Sozioökonomischer Status und psychische Gesundheit

Sozioökonomischer Status und psychische Gesundheit

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€ konomischer Status und psychische Gesundheit Sozioo Thomas Lampert, Lars Eric Kroll, Ulfert Hapke und Frank Jacobi Der sozioo¨konomische Status hat sich in einer Vielzahl nationaler und internationaler Studien als wichtige Determinante der Gesundheit und der Lebenserwartung erwiesen (Marmot, 2004, Mackenbach, 2006, Richter und Hurrelmann, 2009). Personen mit niedrigem sozioo¨konomischen Status sind vermehrt von chronischen Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes mellitus, chronischer Bronchitis und verschiedenen malignen Tumoren betroffen. Außerdem berichten sie ha¨ufiger von Beeintra¨chtigungen des allgemeinen Gesundheitszustandes und der gesundheitsbezogenen Lebensqualita¨t. Die Differenz in der mittleren Lebenserwartung bei Geburt wird in Deutschland im Vergleich der niedrigsten mit der ho¨chsten Statusgruppe mit 5 bis 10 Jahre beziffert (Lampert et al., 2007). Studien zum Zusammenhang zwischen dem sozioo¨konomischen Status und der psychischen Gesundheit sind hierzulande vergleichsweise selten, erfahren aber vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung von psychischen Sto¨rungen in der Bevo¨lkerung und der damit verbundenen hohen individuellen wie gesellschaftlichen Kosten eine zunehmend sta¨rkere Beachtung. Im Folgenden wird berichtet, welche Erkenntnisse die bundesweit repra¨sentativen Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts bislang zu dieser Thematik geliefert haben und welche Forschungsperspektiven mit der aktuellen ,,Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland‘‘ (DEGS1) und dem angeschlossenen Zusatzmodul ,,Psychische Gesundheit‘‘ (DEGS1MH) verbunden sind. Eine wichtige Datengrundlage fu¨r Analysen zum Zusammenhang zwi-

schen dem sozioo¨konomischen Status und der psychischen Gesundheit wurde durch das Zusatzmodul ,,Psychische Gesundheit‘‘ zum Bundes-Gesundheitssurvey 1998 bereitgestellt (Jacobi et al., 2004). Mit diesen Daten konnte u.a. gezeigt werden, dass Personen mit niedrigem sozioo¨konomischen Status, gemessen u¨ber Bildung, Beruf und Einkommen, ha¨ufiger von affektiven, somatoformen und Angststo¨rungen betroffen sind als Personen mit mittlerem und hohem sozioo¨konomischen Status (Lampert et al., 2005). Weitere Auswertungen ergaben ein erho¨htes Risiko psychischer Sto¨rungen fu¨r arbeitslose im Vergleich zu erwerbsta¨tigen Personen (Rose und Jacobi, 2006) und fu¨r alleinerziehende Mu¨tter gegenu¨ber Mu¨ttern, die mit einem Partner zusammen leben (Helbig et al., 2006). In den nachfolgenden Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts wurde die psychische Gesundheit zwar nicht gleichermaßen umfassend und differenziert erhoben, anhand einzelner Indikatoren sind aber Aussagen zum Zusammenhang mit dem sozioo¨konomischen Status mo¨glich. Beispielsweise verdeutlichen die Daten der Studie ,,Gesundheit in Deutschland aktuell‘‘ (GEDA) aus den Jahren 2009 und 2010, dass die Angeho¨rigen der niedrigen im Vergleich zu denen der hohen Statusgruppe ein ho¨heres Risiko fu¨r Depressionen haben (Lampert, 2013). Dabei treten die Unterschiede im mittleren Lebensalter bei Ma¨nnern sta¨rker hervor als bei Frauen. Im ho¨heren Lebensalter hingegen zeigen sich nur bei Frauen signifikante Unterschiede zwischen den Statusgruppen (Abb. 1). In der GEDA-Studie 2010 wurde mit dem Mental Health Inventory

(MHI-5) außerdem ein international bewa¨hrtes Screening-Instrument zur Erfassung von Beeintra¨chtigungen der psychischen Gesundheit eingesetzt (Berwick et al., 1991, Hapke et al., 2012). Dabei sollten die Befragten angeben, ob sie in den letzten vier Wochen ,,sehr nervo¨s‘‘, ,,so niedergeschlagen waren, dass sie nichts aufheitern konnte‘‘, ,,ruhig und gelassen‘‘, ,, entmutigt und traurig‘‘ und ,,glu¨cklich‘‘ waren. Die Ergebnisse sprechen dafu¨r, dass Ma¨nner und Frauen mit einem niedrigen sozioo¨konomischen Status in allen betrachteten Altersgruppen ha¨ufiger eine erhebliche Beeintra¨chtigung der psychischen Gesundheit aufweisen (Abb. 2, Lampert, 2013). In einer weiterfu¨hrenden Analyse konnten diese Unterschiede unter Verwendung der Bildung als Statusindikator besta¨tigt werden. Zudem erwiesen sich belastende Arbeitsbedingungen und eine geringe soziale Unterstu¨tzung als Risikofaktoren der psychischen Gesundheit (Hapke et al., 2012). Angesichts des multifaktoriellen Geschehens im Bereich der Gesundheit kommen eine Vielzahl von Erkla¨rungsansa¨tzen fu¨r die beobachteten sozioo¨konomischen Unterschiede in der psychischen Gesundheit in Betracht, unter anderem (Lampert et al., 2005):  materielle Deprivation (Unterversorgung mit den basalen Dingen des Lebens)  eingeschra¨nkte Teilhabe (Ausschluss von Konsum- und Erlebnismo¨glichkeiten, die fu¨r die Mehrheit der Bevo¨lkerung selbstversta¨ndlich sind)  erho¨htes Stresserleben (z.B. bezu¨glich Sicherung des Lebensunterhalts, vermehrte Traumatisierung)

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Abbildung 1. 12-Monats-Pra¨valenz fu¨r Depressionen nach sozioo¨konomischem Status bei 18-ja¨hrigen und a¨lteren Ma¨nnern und Frauen. Datenbasis: Studie ,,Gesundheit in Deutschland aktuell‘‘ 2009 und 2010 (gepoolter Datensatz, n=43.024, Lampert, 2013).

Abbildung 2. Erhebliche Beeintra¨chtigungen der psychischen Gesundheit in den letzten vier Wochen nach sozioo¨konomischem Status bei 18ja¨hrigen und a¨lteren Ma¨nnern und Frauen. Datenbasis: Studie ,,Gesundheit in Deutschland aktuell‘‘ 2010 (n=21.939, Lampert, 2013).

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 kurzfristige Orientierung, aus der eine ho¨here Bereitschaft zu gesundheitsriskantem Verhalten resultiert  preka¨re Arbeitsmarktanbindung (Verunsicherung und Angst vor einem sozialen Abstieg)  ungleiche Ressourcen (mit der Ho¨he des Einkommens vergro¨ßert sich der Spielraum fu¨r eine gesunde Erna¨hrung, Erholungsmo¨glichkeiten und direkte Ka¨ufe von Gesundheitsleistungen)  gesundheitsbedingte ,,soziale Selektion‘‘ (psychische Erkrankungen vermindern die Chancen auf dem Arbeitsmarkt) Forschungsperspektiven der DEGS1Studie Mit dem an die ,,Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland‘‘ (DEGS1) angeschlossenen Zusatz-

Literaturverzeichnis Berwick DM, Murphy JM, Goldman PA, Ware JE, Barsky AJ, Weinstein MC. Performance of a five-item mental health screening test. Medical Care 1991;29(2):169–76. Hapke U, vd Lippe E, Busch M, Lange C, (2012) Psychische Gesundheit bei Erwachsenen in Deutschland. In: Robert Koch-Institut (RKI) (Hrsg.) Daten und Fakten: Ergebnisse der Studie,,Gesundheit in Deutschland aktuell 2010‘‘. Beitra¨ge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: RKI, S 39-50. Helbig S, Lampert T, Klose M, Jacobi F. Is parenthood associated with mental health? Findings from an epidemiological community survey. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemioliology 2006;41(11):889–96. Jacobi F, Wittchen H-U, Ho¨lting C, Ho¨fler M, Pfister H, Mu¨ller N, et al. Prevalence, comorbidity and correlates of mental disorders in the general population: Results from the German

modul ,,Psychische Gesundheit‘‘ (DEGS1-MH) sind erstmals seit 1998 wieder bundesweit repra¨sentative, standardisierte und auswertungsobjektive Angaben zu Symptomen, Syndromen und Diagnosen ausgewa¨hlter psychischer Sto¨rungen mo¨glich (Jacobi et al., 2014). Die Daten ero¨ffnen auch mit Blick auf den Zusammenhang zwischen dem sozioo¨konomischen Status und psychischen Sto¨rungen weitreichende Forschungsperspektiven. Geplant sind zum einen Auswertungen, die die bisherigen Befunde zum Zusammenhang zwischen sozioo¨konomischem Status und dem Risiko fu¨r psychische Sto¨rungen replizieren und vertiefen. Zum anderen wird ein besonderer Schwerpunkt auf dem Thema Arbeitswelt und psychische Gesundheit liegen. Hierbei wer-

den sowohl die Auswirkungen von Arbeitsbelastungen als auch die von Arbeitslosigkeit auf die psychische Gesundheit betrachtet, jeweils unter Beru¨cksichtigung des sozioo¨konomischen Status. Umgekehrt werden Beeintra¨chtigungen der Arbeitsfa¨higkeit infolge von psychischen Erkrankungen sowie daraus erwachsende soziale Nachteile fu¨r die Betroffenen untersucht.

Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychological Medicine 2004;34 (5):597–611. Jacobi F, Ho¨fler M, Strehle J, Mack S, Gerschler A, Scholl L, et al. Ha¨ufigkeit, Beeintra¨chtigung und Inanspruchnahmeraten psychischer Sto¨rungen in der Allgemeinbevo¨lkerung: Die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul,,Psychische Gesundheit‘‘ (DEGS1MH). Der Nervenarzt 2014;19(1) (im Druck). Lampert T. Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Die sozial ungleiche Verteilung der Erkrankungsrisiken und Gesundheitschancen in Deutschland. Habilitationsschrift. Leipzig: Medizinische Fakulta¨t der Universita¨t Leipzig; 2013. Lampert T, Kroll LE, Dunkelberg A. Soziale Ungleichheit der Lebenserwartung in Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte 2007;42:11–8.

Lampert T, Schneider S, Klose M, Jacobi F. Schichtspezifische Unterschiede im Vorkommen psychischer Sto¨rungen. Public Health Forum 2005;13:7–8. Mackenbach J. Health inequalities: Europe in Profile. An independent expert report commissioned by the UK Presidency of the EU. London: Department of Health; 2006. Marmot M. The status syndrome. How social standing affects our health and longevity. New York: Times Books; 2004. Richter M, Hurrelmann K (Hrsg.), (2009) Gesundheitliche Ungleichheit. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. 2., aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag fu¨r Sozialwissenschaften. Rose U, Jacobi F. Gesundheitssto¨rungen bei Arbeitslosen. Ein Vergleich mit Erwerbsta¨tigen im Bundesgesundheitssurvey 98. Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin 2006; 41(12):556–64.

Der korrespondierende Autor erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2013.12.014

PD Dr. Thomas Lampert Robert Koch-Institut FG27 Gesundheitsberichterstattung General-Pape-Str. 62-64 12101 Berlin [email protected]

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Einleitung Eine Vielzahl an Studien weist den sozioo¨konomischen Status als einflussreiche Determinante der Gesundheit und Lebenserwartung aus. Der Beitrag beschreibt, welche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen dem sozioo¨konomischen Status und der psychischen Gesundheit fu¨r die Allgemeinbevo¨lkerung in Deutschland vorliegen. Außerdem wird dargestellt, welche weiterfu¨hrenden Forschungsperspektiven mit der,,Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland‘‘ (DEGS1) und dem angeschlossenen Modul zur psychischen Gesundheit verbunden sind. Abstract There is ample evidence for socio-economic status being a strong determinant for life expectancy and health. This study reports results regarding the association of socio-economic status and mental health in the general population of Germany. Additionally, future perspectives for the analysis of mental health inequalities using the first wave of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1) and a special module on mental health are discussed. Schlu¨sselwo¨rter: Soziale Ungleichheit = Social inequality, sozioo¨konomischer Status = socioeconomic status, Arbeitslosigkeit = unemployment, psychische Gesundheit = mental health, Gesundheitssurvey = health survey

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