Flora (1986) 178: 93-110 VEB Gustav Fischer Verlag Jena
Zur Entwicklung ausgewahlter Populationen des Kletten-Labkrautes (Galium aparine L.) ULRICH GROLL und ERNST-GERHARD MAHN Sektion Biowissenschaften der Martin-Luther-Universitat Halle-Wittenberg Wissenschaftsbereich Geobotanik und Botanischer Garten, DDR
Developmental Strategy and Tactics of Selected Galium aparine Populations Summary The environmental plasticity and strategy within the life cycle of Galium aparine populations in different ecosystems were examined basing on selected morphological and productivity parameters. Within the course of investigations the existence of two different tactical pathways of the annual ontogenetic cycle has been confirmed. 1. After a successful start the developmental conditions during the late phase of vegetative extension and the reproductive phase are deteriorating rapidly. So the populations are forced to shorten these developmental phases resulting in a very weak reproductive output (seeds). This tactics is followed by populations of forest- and ruderal-ecosystems with strong competitors and by individuals of all the other phytocoenoses emerging at the end of emerging time (spring). 2. Initially unfavourable developmental conditions (frost period) are followed by a period enabling the population to use her specific growth-form for producing a high biomass. This fact secures an enlarged reproductive phase with a high reproductive effort. This tactics is typical for Galium aparine populations of low competitive ruderal-coenoses and agro-ecosystems emerging in autumn and those populations emerging in spring in agro-ecosystems cultivated by spring crops. Apart from those both environmentally conditioned tactics deviations of the basic strategical programme have been observed, representing genetically fixed ecotypes. The evolution of an ecotype fitted to run a complete summer-annual short cycle after emerging in late spring has to be interpreted as an adaptation enabling Galium aparine to tolerate successfully the special life conditions of such anthropogenic ecosystems.
Einfiihrung Der Erfolg annueller Arten hinsichtlich einer dauerhaften Einnischung in Okosysteme hangt entscheidend davon ab, inwieweit es ihnen gelingt, den fiir die Erhaltung ihrer Populationen erforderlichen reproduktiven Output langfristig erfolgreich zu gestalten. 1m Rahmen ihres artspezifisch festgelegten strategischen Programms vermogen sich die Individuen einer Art gegeniiber unterschiedlichen Umweltbedingungen plastisch anzupassen (HrCKMAN 1975; ERNST 1983), wobei sie die verschiedenen Taktiken einer Gesamtstrategie reprasentieren (vgl. BRADSHAW 1965; HARPER & OGDEN 1970), die ihrerseits im Verlauf der Phylogenie Abanderungen erfahrt. Sichtbarer Ausdruck der Reaktion pflanzlicher Organismen auf ein spezifisches Angebot an Umweltfaktoren ist somit eine von Art zu Art unterschiedlich stark ausgepragte phano- wie mogliche genotypische Plastizitat (RAYNAL & BAzzAz 1975; HUME & CAVERS 1982). Art und Umfang dieser Plastizitat entscheiden dabei iiber das Etablierungs- und Durchsetzungsvermogen einer Spezies innerhalb einer Phytozonose.
~(T.
GROLL und E.-G.
MAHN
Unter den terrestrischen gehoren Agro-Okosysteme zu den Okosystemen, die sich infolge des hohen Grades gezielt anthropogener Steuerung entwicklungsbestimmender ProzeBablaufe (vgl. MAHN' & STOCKER 1986) durch ein hohes MaB an Diskontinuitiit bzw. spezifischen Storungen wahrend ihres kurzen Entwicklungszyklus auszeichnen (vgl. KAMYSCHEW 1975). Arten, denen es gelingt, unter diesen Bedingungen dauerhaft :FuB zu fassen, mtissen daher tiber eine entsprechende Spezifik oder ± breite Palette plastischer Reaktionsmoglichkeiten verfligen. Galium aparine kann in Mitteleuropa zur Gruppe der Arten gezahlt werden, den en es trotz zunehmender Intensivierung der Agro-Okosysteme nicht nur gelang, ihre Position in den meisten Agrophytozonosen dieses Raumes zu halten, sondern diese - z. T. auf Kosten anderer Arten - noch weiter auszubauen (vgl. HIRDIN'A 1959; SIEBERHEIN' 1979; HILBIG & JAGE 1984; MAHN' 1984). Von Interesse aus der Sicht der von uns betrachteten Problematik ist, daB Galium Ctparine jedoch nicht nur in Agro-Okosystemen, in deren Phytozonosen sie erst sekundar eindrang, eine relativ weite Verbreitung besitzt. Die Art begegnet uns dartiber hinaus verbreitet in offenen bzw. halbschattigen Ruderal-Okosystemen, vermag sich aber auch in naturnahen eutropheren Laubwald-Okosystemen (besonders in Auenwaldem) zu halten, wobei eine Forderung bei aufgelichteter Kronenschicht erkennbar ist. Auf Grund der anzunehmenden polyphyletischen Entstehung des Galium-aparineKomplexes (EHREN'DORFER 1971) und der damit verbundenen hybridogenen Polyploidisierung konnte sich die Art mit groBem Erfolg fast weltweit verbreiten (vgl. MEUSEL & JAGER). Ein so ausgedehntes Areal, wie es das Kletten-Labkraut besitzt, flihrt nach GREGOR (1944) zur Entwicklung eines Systems von kleinen, partiell isolierten Teilarealen und innerhalb dieser wiederum zu einer Vielzahl von Populationen, die sich durch die Verschiedenartigkeit ihrer taktischen Verhaltensweisen voneinander abgrenzen. 1m folgenden soll am Beispiel dreier hinsichtlich Bestandesstruktur (Schichtung, Dichte, Vegetationshohe) sowie Spezifik der (davon beeinfluBten) abiotischen Parameter unterschiedlicher Okosystem-Typen (Wald-Okosystem, Ruderal-Okosystem, Agro-Okosystem) gezeigt werden, inwieweit es Galium aparine unter dies en spezifischen Konkurrenzbedingungen gelingt, durch taktische Plastizitat die entscheidenden Elemente der strategischen Gesamtkonzeption zu verwirklichen bzw. unter welchen Okosystembedingungen diese Zielstellung sowohl qualitativ (Erreichen des Zieles) als auch quantitativ (Hohe der erzielten Stoffproduktion) am erfolgreichsten realisiert wird. Dabei stehen phanotypisch sich auBemde Unterschiede innerhalb bzw. zwischen den untersuchten Populationen im Mittelpunkt der Betrachtung. Auf genotypisch determinierte plastische Merkmalsabweichungen der Entwicklungsstrategie, denen in unseren Untersuchungen ebenfalls nachgegangen wurde, wird im Rahmen vorliegender Veroffentlichung nur randlich eingegangen.
Material und Methoden Entwicklungszyklus und Stoffproduktion der verglichenen Populationen wurden liber Dauerbeobachtungsflachen (meist von 1 m 2 ) in den jeweiligen Okosystemen analysiert. Der Beobachtungszeitraum entsprach dem natlirlichen (Start im Durchschnitt Anfang September) bzw. entsprechend anthropogen verklirzten Zyklus (Agro-Okosysteme). Die Freilanduntersuchungen wurden durch eine Reihe von GefaBversuchen im Gewachshaus gezielt erweitert. Urn den potentiellen Spielraum der Art, d. h. die Grenzen ihrer Plastizitat hinsichtlich eines erfolgreichen Verlaufs ihrer raum-jzeitlichen Einnischung zu prlifen, wurde die Entwicklung von Galium aparine in folgenden Ok03ystemen untersucht:
95
Klettenlabkraut
W = Auwald-Okosystem (Fraxino-Ulmetum (TX. 52) OBERD. 53) R = Ruderal-Okosystem(e) (soziologisch nicht eindeutig festlegbar) Rs = halbschattiger Ruderalstandort (Gutspark) mit lockerem Geholzwuchs (Vegetation soziol('gisch den Urtico-Sambucetea DOING 62 em. PASS. 68 anzuschlie13en) Ro = offener, unbeschatteter Ruderalstandort (brachliegender ehemaliger Kleingarten). Vegetation soziologisch im Ubergang von Fumario-Euphorbion (Th. MULLER) GORS 66 zu Sisymbrietalia BR.-BL. et TX. 43 em. GORS 66 A = Agro-Okosystem (Euphorbio-Melandrietum G. MULLER 64, Rasse von Descurainia sophia) Aw = Kulturart Winterweizen (1979/80) Ag = Kulturart Sommergerste (1981) Ar = Kulturart Winterraps (1981/82) Dabei entsprach der winterliche Abschnitt des Entwicklungszyklus 1979/80 dem "NormalWinterverlauf" ohne starkere Frostperioden, wahrend der Zyklus 1981/82 durch extreme Kahlfroste ausgezeichnet war, die Kulturart wie Unkrauter schadigten. Der Auenwaldstandort befindet sich im Bereich der Muldeaue 3 km NNW von Bitterfeld ("Salegaster Forst") und weist makroklimatisch ahnliche Langzeitparameter wie die weiteren Standorte auf (vgl. Tab. 1). Diese liegen im Bereich einer intensiv ackerbaulich genutzten Landschaft, der Querfurter Platte (Lo 1 , Schwarzerde), etwa 18 km WSW Halle. Das Agro-Okosystem ist Bestandteil der Versuchsflache des Lehr- und Forschungsstiitzpunktes Etzdorf der Sektion Pflanzenproduktion der U niversitat Halle und war in ein langerfristiges agrarokologisches Versuchsprogramm eingegliedert (vgl. MAHN et al. 1983). Die Ruderalstandorte sind Teil der unmittelbaren (ehemals gartnerisch genutzten) Umgebung des anschlie13enden Gutsgelandes.
Tabelle 1. Ausgewahlte meteorologische Daten der Stationen Bitterfeld und Bad Lauchstadt (ea. 6 km SO der Versuchsstation Etzdorf) auf der Grundlage 50jahriger Mittelwerte (1901-1950)
J ahresmitteltemperatur (OC) Mittel des kaltesten Monats (OC) Mittel des warmsten Monats (OC) Niederschlagssumme/Jahr (mm) Niederschlagsarmster Monat (mm) niederschlagsreichster Monat (mm)
Bitterfeld
Bad Lauchstadt
9,3 0,2 (Jan.) 18,2 (Juli) 539 31 (Feb.) 68 (Juli)
8,6 -1,4 (Jan.) 17,9 (Juli) 486 25 (Feb.) 70 (Juli)
Bei den in 7-10facher Wiederholung angelegten Dauerflachen erfolgte regelma13ig eine Erfa~ sung aller auflaufenden bzw. abgestorbenen Individuen. Auf dem Standort Ro kam es dabei ir, einigen Fallen durch Storung des Versuchsansatzes zu einer Erschwerung der exakten Auswertung. Urn den Einflu13 der unterschiedlichen Dauer des Entwicklungszyklus innerhalb der einzelnen Okosysteme bewerten zu konnen, wurden die (markierten) Individuen entsprechend ihrem Auflaufzeitpunkt zu unterschiedlichen Auflaufgruppen zusammengefa13t. Kurz vor Beendigung der Individualentwicklung erfolgte die Ernte der oberirdischen Pflanzenteile, der sich die morphometrische Auswertung bzw. Bestimmung der Stoffproduktion (Trockengewicht) anschlo13. Zusatzliche Untersuchungen dienten der Analyse des Keimverhaltens (Keimpotenz nach RIEDER 1966 bzw. Auflaufrate frisch geernteter Samen) unter Gewachshausbedingungen. Die statistische Auswertung des hier vorgestellten Primardatenmaterials erfolgte vor allem auf der Basis von F-, t- und U-Test.
Ergebnisse Der ontogenetische Entwicklungszyklus der Galium aparine.Populationen wird in den betrachteten Okosystemen in seinem Verlauf durch die Dauer des zur Verfiigung stehenden Entwicklungszeitraumes deutlich gepriigt und weist entsprechende Unterschiede auf (Abb. 1 a, b). Dies gilt verstiindlicherweise besonders fur den Unterschied
96
1;. GROLL und E.-G.
lVIAHN
C==___ K/A ~
V1
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A
S
0
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SON
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J
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0
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A
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KIA
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Ar A
SON
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F
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A
M
A
Aw
Ag Abb. lao Stadiale Entwicklung von Galium aparine L. in den untersuchten Auwald (W)- und Ruderalpopulationen (Rs. Ro) in Beziehung zur Lichtintensitat bzw. zum Grad der Beschattung zum Zeitpunkt der geringsten Lichtintensitat am Erdboden (Schattenkegel, rechts). Abb. lb. Stadiale Entwicklung von Galium aparine L. in den untersuchten Segetalpopulationen (Ar, Aw, Ag) in Beziehung zur Lichtintensitat bzw. zum Grad der Beschattung zum Zeitpunkt der geringsten Lichtintensitat am Boden (Schattenkegel, rechts).
Klettenlabkraut
zwischen winter- und sommerannuellem Zyklus, ist aber in Abhangigkeit von den spezifischen Okosystembedingungen auch innerhalb der beiden genannten Zyklen erkennbar. Betrachtet man daraufhin die fUr die ontogenetische Entwicklung annueller Arten wichtigsten Ent wicklungsstadien KjA = KeimungjAuflauf VI = vegetatives Entwicklungsstadium 1 (Erstarkungswachstum) V2 = vegetatives Entwicklungsstadium 2 (Streckungswachstum) R 1 = generativ-reproduktives Entwicklungsstadium 1 (Blute, Fruchtansatz) R2 = generativ-reproduktives Entwicklungsstadium 2 (Fruchtreife, Absterben der Mutterpflanze) S = Samenstadium
so zeigt sich, daB sich eine Einschrankung der moglichen Entwicklungszeit besonders in einer Verkurzung der fruhen Stadien auBert. Wahrend bei winterannuellem Zyklus Galium yom Spatsommer (Ende Augustj Anfang September) bis zum Friihjahr des Folgejahres (Ende MaijAnfang Juni) aufzulaufen vermag, wobei nach der Hauptauflaufzeit im Herbst eine exogene Keim- und Auflaufpause durch die winterliche KiiJteperiode einsetzt, verengt sich der Keimungsund Auflaufzeitraum bei sommeranuellem Entwicklungsrhythmus auf die Zeitspanne Mitte Marz bis Ende J uni. Besonders deutlich tritt bei einem Vergleich von winterannuellem und sommerannuellem Zyklus die Verkurzung der vegetativen Entwicklungsphase bei letzterem in Erscheinung (Abb. 1 b). Winterannuell sich entwickelnde Pflanzen befinden sich bei Einsetzen des Winters im ersten vegetativen Entwicklungsabschnitt (V 1). Mit Abklingen der Frostperiode set zen die uberwinterten Individuen ihr Wachstum mit der zweiten vegetativen Entwicklungsphase (V 2) fort. Bei sommerannuellem Zyklus lassen sich wahrend der vegetativen Entwicklung zwar ebenfalls beide Phasen erkennen, sind aber wegen des beschleunigten, ± kontinuierlichen Wachstumsverlaufes zeitlich nicht klar zu trennen. Der erste Abschnitt wird dabei stark verkurzt, wah rend der Abschnitt V2, der durch spreizklimmendes Wachstum charakterisiert ist und die generative Entwicklung unmittelbar vorbereitet, deutlich geringere zeitliche Veranderung en aufweist, wie ein Vergleich mit den anderen Populationszyklen zeigt. Seine groBte Ausdehnung erreichte der Entwicklungsabschnitt V2 mit 11 Wochen (Ro) bzw. 12 Wochen (Aw) bei den Galium-Populationen, die die vergleichsweise gunstigsten Entwicklungsbedingungen besonders bezuglich LichtgenuB und Konkurrenz aufweisen. Gleiches trifft fur die Gesamtlange des reproduktiven Entwicklungskompartments zu. Hier ergeben sich Unterschiede in der Dauer der reproduktiven Teilabschnitte R 1 und R2 von 5 Wochen im Auwald bis zu 10 Wochen im Winterweizen. Sie resultieren aus der spezifischen abiotischjbiotischen Faktorenkombination der betreffenden Okosysteme, die, wie das letztgenannte Beispiel zeigt, starker als der Startzeitpunkt fur die Zeitdauer des reproduktiven Stadiums bestimmend werden kann. Zu Verkurzungen der potentiellen Zeitdauer des reproduktiven Stadiums kommt es bei spontanen Storungen, wie sie fiir Agro-Okosysterne typisch sind. Wenn, wie irn Fall des Somrnergerste-Agro-Okosystems, die reproduktive Entwicklung von Galium nicht synchron mit der Kulturart, sondern gegeniiber dieser verzogert verlauft, erfolgt bei der Getreideernte ein vorzeitiger Abbruch der reproduktiven Entwicklung mit entsprechenden Verlusten (Knospen, Bluten, unreife Fruchte). Das Samenstadium verlauft bei den einzelnen Populationen sehr unterschiedlich. Nach Absterben der Mutterpflanze unterliegen die Sarnen bei ungestorten Bedingungen (Auwald-, Ruderal-Populationen) einer etwa ein- bis Fj2rnonatigen Ruhe, bevor
0,32 0,26 81,40 7,0
7,70 3,46 44,85 11,0
2,01 0,58 28,77 10,0
3,04 1,89 62,05 11,0
0,36 0,09 23,53 9,0
x
x
x
x
x
n
v
n
s v
s v n
s v n
s v n
43,3 31,6 72,9 265,0
252,1 179,2 71,1 18,0
223,4 159,8 71,5 61,0
1045,2 792,2 75,8 26,0
27,2 27,8 102,1 35,0
14,6 7,8 53,6 51,0
SamenzahlJ Pflanze
H* = Hauptspro13 K* = Kotyledonarsprossc B* = Beisprosse
Sommergerste (Ag)
Winterraps (Ar)
Winterweizen (Aw)
Ruderalzonose (Ro)
Ruderalzonose (Rs)
0,12 0,07 61,19 10,0
x
Auwald (W)
s v n
Biornasse/ Pflanze (g TS)
statistische GroJ3en
Phytozonose
1,0
119,2
1,0
82,9
1,0
111,0
1,0
135,7
1,0
84,3
1,0
121,0
Reproduktions. rate (SamenJg TS)
628,0 228,4 36,4 235,0
1074,2 236,7 22,0 18,0
1071,9 291,8 27,2 60,0
1628,9 328,0 20,1 26,0
737,0 244,9 33,2 35,0
716,3 321,3 44,9 57,0
Pflanzen. liinge (mm)
14,0 6,2 44,6 235,0
6,5 3,1 47,9 18,0
7,9 2,5 32,2 47,0
10,2 6,9 67,9 26,0
11,8 7,1 60,1 35,0
13,3 6,5 49,1 57,0
Epikotyl. lange (mm)
0,7
235,0
0,9
18,0
0,2
47,0
0,7
26,0
0,4
35,0
0,5
34,0
H*
235,0
0,2
18,0
0,6
47,0
1,2
26,0
0,6
35,0
235,0
°
18,0
1,1
47,0
0,1
26,0
0,5
35,0
0,2
34,0 34,0 0,8
°
B* 0,3
K*
Verzweigungsverhiiltnisse am Kotyledonarknoten (SproJ3zahl)
Tabelle 2. Wichtigste morphometrische und Produktionsparameter der Galium aparine.Populationen in den verglichenen Okosystornen (Vor. gleichswerte der jeweils friihesten Auflaufgruppe)
Z
...P:i~
P
l"j
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t< t<
~ 0
~
~ if)
99
Klettenlabkraut
- entsprechende Keimbedingungen vorausgesetzt (Bodenkontakt, Feuchte) der lJbergang zum Stadium Keimung und Auflauf erfolgt. Bei den Segetal-Populationen gelangen dagegen die im betreffenden Jahr gebildeten Samen anschlieBend nur zu einem geringen Teil zur Keimung bzw. zum Auflau£. Beim Bodenwenden erfahrt der groBte Teil der Samen eine Tiefenverlagerung und gelangt erst im Folgejahr (nach erneutem Umbruch) wieder in die oberflachennahe Keimzone (vgl. ROTTELE 1980; BAUERMEISTER 1983). Die im Herbst auflaufende Population rekrutiert sich daher zum iiberwiegenden Teil aus vorjahrigen bzw. alteren Samen. Bei den nach der Ruheperiode bereits aufgelaufenen Samen der unmittelbar vorangehenden Generation wird die Weiterentwicklung durch die herbstIiche Saatbettbereitung meist verhindert. Die zwischen den untersuchten Populationen ausgewiesenen Unterschiede im zeitlich-stadialen Ablauf des ontogenetischen Zyklus werden erwartungsgemaB von solchen des Wachstums und der Stoffproduktion begleitet. Dies sei im folgenden an Hand der entsprechenden morphometrischen und Produktivitatsparameter aufgezeigt. Unterschiede zwischen den Populationen ergeben sich bereits im Stadium Keimungj Auflauf. Sie betreffen Hypokotyllange, Keimblattform und -groBe. Wahrend hinsichtlich der Hypokotyllange zwischen Auwald- und Segetal-Populationen keine signifikanten Unterschiede bestehen, zeichnen sich die Ruderal-Populationen gegeniiber beiden durch kiirzere HypokotylgIieder aus (vgl. Tab. 2). Trennt man das Hypokotyl in einen unter- und oberirdischen Teilabschnitt, so verstarken sich die Differenzen. Wahrend bei Auwald- und Ruderal-Populationen der unterirdische, gelbIiche Teil deutlich kiirzer als der oberirdische, griine Teil ist, sind bei den Segetal-Populationen die Proportionen umgekehrt (Abb. 2). Die Kotyledonen bleiben bei Galium aparine nach dem Auflaufen noch langere Zeit als Assimilation80rgane erhalten. Dabei unterscheiden sich die eiformigen, relativ breiten Keimblatter der W- und R-Populationen auffallend von den schmaleren, langlich-lanzettlich gestalteten Kotyledonen der A-Populationen (Abb. 3). Zur Kennzeichnung der folgenden vegetativen Entwicklungsstadien eignen sich besonders Parameter, die die Wiichsigkeit der Art in Verbindung mit ihren Wuchs30
c
c
OJ
c
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c
o
OJ C
o
~:J
C.
o
CL I
30
Abb.2. Unterschiede in der Hypokotyllange von Galium aparine in den untersuchten .Phytozonosen.
U. GROLL und E.-G.
100
MAliN
Rud eralstandort e
Auwald
Agro-Okosys t e m
Abb.3. Schematisch er Vergleich der Kotyledona rform und -grot3e bei Galium aparine in verschiedenen Okosysteme n.
1,2 E ~ 1.0
~
o Houpt sprofl
g 0,8
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E2l
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~ Beisprofl
~ ;:; 0,6 ~
.g
0,4
Kotyledonors prol1
Q."
Vl
~0,2 o
~
O+-LJLL__~~~~XA~-L~~-LJL~LL~4=L-
w
Aw Ar Ag Okosystem -Typ
Abb. 4. Durchschnit tliche Zahl der vom Kotyledona rknoten ausgehenden Sprot3verzw eigungen. Es bedeuten: W = Auwald, Rs = schattiger Ruderalstan dort, Ro = offener Ruderalstan dort, Aw = Agro-Okosy stem (Winterwciz en), Ar = Agro-Okosy stem (Raps), Ag =' Agro-Okosy stem (Sommerger ste).
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W
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8
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6 4 2 0
w
Ro
Rs
Aw
Ar
Ag
Abb. 5. Epikotyllan gen der untersuchte n Populatione n (Symbolcrla uterungen vgl. Abb. 4).
Klettenlabkraut
101
110 100
E
E
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90 80 70
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50 40 30
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c
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...
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40 30 20 10
b)
a
Sept.Okl. Nov. Dez. Jan. Feb. Marz Apr. Mai Juni Ju Ii
Abb.6. Internodienlangen der Galium-Populationen in den Agro-Okosystemen Winterraps (Ar, Abb. a) und Sommergerste (Ag, Abb. b).
formvorteilen gegenuber anderen Arten sichtbar machen. Die Ausgestaltung der Verzweigungsverhaltnisse am Kotyledonarknoten bildet eine entscheidende Voraussetzung fUr das Uberleben der Pflanzen bei ungeniigendem Schutz im Winter, indem abgestorbene Haupt- und auch Kotyledonarsprosse (1. BeisproBpaar) im Friihjahr durch austreibende Beiknospen niederer Ordnung ersetzt werden. In vorliegenden Untersuchungen trat diese Erscheinung bei allen sich winterannuell entwickelnden Population en auf, wobei sie im Auwald am schwachsten, in der Segetal-Population Ar am starksten ausgepragt war (Abb. 4). Die Individuen der Population mit obligat sommerannuellem Zyklus (Ag) besaBen demgegenuber aIle einen HauptsproB, der nur in geringem MaBe durch Beisprosse bereichert wurde. Der Grad der SproBstreckung laBt in erster Linie Ruckschlusse auf das Lichtangebot und uber die Konkurrenzverhaltnisse am jeweiligen Standort zu. So korrelierten die Epikotyllangen (Abb. 5) stark mit dem Grad der pflanzlichen Bodenbedeckung und den Temperaturen zum Zeitpunkt des Auflaufens. Die kurzesten
102
U.
200 180
GROLL
und
K-G. MAHN
1
E160 1
r-
g' 140
~ 120
C
100
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r-
40 20 O~~~~~~~~~~~~J-
W
Rs
Ro
Aw
Ar
Ag
Abb. 7. Durchschnittliche oberirdische Gesamt-SproBlangen der untersuchten Populationen (Symbolerlauterungen vgl. Abb. 4).
Epikotyle besaBen die Pflanzen der Segetalzonosen mit Winterzyklus, die sich wahrend eines relativ langen Zeitraumes in offener, kaum vegetationsgeschutzter Lage befinden. Auf relativ geschutzten, lichtarmen Standorten (Auwald) werden auch bei Winterauflauf langere epikotyle Glieder ausgebildet, die in ihrer Lange nur noch von den Individuen der durch gunstigen Warmehaushalt und schnelles Wachstum gekennzeichneten Sommergetreidekulturen (Ag) ubertroffen werden. Dieses Wuchsverhalten der epikotylen Glieder laBt sich auch noch auf die erst en Internodien der folgenden SproBabschnitte ubertragen. So bildeten die in der frostgefahrdeten Zeit auflaufenden Pflanzen zunachst eine ± groBe Anzahl sehr kurzer Internodien (Abb. 6). Dagegen fUhrte die Notwendigkeit und Moglichkeit zum schnellen Streckungswachstum bei Fruhjahrsauflauf dazu, daB meist bereits das erste oderzweite dem Epikotyl folgende Internodium deutlich langer als dieses ausgebildet war. Bestimmend fur die insgesamt erreichte Pflanzenlange sind - ausreichende Nahrstoffversorgung und Feuchte vorausgesetzt - der relative LichtgenuB, die Bestandesstruktur und die zur Verfligung stehende Entwicklungszeit. Wahrend die Individuen des offenen Ruderalstandortes (Ro), die bei sehr geringer interspezifischer Konkurrenz wuchsen, infolge dieser optimalen Bedingungen sehr lange Sprosse bildeten, erreichten die der Auwald-Population, des halbschattigen Ruderalstandortes und des Sommergetreides kaum Langen liber 80 cm (Abb. 7). 1m Sommergetreide fehlte einerseits die Zeit, um langere Sprosse auszubilden, zum anderen kann wegen der vergleichsweise relativ gering en Bestandeshohe der Sommergerste auf die Ausbildung langerer Sprosse verzichtet werden. Flir die Pflanzen der Standorte W bzw. Rs wird durch den Anfang Mai einsetzenden starken Lichtentzug (Laubentfaltung) die Moglichkeit einer optimalen Photosyntheseleistung stark eingeschrankt, so daB die Individuen, die diesen Zustand nicht durch Streckung der SproBachsen optimieren konnen, klimmern. Entsprechend starke Unterschiede weisen die Biomasse-Werte auf (Abb. 8). Sie liegen zwischen 0,12 g Trg. (Auwald) und 7,7 g Trg/lndividuum (offene Ruderalzonose). Die Rohe der erzielten Biomasse hat bestimmenden EinfluB auf die Entwicklung der reproduktiven Organe. Die von ROTTELE (1980) bei seinen Untersuchungen festgestellte enge positive Korrelation zwischen Biomasse und Samenzahl konnte durch un sere Ergebnisse uneingeschrankt bestatigt werden. Am kraftigsten entwickelte Pflanzen produzieren auch die meisten Samen. Entsprechende Extreme bildeten
103
Klettenlabkraut
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W
Rs
Ro
Aw
Ar
Ag
Abb. 8. Durchschnittliche Biomassenentwicklung pro Pflanze bei den untersuchten Populationen (Symbolerlauterungen Abb. 4).
20001 1800 1600 1400 ~ 1200 c ~
1000
0:: 800 .c: 0
N C
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0
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Rs
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Abb. 9. Durchschnittliche Anzahl der pro Pflanze in den untersuchten Populationen produzierten Samen (Symbolerlauterungen vgl. Abb. 4).
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Rs
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Aw
Ar
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Abb. 10. Reproduktionsraten (reproduktiver Aufwand) der untersuchten Populationen (Symbolerliiuterungen vgl. Abb. 4).
104
cr. GROLL und E.-G. MARK SegetalPopulation
WaldPopulation
RuderalPopulation
Aussaat- Methode Keimungszeitraum (Tage)
110
22
22
1000-Kern-Masse (g)
8.21
6.97
8.97
Abb. ll. Vergleich der Keimpotenz (TTC-Methode) und des Auflau(vermogens (Aussaat-Methode) von frisch geerntetem Saatgut aus unterschiedlichen Phytozonosen.
wiederum die Individuen der Auwald-Population (im 0 nur 14,6 Bamen/Pflanze) bzw. des offenen Ruderal-Btandortes (im 0 1045,2 Samen/Pflanze, Abb. 9). Recht aufschluBreich ist eine Analyse der Effektivitat der Samenbildung (Reproduktionsrate). Danach weist zwar die Ro-Population die hochsten absoluten Werte auf, die Reproduktionsraten der W-, Aw- und Ag-Population bleiben aber nur geringfUgig dahinter zuriick. Sie belegen damit fUr die letztgenannten Populationen ein relativ giinstiges Verhaltnis von Produktionsaufwand (Biomasse) und reproduktivem Gewinn (Samenzahl). Das ungiinstigste Verhaltnis zwischen produzierter Biomasse und Bamenzahl verzeichnen die Individuen der Population Rs und Ar (Abb. 10), die offenbar infolge der einsetzenden Spatkonkurrenz das in der Biomasse investierte Stoffpotential zur Samenbildung nicht ausnutzen konnten. Um AufschluB iiber unterschiedliche Entwicklungen wahrend des Samenstadiums zu erhalten, wurden die Parameter SamengroBe (,,1000-Korn-Masse") und Keimpotenz bzw. Auflaufvermogen frisch geernteter Samen analysiert. Die Ergebnisse weisen die Teilfriichte der Auwald-Population gegeniiber denen der Segetal (Ar)bzw. Ruderal (Ro)-Population als bedeutend leichter aus (Abb. ll). Obwohl zwischen der betrachteten Segetal- und Ruderalzonose nur ein geringer Unterschied in der Masse der Teilfriichte besteht, spiegelt sich in allen MeBwerten die Qualitat der Entwicklungsbedingungen wider. Frisch geerntete Bamen der Segetal-Population zeigten eine geringfiigig herabgesetzte Keimpotenz gegeniiber denen der Auwald- und Ruderal-Population (Abb. ll). Als wesentlich starker erwies sich aber der Unterschied in der Keimbereitschaft der frisch ausgereiften Bamen. Wahrend die Bamen der Auwald- und Ruderal-Population (unter Gewachshausbedingungen) nach 22 d Versuchsdauer nahezu vollstandig aufgelaufen waren, gelangten die der Segetal-Population unter gleichen Bedingungen nicht zum Auflauf. Nach Anderung der Versuchsbedingungen (Temperaturen unter
105
Klettenlabkraut 30
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Abb. 12. Tendenz der Abnahme der Stoffproduktion bei Galium aparine-Populationen in Abhangigkeit vom Auflaufzeitpunkt der Pflanzen am Beispiel der Populationen in den Agro-Okosystemen Winterraps (Ar, Abb. a) und Sommergerste (Ag, Abb. b).
10°C wahrend eines Zeitraumes von 14 d) fand zwar ein Auflauf statt, doch lag die Keimrate nach no d lediglich bei 30,5 %. Die vorangehend dargestellten Unterschiede der untersuchten Population en in ihrer zeitlich-stadialen Entwicklung bzw. Produktivitat, die im Zusammenhang mit den spezifischen okologischen Bedingungen der jeweiligen Phytozonosen stehen, beziehen sich auf die jeweils erste Auflaufgruppe. Mit der zonose-spezifischen Veranderung abiotischer wie biotischer Okofaktoren im Verlauf des Vegetationszyklus finden spater auflaufende Individuen andere Wachstumsbedingungen vor, die sich in z. T. deutlich von denen der erst en Auflaufgruppe abweichenden Parametern der zeitlich-stadialen wie produktiven Entwicklung auBern. So konnen in einem Okosystem mit winterannueller Entwicklungsmoglichkeit im spaten Fruhjahr auflaufende Individuen einer Population gleiche oder ahnliche Merkmale aufweisen, wie sie fur eine Population mit rein sommerannueller Entwicklung (Ag) typisch sind (Abb. 12).
Diskussion Seiner genetischen Konstitution entsprechend erweist sich Galium aparine als eine sehr anpassungsfahige Art, wie ihre weite okologisch-soziologische Amplitude in Mitteleuropa sichtbar macht. Die untersuchten Galium-Populationen, die das Vorkommen der Art in den 3 wichtigsten Okosystem-Typen reprasentieren (Wald-, Ruderal- und Agro-Okosystem), lassen einen beachtlichen Grad an Plastizitat hinsichtlich der Fahigkeit erkennen, das 7a
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U.
GROLL
und
E.-G. MAHN
strategische Entwicklungsziel unter okologisch sehr differenzierten Bedingungen erfolgreich zu erreichen. Dies gilt sowohl bezuglich der zeitlichen Einschrankung des Entwicklungszyklus als auch der Tolerierung einer eingeschrankten Verfugbarkeit einzelner Okofaktoren (besonders Licht, vgl. GRIME 1966; HUGHES 1966). Ais annueller Art mit ausschlieBIich generativer Fortpflanzung ist ihr Erfolg primar am Ergebnis ihres reproduktiven Outputs zu messen. Dabei machen unsere Untersuchungsergebnisse folgende Zusammenhange sichtbar: Aus der sehr unterschiedlichen Anzahl der bei den Populationen mit winterannuellem Zyklus im Mittel pro Individuum gebildeten Samen la13t sich die SchluBfolgerung ziehen, daB offenbar der zeitlichen Einschrankung der Gesamtlange des Zyklus innerhalb eines relativ weiten Bereiches eine untergeordnete Bedeutung fUr die Produktivitat beizumessen ist. Nur bei stark verkurztem sommerannueIlem Zyklus (Ag) lieB sich ein gewisser produktionsmindernder Einflu13 feststeIlen. Wesentlich nachhaltiger scheint sich demgegenuber die Verkurzung des der reproduktiven Phase unmittelbar vorausgehenden vegetativen Abschnittes (V2) bzw. deren Verkiirzung selbst auszuwirken, wobei der generative Erfolg einer Population nur indirekt von der Lange dieser Entwicklungsabschnitte abhangt. Inwieweit ein langerer EntwickIungszeitraum tatsachlich effektiv fUr die Stoffproduktion genutzt werden kann, wird letztendlich vor allem von der zeitlichen Verfugbarkeit der determinierenden abiotischen Einflu13gro13en bzw. den aus der spezifischen Phytozonosestruktur resultierenden dichteabhangigen Konkurrenzbeziehungen bestimmt (NIEMA.NN 1977; AMMON 1979). Die ungiinstigsten Bedingungen fur die EntwickIung von Galium aparine bestehen (innerhalb der untersuchten Zonosen) offenbar im Auwald. Sieht man vom "Verschutten" der im Fruhherbst a ufgelaufenen J ungpflanzen durch den herbstlichen Laubfall ab, so durchlaufen diese zunachst infolge gunstiger Keimbedingungen (gleichmaBige Feuchte) und geringer Gefahr des Zuruckfrierens (schutzende Streuschicht) eine optimale Keimlings- und Jugendentwicklung. Mit Austrieb der Geophyten und Graser im zeitigen Fruhjahr verschlechtern sich jedoch die Lichtverhaltnisse bereits gegen Ende des Abschnittes VI deutlich. Die Phase V 2 ist daher von Beginn an durch starke Konkurrenz um Licht und Standraum innerhalb der Krautschicht gekennzeichnet. Eine weitere Verschlechterung dieser Situation hinsichtlich des Lichtangebotes ergibt sich Anfang Mai durch den Laubaustrieb von Baumen und Strauchern (Tab. 3). Die Population reagiert darauf mit einer sehr fruhzeitigen Beendigung der vegetativen EntwickIung zugunsten einer beschleunigten Einleitung des reproduktiven Stadiums, das mit einer sehr schwa chen Samenproduktion abschlie13t. In abgeschwachter Form ist der geschilderte ZykIus auch fUr die Population des halbschattigen Ruderalstandortes (Rs) und aIle in winterannueIlen Okosystemen ab Ende April auflaufenden Individuen kennzeichnend. Diese Taktik ist zu beobachten, wenn eine Population infolge starker Konkurrenz bzw. ungunstiger abiotischer Bedingungen nicht zur (Mit)-Dominanz gelangt und die generative Erneuerung in Frage gesteIlt ist. Das Erreichen des strategischen Zieles, den ontogenetischen Zyklus mit Ausbildung der Samenphase abzuschlieBen, wird daher in erster Linie qualitativ unter Verzicht auf ein gunstiges quantitatives Ergebnis angesteuert. Zu einem ahnlichen Ergebnis kamen KOCH & KOCHER (1968), die die Ursache des fruhzeitigen Absterbens annueller Arten in einer zunehmenden Begrenzung der Faktoren Wasser, Nahrstoffe und Licht sehen. Unter den von uns untersuchten Beispielen durfte dem Lichtfaktor die gro13te Bedeutung zukommen (vgl. auch BORNKA.MM 1961). Unterschiedlichen Einflu13 besitzen dabei im einzelnen der Lichtentzug durch den Pflanzenbestand der gleichen bzw. der ubergeordneten Schicht sowieder Zeitpunkt des Beginns, die Dauer und Hohe der begrenzten Lichtverfugbarkeit. Wie das Beispiel der Auwald-Population zeigt, kommt es zu den starksten Entwicklungshemmungen
107
Klettenlabkraut Tabelle 3. Relativer LichtgenuB in den untersuchten Phytoziinosen. A: Oberhalb der Krautschicht, B: am Erdboden Phytoziinose
Zeitpunkt
reI. LichtgenuB (%)
Auwald(W)
Mitte Oktober (beginnender Laubfall) November (nach Laubfall) Ende April (vor Laubaustrieb der Gehiilze) Mitte Mai (bei Laubaustrieb der Gehiilze) Ende Mai (nach Laubaustrieb der Gehiilze)
(A)
15
(A)
70-80
(A)
65
(A)
25-35 2
Anfang Mai (vor Laubaustrieb der Gehiilze) Ende Mai (nach Laubaustrieb der Gehiilze Ende Juni
(A)
80
(A)
20 0,5
(A)
10
Ruderalziinose (Ro)
Ende Mai
(A) (B)
100 10
winterannue,lle Agro-Phytoziinose (Ar)
Mitte November (ReihenschluB) Januar (nach starkem Kahlfrost) Mitte Mai Ende Juni
(B)
15
(B)
100
(B) (B)
30 15-25
Mitte Mai Anfang Juli
(B) (B)
5-20 5-15
Ruderalziinose (Rs)
sommerannuelle Agro-Phytoziinose (Ag)
(B)
(A)
(B)
5-16 0,5-2
bei zeitig einsetzendem Lichtentzug durch eine iibergeordnete Vegetationsschicht, dem sich die Population nicht zu entziehen bzw. anzupassen vermag und der bis zum Ende des Zyklus anhalt. Anders entwickeln sich dagegen die Galium-Populationen, die einem weniger starken Konkurrenzdruck bzw. abiotischen StreB ausgesetzt sind wie die Populationen des offenen Ruderalstandortes und der winterannuellen Segetalzonosen. Hier miissen sich die Individuen taktisch auf eine relativ ungiinstige Jugendentwicklung einstellen. Nach einer zunachst noch als giinstig zu bezeichnenden Keimungs- und Auflaufphase kommt es bei winterannueller Entwicklung nach einer kurzen Periode des Erstarkungswachstums (VI) infolge ungeniigenden Schutzes meist zu einer deutlichen bis starken Schadigung durch winterliche Frostperioden. Sie auBern sich in der Regel in einem Zuriickfrieren der alteren Sprosse und oft ± volligem Neuaustrieb aus Achselund Beiknospen im Friihjahr (Abb. 4). In ihrer weiteren vegetativen (V2) bzw. reproduktiven Entwicklung wuchsen die Pflanzen entweder unter weitestgehendem Fehlen interspezifischer Konkurrenz (Ro) oder konnten sich dem steigenden Konkurrenzdruck ihrer Phytozonose (Aw, Ar)
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U. GROLL und E.·G.
MAHN
dureh verstarktes Waehstum COberwaehsen des Kulturpflanzenbestandes) erfolgreieh entziehen. Diese Tatsaehe belegen die hohe vegetative Stoff- wie die Samenproduktion. Aueh bei sommerannuellem Zyklus in Agro-Okosystemen (Ag) vollzog sieh die Entwieklung naeh der vorgehend besehriebenen Taktik, wobei allerdings folgende Abweiehungen zu erkennen sind. Infolge des jahreszeitlieh spat en Startzeitpunktes und der sehr zeitig einsetzenden Konkurrenz der Sommergerste (vgl. RADEMACHER 1950) wird die vegetative Entwieklung stark abgekiirzt. Eine (insgesamt relativ geringe) Samenproduktion wird nur dadureh ermoglieht, daB es den Galium-Individuen meist gelingt, mit der konkurrierenden Kulturart im Streekungswaehstum mitzuhalten und somit ihren Apikalbereieh in photosynthetiseh giinstiger Position zu behalten. In einem mehrsehiehtigen Okosystem ware fUr Galium aparine unter solehen Wuehsbedingungen bei sommerannueller Entwieklung ein Reproduktionserfolg stark gefahrdet oder sogar unmoglieh. Dies ist z. B. bei relativ spat im Friihjahr auflaufenden GaliumIndividuen im Auwald erkennbar. Der Entwieklungsverlauf im sommerannuellen Getreide-Okosystem kann insgesamt als risikoreiehste Variante der von uns analysierten Taktiken im Hinbliek auf das Erreiehen des strategisehen Ziels angesehen werden. Die bisher diskutierten taktisehen Verhaltensweisen und die fUr sie kennzeiehnenden phanotypisehen Merkmalsauspragungen lassen sieh auf die untersehiedliehen Einfliisse des Komplexes der Umweltfaktoren zuriiekfUhren und tragen rein modifikativen Charakter. Sie stellen innerhalb ihrer im Genom festgelegten Variationsbreite gangbare Entwieklungswege dar, die der Art unter den gegebenen Umweltbedingungen zum jeweils siehersten Reproduktionserfolg verhelfen. Dariiber hinaus treten in der Phylogenie einer Sippe aber aueh Abanderungen des genotypisehen Grundprogrammes auf, die naeh HARPER & OGDEN (1970) einer Abwandlung des strategisehen Konzepts der Art gleiehkommen. Fiir das Vorhandensein einer in diesem Sinne erfolgten (bzw. vorsiehgehenden) Differenzierung der von uns analysierten Populationen in zwei sieh dureh eine Reihe entwieklungsrhythmiseher und morphologiseher Merkmale (Kotyledonarform) unterseheidender Gruppierungen, denen der Rang von Okotypen beizumessen ist (vgl. GROLL 1984), spreehen folgende Beobaehtungen. Die Population en aller nieht segetalen Standorte durehlaufen den normal en Entwieklungszyklus nur in kontinuierlieher Folge, wenn ein Auflauf in der Zeit von Friihherbst bis zeitigem Friihjahr erfolgt (winter- bzw. sommerannueller Zyklus). Bei Auflauf im spaten Friihjahr stagniert die Entwieklung ansehlieBend wahrend der vegetativen Phase, und der Eintritt in die reproduktive Phase kann erst naeh Uberwinterung erfolgen (bienner Zyklus). Den zweiten Typ verkorpern Populationen bzw. Teilpopulationen, die von uns nur auf Segetalstandorten beobaehtet wurden und unter den letztgenannten Bedingungen (Auflauf im Spatfriihjahr) ihren Entwiekungszyklus ohne Unterbreehung durehlaufen, d. h. sommerannuell mit der reproduktiven Phase absehlieBen. Wir moehten die Herausbildung eines Okotyps mit sommerannueller Entwieklung naeh Spatauflauf im Friihjahr als abgeleitetes Verhalten und Anpassung an eine Existenz in Okosystemen mit sommerannuellem Kurzzeitzyklus interpretieren, wie sie vor aHem anthropogen gezielt wie ungezielt gesehaffen wurden (vgl. BAZZAZ 1983). Fiir einen derartigen Trend anthropogener Forderung sprieht sieh aueh RAUBER (1977) aus, der ein Eindringen von Galium aparine aus naturnahen Okosystemen iiber Zwisehenstufen in die Ruderal- und Agrophytozonosen fUr gegeben ansieht.
Zusammenfassung An Hand ausgewahlter morphometrischer und produktionsbiologischer Parameter erfolgte eine Analyse der Entwicklungsstrategie von Galium aparine-Populationen im Hinblick auf deren takti-
Klettenlabkraut
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selle Plastizitiit. Dabei konnto die Existenz zweier taktischer Grundmustor dos ontogenetischon Entwicklungszyklus festgestcllt werden. 1. Naeh relativ giinstigem Start miissen wegen verschlechterter Entwicklungsbedingungen wah-
rend der Streokungs- und reproduktiven Phase diese Abschnitte stark verkiirzt durehlaufen werden. Del' reproduktive Output ist daher relativ gering. Diese Taktik ist bei allen Populationen konkurrenzstarker Wald- und Ruderal-Okosysteme sowie bei den gegen Ende des moglichen Auflaufzeitraumes (Friihjahr) auflaufenden Individuen aller iibrigen Phytozonosen anzutreffen. 2. Nach anfiinglich ungiinstigen Entwicklungsbedingungen (Winterkalte) gelingt es bei voller Entfaltungsmoglichkeit del' fUr Galium aparine spezifischen Wuchseigenschaften eine hohe Biomasse aufzubauen (V2), die eine ausgedehnte reproduktive Phase mit hohem Reproduktionserfolg ermoglicht. Diese Taktik verfolgen Galium-Populationen bei Herbstauflauf in konkurrenzarmen Ruderal- und Agro-Okosystemen wie l:ei Friihjahrsauflauf in Sommerung tragenden Agro-Okosystemen. Neben diesen beiden taktischen Verhaltensweisen wurclen auch Abwancllungen des strategischen Grundprogrammes in Form genotisch fixierter Okotypen festgestellt. In del' Veranderung del' Entwicklungsstrategie durch Herausbildung oines sommerannuellen Kurzzyklus nach Auflauf im Spatfriihjahr wird eine Anpassung von Galium apar?:ne an die Bedingungen sommerannueller Agro-Okosysteme gesehen, die eine erfolgreiche Einnischul'g in cliesen Okosystemtyp gewahrleistet.
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