Möglichkeiten und Grenzen der stratifizierenden Medizin am Beispiel von prädiktiven Biomarkern und „zielgerichteten“ medikamentösen Therapien in der Onkologie

Möglichkeiten und Grenzen der stratifizierenden Medizin am Beispiel von prädiktiven Biomarkern und „zielgerichteten“ medikamentösen Therapien in der Onkologie

Available online at www.sciencedirect.com Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 106 (2012) 11–22 Schwerpunkt Möglichkeiten und Grenzen der...

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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 106 (2012) 11–22

Schwerpunkt

Möglichkeiten und Grenzen der stratifizierenden Medizin am Beispiel von prädiktiven Biomarkern und ,,zielgerichteten‘‘ medikamentösen Therapien in der Onkologie Wolf-Dieter Ludwig∗ Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft; Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie im HELIOS Klinikum Berlin-Buch

Zusammenfassung Ergebnisse der Grundlagenforschung haben in den letzten 2 Jahrzehnten die molekulare Heterogenität von Tumorerkrankungen aufgezeigt. Durch die Entwicklung neuer Technologien in den letzten 5-10 Jahren war es möglich, eine Vielzahl von krebsauslösenden Veränderungen im Genom von Tumorzellen zu beschreiben, die letztlich zur malignen Transformation normaler Zellen führen. Die bisher meistens enttäuschenden Ergebnisse in der medikamentösen Behandlung von Tumorerkrankungen mit ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen verdeutlichen, wie schwierig es ist infolge komplexer genetischer Veränderungen in Tumorzellen, Patienten den richtigen Wirkstoff in angemessener Dosierung und zum richtigen Zeitpunkt zu verordnen. Dieser Übersichtsartikel, basierend auf Expertenwissen und aktuellen Übersichtsarbeiten zum Thema, beschreibt zunächst

die genetische Heterogenität von Tumorerkrankungen – ein wesentlicher Grund für die nur langsame Umsetzung grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in besser wirksame Therapiestrategien in der Onkologie – und Ziele von Biomarkern in Zusammenhang mit der stratifizierenden medikamentösen Therapie. Am Beispiel von 4 ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen werden Erfolge und Enttäuschungen der Biomarker-basierten, stratifizierenden medikamentösen Therapie und deren Implementierung in die klinische Praxis diskutiert. Abschließend wird auf die zunehmende Bedeutung von prognostischen bzw. prädiktiven Biomarkern für stratifizierende Therapiestrategien in der Onkologie eingegangen und Empfehlungen für die (prä)klinische Evaluierung von Biomarkern sowie geeignete klinische Studiendesigns für die Validierung prädiktiver Biomarker vorgestellt.

Schlüsselwörter: Stratifizierende Medizin, Tumor, zielgerichtete Therapie, Biomarker, Design klinischer Studien

∗ Korrespondenzadresse.

Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, HELIOS Klinikum Berlin-Buch, Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin. Tel.: +49 (0) 30-940152100; Fax: +49 (0) 30-940152109. E-Mail: [email protected] URL: http://www.helios-kliniken.de/berlin. Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2011.12.001

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Possibilities and limitations of stratified medicine based on biomarkers and targeted therapies in oncology Summary Research over the past two decades has untangled the molecular heterogeneity of cancer at the cellular level. The molecular techniques that have been developed in the past 5 to 10 years are dramatically improving our understanding of the genomic aberrations that underlie the malignant transformation of normal cells. At the same time, however, advances in our understanding of the genetic basis of solid tumours and hematologic malignancies have revealed how complex cancer is, and consequently how much more challenging it is in many of the more common cancers to identify the right drug for the right patient in the adequate dose at the right time. Given the slow pace of translation from genome science to individualised medicine in oncology, this expert review, mainly taking into account

recently published perspective articles and reviews, describes the molecular heterogeneity of cancer, the difficulties in developing novel molecularly targeted agents, and the need for developing biomarkers to optimise drug development and clinical use. Distinct types of biomarkers, breakthroughs as well as disappointments in the clinical implementation of biomarkers and targeted therapeutics into clinical practice are discussed by focusing on four targeted anti-cancer drugs. Finally, as clinical biomarker tests that predict response to particular therapies will play an important role in achieving stratified medicine in the near future, this article will conclude by giving some recommendations for effective biomarker evaluation and clinical trial designs for predictive biomarker validation.

Key words: stratified medicine, cancer, targeted therapy, biomarkers, clinical trial designs

,,Der Arzt muß ja, um den richtigen Behandlungsplan aufstellen zu können, allzu viele Einzelheiten, Aspekte und Umstände beachten: Er muß die Konstitution des Kranken kennen, sein Temperament, seine Stimmungen und Neigungen, sein Tun und Lassen und sogar seine Gedanken und Illusionen;...er muß mit den Ursachen der Krankheiten vertraut sein, ihren Symptomen, Auswirkungen und kritischen Tagen; er muß bei den Arzneien über Gewicht und Stärke Bescheid wissen,..., über Anwendungshinweise und Alter – und all diese Faktoren muß er im rechten Verhältnis miteinander zu kombinieren und in ein vollkommenes Gleichgewicht zu bringen verstehn‘‘ [1]. Dieses Zitat aus den Essais des französischen Philosophen Michel de Montaigne verdeutlicht, dass gutes ärztliches Handeln seit jeher die Berücksichtigung der konkreten Behandlungssituation einschließlich der individuellen Besonderheiten des jeweiligen Patienten erfordert. In der Onkologie sind für das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen neben Art und Ausbreitung der Tumorerkrankung folgende individuelle Faktoren von wesentlicher Bedeutung: Alter, Begleiterkrankungen, Komedikation, Organfunktionen (z.B. Herz, Niere), Lebenssituation des Patienten, soziales Umfeld, Wünsche des Patienten. Fortschritte auf

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dem Gebiet der Grundlagenforschung waren Voraussetzung für ein besseres Verständnis der genetischen Heterogenität von Tumorerkrankungen, die Entwicklung von medikamentösen Therapiestrategien, die sich genauer gegen molekulare Mechanismen der Tumorigenese, Tumorprogression und Tumorresistenz richten, und die Einteilung von morphologisch bzw. histologisch homogen erscheinenden Tumorerkrankungen in klinisch relevante Untergruppen (Strata) [2–5]. Individualisierte Medizin ist deshalb grundsätzlich nichts Neues, weder in der Onkologie noch in anderen medizinischen Fachdisziplinen, da sich grundsätzlich alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen orientieren sollten einerseits an der besten verfügbaren externen Evidenz, andererseits an individuellen Merkmalen des Patienten und dessen Wünschen (Patientenautonomie). Vereinfacht ausgedrückt beruht die (zu häufige) Verwendung des Begriffs individualisierte Medizin in der Onkologie auf der Vision, dass es in naher Zukunft gelingen wird – ausgehend insbesondere vom besseren Verständnis der molekularen Pathogenese von Tumorerkrankungen –, neue Wirkstoffe zu entwickeln, die noch gezielter funktionell relevante genetische Veränderungen in Tumorzellen erkennen und gezielt beeinflussen können (sog. ,,zielgerichtete‘‘ Therapie). Somit soll für jeden Patienten das höchstmögliche

Maß an therapeutischer Wirksamkeit bei gleichzeitiger Minimierung der unerwünschten Arzneimittelwirkungen erreicht werden [6,7]. Hierfür werden Biomarker benötigt, die basierend auf genetischen Veränderungen entweder im Genom der Keimbahn (z.B. Polymorphismen für Arzneimittel metabolisierende Enzyme) oder im somatischen Genom des Tumors das Ansprechen auf Wirkstoffe bei Patienten mit Tumorerkrankungen vorhersagen und ermöglichen, dass Patienten den richtigen Wirkstoff in angemessener Dosierung zum richtigen Zeitpunkt verordnet bekommen [8–10]. Unterschieden wird heute zwischen drei Arten von Biomarkern: prognostische Biomarker, die Patienten mit einem hohen Rezidivrisiko und der Notwendigkeit für weitere (adjuvante) medikamentöse Therapie identifizieren; prädiktive Biomarker, die das Ansprechen individueller Patienten auf spezielle Wirkstoffe vorhersagen; pharmakodynamische Biomarker, die die Auswahl der für einen individuellen Patienten geeigneten Dosis ermöglichen [4]. Bereits seit mehr als 10 Jahren werden zytogenetische Aberrationen (z.B. Translokationen) bzw. molekulare Marker bei hämatologischen Neoplasien (z. B. akute myeloische Leukämien, AML) berücksichtigt, um risikoadaptierte Behandlungsstrategien festzulegen und das Ansprechen auf die Therapie bzw. den Nachweis von

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minimaler Resterkrankung zu überprüfen [11,12]. Dabei werden anhand zyto- und molekulargenetischer Merkmale Untergruppen der AML mit einer günstigen, intermediären und ungünstigen Prognose definiert und abhängig vom Risiko behandelt - ausschließlich mit intensiver Chemotherapie oder bei intermediärem bzw. hohem Risiko für einen Rückfall der AML zusätzlich mit allogener Stammzelltransplantation [12]. Dieses Vorgehen ist ein gutes Beispiel für ein erfolgreich in den klinischen Alltag implementiertes, stratifizierendes therapeutisches Vorgehen. Angesichts der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, großen Fortschritten in der DNA-Sequenzierung und Verfügbarkeit von Biomarkern sowie ,,zielgerichteter‘‘ Wirkstoffe ist die stratifizierende bzw. individualisierte Medizin heute in aller Munde und zu einem Modethema geworden. Wenn es darum geht, Szenarien für die medizinische Versorgung der Zukunft zu entwickeln, wird häufig auch die Bezeichnung ,,personalisierte Medizin‘‘ verwendet [13–16]. Dabei weisen die unterschiedlichen begrifflichen Kennzeichnungen (stratifizierende, individualisierte, personalisierte Medizin) nicht nur auf sprachliche, sondern auch auf inhaltliche Probleme hin [14] und die Verwendung des euphemistischen Begriffs ,,personalisierte Medizin‘‘ in der Onkologie ist falsch, da derzeit keine personalisierten, in ihrer Wirksamkeit gut belegten Therapiestrategien zur Verfügung stehen. Laienpresse, medizinische Fachzeitschriften, Übersichtsarbeiten in führenden wissenschaftlichen Zeitschriften, Jahrestagungen medizinischer Fachgesellschaften, Symposien und Foren der Gesundheitswirtschaft, der Deutsche Ethikrat sowie Verbundforschungsprojekte widmen sich verstärkt diesem Thema. Dies geschieht nicht immer mit der nötigen kritischen Reflexion darüber, was eigentlich unter dem Begriff ,,individualisierte‘‘ oder ,,personalisierte Medizin‘‘ zu verstehen ist, und welche konkreten, für die Patienten relevanten Fortschritte in der Diagnostik und medikamentösen Therapie tatsächlich erreicht wurden. In der Diskussion um die individualisierte Medizin hat heute

die Onkologie zweifellos eine Vorreiterrolle übernommen. Man verspricht sich von dem enormen Zuwachs an Ergebnissen zu genetischen Veränderungen in Tumorzellen und detaillierten molekularen (Tumor-) Analysen jedes einzelnen Patienten die Entwicklung neuer ,,zielgerichteter‘‘ Wirkstoffe und auch von Biomarkern (,,companion diagnostics‘‘). Dies erlaubt, so hofft man, neben einer verfeinerten Klassifikation der Tumorerkrankungen auch eine bessere prognostische Einschätzung und Optimierung der bisher überwiegend enttäuschenden Ergebnisse mit ,,zielgerichteten‘‘ Therapiestrategien [2,13,15,17–19]. Im Folgenden wird zunächst auf die genetische Heterogenität von Tumorerkrankungen und die Ziele von Biomarkern hingewiesen. Am Beispiel von 4 ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen werden Erfolge, Misserfolge und offene Fragen der Biomarker-basierten, stratifizierenden medikamentösen Therapie in der Onkologie diskutiert. Anschließend wird eingegangen auf die zahlreichen Hindernisse, die derzeit der Umsetzung einer stratifizierenden Medizin in der Onkologie noch im Wege stehen. Den Artikel beschließt ein Ausblick auf die evidenzbasierte Wissensbasis, die für stratifizierende, an genetischen Merkmalen sich orientierende Arzneimitteltherapien in der Onkologie erforderlich ist.

Genetische Heterogenität von Tumorerkrankungen und Biomarker Große Fortschritte auf dem Gebiet der molekulargenetischen bzw. –biologischen Charakterisierung von Tumorerkrankungen und die 2000 erfolgte Entschlüsselung des menschlichen Genoms haben die Annäherung von Grundlagenforschung und klinischen Studien in der Onkologie beschleunigt. Dadurch wurden wichtige Impulse für die translationale Forschung gesetzt und die Entwicklung zahlreicher ,,zielgerichteter‘‘ Wirkstoffe zur Behandlung insbesondere solider

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Tumoren, aber auch hämatologischer Neoplasien ermöglicht. Das bessere Verständnis molekularer Veränderungen in Tumorzellen war darüber hinaus Ausgangspunkt für die Entwicklung von Biomarkern, die als Indikatoren biologischer oder pathologischer Prozesse zur Beurteilung des pharmakologischen Ansprechens auf ,,zielgerichtete‘‘ Wirkstoffe benutzt werden können [2–5,16,20–22]. Prinzipiell sind Biomarker für den gesamten Prozess der translationalen Forschung von großer Bedeutung, da sie bereits frühzeitig in der Arzneimittelentwicklung strategische (,,go or no go‘‘) Entscheidungen beeinflussen können [23,24], in der präklinischen und frühen klinischen Forschung als pharmakologische Biomarker dienen und beim klinischen Einsatz neuer zielgerichteter Wirkstoffe die Selektion geeigneter Patienten erleichtern sowie eine Vorhersage (Prädiktion) des Ansprechens auf einen speziellen Wirkstoff erlauben [3,4,8,25]. Trotz der unbestreitbar großen Fortschritte in der onkologischen Grundlagenforschung ist insbesondere im letzten Jahrzehnt deutlich geworden, dass fortgeschrittene Krebserkrankungen und deren medikamentöse Behandlung häufig der aus der griechischen Mythologie bekannten Gestalt Typhon ähneln, einem Ungeheuer mit 100 Drachen- oder Schlangenköpfen, das lange Zeit als unbesiegbar galt [4]. Hierfür verantwortlich sind in erster Linie eine Vielzahl von krebsauslösenden Veränderungen, vor allem im Genom von Tumorzellen, und die häufig unter Behandlung auftretenden Resistenzen gegenüber ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen. Für ein besseres pathophysiologisches Verständnis der biologischen Konsequenzen genetischer Veränderungen in Tumorzellen und der Resistenzmechanismen ist es wichtig zwischen sog. ,,driver‘‘, für die maligne Transformation relevanten Mutationen und ,,neutral bystander‘‘ oder ,,passenger‘‘ Mutationen sowohl im primären Tumor als auch in Metastasen zu unterscheiden [3]. Erschwert werden Untersuchungen zur (molekular-)genetischen Heterogenität von Tumorerkrankungen durch

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die Tatsache, dass Veränderungen im Genom von Tumorzellen und deren funktionelle Bedeutung nicht isoliert betrachtet, sondern nur im Kontext anderer Faktoren wie z.B. Zelltyp, Entwicklungsstadium der Zelle und Tumor-Mikromilieu (z.B. Tumorangiogenese) interpretiert werden können [3,4]. Um die Relevanz der genetischen Veränderungen für Auslösung und Fortschreiten von Tumorerkrankungen zu belegen, wurden in den letzten Jahren von Molekularpathologen zunehmend genetische Veränderungen auf DNA-Ebene (z.B. Fluoreszenz-in-situHybridisierung, FISH) und Expression der Genprodukte auf Proteinebene (Immunhistochemie oder Immunfluoreszenz) an größeren Kohorten von Patienten mit speziellen Tumorentitäten untersucht [20,21,26]. Als wichtige Methoden für die molekulare Klassifikation von Tumorerkrankungen gelten darüber hinaus die Polymerasekettenreaktion (PCR) in verschiedenen Variationen und Multigenassays zur Erstellung von Genexpressionsprofilen [20,21,26]. Diese Methoden, die das diagnostische Spektrum der traditionellen Pathologie heute bereits ergänzen bzw. teilweise sogar ersetzen, erfordern aufgrund ihrer klinischen Bedeutung für Therapieentscheidungen Qualitätssicherungsinitiativen. Nur so ist die Reproduzierbarkeit und exakte Quantifizierung der Biomarkerbestimmung zu gewährleisten. Außerdem muss darauf geachtet werden, dass sich der Einsatz neuer Technologien weniger am technisch Machbarem bzw. wissenschaftlich oder wirtschaftlich Attraktivem orientiert als am klinischen Nutzen [7]. Trotz Verheißungen der zunehmend verfügbaren Hochdurchsatztechnologien für die Genom-, Transkriptom-, Proteom- und/oder Metabolomanalyse zur Erstellung molekularer Fingerabdrücke sowie verstärkte Anwendung moderner Sequenzierungstechniken zur Charakterisierung des kompletten Genoms bzw. Exoms in Tumorzellen sind wir noch weit davon entfernt, die Konsequenzen der nachgewiesenen genetischen Veränderungen in Bezug auf das Ansprechen auf spezielle medikamentöse Therapiestrategien oder die Neigung zur Metastasierung genau zu

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verstehen und gezielt für bessere medikamentöse Therapien zu nutzen. Wir benötigen deshalb dringend weitere informative Biomarker, die anhand genetischer Merkmale bzw. Proteinexpression prognostisch und klinisch relevante Untergruppen (Strata) erkennen und für Therapieentscheidungen im Sinne stratifizierender Strategien genutzt werden können [13]. Dabei verfolgt die Analyse von Biomarkern in der Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen grundsätzlich mehrere Ziele. Neben einer Unterteilung von Tumorerkrankungen in Subgruppen können Biomarker wichtige Hinweise auf die Frage ergeben, ob nach chirurgischer Entfernung des Primärtumors weitere (adjuvante) medikamentöse Therapie erforderlich ist (,,who to treat‘‘), welche Wirkstoffe diese medikamentöse Therapie enthalten (,,how to treat‘‘) und wie intensiv der individuelle Patient behandelt werden sollte (,,how much to treat‘‘) [4]. Im folgenden Abschnitt wird auf den klinischen Stellenwert prognostischer und prädiktiver Biomarker am Beispiel von vier onkologischen Wirkstoffen eingegangen. Pharmakodynamische Biomarker, die in der Planung der medikamentösen Tumortherapie weiterhin eine eher untergeordnete Rolle spielen, sind in einer kürzlich publizierten Übersichtsarbeit besprochen worden [10].

Biomarker-basierte medikamentöse Therapien: Erfolge, Misserfolge und die Lehren daraus Am Beispiel von zwei TyrosinkinaseInhibitoren (TKI; Imatinib, Gefitinib) und zwei monoklonalen Antikörpern (moAk; Trastuzumab, Cetuximab) wird verdeutlicht, dass für therapeutische Fortschritte einer Biomarker-basierten, ,,zielgerichteten‘‘ medikamentösen Therapie von Tumorerkrankungen verschiedene Faktoren erforderlich sind. Hierzu zählen besonders fundierte wissenschaftliche Kenntnisse über die molekularen Zielstrukturen sowie gestörten Signalwege in Tumorzellen

und aussagekräftige Biomarker sowie deren Validierung in prospektiven kontrollierten klinischen Studien. Die über knapp vier Jahrzehnte erarbeiteten wissenschaftliche Erkenntnisse zur gezielten Ausschaltung eines für die Pathogenese entscheidenden Onkogens (,,driver‘‘ Mutation) bei der Philadelphia-Chromosom positiven (Ph+ ) chronischen myeloischen Leukämie (CML) durch Imatinib (siehe unten) haben die Hoffnung geweckt, dass auch bei anderen Tumorerkrankungen aufgrund eines besseren Verständnis der molekularen Pathogenese deutliche Fortschritte durch ,,zielgerichtete‘‘ medikamentöse Behandlung erreicht werden können. Diese Hoffnung konnte jedoch bisher, wie die folgenden Beispiele zeigen, nur bei sehr wenigen Tumorerkrankungen erfüllt werden, und echte therapeutische, für Patienten spürbare Fortschritte sind selten. Eine Erklärung hierfür ist die Tatsache, dass solide Tumoren – anders als die Ph+ CML – nicht nur eine, sondern multiple genetische Veränderungen mit komplexen Signalprozessen aufweisen. Darüber hinaus sind die Tumorzellen bei soliden Tumoren mit sehr variablen Reaktionsmöglichkeiten ausgestattet, die es ihnen erlauben, die medikamentöse Ausschaltung einer onkogenen Zielstruktur zu kompensieren bzw. zu umgehen [2].

Imatinib: ein wichtiger therapeutischer Fortschritt in der Onkologie Imatinib, ein Inhibitor verschiedener TK mit onkogenem Potenzial, wurde 2001 zunächst für die Behandlung von Patienten mit Ph+ CML zugelassen und gilt heute als Paradigma für die Entwicklung einer erfolgreichen, Biomarker-basierten, ,,zielgerichteten‘‘ Therapiestrategie [11,27,28]. Die molekulare Pathogenese der CML wurde im Laufe der letzten 50 Jahre sukzessive aufgedeckt [27]. Zugrunde liegt der Erkrankung die reziproke Translokation zwischen den langen Armen der Chromosomen 9 und 22, die als erste spezifische genetische Veränderung bei einer Tumorerkrankung

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Tabelle 1. Pflichttests bei Einsatz ,,zielgerichteter‘‘ Wirkstoffe in der Onkologie: Zielstruktur, Biomarker, zugrunde liegende genetische Veränderungen und therapeutische Bedeutung [4,15,20–22,51]. Tumorerkrankung

Zielstruktur

Aussage des Biomarkers

Untersuchungsmaterial

Testbeschreibung

Genetische Veränderung

Therapeutische Bedeutung

Mammakarzinom

Estrogen- und/ oder ProgesteronRezeptoren

prognostisch und prädiktiv

Tumorzellen

Immunhistochemie

verstärkte Expression

akute Promyelozytenleukämie kolorektale Karzinome

PML-RAR ˛

prädiktiv

Leukämiezellen

PCR oder FISH

Translokation

EGFRTyrosinkinase

prädiktiv

Gewebeprobe des Tumors

Sequenzanalyse KRAS

Mutation

nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom

EGFRTyrosinkinase

prädiktiv

Gewebeprobe des Tumors

Test auf aktivierende Mutationen im EGFR

Mutation/ Amplifikation

Ph+ CML/ALL

BCR-ABL

prädiktiv

Leukämiezellen

PCR oder FISH

Translokation

Mammakarzinom

HER2

prognostisch und prädiktiv

Gewebeprobe des Tumors

Immunhistochemie und FISH (Anzahl an DNA-Kopien)

Überexpression bzw. Amplifikation

Empfindlichkeit auf Hormontherapie in der adjuvanten Therapie oder im metastasierten Stadium Ansprechen auf Wirkstoffe Anwendung nur bei Wildtyp des KRAS-Gens Anwendung nur bei Nachweis von aktivierenden Mutationen der EGFR-Tyrosinkinase Anwendung nur bei positivem Testergebnis Anwendung nur bei HER 2-Überexpression bzw. Amplifikation

Abkürzungen: ALL (akute lymphatische Leukämie); CML (chronische myeloische Leukämie); PML (promyelocytic leukemia), RAR-␣ (retinoic acid receptor-alpha); EGFR (epidermal growth factor receptor); BCR (breakpoint cluster region), ABL (Abelson murine leukemia); HER2 (human epidermal growth factor receptor 2); PCR (Polymerasekettenreaktion); FISH (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung)

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bereits 1960 beschrieben wurde. Die Translokation führt zur Bildung des BCR-ABL-Fusionsgens (Tab. 1), dessen Genprodukt, eine konstitutiv aktive TK, zur chronischen Phase der CML führt infolge unkontrollierten Zellwachstums, verzögerter Apoptose und abnormer Zelladhäsion. Bereits in einer Phase-IStudie mit Imatinib, die 1998 in den USA begann, wurde eine eindrucksvolle Wirksamkeit dieses TKI beobachtet und rasch vier internationale Phase-IIStudien bei mehr als 1.000 Patienten begonnen, deren Ergebnisse in der Rekordzeit von weniger als 3 Jahren zur Zulassung von Imatinib führten [27]. Die sehr gute Wirksamkeit von Imatinib wurde durch die Ergebnisse einer prospektiven, multizentrischen, offenen Phase-III-Studie bestätigt, in der 1106 Patienten mit CML nach Randomisierung entweder mit Imatinib oder Interferon (IFN)-␣ plus Cytarabin behandelt wurden [11]. Die 2009 nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 6 Jahren mitgeteilten Ergebnisse ergaben im ereignisfreien Überleben (83%) eine hoch signifikante Überlegenheit gegenüber der Behandlung mit IFN-␣ plus Cytarabin und auch das hämatologische sowie (molekular-)genetische Ansprechen waren unter Therapie mit Imatinib signifkant besser. Bei Patienten, die auf Imatinib nicht ansprachen oder deren Erkrankung in eine akzelerierte Phase bzw. Blastenkrise transformierte, wurden inzwischen Mutationen in der Kinasedomäne von BCR-ABL entdeckt, die verhinderten, dass Imatinib an die TK bindet [4,21]. Mit Dasatinib und Nilotinib stehen heute bereits zwei TKI für die Behandlung von Imatinib-resistenten Patienten mit Ph+ CML zur Verfügung. Imatinib, ein ursprünglich als ,,Orphan Drug‘‘ für eine seltene Erkrankung (jährliche Inzidenz Ph+ CML: 1 – 2 pro 100.000 Einwohner) zugelassener Wirkstoff, hat sich rasch von einem ,,Orphan Nichebuster‘‘ zu einem ,,Blockbuster‘‘ (Definition: > 1 Mrd. US-$ Jahresumsatz) entwickelt, da der TKI inzwischen für 5 weitere (seltene) Erkrankungen (z.B. Ph+ akute lymphatische Leukämie, fortgeschrittenes hypereosinophiles Syndrom und/oder chronische eosinophile Leukämie, c-kit-positiver metastasierter

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gastrointestinaler Stromatumor) zugelassen wurde. Dies verdeutlicht auch den kommerziellen Erfolg dieses Wirkstoffs, der sich infolge guter therapeutischer Wirksamkeit von Imatinib bei steigender Inzidenz und Prävalenz der Ph+ CML sowie Ausweitung der Indikationen seit 2001 eingestellt hat. In den großen Arzneimittelmärkten (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien) hat sich die Zahl der für eine Therapie mit Imatinib in Frage kommenden Patienten mit Ph+ CML nahezu verdoppelt (2009: 91.500 Patienten) und Analysten gehen davon aus, dass diese Märkte auch in den kommenden Jahren um 9–11% / Jahr steigen werden [28]. Die Entwicklung von Imatinib zur gezielten medikamentösen Behandlung der CML ist ein Beispiel dafür, dass auch bei seltenen, hinsichtlich der molekularen Pathogenese gut charakterisierten Erkrankungen die Entwicklung einer tatsächlich zielgerichteten Therapie für den pharmazeutischen Unternehmer äußerst lukrativ und eine sinnvolle Forschungsinvestition sein kann.

Trastuzumab: ein weiterer therapeutischer Fortschritt in der Onkologie – aber noch viele unbeantwortete Fragen Auch der gegen HER2 (,,human epidermal growth factor receptor 2‘‘) gerichtete humanisierte moAk Trastuzamab wird heute häufig als ein Meilenstein in der Behandlung von Patienten mit HER2-positivem Mammakarzinom bezeichnet. HER2 gehört zur Familie der epidermalen Rezeptoren für Wachstumsfaktoren (,,epidermal growth factor receptor‘‘, EGFR), die als transmembranäre Glykoproteine über TK-Aktivität verfügen und wichtige zelluläre Prozesse, wie Wachstum und Differenzierung, regulieren. HER2 Überexpression infolge Genamplifikation oder vermehrter Produktion des Proteins (Tab. 1) ist in ca. 15-25% der Mammakarzinome nachweisbar und zumindest bei nodal-positiven Patienten mit HER-positivem Mammakarzinom prognostisch relevant, da eine Überexpression mit aggressivem Verlauf sowie häufigeren Rezidiven assoziiert

ist [4,26,29]. Bereits 1998 in den USA und 2000 in Europa wurde Trastuzumab als erster moAk zur Behandlung eines soliden Tumors zugelassen, obwohl damals sehr wenig über biologische Funktion und klinische Relevanz von HER2 als therapeutische Zielstruktur bekannt war. Die primäre Therapie des HER2-positiven metastasierten Mammakarzinoms mit Trastuzumab erfolgte in Kombination mit Zytostatika (Taxane) bzw. bei Hormonrezeptor-Positivität auch in Kombination mit Aromatasehemmer oder aber als TrastuzumabMonotherapie bei zytostatisch vorbehandelten Patienten [30]. Der damals prophezeite Durchbruch in der Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms hat sich nicht bewahrheitet und die Ergebnisse klinischer Studien sprechen eher für eine marginale Wirksamkeit dieses Therapieprinzips [30]. Auch heute, 11 Jahre nach Zulassung des moAk in Deutschland, sind Ergebnisse von Phase-IIIStudien zum Vergleich unterschiedlicher Chemotherapien in Kombination mit Trastuzumab nicht publiziert worden. Die Entscheidung von Onkologen zur Therapie von Patienten mit metastasiertem, HER2-positivem Mammakarzinom basiert deshalb vorwiegend auf Ergebnissen retrospektiver Studien sowie eigenen praktischen Erfahrungen, nicht aber auf solider Evidenz [30]. Im Jahr 2006 wurde Trastuzumab als erster moAk zur adjuvanten Therapie eines soliden Tumors (HER2positives Mammakarzinom im Frühstadium) zugelassen, nachdem an etwa 7000 Patienten in mehreren randomisierten kontrollierten Studien (RCT) übereinstimmend gezeigt worden war, dass eine signifikante Verlängerung des erkrankungsfreien bzw. rezidivfreien Überlebens, z.T. auch eine geringe Verbesserung des Gesamtüberlebens (3%), durch zusätzliche Gabe von Trastuzumab erreicht werden kann. Die Wirksamkeit von Trastuzumab in der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms gilt heute als gesichert und Auswertungen mit inzwischen medianer Nachbeobachtungsdauer von 4 – 5 Jahren zeigen signifikante Unterschiede sowohl im krankheitsfreien (Hazard

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Ratio 0,52; Konfidenzintervall, KI, 0,450,60) als auch im Gesamtüberleben (Hazard Ratio 0,61; Konfidenzintervall, KI, 0,50-0,75) zugunsten einer zusätzlichen Verabreichung von Trastuzumab (z.B. [31]). Auch in der adjuvanten Situation sind jedoch wichtige Fragen zu dieser Biomarker-basierten Therapiestrategie bis heute nicht beantwortet. Hierzu zählen:

• die Verfügbarkeit prädiktiver Bio-

• • • •

marker, die HER2-positive Patienten identifizieren, die von einer adjuvanten Gabe von Trastuzumab nicht profitieren (ca. 50%); der optimale Zeitpunkt für den Beginn der (neo)adjuvanten Therapie mit Trastuzumab; die am besten geeigneten zytostatischen Kombinationspartner; die zeitliche Abfolge von Chemotherapie plus Trastuzumab (simultan oder sequenziell); die erforderliche Dauer der Gabe von Trastuzumab [32].

Unklar bleibt auch aufgrund des in der adjuvanten Therapie gewählten Designs der RCTs, ob möglicherweise HER2-negative bzw. schwach HER2positive Patienten auch von Trastuzumab profitieren [32]. Angesichts der Kardiotoxizität von Trastuzumab, aber auch der sehr hohen Therapiekosten bei der heute als Standard geltenden einjährigen Gabe alle 3 Wochen, hätten diese Fragen, besonders die Frage nach der Dauer der Therapie, vorrangig und unabhängig von Interessen des pharmazeutischen Unternehmens bearbeitet werden müssen. Dies ist bis heute jedoch nicht geschehen und unterstreicht die Bedeutung der unabhängig von kommerziellen Interessen konzipierten klinischen Forschung, auch im Zeitalter der stratifizierenden medikamentösen Therapie.

Gefinitinib, Erlotinib: ein Hoffnungsschimmer für eine kleine Untergruppe von Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom? Die Entwicklung der TKI Gefitinib und Erlotinib zur Behandlung von

erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem, nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (,,non-small cell lung cancer‘‘, NSCLC) gilt ebenfalls als Beispiel für eine erfolgreiche Biomarker-basierte Therapiestrategie bei einer soliden Tumorerkrankung mit sehr ungünstiger Prognose im fortgeschrittenen Stadium. Bei dieser, auch mit Gefitinib und Erlotinib nicht kurativ zu behandelnden Tumorerkrankung kann anhand eines Biomarkers eine kleine Untergruppe (ca. 10-15% der Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC) identifiziert werden, die auf eine ,,zielgerichtete‘‘ Therapie deutlich besser anspricht und deren Überlebensdauer durch diese Therapie vermutlich verlängert werden kann. Durch Bindung des EGF an seinen Rezeptor (EGFR) werden mehrere intrazelluläre Signalwege angeregt, die eine Schlüsselrolle in der Regulation von Wachstum und Differenzierung normaler Zellen, aber auch von Tumorzellen spielen. Durch Inhibitoren der EGFRTK werden der intrazelluläre Anteil des Rezeptors und weitere in die Signalweiterleitung involvierte Proteine blockiert. Gefitinib wurde 2004 von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen, obwohl zum damaligen Zeitpunkt die wichtige prädiktive Rolle des EGFRMutationsstatus für das Ansprechen auf Gefitinib noch nicht bekannt war. Gefitinib wurde damals in klinischen Studien ohne vorhergehende molekulargenetische Charakterisierung des Tumors eingesetzt, und die Ergebnisse klinischer Studien zur Wirksamkeit von Gefitinib als Monotherapie oder in Kombination mit Cisplatin-haltigen Chemotherapiekombinationen waren enttäuschend [33]. Erst anhand grundlagenwissenschaftlicher Untersuchungen US-amerikanischer Arbeitsgruppen an tierexperimentellen Modellen und Tumorgewebe von Patienten mit NSCLC konnte nachgewiesen werden, dass insbesondere Patienten, deren Tumorzellen aktivierende Punktmutationen oder Deletionen im EGFR aufwiesen, von einer Therapie mit Gefitinib und Erlotinib profitierten (Tab. 1). Diese Mutationen wurden zunächst bei asiatischen Frauen beobachtet, die nicht oder selten geraucht hatten und an einem

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Adenokarzinom der Lunge erkrankt waren. In der für die Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) im Juli 2009 entscheidenden randomisierten Phase-III-Studie wurde eine Monotherapie mit Gefitinib mit einer platinhaltigen Chemotherapie an 1217 asiatischen Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC verglichen, wobei eine klinische Vorselektion nach Raucherstatus und Histologie (Adenokarzinom) stattfand. Diese Studie ergab eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens und der Lebensqualität unter Therapie mit Gefitinib [34]. Retrospektiv analysierte Tumorproben von 437 Patienten ergaben deutliche Unterschiede im objektiven Tumoransprechen auf die Therapie mit Gefitinib in Abhängigkeit vom Mutationsstatus. Etwa 70% der Patienten mit aktivierenden Mutationen im EGFR-Gen zeigten ein Ansprechen, wohingegen nur 1,1% der Patienten ohne diese Mutationen von Gefitinib profitierten. Eine Verlängerung des Gesamtüberlebens durch Therapie mit Gefinitinib konnte in dieser Studie nicht gezeigt werden. Als Gründe hierfür wurden genannt: die kurze Nachbeobachtungsdauer und der Therapiewechsel (,,crossover‘‘) auf Gefitinib bei initial mit Zytostatika behandelten Patienten nach Krankheitsprogress. Ergebnisse prospektiver RCTs liegen bisher nicht vor, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Gefitinib oder Erlotinib mit der platinhaltiger Chemotherapie-Protokolle an größeren, nicht-asiatischen Patientenkollektiven mit metastasiertem NSCLC und Nachweis aktivierender Mutationen im EGFR-Gen verglichen haben [33].

Cetuximab, Panitumumab: Biomarker-basierte Therapiestrategie zur Behandlung fortgeschrittener kolorektaler Karzinome Anders als bei Gefitininb oder Erlotinib kann heute bei Patienten mit metastasiertem, EGFR-exprimierenden kolorektalen Karzinom anhand einer Sequenzanalyse von KRAS eine Untergruppe mit KRAS Wildtyp (ca. 60%

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der Patienten) identifiziert werden, die von einer ,,zielgerichteten‘‘ Therapie mit den moAk, Cetuximab oder Panitumumab, in Kombination mit Chemotherapie möglicherweise profitiert. KRAS gehört zur Familie der RASProteine und ist von entscheidender Bedeutung für einen von dem EGFR gesteuerten intrazellulären Signalweg. Auch in der Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms waren die Ergebnisse mit ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen, z. B. mit dem moAk Cetuximab, zunächst enttäuschend, da in Phase-II-Studien an unselektierten Patienten nur eine geringe Wirksamkeit (Ansprechraten als Monotherapie um 10% und in Kombination mit Zytostatika um 20 – 25%) beobachtet wurde. Die bei der Zulassung von Cetuximab durch die EMA zunächst genannte Zielstruktur auf den Tumorzellen (EGFR) erwies sich in der Folgezeit als klinisch nicht relevanter Biomarker. Erst durch den Nachweis, dass Patienten mit Wildtyp des KRAS Gens besser auf eine Hemmung der EGFR-TK durch Cetuximab oder Panitumumab ansprechen und Patienten mit KRAS Mutationen (nachweisbar bei ca. 40% der kolorektalen Karzinome) nicht von diesen moAk profitieren, stand ein prädiktiver, klinisch relevanter Biomarker zur Verfügung (Tab. 1). Basierend auf der gemeinsamen Auswertung von fünf RCTs bei Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen hat die American Society of Oncology (ASCO) im Jahr 2009 empfohlen, die Tumore aller Patienten mit kolorektalen Karzinomen, die für eine Anti-EGFR gerichtete Therapie mit moAk in Frage kommen, auf KRAS Mutationen im Codon 12 oder 13 zu untersuchen. Bei Nachweis dieser Mutationen sollten Patienten nicht mit Cetuximab oder Panitumumab behandelt werden [35]. Die inzwischen vorliegenden RCTs der Phase-III haben bei Vorliegen eines KRAS Wildtyps geringe Vorteile in der Ansprechrate (59,3% versus 43,2%) und im progressfreien Überleben (PFS; 24,9 vs. 21,0 Monate) für die kombinierte Gabe von moAk (Cetuximab oder Panitumumab) plus Standardchemotherapie gegenüber einer alleinigen Chemotherapie sowohl in

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der Erstlinien- (z.B. [36]) als auch in der Zweitlinien-Therapie von Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen ergeben. Auch bei dieser Biomarker-basierten, ,,zielgerichteten‘‘ medikamentösen Therapie sind jedoch noch viele Fragen unbeantwortet, so z.B. zur synergistischen oder antagonistischen Wirksamkeit von moAk und speziellen Chemotherapeutika und zum bisher nicht belegten Nutzen der moAk in der adjuvanten Situation [37]. Es ist für das Konzept ,,zielgerichteter‘‘ bzw. stratifizierender Therapiestrategien sehr enttäuschend, dass in der primären Behandlung von Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen, aber auch bei anderen soliden Tumoren, durch Verabreichung verschiedener ,,zielgerichteter‘‘ Wirkstoffe (z.B. Cetuximab plus Bevacizumab, einem gegen ,,vascular endothelial growth factor‘‘, VEGF, gerichteten moAk) in Kombination mit Chemotherapie kein verbessertes Ansprechen der Tumorerkrankung, sondern sogar antagonistische Effekte im Sinne einer Verkürzung des PFS und einer schlechteren Lebensqualität beobachtet wurden [38,39].

Anforderungen an Biomarker und das Design klinischer Studien im Rahmen der stratifizierenden medikamentösen Therapie in der Onkologie Hindernisse auf dem Weg zur stratifizierenden medikamentösen Therapie in der Onkologie Dem ambitionierten Ziel einer stratifizierenden bzw. individualisierten medikamentösen Therapie von Krebserkrankungen stehen derzeit noch zahlreiche Hindernisse im Wege. Voraussetzung für die Entwicklung ,,zielgerichteter‘‘ Therapien sind zunächst grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen, um anhand detaillierter molekularer (Tumor-)Analysen, evtl. sogar bei jedem einzelnen Patienten, die genetische

Heterogenität von Tumorerkrankungen und die komplexen Aktivierungsmechanismen zellulärer Signalwege besser zu verstehen [2]. Parallel hierzu müssen prädiktive Biomarker identifiziert, durch entsprechende bioanalytische Methoden validiert und deren Nutzen für die jeweilige Fragestellung im Rahmen stratifizierender medikamentöser Therapien evaluiert werden [40]. Bereits 2004 wurde auf das Fehlen prädiktiver Biomarker in der Onkologie hingewiesen und die ungenügende Bereitschaft pharmazeutischer Unternehmen beklagt, ausreichend Zeit und Geld in klinische Studien zu investieren, um geeignete Biomarker frühzeitig in der Entwicklung neuer Wirkstoffe zu identifizieren [24]. Auch knapp 8 Jahre später sind Onkologen gezwungen, bei verschiedenen, häufig eingesetzten ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen (z.B. Bevacizumab, Sunitinib, Sorafenib) und Krankheitsbildern (z.B. fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom) teure medikamentöse Therapiestrategien zu verordnen, ohne genau zu wissen, welche Patientenuntergruppen davon profitieren. In dieser Situation sollten ,,zielgerichtete‘‘ Wirkstoffe sehr zurückhaltend eingesetzt werden - z.B., wenn konventionelle Therapien nicht mehr wirksam sind - und der Patient muss über die fehlende bzw. schwache Evidenz informiert werden. Methodische und praktische Anforderungen an ,,zielgerichtete‘‘ medikamentöse Therapiestrategien in der Onkologie, die bioanalytische Validierung von Biomarkern und das Design Biomarker-basierter klinischer Studien sind in verschiedenen aktuellen Übersichtsarbeiten ausführlich dargestellt worden [19,25,40–43]. Übersicht 1 weist hin auf aktuelle Empfehlungen zur effektiven Beurteilung von Biomarkern und fasst wichtige Schritte zur Implementierung stratifizierender medikamentöser Therapiestrategien in der Onkologie zusammen. Die früher gewählte Herangehensweise – ,,one–size–fits-all‘‘ – ist heute nicht mehr für die Arzneimittelentwicklung in der Onkologie geeignet. Gründe hierfür sind die biologische und molekulargenetische Komplexität von

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Übersicht 1 Anforderungen an die Implementierung stratifizierender medikamentöser Therapiestrategien in die Klinik [7,8,16,18,40–42,47,50]

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Parallele (prä-)klinische Entwicklung von ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen und Biomarkern (,,companion diagnostics‘‘) Evaluierung von Biomarkern hinsichtlich (a) analytischer Validität; (b) Eignung, prognostisch bzw. therapeutisch relevante Untergruppen zu erkennen; (c) Verwendung im speziellen klinischen Kontext (ausreichende Evidenz vorhanden?) Am vorhandenen Wissen und konkreter Fragestellung orientiertes Design klinischer Studien (z.B. Endpunkte, Randomisierung nur in Untergruppen oder gesamten Studienkollektiv, prospektive Validierung der klinischen Aussagekraft von Biomarkern) Zulassung von Biomarkern durch regulatorische Behörden (EMA*, FDA*) mit vergleichbaren strengen Anforderungen wie für Arzneimittel und Medizinprodukte Register für klinische Studien mit Biomarkern Biobanken mit Tumorgewebe, Tumorzellen, Blut- und Serumproben, etc. (u.a. für Validierung von Biomarkern) Kontrollierte Einführung von ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen in Verbindung mit entsprechenden Biomarkern (z.B. im Rahmen von Phase-IV-Studien), besonders nach beschleunigten Zulassungsverfahren und bei unklarem Nutzen der ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffe und/oder der zur Stratifizierung herangezogenen Biomarker Globale Harmonisierung von Anforderungen an hochwertige klinische Studien zu Arzneimitteln in der Onkologie und stärkere internationale Zusammenarbeit bei diesen Studien.

* EMA, European Medicines Agency; FDA, Food and Drug Administration

Tumorerkrankungen sowie, die Vielzahl von Wirkstoffen (> 800) und Biomarkern, die sich in Entwicklung und klinischer Erprobung befinden. Dies bestätigen auch Analysen klinischer Studien, die im Rahmen der Zulassung bei fortgeschrittenen, metastasierten soliden Tumoren in den letzten Jahren durchgeführt wurden und verdeutlichen, dass häufig relativ große Patientenzahlen (500-800) notwendig sind, um einen geringen, fraglich patientenrelevanten Nutzen zu zeigen (z.B. Verlängerung des PFS um 3-6 Monate ohne Verlängerung des Gesamtüberlebens) [44,45]. Die Anforderungen an die Evidenz für die Wirksamkeit neuer onkologischer Arzneimittel sollte deshalb verschärft und das Austesten ,,zielgerichteter‘‘ Wirkstoffe sich verstärkt auf vorab selektierte, anhand von Biomarkern definierte Patientenpopulationen konzentrieren [44–46]. Dieses Vorgehen würde eine rationale Arzneimittelentwicklung erleichtern, die Anzahl an Patienten, die für den Nachweis eines klinischen relevanten Nutzens benötigt werden, verringern und somit auch eine Entwicklung von ,,zielgerichteten‘‘

Wirkstoffen in kürzerer Zeit und zu geringeren Kosten ermöglichen.

Biomarker Biomarker sind dynamische Parameter, die grundsätzlich auf Änderungen im Krankheitsprozess, pharmakologische Interventionen und Umgebungseinflüsse reagieren. Die hohe Variabilität der Biomarker muss sowohl bei der Unterteilung (immun-)histologisch definierter Tumorentitäten in molekulare Untergruppen als auch bei ihrer Nutzung für prognostische Einschätzung und Stratifizierung von ,,zielgerichteten‘‘ Therapiestrategien berücksichtigt werden. Als Beispiele, die sich auf Messungen von Biomarkern auswirken, seien neben analytischen Faktoren genannt: die Biologie des Patienten (z. B. Alter, Geschlecht); die Art des Untersuchungsmaterials (z. B. Blut, Urin, Gewebeproben des Tumors); die Gewinnung der Proben, Bedingungen des Transports und Lagerung des Untersuchungsmaterials [8].

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Die wenigen der derzeit in der Onkologie zur Auswahl von ,,zielgerichteten‘‘ Therapiestrategien und Stratifizierung von Patientenuntergruppen zur Verfügung stehenden Biomarker basieren überwiegend auf genetischen Veränderungen (Tab. 1), die retrospektiv im Rahmen klinischer Studien (z. B. KRAS bei metastasiertem kolorektalen Karzinom) analysiert worden sind. Um den klinischen Nutzen bereits verwendeter bzw. neuer Biomarker in der Onkologie richtig einschätzen zu können, müssen jedoch alle Biomarker im Rahmen prospektiver RCTs ihre Eignung nachweisen, prognostisch bzw. therapeutisch relevante Untergruppen zu definieren.

Design Biomarker-basierter klinischer Studien Als klinische Endpunkte in diesen Studien werden heute aufgrund der eher zytostatischen als zytotoxischen Effekte von ,,zielgerichteten‘‘ Wirkstoffen das PFS bzw. Gesamtüberleben und nicht die Ansprechrate des Tumors auf die jeweilige Therapie empfohlen. Bei

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Auswahl von Surrogatmarkern (z.B. PFS) als Endpunkte sollte parallel immer die Bestimmung der Lebensqualität anhand validierter Fragebögen erfolgen [19]. Die Auswahl eines effizienten Designs für Biomarker-basierte RCTs ist eine wichtige Voraussetzung für die Identifikation wirksamer Arzneimittel und deren rasche Einführung in den klinischen Alltag. Für die prospektive Validierung von Biomarkern in RCTs wurden verschiedene Studiendesigns - sog. ,,enrichment‘‘ oder ,,targeted‘‘, unselektierte, und hybride Designs vorgeschlagen und deren Vor- bzw. Nachteile sowie theoretische Aspekte (z.B. geeignete statistische Verfahren) diskutiert [40,42,47]. Wesentlich für die Auswahl des Designs ist zunächst, ob Patienten anhand von Biomarkern eindeutig definierten Untergruppen zugeordnet werden können und von ,,zielgerichteten‘‘ Therapien mehr profitieren als von konventioneller medikamentöser Therapie [42]. Voraussetzung des ,,enrichment‘‘ oder ,,targeted‘‘ Designs ist, dass nicht alle Patienten von dem zielgerichteten Wirkstoff profitieren und der Nutzen sich auf eine durch Biomarker eindeutig zu identifizierende Untergruppe von Patienten beschränkt [47]. Dieses Design wurde z.B. in RCTs mit Trastuzumab plus Zytostatika zur adjuvanten Therapie von Patienten mit HER2–positivem Mammakarzinom verwendet. Voraussetzung war, dass Reproduzierbarkeit und Genauigkeit des gewählten Testsystems zum Nachweis des Biomarkers bereits etabliert werden konnten und ausreichende Evidenz existiert, dass Patienten ohne einen speziellen Biomarker – im konkreten Fall HER2-Überexpression - nicht von der ,,zielgerichteten‘‘ Therapie profitieren. Diese Voraussetzung wird bei Tumorerkrankungen derzeit nur selten erfüllt. Deshalb gelten meistens unselektierte Designs zur Bestimmung des klinischen Nutzens von Biomarkern als besser geeignet. Dabei werden alle Patienten unter Berücksichtigung entsprechender Auswahlkriterien und unabhängig vom Biomarker in eine klinische Studie eingeschlossen. Anhand des Biomarkers werden die rekrutierten Patienten zwei

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Gruppen zugeordnet: Biomarker-positiv bzw. –negativ. Alle Patienten in der Biomarker-positiven bzw. Biomarkernegativen Untergruppe werden randomisiert und erhalten entweder Behandlung ,,A‘‘ oder Behandlung ,,B‘‘. Ein derartiges Biomarker-basiertes Design sollte immer dann verwendet werden, wenn zwei oder mehr Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen und ausreichende Evidenz für einen Vorteil dieser Behandlungsoptionen in einer speziellen Patientenuntergruppe nicht vorhanden ist. Es erlaubt eine zuverlässige Einschätzung des NutzenRisiko-Verhältnisses sowohl in den verschiedenen, anhand des Biomarkers definierten Untergruppen als auch in der gesamten randomisierten Patientenpopulation. Bei Verwendung des hybriden Designs werden Patienten einem experimentellen Arm oder einem Kontrollarm zugeordnet. Im Kontrollarm erhalten die Patienten eine Standardbehandlung oder werden, falls ethisch und medizinisch vertretbar, nur beobachtet. Im experimentellen Arm erfolgt abhängig vom Biomarker - vorhanden oder nicht vorhanden - die Zuordnung zu einer speziellen Therapie. Die Wahl dieses Designs setzt voraus, dass in vorausgegangenen Studien die Wirksamkeit und Sicherheit spezieller Therapiestrategien für die anhand des Biomarkers definierte Untergruppe gezeigt werden konnte.

Fazit und Ausblick Ziele der vorwiegend auf prädiktiven oder prognostischen Biomarkern basierenden, individualisierten, besser stratifizierenden medikamentösen Therapiestrategien in der Onkologie sind:

• Erkennung von Patienten, bei denen neue Wirkstoffe gut wirksam oder unwirksam sind; • gezielte medikamentöse Behandlung von prognostisch relevanten Patientenuntergruppen bzw. Tumorsubtypen. Im letzten Jahrzehnt wurden nach Zulassung ,,zielgerichteter‘‘ Wirkstoffe häufig alle Patienten mit

fortgeschrittenen Tumorerkrankungen mit diesen sehr teuren Arzneimitteln behandelt, obwohl nur eine kleine Untergruppe (ca. 10-30%) davon profitierte. Dieser auch aus medizinischen, ethischen und pharmakoökonomischen Gesichtspunkten kritikwürdigen Strategie (,,Gießkannenprinzip‘‘) soll durch eine individualisierte, stratifizierende Medizin entgegengewirkt werden. Die Vorreiterrolle der Onkologie für die Entwicklung stratifizierender Therapiekonzepte erfordert geeignete Designs für klinische Studien und in größerem Umfang als bisher die Identifizierung und Validierung aussagekräftiger Biomarker. Dabei muss verhindert werden, dass unzureichend geprüfte, kostenintensive, diagnostische und therapeutische Verfahren vorschnell in die Gesundheitsversorgung eingeführt werden. Wir benötigen in der Onkologie für stratifizierende Arzneimitteltherapien eine evidenzbasierte Wissensbasis, die nur im Rahmen prospektiver kontrollierter klinischer Studien mit geeignetem, z.B. Biomarker-basiertem Design, erarbeitet werden kann. Neben den medizinwissenschaftlichen Herausforderungen der stratifizierenden, individualisierten Medizin müssen in Zukunft unbedingt auch gesundheitspolitische, medizinethische und rechtliche Aspekte genetischer Untersuchungen in einem breiten gesellschaftlichen und interdisziplinären Diskurs angesprochen werden [14,16]. Dabei ist dem Bedeutungs- und Problemzuwachs informationeller Patientenrechte [14] und der Aus- und Weiterbildung von Ärzten auf dem Gebiet der Molekulargenetik und Systembiologie besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Eine bessere, am individuellen Patienten und seinen Bedürfnissen orientierte Medizin darf dabei jedoch nicht durch Fokussierung auf spezifische biologische bzw. molekulare Krankheitsfaktoren aus dem Blick verloren werden [13,48,49].

Danksagung Der Autor dankt Herrn Dipl.-Biol. Henry Pachl, verantwortlich für den Bereich

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Archiv und Bibliothek in der AkdÄ, herzlich für die tatkräftige Unterstützung bei den Literaturrecherchen sowie Erstellung der Tabelle 1 und des Literaturverzeichnisses.

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ZEFQ-Service: Tipp

Arztbibliothek zeigt Übersicht des CME-Angebots

Unter www.arztbibliothek.de stellt das Wissensportal der Ärzteschaft seit November 2011 eine Übersicht der online verfügbaren Angebote zum Erwerb von Fortbildungspunkten (CME) bereit. Dr. Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), lobte den nützlichen neuen Service. ,,Bei der Suche nach passenden Fortbildungen ist es nicht immer leicht, die Angebote aufzuspüren, die ins eigene Fachgebiet passen und für den Erwerb von Fortbildungspunkten anerkannt sind. Diesem Umstand hilft nun die Arztbibliothek ab. Im Oktober waren dort bereits 361 aktuelle Online-CME-Angebote zu 109 Themengebieten aufgeführt‘‘, sagte Köhler. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), erklärte, alle angegebenen Fortbildungen seien von den Landesärztekammern zum Erwerb des

Fortbildungszertifikats anerkannt. ,,Diese Form der Fortbildung ermöglicht es Ärzten, sich zeit- und ortsunabhängig mit Hilfe von geprüften Informationen Wissen anzueignen oder aufzufrischen‘‘, sagte Montgomery. Anregungen und Kritik können Nutzer direkt über ein Kommentarformular der Arztbibliothek an die BÄK melden. Die Arztbibliothek ist das von BÄK und KBV getragene Wissensportal für die Ärzteschaft. Sie wird betreut vom Ärztlichen Zentrum für Qualität (ÄZQ). Unter www.arztbibliothek.de stehen eine themensortierte Linksammlung und qualitätsbewertete Leitlinien bereit. So lassen sich bei der Suche nach einem Schlagwort beispielsweise leicht die Abstracts von relevanten Cochrane Reviews auffinden. Neu ist neben der Übersicht verfügbarer OnlineCME-Angebote auch die Integration von Patienteninformationen.

2. Nationales Forum zu Critical Incident Reporting Systemen im Krankenhaus

Zur Verbesserung der Patientensicherheit nutzen heute viele Krankenhäuser in Deutschland ein Critical Incident Reporting System (CIRS). Der Umgang mit dem Fehlerberichtssystem ist inzwischen weitgehend Routine. Heutzutage geht es weniger um Einsteiger- als um Anwenderfragen: Wie lassen sich über CIRS identifizierte Fehler zuverlässig analysieren und priorisieren? Wie kann man Mängel beseitigen? Auf welche Weise fließen die Resultate in das Qualitäts- und Risikomanagement des Krankenhauses ein? Antworten finden Interessierte am 24. Februar 2012 in Berlin. Dort findet das 2.

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Nationale Forum zu CIRS im Krankenhaus statt. Angesprochen sind in erster Linie fortgeschrittene CIRS-Nutzer, z. B. Krankenhausmitarbeiter/innen, CIRS-Verantwortliche und Risiko- bzw. Qualitätsmanager/innen. CIRS-Einsteiger haben die Möglichkeit, im Rahmen der Pre-Conference am 23. Februar 2012 beim Workshop ,,CIRS: Planen und erfolgreich starten‘‘ die Grundlagen zum Thema CIRS zu erlernen. Veranstalter des 2. CIRS-Forums sind das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin, das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., der

Die Verbindung mehrerer Arten von Dokumenten in einer Suchfunktion ermöglicht dem Nutzer, umfassende und verlässliche Informationen zu einem Kontext aufzufinden. Das Wissensmanagement der Arztbibliothek dient als Unterstützung und Eckpfeiler einer qualitativ hochwertigen Versorgung. Weitere Informationen:

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Pressemitteilung BÄK http://www.baek.de/default.asp?his=3 Pressemitteilung KBV http://www.kbv.de/presse/40287.html Übersicht CME-Angebote in der Arztbibliothek http://www.cme.arztbibliothek.de/ Internetseite ‘‘Arztbibliothek’’ http://www.arztbibliothek.de/

ZEFQ-Service: Terminankündigung Deutsche Pflegerat e.V. und die GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH. Veranstaltungsflyer: http://www.forumpatientensicherheit. de/service/veranstaltungen/pdf/flyercirsforum-2012.pdf Internetseite cirs-forum.de: http://apsev.de/?q=2-nationales-forum-zucritical-incident-reporting-systemen-cirs-imkrankenhaus

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