NEUES AUS DER WISSENSCHAFT
Orthop€adie Traumatologie
SportOrthoTrauma 26,182–183 (2010) Elsevier – Urban&Fischer www.elsevier.de/SportOrthoTrauma doi:10.1016/j.orthtr.2010.06.002
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Neues aus der Sportmedizin Posterolateral corner reconstruction of the knee Evaluation of a technique with clinical outcomes and stress radiography Rios C.G., Leger R.R., Cote M.P., Yang C., Arciero R.A. The American Journal of Sportsmedicine Verletzungen des posterolateralen Komplexes des Knies stellen eine Herausforderung an Therapeuten dar und fu¨hren meist zu einer signifikanten symptomatischen Instabilita¨t. Die Diagnose einer Verletzung des posterolateralen Komplexes erfolgt oft verzo¨gert. Aufgrund der schwierigen anatomischen Verha¨ltnisse und der ha¨ufigen gleichzeitigen Verletzung der Kreuzba¨nder ist die operative Versorgung dieser Verletzung schwierig. Die wichtigsten Komponenten des posterolateralen Komplexes sind das laterale Kollateralband, der M. popliteus und das popliteofibulare Band. Diese Strukturen verhindern eine abnormale posteriore Translation, eine Varusrotation und eine gekoppelte Tibiaaußenrotation. Zusa¨tzlich schu¨tzt der posteriorlaterale Komplex (PLC) die Kreuzba¨nder. Der PLC wird gescha¨digt, wenn eine direkte Kraft bei fast vollsta¨ndiger Streckung des Knies auf die anteromediale Tibia einwirkt. Auch eine U¨berstreckung mit Außenrotation, Beugung in Varusstellung und ein ausgepra¨gte tibiales Außendrehmoment ko¨nnen eine Verletzung bewirken. Isolierte Scha¨digungen des PLC kommen selten vor (ca. 1,6%). Klinisch zeigt sich eine Verletzung des PLC in einer funktionalen Instabilita¨t bei gestrecktem Knie, besonders deutlich wird dies beim Treppengehen. Weiterhin zeigt
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sich eine abnorme tibiale Außenrotation und Varus-Instabilita¨t, bei zusa¨tzlicher vorderer und hinterer Kreuzbandverletzung zeigt sich auch eine pathologische anteriore und posteriore Translation. Verschiedene Techniken wurden zur Versorgung der posterioren Strukturen entwickelt, gehen jedoch mit einer Versagensrate bis 37% einher. In der vorliegenden Studie wurde eine Modifikation der Technik von Larson et al. (2001) und LaPrade et al. (2002) benutzt
Methoden Es handelt sich um eine retrospektive Studie. Alle medizinischen Akten von Patienten, die eine operative Rekonstruktion vom Seniorautor zwischen 2002 und 2006 erhielten, wurden durchgesehen. Einschlusskriterien waren eine komplette chronische Instabilita¨t des PLC, besta¨tigt durch klinische Untersuchung und MRI. Ziel der Studie war, das klinische Ergebnis der neuen Operationstechnik zu untersuchen und dieses durch Daten der Arthrometrie und der Stressradiographie zu unterstu¨tzen. Chirurgische Technik Es handelte sich bei allen Patienten um chronische Verletzungen ohne kno¨chernen Abriss. Alle Patienten erhielten eine Rekonstruktion mit zwei femoralen Kana¨len, einem transfibularen Kanal und einem freien Transplantat. Der chirurgische Zugang erfolgte u¨ber eine laterale Stichinzision. Wie urspru¨nglich bei LaPrade beschrieben wurden drei Faszieninzisionen vorgenommen. Die Bizepssehne wurde gespalten, um den Ansatz des lateralen Seiten-
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bandes freizulegen. Ein Fu¨hrungsdraht wurde von antero-lateral nach posterior-medial eingelegt. Die hintere Gelenkkapsel wurde durch eine zweite Inzision im Zwischenraum zwischen dem unteren Anteil des iliotibialen Bandes und dem kurzen Kopf des M. biceps freigelegt. Eine Kapsulotomie wurde durchgefu¨hrt und nicht resorbierbare Fa¨den wurden eingebracht, um die Kapsel am Ende der Prozedur zu raffen. Die dritte Inzision wurde u¨ber die laterale Epikondyle gelegt. Der Ursprung des lateralen Kollateralbandes (LCL) und der M. popliteus wurden aufgesucht. Zur Rekonstruktion des LCL wurde ein Fu¨hrungsdraht 3 mm u¨ber dem lateralen Epikondylus und direkt vor dem Ursprung des LCL am Femur eingebracht. Ein freies 24-26 cm Sehnentransplantat (Semitendinosus-Autograft oder Tibialis-anterior oder -posterior-Allograft) wurde verwendet. Ein Anteil des Transplantates wurde von der poplitealen Seite in den femoralen Tunnel eingebracht. Um eine genu¨gend starke Spannung zu erzeugen, wurde eine Interferenzschraube in den Tunnel eingefu¨hrt. Der andere Schenkel des Transplantates wurde lateral und u¨ber dem Ansatz des LCL an der Fibula in den femoralen Tunnel eingebracht. Das Transplantat wurde gespannt in 30 Grad Beugung des Kniegelenkes und eine Interferenzschraube eingebracht. Kreuzbandverletzungen wurden in der Singlebundle-Technik arthroskopisch vor der Rekonstruktion der hinteren Kapsel versorgt. Bei jungen Patienten wurde bisweilen auch eine Doublebundle-Technik benutzt. Bei fu¨nf Patienten wurde zusa¨tzlich der Meniskus teilweise entfernt, bei einem Patient ein Korbhenkelriss versorgt.
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Postoperative Nachbehandlung: Es wurde ein konservatives Management mit Immobilisation in Streckstellung des Knies gewa¨hlt, die erste Phase hatte die Abschwellung des Knies zum Ziel. Danach erfolgten isometrische U¨bungen. Nach vier Wochen wurden U¨bungen zur Verbesserung des Bewegungsausmaßes (ROM) vorgenommen. 6 Wochen nach der Operation sollte ein Bewegungsausmaß von 0 bis 115 Grad mo¨glich sein. Zu dieser Zeit begann auch das propriozeptive Training. Eine vollsta¨ndige Gewichtsbelastung wurde zwischen 6 und 8 Wochen erreicht. Schwimmen und Stepping wurde erlaubt, Kraftu¨bungen nach 9-14 Wochen. Eine Ru¨ckkehr zum Sport erfolgte durchschnittlich nach 6 bis 9 Monaten bzw. wenn das verletzte Bein 80% der Quadrizepskraft der Gegenseite erreicht hatte und eine ausreichende Bewegungskontrolle erfolgte. Patientenevaluation: 24 Patienten, 21 Ma¨nner und 3 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 19 Jahren (range: 16 bis 54 Jahren) wurden nach Versorgung des posterolateralen Komplexes mit dieser Technik untersucht. Fu¨nf Patienten hatten zusa¨tzlich eine Ruptur des ACL, 12 eine des PCL und bei sieben waren beide Kreuzba¨nder gerissen. Verletzungsursache: 17 x Sportunfa¨lle, 3 x ,,Zufallsverletzung‘‘, 4 x Verkehrsunfa¨lle, drei Patienten erlitten zusa¨tzlich Perona¨usla¨sionen bei dem Unfall, davon erholte sich ein Patient vollsta¨ndig. Einer dieser Patienten hatte zusa¨tzlich eine Verletzung der A. poplitea. Nachuntersuchung: (Subjekte Ergebnisermittlung): Lysholm-Score, Tegner-Aktivita¨tsscore, SF-36. Klinische Untersuchung: physische Untersuchung, Feststellung des Bewegungsausmaßes, Schubladentest, posterolateraler Schubladentest, Rotationstest, distaler Stresstest bei 30 und 90 Grad Kniebeugung. Funktionstest: Einbeinspru¨nge,
KT-2000. Kniearthrometer zur Pru¨fung der Bandstabilita¨t.
Knochen-Patella-Sehne-KnochenAutograft anwandten. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie waren in verschiedenen Aspekten denen der anderen Studien u¨berlegen (Laxita¨t, Rotationskontrolle, Varusrotationskontrolle, laterale Aufklappbarkeit des Gelenkes). Bei 47% der Patienten, bei denen ein kombiniertes Semitendinosus-/ Gracilis-Transplantat genutzt wurde, fand sich eine Schwa¨che der Kniebeugung. Auch in der subjektiven Beurteilung fanden sich bei den anderen Studien ha¨ufiger negative Ausreißer. In der vorliegenden Studie kam es bei zwei Patienten im weiteren Verlauf zu einer erneuten Verschlechterung, bei einem Patienten trat eine Instabilita¨t ein, bei der a¨ltesten Patientin des Kollektivs verschlechterte sich die bereits pra¨operativ bestehende Arthrose. Die Studie zeigt verschiedene Sta¨rken und Schwa¨chen. Sta¨rke der Studie: relativ große Patientenzahl fu¨r die seltene Verletzung, verschiedene Evaluationen insbesondere subjektive und objektive Messungen. Limitationen: Fehlen von pra¨operativen Baseline-Werten, Ausschluss von Patienten mit Verletzung des anderen Beins. Heterogenita¨t des Verletzungsmechanismus. Die Patientengruppe scheint dennoch zu klein zu sein, um den Einfluss von Begleitverletzungen sicher zu beurteilen. Die meisten dieser Patienten konnten wieder Sport treiben. Weitere Studien, die den Einfluss von Begleitverletzungen untersuchen, werden beno¨tigt.
Ergebnisse 83% der Patienten von urspru¨nglich 29 operierten Patienten konnten nachuntersucht werden. Die Kniegelenke der untersuchten Patienten waren klinisch stabil, alle Knietests waren normal. Die anterior-posterioren KT-Messungen waren normal, das Einbeinhu¨pfen war bei 19 Patienten unauffa¨llig. Ein Patient konnte wegen einer Perona¨usla¨sion nicht hu¨pfen, eine Frau weigerte sich wegen ihrer Kniearthrose zu hu¨pfen. Die Stressaufnahmen zeigten bei acht Patienten eine Seitendifferenz von 3 mm, bei drei Patienten von 3-5 mm, sechs Patienten hatten eine Seitendifferenz von 6-10 mm. Die Operation erfolgte im Durchschnitt vier Monate nach dem Unfall. Es wurden keine Komplikationen berichtet.
Diskussion Die prima¨re Versorgung des posterolateralen Komplexes hat sich in den meisten Studien als nicht erfolgreich gezeigt mit Ausnahme der Verletzungen mit kno¨chernem Ausriss oder sofortiger operativer Versorgung. Neu an der hier vorgestellten Technik sind die Verwendung von zwei femoralen Kana¨len und die Abdeckung der posterolateralen Gelenkkapsel sowie der schra¨g verlaufende Tunnel in der Fibula. Dieser soll einen anatomiegerechten Verlauf des LCL garantieren. Zusa¨tzlich werden mit dieser Technik die Varusbewegung, die externe Rotation und die posteriore Translation kontrolliert. Die Autoren verglichen die Ergebnisse ihrer Studie mit denen von Buzzi et al. (2004), die fu¨r die Rekonstruktion des LCL ein Semitendinosus–Transplantat nahmen und denen anderer Autoren, die einen I. Reuter
Korrespondenzadresse: Priv.-Doz. Dr. Iris Reuter, PhD Neurologische Klinik Universita¨tsklinikum Gießen und Marburg Standort Gießen Friedrichstraße 55 35392 Gießen E-Mail:
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