ORTHOPÄDISCHE CHECKLISTE
SPORT OT
rthopädie raumatologie
Sportorthopädie · Sporttraumatologie 19, 118–119 (2003) © Urban & Fischer Verlag www.urbanfischer.de/journals/sportmed
Orthopädische Checkliste: Skilanglauf D
ie Erfindung des Ski als Fortbewegungsmittel im Schnee liegt sicher schon mehr als 10.000 Jahre zurück, wie Felszeichnungen und archäologische Skifunde in Nordeuropa und Asien beweisen. Ende des 18. Jahrhunderts etabliert sich der Skilanglauf in Skandinavien als Volkssport Nummer 1. Der Langlaufski avanciert vom reinen Fortbewegungsmittel zum Sportgerät. Rasch breitet sich die sog. klassische Skilanglauftechnik mit ihrem diagonalen Einsatz von gewachsten Skiern und Stöcken zu den Alpen, nach Osteuropa und Nordamerika hin aus. Ab ca. 1980 revolutioniert eine neue Technik den Langlaufsport: der Skating-Schritt, heute als freie Technik bezeichnet. Auf nur mit Gleitwachs präparierten Skiern werden in Schlittschuhschritttechnik mit symmetrischer Armarbeit deutlich schnellere Laufzeiten erzielt als mit der bisherigen diagonalen Abstoßtechnik und Abdruckwachsen. Alle WM-Medaillen 1985 in Seefeld wurden mit der neuen Technik gewonnen. Die anfängliche Skepsis auch im Breitensport wich einer breiten Akzeptanz, die zu einer zweigleisigen Ausübung beider Techniken im Renn- und Breitensport geführt hat. Der Skilanglauf gehört heute zu den wichtigsten Wintersportarten in Deutschland mit einer jährlichen Anzahl von ca. 3 Millionen Aktiven (ASUAuswertungsstelle für Skiunfälle).
Sportartspezifisches Anforderungsprofil Sowohl im Breiten- wie im Leistungssport kommt der motorischen Qualität Ausdauer eine zentrale Bedeutung zu. Dies gilt gleichermaßen für die wettkampfspezifischen Standardstrecken 10 bis 30 km bei den Frauen und 15 bis 50 km bei den Herren wie auch für die kürzeren Jagd-, Verfolgungs- und Sprintrennen, wie sie neben den Speziallangläufen auch im Bereich Biathlon und Nordische Kombination zu finden sind. Die maximale Sauerstoffaufnahme, Bruttokriterium der Ausdauerleistungsfähigkeit, liegt bei der klassischen Technik im Durchschnitt um 10% höher als bei der freien Technik. Letztere wiederum erfordert eine höhere Kraftausdauer. Insgesamt weisen Skilangläufer der Spitzenklasse mit die höchsten maximalen Sauerstoffaufnahmewerte von allen Ausdauersportarten auf! Durch den hohen Sauerstoffumsatz mittels Bein- und Armarbeit besitzt der Skilanglaufsport auf niedrigen Intensitätsstufen einen hohen Gesundheitswert in der Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselkrankheiten.
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Die höhere Kraftausdauerkomponente der freien Technik hat auch im klassischen Technikbereich zu einer Intensivierung der athletischen Ausbildung im Schultergürtel-/Armbereich geführt, was den Vortrieb über einen vermehrten Einsatz der Stockarbeit fördert. Dem Skilanglaufanfänger ist zunächst die klassische Skilanglauftechnik zu empfehlen, da hier der Technikanspruch geringer (Skiwandern) und die Dosierbarkeit der Laufgeschwindigkeit, z. B. an Steigungen, einfacher ist. Überforderungssituationen von latent koronargefährdeten Patienten werden hierdurch weniger provoziert.
Sportgerät Klassische Ski und Skating-Ski unterscheiden sich wesentlich. Während der mit einer Wachs- oder Schuppenzone („Wachsfuge“) ausgestattete klassische Ski einer genauen Korrelation Körpergewicht/Skisteife bedarf, um seine Funktion (Abstoßen und Gleiten) zu erfüllen, gleicht der im Durchschnitt um 10 cm kürzere Skating-Ski mehr einem Alpin-Ski mit gleichmäßiger Auflagefläche. Eine Beratung durch den Sportartikelhändler oder die Skischule ist beim Erstkauf dringend erforderlich. Für die Ermittlung der Stocklänge eignen sich folgende Faustregeln: Skistock klassische Technik: Körpergröße minus 15%, Skistock freie Technik: Körpergröße minus 10%. Riesige Wachskoffer und die Angst vor dem Wachsen der klassischen Ski sind durch eine moderne Wachstechnologie mit breitem Spektrum heute nicht mehr gerechtfertigt, alternativ können meist mit leichtem Geschwindigkeitsverlust auch Nowax-Ski eingesetzt werden. Die Gleitflächen sind bei beiden Skitypen unproblematisch mit Gleitwachs zu versehen. Die Bindungssysteme unterscheiden sich durch eine stärkere Rückholfeder beim Skating-Ski. Sicherheitsbindungen sind, da die Normsysteme aus Technikgründen keine strenge Fixierung aufweisen, derzeit noch nicht auf dem Markt, aber bei einer 30%-igen Verletzungslokalisation der unteren Extremität zu diskutieren!
Typische Verletzungen Vergleicht man nach Verletzungsmeldungen, so liegt nach Erhebungen der ARAG-Versicherung (Gläser/Engel – SIS s. u.) das Verletzungsverhältnis Ski-Alpin zu SkiLanglauf bei 100:1. Die Inzidenz gemessen an der Gesamtzahl der Skilangläufer liegt bei 0,4% (Quelle: DSVLehrbrief 5).
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Die Lokalisation betrifft nach eigenen Untersuchungen – zu ca. 50% die obere Extremität mit den Verletzungsbildern: Radiusfraktur, „Skidaumen“, Humerusfraktur und Schultergelenkluxation, – zu ca. 30% die untere Extremität mit Knöchelfraktur, Kapsel-/Bandläsion des oberen Sprunggelenks und des Kniegelenks, – zu ca. 15% den Rumpf mit Rippenfrakturen und stumpfem Bauchtrauma, – zu ca. 5% den Kopf mit Schädelprellung und Commotio cerebri. Diese Zahlen decken sich etwa mit den Literaturangaben von Sutter 1993 und Ruther 2002 (DSV-Lehrbrief 5). Die Verletzungsursachen sind vor allem auf Stürze infolge ungenügender Abfahrts- und Bremstechnik, auf Belaufen einer Loipe in verkehrter Richtung mit Kollisionsrisiko und auf zunehmend schnelleres Material zurückzuführen.
Überlastungsschäden (Sportschäden) Grundsätzlich kann gelten: – selten beim Breitensportler – häufig beim Leistungssportler Eigene Untersuchungsergebnisse von Leistungssportlern (Kaderathleten des DSV/BSV, Volksskiläufer und Teilnehmer an Seniorenmeisterschaften in den Jahren 1989 bis 1998, n: 740) ergaben folgende Überlastungsschadenmuster: – Chondropathia patellae 18% – Lumbalsyndrom 9% – Tibiale Schmerzzustände 5% – Epikondylopathie 3% – Sonstige Schäden 5% z. B. – Sulcus-ulnaris-Syndrom – Supraspinatus-Sehnen-Impingement – radikuläre Irritation der HWS Als wesentliche sportartspezifische Schädigungsmechanismen sind anzuschuldigen: Chondropathia patellae: – Knieachsenfehlstatik infolge: – Genu valgum – Überpronation Lumbalsyndrom: – Iliopsoasverkürzung – „falscher“ Abdruck bei der klassischen Technik Tibiale Schmerzzustände: – Technikprobleme (freie Technik) – Spreizfußbildung Epikondylopathie: – fehlerhafte Stocktechnik – „Power Griff“ (spezieller Stockgriff)
Internistische Problematik Der Skilanglaufsport, insbesondere die gut dosierbare klassische Skilanglauftechnik, ist aus der Sicht des Breiten- und Gesundheitssports die präventive Wintersportart schlechthin. Sie zeichnet sich durch herausragende positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, den Fett- und Zuckerstoffwechsel, aber auch auf das Immunsystem aus. Auch die Gelenke werden durch die runde Bewegung ohne wesentliche Stoßbelastung nicht nur geschont, sondern auch vermehrt belastungsadaptiert. Somit kann der Skilanglauf auch in der internistischen und orthopädischen Rehabilitation gut eingesetzt werden. Im Hochleistungssport kann sich aber unter Höchstanforderung und Übertraining ein gegenteiliges Phänomen einstellen: Immunsuppression. Sie äußert sich u. a. durch einen Abfall von IgA im Speichel und in verminderter Lymphozyten- und Killerzellaktivität mit der Folge vermehrter Infekte, insbesondere der oberen Luftwege (zusätzliche Kälteexposition). Änderung des Trainingsregimes, bedarfsorientierte Ernährung unter zusätzlichem Einsatz von Malto-Dextrin-Getränken und fakultativer Einsatz von immunmodulierenden Medikamenten können die Problematik beheben. Präventive Maßnahmen Als wesentliche Faktoren zur Vermeidung von Verletzungen und Sportschäden sind zu nennen: – sommerliches Ausdauertraining als Vorbereitung – zusätzlich leichtes Kraftausdauertraining für die Schultergürtel- und Armmuskulatur – fehlstatischer Ausgleich, z. B. über Einlagen – fachkundige Beratung beim Materialkauf – Beachtung der Loipen-Regeln (z. B. Laufrichtung)
Literatur DSV Lehrbrief Heft 5 – Schriftenreihe des Deutschen Skiverbandes 2002 www.ski-online.de ASU-Auswertungsstelle für Skiunfälle – Hefte-Reihe bis 2000/2001 – SIS, über Freunde des Skisports im DSV
[email protected]
Korrespondenzadresse:
Dr. Ludwig V. Geiger Institut für angewandte Sport- und Präventivmedizin Medical Park Chiemsee OSP-Bayern Mannschaftsarzt Nordisch im DSV
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