres Mittelwertes festgelegt und lag bei Zellkernen Uber 500 (bis 1000). Vergleichende DNS-Messungen erfolgten bei 100 Leberzellkernen pro Tier an Objekttragerausstrichen mit einem Einstrahl-Mikrophotometer (VEB Carl Zeiss, Jena) bei einer Wellenlange von 570 nm nach Feulgen-Reaktion (Spiegelkondensor 0,4, Immersionsobjektiv HI 90/1,25, Projektiv 4: I, MeBblende 2,8 fLm). In die einzelnen Kerne wurden bis zu 6 MeBpunkte gelegt. Das Produkt aus Extinktion und Kernffache, ausgedrUckt in Arbeitseinheiten AE, ist ein MaB fUr den DNS-Gehalt der Zellkerne. Zuc Ermittlung der Kontrollwerte dienten 3 Tiere.
Ergebnisse und Diskussionen In der TAA-Intoxikation entwickelt sich ein durch eine echte Stoffwechselerhohung verursachtes Kernodem bis zur maximalen Leistungssteigerung der Leberzelle. (Wei teres s. u. a. bei BADER, 1967, 1969 a, 1969 b; BADER et aI., 1967; KULLMANN et aI., 1971; STOCKER, 1964; STOCKER und ALTMANN, 1963; WALDMANN und BADER, 1968).
Karyometrie nach Thioazetamid .
I I
3
Die Kurvenflachenintegrale der DNS-Verteilung wurden auf die Kurvenflachen der zugehorigen KerngroBenhiiufigkeiten ubertragen in den Relationen diploid: tetraploid: hypertetraploid. Die Begrenzung dieser Flachen erfolgte in Abbildung I a-c mit Pfeilen. Sie liegen fUr diploide Leberzellen zwischen 6,5 (6,3-6,7) [Lm und 8,3 (bis 8,6) [Lm, reichen fur tetraploide Zellen bis zu einem Kerndurchmesser von 9,8-10,4 [Lm. Konstruiert man in angenommener GauB-Verteilung aus der KerngroBenkurve die Teilkurven fur di- und tetraploide Leberzellen, so kommt man zu Maxima fur diploide Odemkerne bei knapp 8 [Lm. Die Maxima fur tetraploide Odemkerne liegen bei etwa 9,5 [Lm (unberucksichtigt blieb hierbei die Kernkurve 0 Std., 6-9 Monate, ohne Hepatektomie - den Grund s. unten). Dies entspricht fur die diploiden Odemkerne einer Verschiebung der KerngroBe um ziemlich genau eine GroBenklasse; tetraploide Odemkerne messen knapp das Volumen von normalen oktaploiden Leberzellkernen (die Kernschrumpfung durch die Einbettung macht sich bei groBeren,relativ DNSarmen Kernen starker bemerkbar). Dieser Volumenverdopplungseffekt ist bereits in der 1. Woche der chronischen TAA-Intoxikation zu beobachten. Entsprechende Hinweise auf gleichartige rhythmische KerngroBenanderung en durch das DKO ergaben sich auch fur die polyploiden Kerne der TAA-Zirrhose in fruheren Untersuchungen (BADER et al., 1967). Die Maximalphase des DKO ist offenbar unabhiingig von der Toxindosis (oberhalb einer Minimaldosis - vgl. MeBwerte von BADER et al., 1967; HILDEBRAND, 1969; RATHER, 195 I; STOCKER, 1964, 1966; STOCKER und ALTMANN, 1963; STOCKER und YOKOYAMA, 1966). 2. Mit zunehmender Dauer der TAA-Intoxikation tritt offenbar eine gewisse Anpassung an die besondere Stoffwechselsituation ein - die Zahl der Leberzellen im maximalen DKO und im pathologischen Kernodem (PKO) nimmt von der 2.-4. Woche uber den 3.-4. Monat bis zum 6.-9. Monat ab (Abb. I a). Diese besonders augenfallige Linksverschiebung der Kern-(Nukleolen-)Kurve nach 6-9monatiger TAA-Gabe wurde an entsprechenden Untersuchungen von grobknotigen Hyperplasien in der TAAZirrhose bestatigt (eigene unveroffentlichte Befunde). Gleichzeitig sinkt der Mitoseindex von etwa 0,5 % uber 0,15 % auf nahezu Normalwerte von 0,04 % nach 6-9 Monaten Intoxikationsdauer. Dies ist ebenfalls Ausdruck des abnehmenden Zelluntergangs. Die von STOCKER (1964) vermutete stetige Zunahme der Odemkerne (einschlieBlich PKO) trifft also nur fur die ersten Wochen der Intoxikation zu. 3. Die Nukleolen folgen in ihren GroBenfrequenzen den Zellkernen innerhalb der genannten Grenzen fur das DKO. Nach seinem bekannten 1.
initialen Abfall auf etwa
% des Normalwertes steigt der Kern-Nukleolen-
Quotient etwa ab 3. Monat der Intoxikation wieder leicht an (Tab.).
I I4 . G.
BADER
und N. G.
BADER
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Abb.
6
N
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Fig.
4
6
8
10
I
4. Aus den Kurvenverlaufen ist die vielfach beschriebene Zunahme diploider Leberzellen 1m Verlauf der Kanzerogenese zu ersehen. 5. Der zusatzliche Regenerationsreiz einer partiellen Hepatektomie (50%Resektion) ergibt lediglich in der Kernpopulation bei 6-9monatiger Intoxikation eine signifikante Rechtsverschiebung 24 Std. postoperativ, die nach 48 Std. wieder riicklaufig ist (s. Abb. I b und c). Die in Punkt I genannten kritischen Maximalwerte des DKO werden durch die zusatzliche regeneratorische KernschweHung nicht iiberschritten. Ein leichter AbfaH des Kern-Nukleolus-Quotienten, besonders 24 Std. postoperativ, ist auf
Karyometrie nach Thioazetamid .
I I
5
eine gewisse Steigerung des regeneratorischen RNS-Stoffwechsels zu beziehen (s. Tab.). Die Leberregeneration ist wie bei verschiedenen anderen (toxischen) Stoffwechselbelastungen, so auch in der chronischen TAAIntoxikation deutlich verzbgert, obwohl offenbar der durch TAA toxisch blockierte RNS-Stoffwechsel vom regeneratorischen nuklearen RNS-Stoffwechsel unabhangig ist (BADER, 1969 b). Der Grund fUr die gestbrte (verzbgerte) Regeneration liegt wohl in der Begrenzung der Leistungssteigerung der Leberzelle durch den Maximalwert des (dys)funktionellen KO. 6. Ein Anstieg des Durchmessers tetraploider Leberzellkerne tiber den kritischen Wert von etwa 10 flm ist von einem pathologischen Kernbdem (PKO) begleitet; ab etwa I I flm erhbht sich infolgedessen der KernNukleolen-Quotient (s. Tab., besonders ftir die Tiergruppe 2.-4. Woche). Entsprechende Befunde sind den graphischen Darstellungen von STOCKER (1964) abzulesen, der einen relativen Abfall des autoradiographischen Vorliiufereinbaus von EiweiB- und RNS-Synthese durch TAA besonders hiiufig in Leberzellen von 70-100 flm 2 FliichengrbBe registrierte (das entspricht ebenfalls einem Kerndurchmesser von etwa 10-11,5 flm). Gleichzeitig wies er bereits auf den allmahlichen Dbergang vom DKO zum PKO hin. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Befund von HILDEBRAND (1969)
Abb. 1. Frequenzkurven der Nukleolen- (links) und Kerndurchmesser (rechts) von Leberzellen bei chronischer Thioazetamid-Intoxikation. a) ....... 2.-4. Versuchswoche, 3.-4. Versuchsmonat, - - - - - 6.-9. Versuchsmonat. b) wie a), 24 Std. nach zusatzlicher partieller (50%iger) Hepatektomie. c) wie b), 48 Std. postoperativ. Nu = Zahl der Nukleolusdurchmesser, N = Zahl der Kerndurchmesser, K = haufigster Nukleolendurchmesser der Kontrolltiere, K-2 pI. = Maximum der Haufigkeit der Kerndurchmesser der diploiden Klasse der Kontrolltiere, K-4PI. = dto. flir tetraploide Kernklasse. Die Pfeile zur Markierung von Punk ten der Kerndurchmesserkurven begrenzen die (proportional) libertragenen Fliichenintegrale der DNS-Verteilungen fur diploide (linksgelegene), tetraploide (mittlere) und hypertetraploide (rechtsgelegene) Kurvenflachenabschnitte. * Fig. I. Distribution patterns of the diameters of nucleoli (left) and nuclei (right) of liver cells in chronic intoxication by thioacetamide. a) ....... after 2-4 weeks, - - - - - after 3--4 months, - - - - - after 6-9 months. b) do. as a), 24 hrs after additional partial (50%) hepatectomy. c) do. as b), 48 hrs post operation. Nu = frequency of diameters of nucleoli, N = frequency of diameters of nuclei, K = maximum of the distribution curve of diameters in nucleoli of controls, K-2 pI. = maximum of the distribution curve of diameters in diploid nuclei of controls, K-4PI. = do. in tetraploid nuclei of controls. The integral areas of di-, tetra- and hypertetraploid parts of the curves of DNA-distribution were transferred proportionally to the areas of the correspondent curves of nuclear diameters. Arrows indicate points bordering the diploid (left), tetraploid (middle) and hypertetraploid (right) areas of the diameter curves.
* zur
Methode: BADER und STILLER, Exp. Path. (lena) I973 - im Druck
I
16 . G. BADER und N. G. BADER
Tabelle 1. Der Quotient Kern-/Nukleolus-Volumen im Verlauf der chronischen Thioazetamid-Intoxikation (a = 2.-4. Woche, b = 3.-4. Monat, c = 6.-9. Monat) und bei zusatzlicher Hepatektomie (0, 24, 48 Std. postoperativ) - in Abhiingigkeit yom Kerndurchmesser Table 1. The nuclear/nucleolar ratio in chronic thioacetamide intoxication (a = 2-4 weeks, b = 3-4 months, c = 6-9 months) and with additional hepatectomy (0 hr, 24 hrs, 48 hrs post operation)-relative to the nuclear diameter Kerndurchmesser praoperativ (nuclear diameter) in [lm a b
c
24 Std. post op. b c
biq
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12
12
10
10
10
I I
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9
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9 9
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10
8
14
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II
12
12
II
9 14
15
13
12
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12
13
15
13
13
12,5
Std. post op. b c
48
einer besonders ausgepragten KerngroBenzunahme uber 10 [Lm durch Prednisolongaben urn den 4. Versuchsmonat einer T AA -Intoxikation ROTTGER et aL (1963) beobachteten unter gleichen Bedingungen eine hohe Sterblichkeit der Tiere. Nur wenig ist bisher uber TAA-spezifische Wirkungen im RNS-Stoffwechsel bekannt. Kurzlich konnten KULLMANN et aL (1971) prinzipielle Unterschiede in den Veranderungen zentrolobularer und periportaler Leberzellen zeigen. In ersteren (mit diffuser Basophilie) £alit die RNS-Menge des Zytoplasmas ab (durch Verkleinerung des Protoplasten) bei einem toxisch verursachten Anstieg des RNS-Gehalts im Nukleolus (mit dysfunktionellem Kernodem). Dagegen geht die Zunahme nukleolarer und zytoplasmatischer RNS in lappchenperipheren Leberzellen (mit noch scholliger Basophilie) parallel; die Verfasser sehen darin einen Kompensationsvorgang (mit funktionellem Kernodem) auf einen moglichen Funktionsausfall der toxisch veranderten zentrolobularen Leberzellen. Sie lassen allerdings die Moglichkeit offen, daB es sich hierbei doch vielleicht urn zwei Stadien innerhalb des Intoxikationsprozesses handelt. Fur einen solchen Zusammenhang sprechen auch fruhere (karyometrische) Untersuchungen, die getrennt fur hochtoxisch veranderte "TAA-Zellen" sowie an Leberzellen mit restlichem lichtoptischem Ergastoplasma durchgefuhrt wurden (BADER et aI., 1967). Dabei ergab sich zwischen beiden Zelltypen ein kontinuierlicher Obergang - sieht man von den ersten Tagen der Intoxikation ab, in denen sich aus der Normalverteilung der Leberzellkerne die Gruppe der zentrolobularen Leberzellen (anfangs noch mit scholliger Basophilie des Zyto-
Karyometrie nach Thioazetamid . I 17
plasmas) ausgliederte. Spater fehlte ebenfalls eine Sprunghaftigkeit des Verlustes an lichtoptisch sichtbarem Ergastoplasma und Glykogen. Gleichzeitig vergroBerten sich allmahlich das Kern- sowie das Nukleolenvolumen, initial (am Rand der Zone der TAA-Zellen) durch Nukleolenvermehrung (ohne Ploidisierung), der sich eine wohl schnellere Nukleolenkonfluenz im Maximalstadium des DKO anschloB. Moglicherweise kombinieren sich toxische und reaktiv-kompensatorische Mechanismen im RNS-Stoffwechsel der Leberzelle mit scholliger Basophilie des Zytoplasmas - zieht man auch in Betracht, daB die TAA- Wirkung sich nicht nur auf zentrolobulare Leberzellen beschrankt, sondern auch in geringerem Grad von anderen Parenchymzellen bekannt ist (Nierentubulusepithel: KLEINFELD, 1957; STOCKER und YOKOYAMA, 1966; Nebennierenrinde: DROM, 1966; Pankreas: EDER et ai., 1965; Gallengangsepithel: BADER, 1967). Wenig wahrscheinlich ist andererseits die Annahme, daB die TAA-Zelle ausschlieBlich mit der Aufrechterhaltung ihres Strukturstoffwechsels und dem Entgiftungsmetabolismus beschiiftigt ist. In der TAA-Zirrhose beobachtet man eine deutliche Reduktion der Leberzellen mit scholliger Basophilie. Selbst bei einer Minde rung des funktionellen hepatischen Proteinstoffwechsels (z. B. fur die BluteiweiBkorper) in der TAA-Intoxikation ist eine derartig beeintrachtigte Leistung dieses Organs nur unter Teilnahme TAA-geschadigter Zellen zu verstehen. TAA-Zellen nehmen ebenfalls an der Regeneration nach partieller Hepatektomie teil (BADER, 1969 b; KLEINFELD und v. HAAM, 1959 a, 1959 b; Befunde von STOCKER et ai., 1971, nicht verwertbar). Dabeiformiert sich in den TAA-Zellen temporar auch Ergastoplasma, obwohl gerade der Aufbau von Membranen des endoplasmatischen Retikulums (einschlieBlich parallel angeordneter granulierter Form = Ergastoplasma) in der "gestorten" Regeneration allgemein besonders verzogert ist - offenbar wegen der damit verbundenen betrachtlichen Energieforderungen an die Zelle (BADER, 1969 b, I 969 c). Allgemein anerkannt ist bei den wenig bekannten Vorgangen der TAAWirkung, daB es sich urn eine Blockade der RNS-Ausschleusung aus dem Zellkern (Nukleolus) handelt. Es ist nicht entschieden, ob sich dabei eine pathologische RNS im Nukleolus ablagert. Die in der Restitution recht schnell einsetzende Abgabe von RNS unter Verkleinerung des TAA-Nukleolus und mit uberschieBender Regeneration des Ergastoplasmas laBt es moglich erscheinen, daB die durch TAA-Gabe gestapelte RNS doch funktionell noch effektiv ist (bisherige biochemische Untersuchungen kamen noch nicht zu ubereinstimmenden Ergebnissen). In der vorliegenden Untersuchungsserie wurden nicht wie fruher (BADER et aI., 1967) Leberzellen mit und ohne schollige Plasmabasophilie getrennt, sondern in einer Haufigkeitsverteilung zusammen erfaBt. Dabei
I
18 . G. BADER und N. G. BADER
konnte der Gesamtablauf des Kernodems in der Leberregeneration verfolgt werden. Die Durchmesserfrequenzkurven der Zellkerne der TAAZellen zeigten dagegen in einem hohen Prozentsatz bereits ein PKO; die Leberzellen mit scholliger BasophiIie erreichten auch bereits eine Volumenverdopplung, allerdings ohne 10 [Lm Durchmesser zu uberschreiten, somit ohne PKO. Unter Beachtung der Befunde von KULLMANN et al. (1971) enthalten die vorliegenden Kurven in den noch nicht maximal geschwollenen Zellkernen der verschiedenen Ploidiestufen also wohl auch noch den Faktor eines kompensatorischen FKO. Eine KerngroBenzunahme kann folgende Ursachen haben: a) Die DNS-Replikation, z. T. auch als Reaktion auf langdauernde funktionelle Beanspruchungen (Hypertrophie). b) Die "Kernhydratation", entweder funktionell als Initialphase fur c): LAMPERT et aI., 1966; "praparative Schwellung" (ALTMANN, 1966; GRUNDMANN und HOFMEIER, 1962); oder degenerativ als "pathologisches Kernodem" (CAIN und FAZEKAS, 1963; STOCKER, I96~. c) Die "Kernproteinose", bei effektiver Steigerung des nuklearen RNS- und EiweiBstoffwechsels als "funktionelles Kernodem (Benninghoff)" oder als toxisches dysfunktionelles Kernodem in proportionaler Abhiingigkeit zum Kernvolumen. In dieser Reaktion kann es zur Verdopplung der KerngroBe kommen, wie an unserem Beispiel der Maximalphase des DKO unter TAA. Mit dem gleichen Toxin erreichten KLEINFELD (1957) sowie STOCKER und YOKOYAMA (1966) eine Verdopplung der Kernvolumina in Hauptstuckepithelien der Niere. ALTMANN (1952) und STOCKER (1962) beobachteten nach Pilokarpingab en eine GroBenzunahme des Kerns der exokrinen Pankreaszelle um etwa 100 %. In der gleichen Zellart kommt es umgekehrt perinatal zu einem Abfall der KerngroBe auf genau die Halfte bei konstantem DNS-Gehalt (FAUTREZ und PISI, 1956). Zahlreiche karyometrische Untersuchungen zeigen bei starken toxischen Leberparenchymschiidigungen eine Verschiebung der Durchmesserkurven der Leberzellkerne zu etwa 10 [Lm (u.a. HIERONYMI, 1950; MIYAI und STEINER, 1967; WACHTER, 1954). "Rhythmische" Anderungen (Verdopplungen, Vervielfachungen) der KerngroBen bei konstantem DNS-Gehalt sind im Verlauf von Zelldifferenzierungen bekannt, wie in der Spermiogenese (SCHRADER und LEUCHTENBERGER, 1950; WERMEL, 1933), in der Erythro- und Lymphozytopoese (LEIBETSEDER, 1948; LENNERT und REMMELE, 1958; WEICKER, 1957; WOLFERS, 1951), in der Karzinogenese (TAscAetal., 1970; auch GRUNDMANN et aI., 1961). Zahlreiche, vor allem altere karyometrische Befunde halten in
Karyometrie nach Thioazetamid .
119
ihren Aussagen zu Ploidisierungen bei Verdopplungen von KerngroBen einer Kritik nicht stand - meist sind zur Unterscheidung gegen andere Moglichkeiten einer ZellkernvergroBerung doch gleichzeitige zytophotometrische Untersuchungen notwendig (SANDRITTER, 1961; SAND RITTER und KLEINHi}NS, 1964; LEDERER und SANDRITTER, 1966). Es gilt die Frage weiterzuverfolgen, ob die Verdopplungdes Kernvolumens im maximalen (dys)funktionellen Kernodem eine allgemeine GesetzmaBigkeit darstellt.
Zusammenfassung Leberzellkerne wurden karyometrisch und feulgenphotometrisch in verschiedenen Stadien der chronis chen Thioazetamid-Intoxikation untersucht. 1m maximalen dysfunktionellen Kernodem verdoppelt sich das Kernvolumen. Diese kritische Kerngrol3e wird auch nicht durch einen zusatzlichen Regenerationsreiz einer partiellen Hepatektomie iiberschritten - es sei denn durch das pathologische Kernodem. In der Spatphase der Intoxikation nimmt das dysfunktionelle Kernodem etwas ab, offenbar als Ausdruck einer gewissen Anpassung des Stoffwechsels der Leberzelle.
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