G Model
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ZEFQ-10427; No. of Pages 8
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Qualität und Sicherheit in der Gesundheitsversorgung / Quality and Safety in Health Care
Verbessert eine Schulungsintervention die Diagnostik von psychischen Erkrankungen in der hausärztlichen Praxis? Educational intervention to improve diagnostic accuracy regarding psychological morbidity in general practice Antonius Schneider a,∗ , Verena Mayer a , Andreas Dinkel b , Stefan Wagenpfeil c , Klaus Linde a , Peter Henningsen b a
Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, KIinikum rechts der Isar, TU, München Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, KIinikum rechts der Isar, TU, München c Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Medizinische Informatik, Universität des Saarlandes, Campus Homburg / Saar b
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Artikel-Historie: Eingegangen: 12. April 2019 Akzeptiert: 15. August 2019 Online gestellt: xxx
Schlüsselwörter: Diagnostische Genauigkeit Sensitivität Spezifität psychosomatische Morbidität Hausarztpraxis
z u s a m m e n f a s s u n g Hintergrund: Im Rahmen einer Pilotstudie wurde untersucht, inwiefern eine intensive, eintägige Schulungsmaßnahme zur Verbesserung der diagnostischen Kompetenzen von Hausärzt*innen zur Erkennung von Depression, Angst und Somatisierungsstörung beiträgt. Methode: Cluster-randomisierte kontrollierte Pilotstudie mit jeweils 6 Praxen in der Interventionsund Kontrollgruppe. Zur Erfassung der psychischen Erkrankungen bearbeiteten die Patient*innen den Patient-Health-Questionnaire (PHQ-D). Nach Abschluss der Konsultation schätzten Hausärzte*innen auf einer numerischen Ratingskala von 0 (keine Ausprägung) bis 10 (höchste Ausprägung) ein, inwiefern bei Patienten/-innen eine psychische Erkrankung besteht – unabhängig vom Beratungsanlass. Ergebnisse: 364 Patient*innen nahmen teil. Arztrating und PHQ-Ergebnisse korrelierten in beiden Gruppen signifikant (p< 0,001) mit mäßiger Effektstärke (Spearman Korrelationskoeffizienten zwischen 0,27 und 0,42). Weder in der Korrelationsanalyse noch bei der diagnostischen Genauigkeit, ermittelt mit der area under the curve (AUC), gab es signifikante Unterschiede zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe. Die diagnostische Genauigkeit der einzelnen Ärzte*innen war minimal 0,52 (95%KI 0,30-0,73) und maximal 0,84 (95%KI 0,67-1,00). Die diagnostische Genauigkeit zeigte hierbei eine signifikante Heterogenität (Cochran Q = 25,0; p< 0,01). In der Regressionsanalyse mit dem ,,Vorhandensein einer psychischen Erkrankung‘‘ (gemäß PHQ) als abhängiger Variable war eine lange Arzt-Patient-Beziehung war negativ mit dem Vorhandensein einer psychischen Erkrankung assoziiert (OR 0,96; 95%KI 0,92-0,99; p = 0,01). Es zeigte sich eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren ,,Zeitliche Dauer der ArztPatient-Beziehung‘‘ und ,,Ärztliches Rating‘‘ (ß = 0,02; OR 1,02, 95%KI 1,01-1,03; p< 0,001), wobei mit längerdauernder Beziehung die diagnostische Treffsicherheit zunimmt. Diskussion: Es konnte kein signifikanter Interventionseffekt detektiert werden. Die hausärztliche Einschätzung zeigt eine signifikante Korrelation mit der Selbsteinschätzung von Patient*innen bezüglich einer erhöhten psychischen Krankheitslast, wobei ärztlicherseits eine erhebliche inter-individuelle Variation besteht. Die diagnostische Einschätzung wird mit zunehmender Dauer der Arzt-Patient-Beziehung besser. Schlussfolgerung: Eine einmalige Schulungsintervention scheint nicht ausreichend zu sein, die diagnostische Kompetenz bei psychischen Erkrankungen zu verbessern. Die erhebliche Variation der diagnostischen Treffsicherheit a priori könnte erklären, warum eine ,,one-size-fits-all‘‘-Schulungsmaßnahme alleine keine Verbesserung der diagnostischen Kompetenzen ermöglicht.
∗ Korrespondenzadresse. Klinikum rechts der Isar, TU München. Institut für Allgemeinmedizin, Orleansstrasse 47 81667 Munich, Germany, Phone: +4989614658911. Fax: +4989614658915 E-mail:
[email protected] (A. Schneider). https://doi.org/10.1016/j.zefq.2019.08.006 1865-9217/
Please cite this article in press as: Schneider A, et al. Verbessert eine Schulungsintervention die Diagnostik von psychischen Erkrankungen in der hausärztlichen Praxis? Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2019), https://doi.org/10.1016/j.zefq.2019.08.006
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Article History: Received: 12 April 2019 Accepted: 15 August 2019 Available online: xxx
Keywords: diagnostic accuracy Sensitivity Specificity Psychosomatic morbidity General Practice
a b s t r a c t Introduction: The aim of this pilot study was to evaluate the effectiveness of a complex educational intervention to improve the diagnostic competencies of general practitioners (GPs) regarding the detection of depression, anxiety and somatization. Methods: Cluster-randomized controlled pilot study with six practices each in the intervention group and control group. Psychological morbidity was determined by patient self-report using the Patient Health Questionnaire (PHQ-D). GPs rated the extent of psychological morbidity on a numerical rating scale from 0 (no co-morbidity) to 10 (maximum) of the individual patient after the consultation, independent from the reason for encounter. Results: 364 patients participated. There were moderate correlations between GP rating and the PHQ scales (Spearman correlation between 0.27 and 0.42). There was no significant difference between intervention and control group. Diagnostic accuracy of the GPs, as determined with areas under the curves (AUCs), ranged between 0.52 (95%KI 0.30-0.73) and 0.84 (95%KI 0.67-1.00). The AUCs showed significant heterogeneity (Cochran Q = 25.0; p< 0.01). The regression analysis with ’presence of psychological disorder’ (in PHQ) as dependent variable showed that longer duration of doctor-patient-relationship was negatively associated with psychological morbidity (OR 0.96; 95%KI 0.92-0.99; p = 0.01). There was a significant interaction between the factors ’time of doctor-patient relationship’ and ’GP rating’ (ß = 0.02; OR 1.02, 95%KI 1.01-1.03; p< 0.001), pointing towards increasing diagnostic accuracy when patients are known for a longer time. Discussion: We found no significant effect regarding the educational intervention. The GPs’ estimation regarding psychological morbidity correlated significantly with the self-rating of the patients on PHQ scales. However, there was a considerable inter-individual variation between the GPs’ diagnostic accuracy. The diagnostic estimation improved with increasing duration of doctor-physician relationship. Conclusion: A one-time educational intervention seems not to be sufficient to improve diagnostic competencies in the detection of psychological morbidity. The considerable variation of the diagnostic accuracy might explain why ’one-size-fits-all’ educational interventions will not lead to improvement of diagnostic competencies.
Hintergrund Zahlreiche Erhebungen zeigen, dass psychische Erkrankungen bzw. eine psychische Komorbidität in der hausärztlichen Versorgung eine große Rolle spielen [1–4]. Patient*innen mit depressiven Störungen, Angsterkrankungen und somatoformen Störungen suchen besonders häufig Hausärzte*innen und Spezialisten auf und weisen mehr Arbeitsunfähigkeitstage auf als Patient*innen ohne psychische Erkrankungen [3]. Diese Problematik ist für die Versorgung sehr bedeutsam, da durchschnittlich 25% der hausärztlichen Patient*innen eine psychische Erkrankung aufweisen [1,5]. Insbesondere bei organisch nicht begründbaren Symptomen und somatoformen/funktionellen Störungen fordern viele Patient*innen wiederholt diagnostische Untersuchungen ein, um mit stets erneuter Sicherheit eine organische Erkrankung auszuschließen, was ihnen aber nur kurzfristig eine Beruhigung verschafft. Diese Inanspruchnahme geht nicht nur mit einem erhöhten Ressourcenverbrauch im Gesundheitswesen einher, sondern birgt unter Umständen auch ein Verletzungspotential durch Überdiagnostik für die Patient*innen [6,7]. Die Erkennung von psychischen Erkrankungen in der Primärversorgung stellt eine Herausforderung dar. Surveys zur Detektion von Depression [8–10], Angststörungen [11] und Somatisierungsstörungen [12] durch Hausärzte*innen zeigen generell verhältnismäßig niedrige Sensitivitäten und Spezifitäten. Gleichzeitig konnten in internationalen Studien zur Verbesserung der diagnostischen Kompetenzen nur geringe Effekte von Schulungsinterventionen belegt werden [13,14]. Als Ursachen hierfür werden unter anderem mangelnde Praktikabilität der Schulungsmaßnahmen [13] bzw. die Komplexität der Diagnosestellung im hausärztlichen Alltag angeführt [14,15]. Herausforderungen bei der Diagnostik entstehen auch durch die verhältnismäßig geringen Häufigkeiten der einzelnen Erkrankungen, was die Identifikation der Einzelfälle erschwert [10]. Weitere Faktoren betreffen die Problematik der Kategorisierung von Schweregraden im Hinblick auf das breite Kontinuum der geschilderten Symptome [8]. Darüber
hinaus sind auch manche Patienten nicht bereit oder in der Lage, ihre psychischen Beschwerden adäquat zu schildern [11]. Diese Aspekte sind letztlich auch kontextabhängig von der Struktur der jeweiligen Gesundheitssysteme, unter anderem auch im Hinblick auf die Möglichkeit für Überweisungen, Koordination der Versorgung, technischer Ausstattung in den Praxen und zeitlichen Ressourcen für die Patienten. Darüber hinaus dauert die allgemeinmedizinische Weiterbildungszeit im internationalen Vergleich mit mindestens 5 Jahren verhältnismäßig lang und beinhaltet den Erwerb von Zusatzkenntnissen in ,,Psychosomatischer Grundversorgung‘‘. Die entsprechenden Gesprächsziffern wurden 2014 beispielsweise von 79% der Ärzte in Bayern abgerechnet, so dass von einer aktiven Umsetzung der psychosomatischen Grundversorgung ausgegangen werden kann [16]. Insofern ist es bedeutsam, dass für den deutschen Sprachraum bislang wenig untersucht wurde, inwiefern Hausärzte*innen in der Lage sind, die psychischen Erkrankungen ihrer Patient*innen bei der Präsentation von gesundheitlichen Beschwerden adäquat einzuschätzen, und in welchem Ausmaß Schulungsmaßnahmen zur Verbesserung der diagnostischen Kompetenzen beitragen können. Die Hypothese für das Pilotprojekt war, dass eine intensive, eintägige Kommunikationsschulung von Hausärzte*innen mit Einsatz einer Schauspielpatientin die Erkennung von psychischen Erkrankungen verbessert. In einem explorativen Ansatz sollte darüber hinaus ermittelt werden, ob die diagnostische Genauigkeit mit länger dauernder Arzt-Patient-Beziehung zunimmt. Methodik Studiendesign Es handelt sich um eine cluster-randomisierte, kontrollierte Pioltstudie, die mit 12 Hausärzte*innen aus 12 Hausarztpraxen aus dem Großraum München bzw. Oberbayern durchgeführt wurde. Die Rekrutierung geeigneter Praxen erfolgte über das Netz der 230 Lehrärzte für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München. Nachdem alle 12 Ärzte ihre Mitwirkung bei
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der Studie bestätigt hatten, erfolgte die Randomisierung (einfache Randomisierung durch den Studienleiter mit MS Excel). 6 Praxen erhielten vor Befragung der Patient*innen eine intensive, auf einen Tag beschränkte Schulung zu Diagnostik und Gesprächsführung (Interventionsgruppe). Die anderen 6 Praxen arbeiteten im gewohnten Behandlungsstil weiter (Kontrollgruppe, usual care). Zum Zeitpunkt der Patient*innenrekrutierung war den Ärzt*innen ihre Gruppenzugehörigkeit bekannt. Vor Studienbeginn wurde die Einwilligung der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der TU München eingeholt. Die Studie wurde im Deutschen Register für Klinische Studien registriert (DRKS00006001). In den Interventionspraxen wurden nach der Schulung Patient*innen konsekutiv von einer Mitarbeiterin/Doktorandin (VM) angesprochen, über Ziele und Ablauf der Befragung informiert und – soweit eine Einwilligung vorlag und keine Ausschlusskriterien erfüllt waren – gebeten, vor Ort (im Wartezimmer) den Fragebogen vor der hausärztlichen Konsultation auszufüllen. Einschlusskriterien waren ein Alter von mindestens 18 Jahren, ausreichende Deutschkenntnisse und eine unterschriebene Einverständniserklärung. Die Patient*innen wurden von März bis Oktober 2014 rekrutiert. Die Rekrutierung erfolgte an einzelnen Tagen in den Praxen, bis jeweils die beabsichtigte Rekrutierungszahl von 30 Patienten erreicht wurde. Der Patient*inneneinschluss erfolgte konsekutiv. Schulungsintervention Die Schulung der Interventionsgruppe fand im Juli 2014 unter Leitung von AS gemeinsam mit PH statt. Zunächst wurden die teilnehmenden Hausärzte*innen aufgefordert, in einer offenen Runde ihre Erfahrungen mit ‘‘schwierigen Patient*innen‘‘ mitzuteilen und sich gegenseitig auszutauschen, um fördernde und hemmende Faktoren zu erfassen und um zentrale Anliegen der Teilnehmer zu klären. Es folgten zwei Fachvorträge von AS und PH mit Darstellung der diagnostischen Kriterien von Depression, Angst und Somatisierungsstörung. Gemeinsam wurden mögliche hausärztliche Strategien zur Verbesserung der Diagnostik erarbeitet, unter anderem auch mit Anwendung von Screening-Fragen und Berücksichtigung des bio-psycho-sozialen Modells. Darauf folgend wurde in einer interaktiven Gesprächsrunde unter fachspezifischer Leitung (PH) gemeinsam erarbeitet, wie man psychosomatische Patienten in der eigenen Praxis frühzeitig erkennt bzw. mit ihnen umgeht. Dabei wurde besonderes Augenmerk daraufgelegt, welche Fehler Ärzte*innen häufig machen und wie sie hierdurch unbeabsichtigt zur Entstehung und Aufrechterhaltung von somatischer Fixierung beigetragen. Als abschließendes Fazit wurden einige Gesichtspunkte festgehalten, die verinnerlicht werden und den Ärzt*innen als Leitmotive für den Umgang mit psychosomatischen Patient*innen dienen sollten. Bezüglich der Prävention von somatischer Fixierung wurde neben der Wichtigkeit des ,,aktiven Zuhörens‘‘ besonders betont, dass der Behandler kein einseitiges Vorgehen im Sinne eines ,,entweder- oder- Modelles‘‘ verfolgen, sondern eine tragende, unterstützende Haltung gegenüber dem Patient*innen einnehmen sollte [17,18]. Im Anschluss daran wurden vier Beratungsanlässe mit einer ausgebildeten Schauspielerin als ,,Patientin‘‘ durchgespielt: Bauchschmerzen bei Reizdarmsyndrom, Spannungskopfschmerz, Muskelzuckungen und Herzanfälle. Das Schulungsprotokoll ist als Online-Supplement einsehbar. Die beiden Schulungsleiter bereiteten die Schauspielpatientin vor jedem Szenario auf ihre Krankengeschichte vor. Anschließend führte jeweils ein/e Arzt/Ärztin ein Anamnesegespräch mit der Schauspielpatientin vor der Gruppe durch. Dabei erhielt der/die Hausarzt/-ärztin keinerlei Informationen über die Patientin und ging unvorbereitet in die Situation. Die restlichen Ärzte*innen nahmen in dem Moment die Beobachterrolle ein. Im Anschluss an jedes Szenario wurde das Vorgehen des jeweiligen Arztes durchgesprochen und Lob bzw. Kritik angebracht. Zentraler Bestandteil war
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dabei, dass jede/r Arzt/Ärztin nach dem durchgespielten Szenario kritisches Feedback von der Schauspielpatientin erhielt. In der Gruppe wurden einzelne Aspekte der Interaktion diskutiert, um ein gegenseitiges Lernen zu unterstützen. Studienablauf Der/die Hausarzt/ärztin sollte für jeden befragten Patient*innen, den Beratungsanlass notieren. Darüber hinaus sollte er eine Einschätzung abgeben, in welchem Ausmaß bei der Patient*in eine psychische Erkrankung besteht. Diese Einschätzung erfolgte auf einer numerischen Rating-Skala von 0 (keine Ausprägung) bis 10 (höchste Ausprägung), unabhängig davon, ob eine psychische Erkrankung als Beratungsanlass vorlag. Dabei sollte sich der Hausarzt / die Hausärztin festlegen, ob er bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung eher von einer Depression und/oder Angststörung, und/oder somatoformen Störung ausging. Mehrfachantworten waren möglich, zusätzliche psychische Erkrankungen, wie z.B. Suchterkrankungen oder Essstörungen, wurden nicht erfasst. Die Einschätzung und deren Dokumentation erfolgten nach dem Arzt-Patient-Gespräch im Rahmen der hausärztlichen Konsultation. Aus den Patientenakten wurde entnommen, wann der Erstkontakt mit der Praxis bzw. mit dem behandelnden Ärzt*in stattfand, um die Dauer der Arzt-PatientBeziehung zu ermitteln. Die Patient*innen wurden gebeten, zur Untersuchung von psychischen Erkrankungen den Gesundheitsfragebogen für Patient*innen (PHQ-D) auszufüllen, der die Module depressive Störung, Panikstörung, somatoforme Störung [19,20] und Angststörung (GAD-7) [21] umfasst. Der Gesundheitsfragebogen für Patient*innen (PHQ-D) ist die validierte deutsche Version des ’’Patient Health Questionnaire (PHQ)‘‘ und wird ergänzt durch den GAD-7 (Generalized Anxiety Disorder Questionnaire) zur Erfassung von Angststörungen. In der vorliegenden Studie wurden die Module depressive Störung (9 Items; auch als PHQ-9 bezeichnet), Panikstörung (16 Items), somatoforme Störung (15 Items; auch als PHQ-15 bezeichnet) und der GAD-7 verwendet. Der PHQ wurde als Screeninginstrument für verschiedene psychische Störungen in der Primärmedizin entwickelt, wobei ¨ das ’’Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV(SKID-Interview) der Referenzstandard für die Diagnosestellung ist. Für alle vier Module konnte eine gute diagnostische Genauigkeit gezeigt werden [19,20] und Angststörung (GAD-7) [19–21]. Alle vier Skalen erlauben einerseits eine kategoriale Auswertung (Hinweis auf das Vorliegen einer relevanten Störung ja/nein) und eine metrische Auswertung (Bestimmung von Symptomscores). Zudem enthielt das Fragebogenset offene Fragen zu den Beratungsanlässen und strukturierte Fragen zu Schulausbildung, Beruf und Familienstand. Statistische Analyse Aufgrund des Pilotcharakters der Studie wurde eine explorative Analyse durchgeführt. Als Primärhypothese wurde davon ausgegangen, dass der Korrelationskoeffizient nach Spearman zwischen der Selbsteinschätzung der Patient*innen im PHQ und der Ärzt*inneneinschätzung auf der numerischen RatingSkala in der geschulten Gruppe höher sein wird als in der nicht geschulten Gruppe (Primärer Endpunkt). Die PHQ-Skalen wurden für diese Fragestellung metrisch ausgewertet. Der Vergleich der Korrelationskoeffizienten erfolgte gemäß Fisher [22]. Ein möglicher Design-Effekt [23] aufgrund des clusterrandomisierten Designs wurde bei Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt. In sekundären Analysen wurden die Sensitivitäten und Spezifitäten zur hausärztlichen Erkennung von Depression, Angst- und
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Tabelle 1 Merkmale der teilnehmenden Ärzte*innen und Patient*innen. Merkmal (fehlende Werte Interventionsgruppe/ Kontrollgruppe
Interventionsgruppe
Kontrollgruppe
Gesamt
Ärzte*innen N Weiblich (0/0) [n (%)] Alter (0/0) in Jahren [mw (sd)] Jahre niedergelassen (0/0) [mw (sd)] Jahre klinische Erfahrung (0/0) [mw (sd)]
6 2 (33%) 58 (9) 25 (9) 31 (9)
6 2 (33%) 49 (10) 14 (11) 19 (10)
12 4 (33%) 54 (10) 19 (11) 25 (11)
Patient*innen Eingeschlossen Weiblich (0/0) [n (%)] Alter (0/6) in Jahren [mw (sd)] Schulabschluss Fachabitur/Abitur (0/2) Erwerbstätig (0/4) [n (%)]
181 104 (57%) 54 (19) 58 (32%) 95 (52%)
183 99 (55%) 48 (17) 58 (32%) 112 (63%)
364 203 (56%) 51 (18) 116 (53%) 211 (59%)
Familienstand (0/2) [n (%)] - verheiratet/feste Partnerschaft - alleinstehend - verwitwet In Praxis seit Jahren (1/0) [mw (sd)]
126 (70%) 38 (21%) 17 (9%) 10 (8)
119 (66%) 54 (30%) 8 (4%) 10 (7)
245 (68%) 92 (25%) 25 (7%) 10 (8)
Diagnose laut PHQ/GAD-7 zu t1 - Major Depression (3/4) - Minor Depression (3/5) - Angststörung (3/4) - Paniksyndrom (0/3) - Somatoformes Syndrom (4/10) - mindestens eine Diagnose (0/1)
16 (9%) 16 (9%) 18 (10%) 3 (2%) 26 (14%) 51 (28%)
18 (10%) 17 (10%) 25 (14%) 8 (4%) 29 (17%) 54 (30%)
34 (10%) 33 (9%) 43 (12%) 11 (3%) 55 (16%) 105 (29%)
Somatisierungsstörung (Indextest) anhand einer Vier-Felder-Tafel berechnet. Als Referenzstand diente die kategoriale Auswertung des PHQ, d.h. Störung vorhanden ja/nein. Receiver-OperatingCharacteristic (ROC) – Analysen wurden als weitere sekundäre Analysen durchgeführt, um über die Berechnung der Flächen unter den Kurven (Area under the curve = AUC) einen Anhaltspunkt zur diagnostischen Genauigkeit der Ärzte*innen zu erhalten [24]. Für die Berechnung der gepoolten Sensitivitäten, Spezifitäten, Korrelationen und AUCs wurde das Clusterdesign der Studie berücksichtigt. Der Vergleich der AUCs erfolgte nach Zhou et al. [25] und bei den Sensitivitäten sowie Spezifitäten mit dem exakten Test von Fisher. Um zu überprüfen, ob die diagnostische Genauigkeiten zwischen den einzelnen Ärzten über das zufällig erwartete Maß hinaus variieren, wurde der Cochran´s Q-Test auf Heterogenität bei den AUCs berechnet [26]. Zusammenhänge zwischen dem Vorliegen von Depression, Angst oder Somatisierungsstörung als abhängige Variable und dem Arztrating als unabhängige Variable wurden mit der binär logistischen Regression mit Vorwärts- und Rückwärtsselektion nach Wald berechnet, um Prädiktoren für ,,das Vorliegen mindestens einer psychischen Erkrankung nach PHQ-D/GAD-7‘‘ zu ermitteln. Mit einer Regressionsanalyse wurde untersucht, welche Faktoren zu einer hausärztlichen Erkennung von psychischen Erkrankungen beitragen. Das Regressionsmodell wurde für Alter, Geschlecht, Schulbildung und Praxiszugehörigkeit (zur Kontrolle von Zentrumseffekten) adjustiert. Unter der Annahme, dass eine längere Kenntnis des Patient*innen die Einschätzung bezüglich einer psychischen Erkrankung erleichtert, wurde die zeitliche Dauer der Patient*innenbindung an die Praxis in das Regressionsmodell eingeschlossen. Alle angegebenen p-Werte sind zweiseitig und auf ein Signifikanzniveau von 0.05 bezogen. Die statistische Auswertung erfolgte mit IBM-SPSS Version 23, StatsDirect Version 3 und NCSS Version 11.0.9. Basierend auf anderen Projekten zur Arzt-Patient-Interaktion in der deutschen Primärversorgung [2,27] wurde erwartet, dass eine Erkennung von Unterschieden mit 12 Praxen bzw. 360 Patient*innen möglich werden wird; aufgrund des explorativen Studiendesigns erfolgte keine formale Fallzahlschätzung.
Abbildung 1. Flussdiagramm der Studie.
Ergebnisse Die Randomisation der Ärztinnen und Ärzte ergab bezüglich des Geschlechts gut vergleichbare Gruppen, die Ärzte*innen in der Interventionsgruppe waren jedoch im Mittel 9 Jahre älter und somit auch deutlich erfahrener (Tabelle 1 oberer Teil). Alle Ärzte*innen hatten eine Weiterbildung in der psychosomatischen Grundversorgung absolviert. Insgesamt erklärten sich 364 (81%) von 447 angesprochenen Patient*innen bereit, den Fragebogen für die Studie auszufüllen, 203 (56%) waren weiblich; 8 Patient*innen konnten aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht eingeschlossen werden (Abbildung 1). 83 (19%) verweigerten die Teilnahme, 48 (58%) davon waren weiblich. Die Patient*innen in Interventions- und Kontrollgruppe waren bezüglich der Mehrzahl der erhobenen Merkmale gut vergleichbar (siehe Tabelle 1 unterer Teil); die Patient*innen in der Interventionsgruppe waren jedoch deutlich älter und suchten den Arzt häufiger wegen Prozeduren oder allgemeinen und
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Tabelle 2 Diagnostische Kennwerte der Interventions- und Kontrollgruppe. Interventionsgruppe
Kontrollgruppe
p-Wert
0, 36 *** (95%KI 0,21-0,49) (n = 175) 0,27*** (95%KI 0,12-0,41) (n = 175) 0,44*** (95%KI 0,31-0,56) (n = 176) AUC = 0,65** (95%CI 0,55-0,74)
0,42*** (95%KI 0,28-0,54) (n = 169) 0,39*** (95%KI 0,25-0,51) (n = 174) 0, 28*** (95%KI 0,13-0,42) (n = 163) AUC = 0,67** (95% CI 0,58-0,75)
0,52 #
54% (95%KI 27-80) 85% (95%KI 72-94)
63% (95%KI 40-84) 79% (95%KI 69-88)
0,07 ### 0,34
Angststörung Sensitivität Spezifität
19% (95%KI 2-49) 85% (95%KI 71-95)
10% (95%KI 0-37) 84% (95%KI 78-89)
0,04 0,77
Somatisierungsstörung Sensitivität Spezifität
37% (95%KI 5-78) 77% (95%KI 70-83)
38% (95%KI 8-74) 77% (95%KI 70-83)
0,58 1,00
Korrelation PHQ Depression / Rating Korrelation PHQ Angst / Rating Korrelation PHQ Somatisierung / Rating Area under the curve (Detektion jeglicher psychischen Erkrankung) Depression Sensitivität Spezifität
0,21 #
0,09 #
0,77 ##
*
p < 0,05; p < 0,01; *** p < 0,001 # Vergleich zweier Korrelationskoeffizienten aus unabhängigen Stichproben nach Fisher [22] ## NCSS Version 11.0.9, Berechnung nach Zhou et al. [25] ### Für den Vergleich von Sensitivität und Spezifität zwischen den beiden Gruppen Intervention und Kontrolle wurde Fisher’s exact Test als zweiseitiger Hypothesentest verwendet **
Abbildung 2. Area under the curves (AUC) der einzelnen Ärzte*innen zur diagnostischen Genauigkeit im Hinblick auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung; 95%KI = 95%-Konfidenzintervall.
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unspezifischen Beschwerden und seltener wegen Beschwerden des Bewegungsapparates auf (Beratungsanlässe in im OnlineSupplement). In beiden Gruppen konsultierten die Patient*innen die Praxis durchschnittlich seit 10 Jahren. Bei 51 (28%) der Patient*innen der Interventionsgruppe und 54 Patient*innen (30%) der Kontrollgruppe bestand laut PHQ/GAD-7 mindestens eine psychische Erkrankung (Tabelle 1). Die Ärzte*innen dokumentierten für insgesamt 356 Patient*innen (98%) ihre Einschätzung einer psychischen Erkrankung mit der numerischen Ratingskala. Der Median des Ratings lag in der Interventionsgruppe bei 1, in der Kontrollgruppe bei 3 mit Minimum = 0 und Maximum = 10 in beiden Gruppen (p = 0,007; Mann-Whitney-U-Test). In den Korrelationsanalysen war das ärztliche Rating gering bis mittelgradig mit den PHQ/GAD-7Diagnosen Depression, Angst und Somatisierung korreliert (Tabelle 2). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe bei den Korrelationskoeffizienten – außer tendenziell bei der Somatisierungsstörung – und areas under the curves (AUCs), weder bezüglich der Gesamtdiagnostik, noch bei den einzelnen psychischen Erkrankungen. Die Spezifitäten der Ratings zu den einzelnen Erkrankungen lagen deutlich höher als die Sensitivitäten. Bei der Interventionsgruppe zeigte sich eine höhere Sensitivität bezüglich der Erkennung von Angststörungen (19% versus 10%; p = 0,04); ansonsten zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede, weder bei den Sensitivitäten, noch bei den Spezifitäten oder AUCs. Es bestand jedoch eine erhebliche Variation der AUCs bei den einzelnen Ärzten, sowohl in der Interventionsals auch in der Kontrollgruppe (Abbildung 2). Der Cochran´s Q-Test ergab eine signifikante Heterogenität der AUCs (Cochran Q = 25,0; df = 11; p< 0,01). In der Regressionsanalyse mit dem ,,Vorhandensein einer psychischen Erkrankung‘‘ (gemäß PHQ) als abhängiger Variable war eine lange Arzt-Patient-Beziehung negativ mit dem Vorhandensein einer psychischen Erkrankung assoziiert (OR 0,96; 95%KI 0,92-0,99; p = 0,01) (Tabelle 3). Es zeigte sich eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren ,,Zeitliche Dauer der Arzt-Patient-Beziehung‘‘ und ,,Ärztliches Rating‘‘ (OR 1,02; 95%CI 1,00-1,03; p = 0,01). Im Vorwärts- und Rückwärts-Variablenselektionsmodell verblieben nur noch die ,,Zeitliche Dauer der Arzt-Patient-Beziehung‘‘ (ß = 0,12; OR 0,89, 95%CI 0,84-0,93; p < 0,001) und die Interaktion von ,,Zeitliche Dauer der Arzt-Patient-Beziehung‘‘ und ,,Ärztliches Rating‘‘ (ß = 0,02; OR 1,02, 95%KI 1,01-1,03; p < 0,001) signifikant. Der geschätzte Effekt (ß) drückt hierbei aus, dass mit längerer Patient*innenbindung die diagnostische Treffsicherheit der Ärzte*innen zunimmt. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 3 graphisch wiedergegeben: bei Vorliegen eines sehr niedrigen Ratings, z.B. 0 oder 1, liegt die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung (entsprechend dem PHQ-Ergebnis) bei circa 5%, wenn die Arzt-Patient-Beziehung seit mindestens 20 Jahren besteht (die Wahrscheinlichkeit, gesund zu sein beträgt also 95%). Bei hohem Rating, z.B. 10, liegt die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung bei circa 70%, wenn die Arzt-Patient-Beziehung seit 25 Jahren besteht. Andererseits variiert die Wahrscheinlichkeit nur gering in Abhängigkeit vom Rating, wenn die
Tabelle 3 Univariate Regressionsanalyse mit dem Vorliegen von mindestens einer psychischen Erkrankung nach PHQ-D/GAD-7 als abhängiger Variable. Variable
OR (95% KI)
p
Arztrating Zeitdauer der Patientenbindung Männliches Geschlecht Alter Schulbildung > 10 Jahre
1,23 (1,13-1,34) 0,96 (0,92-0,99) 0,59 (0,36-0,97) 0,98 (0,97-1,0) 0,92 (0,54-1,56)
< 0,001 0,01 0,04 0,02 0,74
Abbildung 3. Diagnostische Treffsicherheit der Ärzte*innen in Abhängigkeit von der Dauer der Arzt-Patient-Beziehung.
Arzt-Patient-Beziehung kurz ist – die diagnostische Treffsicherheit ist also deutlich geringer. Diskussion Es konnte kein signifikanter Effekt der Schulungsmaßnahme identifiziert werden. In der Interventions- und Kontrollgruppe zeigten sich mittelgradige Korrelationen des Arztratings mit den Skalen des PHQ. Letztlich sind die Sensitivitäten zur Diagnostik von Depression, Angst und Somatisierungsstörungen verhältnismäßig niedrig, die Spezifitäten dafür recht hoch. Auffallend war, dass sich mit längerer Zeitdauer der Patient*innenbindung an die Praxis die diagnostische Einschätzung der Patient*innen verbesserte. Die Schulungsintervention war mit einer Kombination aus Fachvortrag, moderierter Selbsterarbeitung hausärztlicher Heuristiken und Einsatz einer Schauspielpatientin mit Feedback und Gruppenreflexion komplex aufgebaut. Dennoch konnte kein signifikanter Effekt der Intervention aufgezeigt werden. Die geringfügigen signifikanten Unterschiede sind vermutlich eher artifiziell, im Sinne eines multiplen Testens, zu werten. Eine Begründung für das negative Studienergebnis könnte sein, dass eine einmalige Schulung nicht ausreicht, um eine Steigerung der diagnostischen Kompetenzen erreichen zu können, zumal es sich um erfahrene Hausärzte*innen handelt, die schon im Vorfeld eine Ausbildung in psychosomatischer Grundversorgung absolviert hatten. Es wurden zwar diagnostische Kriterien von Angst, Depression und Somatisierung dargestellt, aber letztlich wurde die symptomorientierte interaktive Kommunikation besonders betont. Dies mag auch zu dem mangelnden Interventionseffekt beigetragen haben, wobei die Interventionsgruppe eine höhere Korrelation bezüglich der Somatisierung aufwies. Der Unterschied zur Kontrollgruppe war jedoch nicht signifikant. Bemerkenswert ist, dass die diagnostischen Kennwerte der Hausärzte*innen sehr ähnlich zu anderen Studien waren [8,11,12], wobei in Bezug auf Depressivität eine fast identische Sensitivität und Spezifität resultierte wie in einem systematischen Review, in dem 41 Studien zusammengefasst wurden [8]. Im systematischen Review zur Diagnostik von Angststörungen von Olariu et al. waren die Sensitivität mit 44% und Spezifität mit 90% höher als in der aktuellen Studie [11]. Dagegen war die Sensitivität im Hinblick auf die Diagnostik von Somatisierungsstörungen deutlich besser als bei Rosendal et al. (Sensitivität 19%, Spezifität 90%) [12], obwohl die Schulungsintervention in deren Studie zeitlich sehr intensiv mit wiederholten Seminaren durchgeführt wurde [28]. Letztlich wird deutlich, dass Gruppenschulungen zur Verbesserung der diagnostischen Genauigkeit wenig effektiv sind, selbst bei sehr aufwendigen und zeitintensiven Interventionen. Für diese verhältnismäßig niedrige diagnostische Genauigkeit könnten die Ergebnisse des vorliegenden Pilotprojekts eine
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Erklärung liefern: die eingehende Analyse auf Arztebene ergab, dass die diagnostische Treffsicherheit interindividuell erheblich variierte. Während einige Ärzte*innen eine hohe Treffsicherheit – mit einer AUC über 0,8 entsprechend einem sehr guten Test – aufwiesen, zeigte sich bei anderen mit einer AUC nahe 0,5 eher eine Zufallstrefferquote. Bei signifikanter Heterogenität im Cochran´s Q-Test ist davon auszugehen, dass dieses Ergebnis nicht lediglich auf einen Zufall zurückzuführen ist. Denkbar ist, dass von einer intensiven Schulung sowohl Kollegen, die bereits sehr hohe Kompetenzen, als auch diejenigen mit geringeren Kompetenzen, wenig profitieren. Bei Folgeprojekten wären zur Steigerung der jeweiligen Fähigkeiten vermutlich individuellere Maßnahmen zur Kompetenzsteigerung notwendig, da eine ,,onesize-fits-all‘‘-Lösung dieser Unterschiedlichkeit nicht gerecht wird. Ansatzpunkte für individuellere Strategien könnten beispielsweise die Anwendung von Videoaufzeichnungen mit Feedback zur Selbstreflexion sein [29] oder auch strukturierte Qualitätszirkel mit kollegialem Austausch in vertrauensvoller Atmosphäre, ähnlich wie bei medikamentösen Verordnungen [30]. Es muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass die zeitliche Enge in der Praxis die Diagnostik erschwert, und dass auch die Bereitschaft von Patient*innen, ihre psychischen Beschwerden mitzuteilen, sehr relevant ist, wobei ein kontrollierender Interaktionsstil des Arztes die Mitteilsamkeit reduziert [2]. Auffallend war, dass eine kürzere zeitliche Patient*innenbindung mit einer erhöhten psychischen Morbidität einhergeht. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass diese Patient*innen zu häufigem Arztwechsel neigen – insbesondere bei Somatisierung (,,doctor shopping‘‘) [5,31], was letztlich mit einer kürzeren Arzt-Patient-Beziehung einhergehen müsste. Für die Diagnostik ist dies jedoch bedeutsam, da Aspekte wie ,,erlebte Anamnese‘‘ und ,,langdauernde Arzt-Patient-Beziehung‘‘ als Kernelemente für eine effiziente bio-psycho-soziale hausärztliche Betreuung gelten [32–34]. Dementsprechend konnte bei signifikanter Interaktion zwischen ,,Rating‘‘ und ,,Zeitdauer der Patient*innenbindung‘‘ gezeigt werden, dass die diagnostische Sicherheit bei langdauernder Patient*innenbindung zunimmt. Die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung war insbesondere hoch, wenn Hausärzte*innen den Verdacht äußern (hohes Arzt-Rating) und der Patient gleichzeitig bereits lange Zeit in der Praxis registriert war. Der gleiche Effekt bestand bezüglich des Ausschlusses einer psychischen Erkrankung. Als Limitation soll der Charakter einer Pilotstudie besonders betont werden, so dass die Ergebnisse im Sinne einer explorativen Auswertung zu interpretieren sind. Zudem muss berücksichtigt werden, dass der PHQ als Referenzstandard nur eingeschränkte Validität besitzt. Aktuell wird kritisch diskutiert, dass ein Screening mit dem PHQ oder vergleichbaren Fragebögen im hausärztlichen Bereich zu einer deutlichen Überschätzung der Prävalenz von Depressionen führt [35]. Der Vorteil von Screening-Fragebögen ist, dass unkompliziert eine größere Anzahl von Patient*innen rekrutiert werden kann und eine Vergleichbarkeit mit anderen Studie gegeben ist. Dennoch müsste vor dem Hintergrund, dass letztlich beinahe alle nationalen wie auch internationalen Studien – in der Regel erfolgte auch hier die Diagnostik der psychischen Erkrankungen mit Hilfe eines Fragebogens – eine so deutlich reduzierte diagnostische Treffsicherheit von Hausärzte*innenn aufzeigen, kritisch hinterfragt werden, ob mittels Fragebögen die tatsächliche diagnostische Realität in der Primärversorgung abgebildet wird. Um die Genauigkeit der hausärztlichen Diagnose valide zu prüfen, müsste diese mit einem strukturierten klinischen Interview verglichen werden, was natürlich einen erheblichen Studienaufwand bedeuten würde. Darüber hinaus bestand trotz Randomisierung ein deutlicher Alters- und Erfahrungsunterschied zwischen den Arztgruppen. Da alle über die Zusatzbezeichnung ,,Psychosomatische Grundversorgung‘‘ verfügten und junge Ärzte*innen teilweise
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besser im Rating waren als die älteren Kolleg*innen, scheint diesbezüglich ein Bias unwahrscheinlich. Eine weitere Limitation ist, dass im Rahmen der Studie nicht überprüft werden konnte, ob vom Hausarzt bzw. der Hausärztin explizit die diagnostischen Kriterien bei der diagnostischen Entscheidungsfindung verwendet wurden. Die Studie wurde während des normalen Routinebetriebs durchgeführt – geprägt durch die für Deutschland typischen hohen Kontaktzahlen. Insofern ist für die vorliegende Studie von diagnostischen Ergebnissen entsprechend der hausärztlichen Alltagssituation auszugehen. Schlussfolgerungen Eine einmalige Schulungsintervention alleine scheint keine Verbesserung der Wahrnehmung von psychischen Erkrankungen zu ermöglichen. Eine Erklärung hierfür könnte die erhebliche ärztliche inter-individuelle Variation der diagnostischen Genauigkeit sein, wobei insgesamt die hausärztliche Einschätzung eine signifikante Korrelation mit der Selbsteinschätzung von Patient*innen bezüglich einer erhöhten psychischen Krankheitslast zeigt. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass eine längere Kenntnis der Patient*innen hilfreich für die diagnostische Einschätzung ist. Um den unterschiedlichen Kompetenzen besser gerecht zu werden, könnten im Rahmen von Folgeprojekten individuellere Schulungs-ansätze hilfreich sein, beispielsweise mit individualisiertem Video-Feedback. Finanzielle Förderung Die Studie wurde von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) gefördert. Der Förderer hatte keinen Einfluss auf die Forschungsfragestellung und die Interpretation der Ergebnisse. Wir bedanken uns bei den Ärztinnen und Ärzten und deren Patient*innen, die uns bei diesem Projekt unterstützt haben. Interessenskonflikte Alle Autoren bestätigen, dass keine Interessenskonflikte bestehen. Interessenskonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenskonflikt besteht Appendix A. Zusätzliche Daten Zusätzliche Daten verbunden mit diesem Artikel finden sich in der Online-Version unter: doi:10.1016/j.zefq.2019.08.006. Literatur [1] Hanel G, Henningsen P, Herzog W, Sauer N, Schaefert R, Szecsenyi J, et al. Depression, anxiety, and somatoform disorders: vague or distinct categories in primary care? Results from a large cross-sectional study. J Psychosom Res 2009;67:189–97. [2] Kruse J, Schmitz N, Woller W, Heckrath C, Tress W. Why does the general practitioner overlooks psychological disorders in his patient? Psychother Psychosom Med Psychol 2004;54:45–51. [3] Schneider A, Hilbert B, Horlein E, Wagenpfeil S, Linde K. The effect of mental comorbidity on service delivery planning in primary care: an analysis with particular reference to patients who request referral without prior assessment. Dtsch Arztebl Int 2013;110:653–9. [4] Trautmann S, Beesdo-Baum K. The Treatment of Depression in Primary Care. Dtsch Arztebl Int 2017;114:721–8. [5] Schneider A, Horlein E, Wartner E, Schumann I, Henningsen P, Linde K. Unlimited access to health care - impact of psychosomatic co-morbidity on utilisation in German general practices. BMC Fam Pract 2011;12:51. [6] Fink P. Surgery and medical treatment in persistent somatizing patients. J Psychosom Res 1992;36:439–47.
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