Teratologische Beobachtungen an Chrysanthemum indicum L.

Teratologische Beobachtungen an Chrysanthemum indicum L.

(Aus dem Institut fiir Kulturpflanzenforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Gatersleben) T eratologische Beobachtungen an Chrysanthem...

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(Aus dem Institut fiir Kulturpflanzenforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Gatersleben)

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Johannes Helm Mit 2 Abbildungen im Text (Eingegangen am 24. Februar 1956)

Pflanzliche Bildungsabweichungtn zu analysieren ist in der Mehrzahl der FaIle ein wenig befriedigendes und erfolgversprechendes Unternehmen. Abgesehen von der meist sehr geringen Haufigkeit ihres Auftretens, den Zufalligkeiten des Bekanntwerdens, dem Mangel einer exakten Reproduzierbarkeit, den nur geringen Moglichkeiten,. den Entwicklungsablauf zu verfolgen sowie den zahlreichen Einfliissen auf die Definitivform der teratologischen Bildung sind sie oft ohne irgendwelchen besonderen Wert. Mitunter treten jedoch Bildungen auf, die in lrgendeiner Weise unser Interesse wecken, sei es daB sie einen Beitrag zum Problem der Pluripotenz pflanzlicher Vegetationspunkte liefern, sei es daB irgendwo der typische Entwicklungsablauf gestoppt bzw. in andere Bahnen gelenkt wurde und anderes mehr. In solchen Fallen ermoglichen die Methoden der vergleichenden Morphologie und Entwicklungsgeschichte oft, einen Blick in das GestaItungsgeschehen zu werfen und gestatten, die mit den Bildungsabweichungen im Zusammenhang stehenden Fragen einer Losung naher zu bringen. Auf einige derartige FaIle allgemeineren Interesses soIl kiinftig in zwangloser Folge hingewiesen werden. In einem ersten Beitrag zu diesem Themenkreis sei auf zwei Pflanzen von Chrysanthemum indicum L. aufmerksam gemacht. 1m Herbst 1953 traten aus unbekannter Ursache unter den in Gatersleben als Einstieler kuItivierten groJ3blumigen Sort en zwei Bliitenkopfe zu gleicher Zeit auf, die diesdben, in Abb. 1 dargestellten Bildungsabweichungen aufwiesenl). 1) Fiir Ausfiihrung der Zeichnungen danke ich Herrn "\Y OLFGANG KILIAN.

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Eine genauere Untersuchung ergab, daI3 keine der den Bliitenkopf zusammensetzenden Einzelbliiten die typische Ausgestaltung einer solchen zeigte; d. h., es waren keine zungenformigen weiblichen Randbliiten mit unterstandigem Fruchtknoten (I), langgestrecktem Griffel (g) und zweilappiger Narbe darunter (Abb. 2a). Dafiir war bei einem Teil der Einzelbliiten das Verhaltnis des rohrenformigen Basalabschnittes (r) zum einseitig geschlitzten, zungenformigen Spitzenabschnitt (z) der Blumenkrone - iiber Zwischenstufen hinweg - bis zur volligen Umkehrung verandert, so daI3 derenBlumenkronen ausgesprochene Schlauchform besaI3en(Abb. 2k)1). An

Abb. 1. Chrysanthemum indicum L. Abweichend gestalteter Bliitenkopf einer gro.6blumigen Kultursorte mit sekundaren Bliitenkopfchen. Einzelheiten im Text. Verkl. 2/5, .~mderen

Einzelbliiten wiederum fiel der zungenfOrmige Abschnitt der Blumenkrone infolge lokaler Wachstumshemmung durch Verkriippelungserscheinungen besonders auf (Abb. 1 bei a); gut entwickelte Fruchtknoten konnten in keinem FaIle festgestellt werden. Bedeutend einschneidender und den Typus einer Compositenbliite weitgehend modifizierend, sogar steigernd, waren Veranderungen, die sich an dem Gynaceum zahlreicher Einzdbliiten zeigten und im Extremfall dazu 1) Nach CHOUARD & VAIDIE (in Compt. Rend. Ac. Paris 207, 1938, 1444) besteht die Neigung, derartige Blumenkronen auszubilden, besonders bei Entwicklung der Bliiten im Langtag. 33 Flora, Rd. 143

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JOHANNES

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fiihrten, daB anstelle desselben ein yollstandiges, vielbliitiges, von HiillbHittern umgebenes Chrysanthemenbliitenkopfchen "en miniature" vorgefunden wurde. Dieses blieb yon del' Blumenkrone del' urspriinglichen Einzelbliite entweder vollstandig umhiillt (Abb. 1, bei b; Abb. 2 k) odeI' ragte aus deren seitlicher Schlitzung l1littels eines Kopfchenstieles hervor (Abb. 1, bei c); nur in seltenen Fallen war die Blumenkrone ± verkiimm€Tt. Fiir das Studiul1l del' Differenzierungsvorgange derartiger Chrysanthel1lenbliitenkopfe war die Eigenhil1llichkeit der Compositenbliiten, aus za-hlreichen Einzelbliiten unterschiedlichen Entwicklungszustandes zu bestehen, von Vorteil; sie gestattete, eine groBere Anzahl derselben zur Untersuchung heranzuziehen. Abb. 2 zeigt in den Fig. e, fund g bei gleicher VergroBerung drei verschiedenaltrige, gestielte sekul1(Uire BHitellkopfchen (b), umgeben von der zygomorphen Blumenkrone der urspriinglichen Einzelbliite (z), an deren Basis l1litunter Spreublatter vorhanden sind (sp). Diesen Bliitenkopfchen wiirden als Folgestadien die mit d bezeichneten Bliitenkopfchen der Abb. 1 anzureihen sein, die die kiinftige Chrysanthel1lenbliite bereits in Einzelheiten erkennen lassen. In Fig. h der Abb. 2 ist das Bliitenkopfchen (b) der Fig. e prapariert und starker vergroBert wiedergegeben. Dadurch werden das an der Kopfchenachse ansitzende Hochblatt (h) sowiE: l1lehrere in der Entwicklung voraneilende Hiillblatter (k), einige typische junge Zungenbliiten (a) und eine Anzahl noch nackter Vegetationskegel von Einzelbliiten (v) in der Mitte des jungen Bliitenkopfchens sichtbar. Ein entsprechendes, jiingeres Entwicklungsstadiul1l ist in Abb. 2 i wiedergegeben. DaB der Vegetationskegel der urspriinglichen Einzelbliiten nicht 111 allen Fallen das eben aufgezeigte }Iaxil1lul1l an Differenzierungsschritten durchlauft, sondern seine Tatigkeit auch ± friiher end en kann, wird durch die Fig. b-d der Abb.2 belegt. In Fig. b ist auBer der Blumenkrone - auBerlich sichtbar - nur ein Hochblatt entwickeJtt), indes an einem anderen entsprechenden Entwicklungsstadium nach Entfernung der zygomorphen Blumenkrone noch weitere Hochblatter sichtbar werden (Abb. 2 c), die in Abb. 2 d starker vergroBert wiedergegeben sind. Zusammenfassend kann hinsichtlich der Ontogenese der vorgelegten modifizierten Bliitenkopfe von Chrysanthemum indicum L. ausgesagt werden, daB sowohl die Anlage des primaren Bliitenkopfes als auch die seiner Einzelbliiten durchaus typisch verlief. Erst nachdem der Vegetationskegel der Einzelbliiten ber€its die Blumenkrone differenzi€Tt hatte uncI 1)

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vgl. hierzu auch die Figuren e und g dieser Abbildung bei h.

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Teratolo!!ische Beobarhtungen an

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Abb. 2. Chrysanthemum indi.culn L. a normale uncI b-k modifizierte Einzelbliiten in verschiedenen Entwicklungsstadien. Einzelheiten im Text. Vergr. a, b, e, f, g, k %; c 1 X; h, i 11 /4 X; d 2 X .

im "Normalfall" seine gerichtete Tatigkeit alsbald mit der Anlage des Gynaceums abgeschlossen hatte, trat bei zahlreichen Einzelbltiten eine Anderung der ursprtinglichen Determinierung und bereits eingeschlagenen Entwicklungsrichtung an ihren Vegetationskegeln zutage. Diese best and 33*

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darin, daB die Vegetationskegel der bisherigen Einzelbltiten in der Folge die tibergeordneten Funktionen eines Vegetationskegels von BI ti tenkopfen tibernahmen und nunmehr vollstandige, sekundiire Bltitenkopfchen ausbildeten, die von der zungen- oder schlauchformigen Blumenkrone der ursprtinglichen Einzelbltite ± umhtillt blieben. Derartige Bildungen an Chrysanthemenbltiten sind bereits wiederholt bekanntgeworden; die Deutungen, die mitunter daran gekntipft wurden, sind unterschiedlich. So wird in Gardeners Chronicle (3. Ser. 6, 1889, 602) ohne jeden weiteren Kommentar und anonym tiber die Demonstration zweier "Monstrous Chrysanthemums" berichtet, von den en die eine, die "hen and chicken"-Form, dem hier wiedergegebenem Fall offenbar s,ehr nahesb~ht, da "the corollas were surrounded by a numerous progeny of buds. .. The cause of the monstrous condition was thought to be overnutrition" . Nach Angabe bei PENZIG (Pflanzenteratologie ed. 2, II, 1921, 497) soll CHIFFLOT "aIle durch die Kultur erzielten teratologischen Abanderungen der Kopfchen und Bltiten zusammengestellt haben", unter anderen seien auch sogenannte "Durchwachsungen der Einzelbltiten mit kleinen Kopfchen" erwahnt. Inwieweit Identitat mit unseren in Abb. 1 dargestellten Bltitenkopfchen dabei besteht, konnte nicht tiberprtift werden, da die von PENZIG angegebene Literaturstelle (Compt. Rend. Ac. Sc. Paris, Mars 1903) ni c h t zutrifft und ein Suchen danach bisher ergebnislos verlief; das Organ der Veroffentlichung laBt jedoch eher einen kurz()ll Hinweis als eine Analyse und nahere Beschreib.ung vermuten. Dagegen liegen von BOIS (in Revue horticole 107, 1907, 513) einige Bemerkungen tiber eine ebenso abweichend gestaltete Bltite der Chrysanthemensorte "Primrose Madame Carnot" vor, denen auch eine Zeichnung beigegeben ist (fig. 170). BOIS geht jedochnicht auf den EntwicklungsverI auf der Bltiten dieser "Chrysantheme a capitule prolifere" ein; er vergleicht sie mit Achsendurchwachsungen an Bltiten, wie sie mitunter bei Rosen vorkommen. FUr ihn ist "la prolification un phenomene teratologique qui consiste dans Ie developpement anormal de bourgeons it l'aisselle de feuilles ou d'organes d'origine foliaire"; in unserem speziellen Falle sind "les capitules supplement aires Ie resultat d'un bourgeonnement sur une tige (receptacle) al'aisselle de feuilles (bractees), auxquels une cause accidentelle, probablement un exces de nutrition, a rendu une faculte qu'ils avaient perdue." Mit einer anomalen Ent"icklung von Knospen in der Achsel von Brakteen laBt sich wohl eine Vermehrung der Anzahl der EinzelblUten innerhalb des Kopfchens erklaren, nicht aber deren anomale, als Durchwachsung der Achse gedeutete Ausbildung.

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Wir sehen in der Anlage und Differenzierung vollstandiger sekundarer Bliitenkopfchen bei Chrysanthemum indicum L. durch die Vegetationskegel der Einzelbliiten - nachdem diese bereits ihre Blumenkrone differenziert hatten - eine Au13erung der Pluripotenz der Vegetationskegel, die im typischen Entwicklungsablauf nicht zum Durchbruch gelangt. Ais mogliche Ursache der teratologischen Bildungen konnte fiir die Kurztagspflanze Crysanthemum indicum die ungewohnlich hohe Sonnenscheindauer in den l\Ionaten August und September des warmen Sommers 1953 in Betracht kommen, wie aus der angefiigten Tabelle zu entnehmen ist, deren Daten ich Herrn NATHER, meteorologische Station Gatersleben, verdanke. Sonnenscheindauer in

1953 1954 1955

August ;)4,3 40,8 39,1

%

der astronomisch miiglichen Dauer September Oktober ;)1,3 37,9 38,2 33,8 47,8 37,9

Zusammenfassung Es wurden zwei Bliitenkopfe von Chrysanthemum indicum L. be·schrieben, die anstelle von Einzelbliiten sekundare Bliitenkopfchen aufwiesen. Die Vegetationskegel der urspriinglichen E i n z e I b Iii ten hatten nach Differenzierung ihrer Blumenkronen eine Anderung ihrer Determinierung erfahren und nunmehr die Funktionen eines Vegetationskegels von BI ii tenk 0 p fen iibernommen. Anschrift des Verfassers: Dr. JOHANNES HEUI, Gatersleben, Institut fiir Kulturpflanzenforschung.