Zur funktionellen Morphologie der rostralen Nasenknorpel bei Soriciden

Zur funktionellen Morphologie der rostralen Nasenknorpel bei Soriciden

Mammalian Biology Mamm. biol. 67 (2002) 1±17 ã Urban & Fischer Verlag http://www.urbanfischer.de/journals/mammbiol Zeitschrift fuÈr SaÈugetierkunde ...

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Mammalian Biology

Mamm. biol. 67 (2002) 1±17 ã Urban & Fischer Verlag http://www.urbanfischer.de/journals/mammbiol

Zeitschrift fuÈr SaÈugetierkunde

Original investigation

Zur funktionellen Morphologie der rostralen Nasenknorpel bei Soriciden Von W. MAIER Lehrstuhl fuÈr Spezielle Zoologie, Eberhard-Karls-UniversitaÈt, TuÈbingen, Deutschland Receipt of Ms. 09. 12. 1999 Acceptance of Ms. 07. 09. 2001

Abstract Functional morphology of the rostral nasal cartilages in soricids For the first time the cartilaginous nasal skeleton of the rostrum of adult soricids has been reconstructed on the basis of histological serial sections. The length of the cartilaginous nasal skeleton of Neomys fodiens is 8.4 mm, i. e. about 35% of the total head length, while that of Sorex araneus is 4 mm, i. e., about 20% of the head length. However, both specimens were preserved in different functional states: The nasal skeleton of the Neomys-specimen is extended, whereas that of the Sorex-specimen is retracted by about 25% of its maximum length of 5.4 mm which would represent about 27% of the total head length. In both taxa, the caudalmost part of the rostral cartilage is subdivided into three elements, which can telescope into one another. Consequently, the proximal portion of the nasal septum, which forms a central axis with a rounded cross-section, is more or less straight in the Neomys-specimen, whereas in the Sorex-specimen the posterior elements are pushed into one another and the proximal portion of the nasal septum is bent in a S-like shape. The cartilaginous rostral skeleton can be retracted by a strong facial muscle, the newly defined M. retractor proboscidis, which originates on each side from the alveolar processes of the premaxillaries and inserts on the nasal roof cartilage. A number of additional structural details of the nasal skeleton are described and interpreted functionally, but an evaluation of their phylogenetic-systematic significance is postponed until additional soricid taxa have been studied. Key words: Soricidae, rostral cartilages, facial skull, mimic muscles

Einleitung Basale SaÈugetiere sind haÈufig durch ein verlaÈngertes, mobiles Rostrum gekennzeichnet, dessen Vorderende ein Rhinarium traÈgt. Die NaseneingaÈnge (Nares) sind sehr unterschiedlich orientiert und gestaltet (Ade 1998, 1999). Neuere morphologische 1616-5047/02/67/01-001 $ 15.00/0.

Untersuchungen haben erwiesen, daû am Rhinarium, an den Nares sowie am damit assoziierten Knorpelskelett funktionell und systematisch wertvolle Informationen zu gewinnen sind (Mess 1997; Goebbel 1998). Klauer (1984) hat die Schnauzenspitze als

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¹Rostralorganª gekennzeichnet, das bei SaÈugern wichtige perzeptorische Funktionen integriert (vgl. auch Halata 1972, 1990). Diese StrukturverhaÈltnisse des Rostrums stehen in engem Zusammenhang mit einer terrestrischen Lebensweise; subterran-fossoriale SaÈuger, die mit dem Kopf graben, zeigen zusaÈtzliche Anpassungen des Rostrums (z. B. Notoryctidae, Chrysochloridae). Bei arboricolen Theria finden wir in der Regel ein kurzes Rostrum mit einfacheren StrukturverhaÈltnissen, die vermutlich plesiomorphe Charakteristik besitzen (Maier 1980). Damit ist die oft diskutierte Frage nach der primaÈren Anpassungszone der Mammalia, der Theria und der Eutheria beruÈhrt (¹ArborealitaÈtsTheorieª von G. Elliot-Smith und F. WoodJones; vgl. Cartmill 1972). Die evolutionsbiologische Bewertung des rostralen Strukturkomplexes ist nur in enger VerknuÈpfung mit der phylogenetischen Systematik der basalen SaÈuger zu erwarten, wobei insbesondere die GrundplaÈne wichtiger Verzweigungsstellen (¹ancestral morphotypesª) rekonstruiert werden muÈssen (Maier 1999). Die Problematik der systematischen Zuordnung und Gliederung der ¹Insectivoraª wurde in neuerer Zeit von Butler (1972, 1988), MacPhee und Novacek (1993), Reumer (1998) sowie von Asher (1999) diskutiert. Seit kurzem liegen erste, wenn auch untereinander widerspruÈchliche molekulare Analysen uÈber die Insectivoren vor (Emerson et al. 1999; Mouchaty 1999). Aus den neueren molekularen Daten scheint insbesondere hervorzugehen, daû die Tenrecoidea dem afrikanischen Monophylum Afrotheria zuzuschlagen sind, womit auch die Einheit der Lipotyphla in Frage steht (Springer 1997; Springer et al. 1997, 1999; Stanhope et al. 1998 a, 1998 b; Madsen et al. 2001; VanDijk et al. 2001); da bei den verbleibenden Eulipotyphla auch die Stellung der Erinaceidae uneinheitlich bewertet wird, ist selbst die Monophylie dieser Restgruppe zweifelhaft geworden. Diese neuen cladistischen Befunde stellen als Arbeitshypothesen eine groûe Herausforderung fuÈr die vergleichend-anatomische Forschung dar.

Das Rostrum der SaÈugetiere wird von einem Knorpelskelett gestuÈtzt, das Derivat des Endocraniums (Chondrocranium) ist. In zahlreichen craniogenetischen Untersuchungen ist der Aufbau der rostralen Nasenknorpel vieler SaÈugerarten dargestellt worden (Fischer 1901; Fawcett 1918; DeBeer 1929, 1937; StadtmuÈller 1936; Reinbach 1952; Starck 1967; Zeller 1987; Schliemann 1987; Maier 1993; Novacek 1993 u. a. m.). In der Mehrzahl der FaÈlle beschraÈnkten sich die Beschreibungen des Nasenskeletts jedoch auf relativ fruÈhe fetale Ontogenesestadien. In der Fetalphase manifestiert sich zwar ein uÈberraschend einheitlicher Bauplan, die artspezifischen AuspraÈgungen fehlen jedoch noch vielfach (Maier 1993). Bereits Starck (1962, S. 182) betonte ausdruÈcklich, daû ¹gerade am Nasenskelett aber Ausbau und Differenzierungsprozesse noch an relativ spaÈten Ontogenesestadien zu erwarten (sind)ª. Dies gilt zwar auch fuÈr die meisten anderen Kopforgane, erfahrungsgemaÈû sind die postnatalen VeraÈnderungen aber gerade am Nasenskelett besonders praÈgnant. Auf Grund dieser Einsicht waren wir in den letzten Jahren darum bemuÈht, in zunehmendem Maûe auch postnatale (juvenile und adulte) Stadien als histologische Schnittserien aufzuarbeiten, um moÈglichst die gesamte Ontogenese der Strukturen erfassen zu koÈnnen. Damit sollte auch eine verbesserte Kooperation mit der PalaÈontologie moÈglich sein, in der moderne bildgebende Verfahren zunehmende Bedeutung gewinnen. An solchen Schnittserien koÈnnen die ZusammenhaÈnge zwischen Skelett- und Weichteilstrukturen genau untersucht werden, was wiederum fuÈr eine differenziertere Interpretation von Fossilfunden bedeutungsvoll ist. In Bezug auf das Nasenskelett sind im Innenraum vor allem die Beziehungen zur Schleimhaut und zu den NasendruÈsen von Interesse, waÈhrend an der Auûenseite die Beziehungen zur mimischen Muskulatur im Vordergrund stehen. Leider ist gerade die rostrale Gesichtsmuskulatur der KleinsaÈuger wegen ihrer auûerordentlichen KomplexitaÈt und geringen GroÈûe so gut

Nasenknorpel der Soriciden wie gar nicht bekannt (vgl. Boas und Paulli 1908; Michelson 1921; Saban 1971; Seiler 1976; Meinertz 1978); dementsprechend fehlt fuÈr viele individualisierbare MuskelzuÈge noch eine auf genauer Homologisierung begruÈndete Terminologie. Im Folgenden werden die aÈuûeren Nasenknorpel von adulten Neomys fodiens und Sorex araneus beschrieben und diskutiert. Hierbei wird der Schwerpunkt ganz auf einen funktionellen Teilaspekt, naÈmlich den Retraktionsmechanismus der Nasenknorpel, gelegt. Die vergleichend-systematische Behandlung der StrukturverhaÈltnisse wird an anderer Stelle erfolgen.

Material und Methode FuÈr die vorliegende Untersuchung wurden zwei jungadulte Exemplare von Neomys fodiens (Naturkundemuseum Stuttgart Nr. 43237) und Sorex araneus (nicht-katalogisierter Beifang aus einem oÈkologischen Projekt) herangezogen; zum Vergleich diente weiterhin ein adultes Exemplar von Crocidura russula (nicht-katalogisierter Beifang). Die KoÈpfe wurden nach Entkalkung in Paraplast eingebettet. Mittels der Methode der Plattenrekonstruktion wurden auf der Basis der Schnittserien dreidimensionale Modelle der Skelettstrukturen in 67facher bzw. 100facher VergroÈûerung hergestellt; diese Modelle bildeten die Vorlage fuÈr die Halbtonabbildungen (Abb. 1, 10). Daneben werden fuÈr die Dokumentation der hier erhobenen Befunde relevante Querschnitte in halbschematischer Darstellung beigefuÈgt. Legende: att ± Atrioturbinale; cdn ± Cartilago ductus nasopalatini; cna ± Cupula nasi anterior; cpa ± Cartilago paraseptalis anterior; dgnl ± Ductus glandulae nasi lateralis; dnl ± Ductus nasolacrimalis; dnp ± Ductus nasopalatinus; fns ± Fenestra nasi superior; fpt ± Foramen praetransversale; lta ± Lamina transversalis anterior; mat ± Marginoturbinale; mds ± Musculus dilatator superficialis; mrp ± Musculus retractor proboscidis; mx ± Maxillare; mxl ± Maxilloturbinale; na ± Nasale; nat ± Nasoturbinale; nio ± Nervus infraorbitalis; nnp ± Nervus nasopalatinus; pap ± Papilla incisiva; par ± Paries nasi; pas ± Processus alaris superior; pcp ± Processus cupularis; plv ± Processus lateralis ventralis; pmp ± Processus medialis praemaxillaris; pmx ± Praemaxillare; pmp ± Processus palatinus medialis praemaxillaris; ppl ± Processus paralacri-

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malis; sn ± Septum nasi; tea ± Tectum nasi anterius; tei ± Tectum nasi intermedium; tep ± Tectum nasi profundum; vno ± Organon vomeronasale

Ergebnisse Neomys fodiens Vorab muû bemerkt werden, daû mit Neomys fodiens und Sorex araneus nicht nur zwei verschiedene Arten der Soricinae beschrieben werden, sondern auch zwei Exemplare, die in sehr unterschiedlichen FunktionszustaÈnden fixiert sind. Abb. 1 zeigt die modellierten Nasenknorpel von Neomys fodiens in drei Ansichten. Die Ansicht von rechts (Abb. 1 A) stellt die Nasenknorpel rostral des Osteocraniums dar. Zur besseren Orientierung ist auch der Ductus nasolacrimalis eingezeichnet. In der Ansicht von links (Abb. 1 C) sind die Deckknochen dieser Seite weggelassen, um die Verankerung der Rostralknorpel in der NasenoÈffnung des Osteocraniums (Apertura piriformis) deutlicher zu zeigen; hier sind auch die Nasenbodenknorpel und das Jacobson'sche Organ dargestellt, die hier jedoch nicht naÈher diskutiert werden. Schlieûlich zeigt die Abb. 1 B die Nasenknorpel von dorsal. Bezogen auf den Vorderrand des Nasale, der die hintere Begrenzung der Apertura piriformis darstellt, besitzen die Rostralknorpel eine LaÈnge von 8,4 mm; das sind nahezu 35% der KopflaÈnge von 29 mm. Die Seitenansichten lassen erkennen, daû die Nasenknorpel um die Nares herum sehr kompliziert gestaltet sind. Die an den Processus alares superiores (pas) ansetzenden Muskeln dienen sehr wahrscheinlich der Regulierung des Luftstroms beim Inhalieren und Schnuppern. Die schalenfoÈrmigen Cupulae anteriores (cna) bilden die knorpelige Unterlage fuÈr Teile des Rhinarium. Die TraÈnenkanaÈle (dnl) muÈnden vor der Lamina transversalis anterior (lta) an der Medialseite des Marginoturbinale (mat) in den Nasenvorhof (Vestibulum nasi) (Abb. 2). Durch die Verbindung des Processus lateralis ventralis mit dem Marginoturbinale und dem Processus alaris superior entsteht ein

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Abb. 1. Rostrale Nasenknorpel von Neomys fodiens (adult). Die Abbildung basiert auf einer Plattenrekonstruktion. ± A. Lateralansicht von rechts. ± B. Lateralansicht von links; Deckknochen dieser Seite weggelassen. ± C. Ansicht von dorsal. ± D. Umriûzeichnung der Abb. 1 B mit Beschriftung und mit Positionsangabe der nachfolgenden Querschnittszeichnungen.

Nasenknorpel der Soriciden Foramen praetransversarium, durch das die TraÈnenkanaÈle nach medial zum Vestibulum ziehen (Abb. 1). Beim Adultstadium von Neomys bildet sich keine geschlossene Zona anularis aus, da die Lamina transversalis anterior (lta) unter dem TraÈnengang vom Paries durch einen

Abb 2. Querschnitt durch den Hinterrand der aÈuûeren NasenoÈffnung von Neomys fodiens. Die Verbindung des Processus alaris superior (pas) mit dem rostralen Paries (par) ist getroffen. Beachte den vorspringenden Processus lateralis ventralis (plv) und das prominente Marginoturbinale (mat). Die Úffnung des Ductus nasolacrimalis (dnl) ist ebenfalls zu sehen.

Abb 3. Neomys fodiens. Querschnitt durch den Bereich der Lamina transversalis anterior (lta). Die Lamina ist mit dem Unterrand des Nasenseptum verbunden, vom Paries ist sie durch einen Spalt getrennt; auch Tectum und Paries sind im vorderen Bereich voneinander getrennt. Das knorpelige Nasenseptum ist eine heterogene Struktur. Zu beiden Seiten der Rostralknorpel verlaufen die maÈchtigen BuÈndel des N. infraorbitalis.

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Spalt getrennt ist (Abb. 3). Dorsal davon besteht auch ein horizontaler Spalt zwischen Tectum und Paries, der als ruÈckwaÈrtige VerlaÈngerung einer Fenestra nasi superior angesehen werden kann. Der vordere Pariesbereich ist durch einen Recessus supraconchalis deutlich nach der Seite vorge-

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woÈlbt. Eine ventral gelegene Fenestra internasalis unterbricht stellenweise ebenfalls die strukturelle KontinuitaÈt der Nasenknorpel. In Abb. 3 ist die Úffnung des Ductus glandulae nasi lateralis (dgnl) angeschnitten, die am Vorderende des Nasoturbinale gelegen ist. Das Atrioturbinale (att), das die ventrolaterale Nasenmuschel im Bereich der Lamina transversalis anterior repraÈsentiert (Reinbach 1952), besitzt bei Neomys keine eigenstaÈndige KnorpelstuÈtze, sondern stellt lediglich einen mit DruÈsengewebe erfuÈllten Schleimhautwulst dar. Die medialen Lamellen der beiden Laminae transversales anterior verschmelzen in ihrem rostralen Abschnitt miteinander und mit dem eigentlichen Septum; die Grenze beider Strukturelemente ist jedoch deutlich zu erkennen. Die rostrale Nasenscheidewand ist somit aus zwei heterogenen Komponenten aufgebaut (Abb. 3). Beiderseits setzt sich die Lamina transversalis anterior nach hinten in einer konkaven Bodenplatte fort. In juÈngeren Fetalstadien steht sie aboral mit den Knorpeln des Nasenbodens in kontinuierlicher Verbindung und wird daher von DeBeer (1929) der ¹anterior paraseptal cartilageª zugerechnet. Bei zahlreichen basalen und kurzschnauzigen Theria bleibt diese kontinuierliche Verbindung zeitlebens bestehen (vgl. Maier 1980). Durch die VerlaÈngerung des Rostrum wird dieser Zusammenhang bei den Soriciden in spaÈteren Ontogenesestadien geloÈst. Im vorderen Drittel der Bodenplatten sind zunaÈchst noch deren mediale Lamellen mit dem Ventralrand des Septum verwachsen, waÈhrend der Kontakt der lateralen Lamellen mit dem Wandknorpel (Paries) durch eine breite LuÈcke unterbrochen ist. Weiter aboral verlieren die medialen Lamellen ihre Kontakte und werden kontinuierlich niedriger, waÈhrend sich unter dem Ductus nasolacrimalis eine Verbindung zwischen lateraler Lamelle und Paries herstellt (Abb. 4). In diesem Bereich schiebt sich ein dorsolateraler Fortsatz seitlich uÈber den Ductus nasolacrimalis; fuÈr dieses Strukturelement wird der neue Terminus ¹Processus paralacrimalisª (ppl) vorgeschlagen.

Zwischen Osteocranium und den Rostralknorpeln bildet sich eine breite LuÈcke aus, die in der Tiefe durch den hier stabfoÈrmigen Septalknorpel (sn) uÈberbruÈckt wird (Abb. 1, 5±8). WaÈhrend der Paries hinten mit einem kurzen Vorsprung endet, setzen sich die Dachknorpel beider Seiten mit fluÈgelartigen FortsaÈtzen in die Apertura nasi hinein fort; daû es sich hierbei ausschlieûlich um Tectum-Derivate handelt, wird durch den Sachverhalt belegt, daû ihre VentralraÈnder sich zum Nasoturbinale einschlagen und unmittelbar uÈber den GaÈngen der lateralen NasendruÈse liegen (Abb. 5, 6). Bereits in den Seitenansichten wird deutlich, daû sich vom hinteren Abschnitt des Tectum zwei Elemente abgliedern; dabei schiebt sich jeweils das hintere Element unter das davor gelegene. Insbesondere in der Dorsalansicht (Abb. 1 B) ist erkennbar, daû es sich hier um eine teleskopartige Anordnung der Knorpelelemente handelt. Da die aboralen Tectum-Lamellen (tep) hinten

Abb. 4. Neomys fodiens. Querschnitt durch den Bereich des Processus paralacrimalis (ppl), der den TraÈnenkanal uÈberdeckt. Die Cartilagines paraseptales anteriores (cpa) loÈsen sich vom Septum, gewinnen jedoch lateral Anschluû an den Paries. Zwei Septoturbinalia, das Nasoturbinale und das Maxilloturbinale sind prominent entwickelt, auch wenn knorpelige StuÈtzen weitgehend fehlen.

Nasenknorpel der Soriciden durch ihren Ûbergang in das knoÈcherne Nasoturbinale fixiert sind, bilden sie gewissermaûen ein Widerlager, gegen das die intermediaÈren Lamellen (tei) und der eigentliche Rostralknorpel (tea) verschieblich sind. Als verlaÈngerte Gleitschienen dienen hierbei vor allem die ventrolateralen FortsaÈtze der beiden aboralen Elemente, die in Wahrheit abgegliederte Teile des Nasoturbinale darstellen (Abb. 6, 7). Zwischen den verschieblichen Elementen befindet sich ganz lockeres Bindegewebe, das die geforderten GleitvorgaÈnge ohne weiteres zulassen duÈrfte. WaÈhrend im Osteocranium das Nasenseptum (sn) eine vertikale Knochenlamelle darstellt (Abb. 9), transformiert es sich unter dem Vorderrand des Nasale ganz abrupt in einen runden, annaÈhernd zentral gelegenen Knorpelstab, der den ventralen Teil des Nasenseptum nach rostral fortsetzt

Abb 5. Neomys fodiens. In HoÈhe des Vorderrands der Praemaxillaria loÈst sich das Septum nasi vom Nasendach (Tectum) und bildet einen zentralen Achsenstab; dieser ist von dichtem (elastischem?) Bandmaterial umgeben. Ûber dem Tectum verlaÈuft die breite Endsehne des M. dilatator superficialis. Seitlich setzt am Tectum der maÈchtige M. retractor proboscidis an.

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(Abb. 8, 9). Sein hinterster Abschnitt ist mittels lateraler Ligamente in einer Rinne der Praemaxillar-FortsaÈtze verankert (Abb. 8). Im Bereich des Vorderrands des Praemaxillare ist das stabfoÈrmige Septum leicht nach dorsal gebogen. Hier ist der Knorpel seitlich und vor allem ventral von dichtem Bandmaterial umgeben (Abb. 5, 6). MoÈglicherweise handelt es sich um elastisches Material, das eine Ûberstreckung des Rostrum verhindert; geeignete Elastica-FaÈrbungen sind jedoch noch nicht vorgenommen worden. Im Bereich des dorsal geschlossenen Tectum wird das Septum wieder zu einer vertikal gestellten Platte, die sodann mit dem Tectum verwachsen ist (Abb. 4, 5). Wegen seiner KuÈrze trennt das Septum lediglich den dorsalen Abschnitt der beiden NasenhoÈhlen, im ventralen Bereich besteht nur eine bindegewebige Trennwand.

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Abb. 6. Neomys fodiens. Schnitt durch die hinteren FortsaÈtze des Tectum anterius (tea). Von ihrer ventromedialen Seite hat sich ein Skelettelement des Nasoturbinale abgeloÈst, das zum Processus anterior des Tectum intermedium (tei) wird. Das Nasenseptum ist hier eine drehrunde Zentralachse in der Basis der aÈuûeren Nase; unter dem Septum zeigt die Nasenschleimhaut Reservefalten, die wohl beim Retraktionsvorgang gespannt werden. Der M. dilatator superficialis hat sich in zwei Muskelsehnen aufgeteilt; der M. retractor proboscidis ist maÈchtig entwickelt. Die Praemaxillaria sind median verwachsen und enthalten die Wurzel des I1.

Sorex araneus Die aÈuûeren Nasenknorpel besitzen hier ein LaÈnge von etwa 4 mm, was etwa 20% der KopflaÈnge ausmacht. Insbesondere die merkwuÈrdige Konfiguration des hinteren Bereichs der Rostralknorpel wurde vom Bearbeiter an Hand der histologischen Querschnitte zunaÈchst nicht verstanden (Abb. 11, 12); erst die Plattenrekonstruktion und der Vergleich mit der oben beschriebenen Neomys machten die VerhaÈltnisse deutlich (Abb. 10 A, B). Offenkundig ist bei diesem Tier das Rostrum in extrem retrahierter Position fixiert. In der Seiten-

ansicht wird deutlich, daû der stabfoÈrmige Proximalteil des Nasenseptums S-foÈrmig nach dorsal aufgebogen ist: zunaÈchst ist es um 90° nach dorsal abgewinkelt, unter dem Nasendach biegt es wieder in die Horizontale um. Dementsprechend ist auch das Tectum etwas nach dorsal versetzt und in seinem hinteren Abschnitt nach unten verbogen; dieser aborale Teil der Nasenknorpel wirkt auch insgesamt etwas gestaucht. Die Ansicht von dorsal macht dann besonders anschaulich, wie die Retraktion zu einem teleskopartigen Ineinanderschieben der hinteren Tectalknorpel gefuÈhrt hat (Abb. 10 B). Im Gegensatz zu Neomys, die

Nasenknorpel der Soriciden

Abb. 7. Neomys fodiens. Querschnitt durch die Úffnung des Jacobson'schen Organs (vno) in das obere Ende des Ductus nasopalatinus (dnp); diese beiden vertikal verlaufenden GaÈnge sind vorne und lateral von kleinen Nasenboden-Knorpeln (Cartilagines ductus nasopalatini) umrahmt. Die Retraktormuskeln sind hier weggelassen. In dieser Schnittebene hat sich vom breiten Tectum intermedium (tei) der Processus anterior des Tectum profundum (tep) abgeloÈst.

Abb 8. Neomys fodiens. Dieser Querschnitt zeigt, daû das Tectum profundum (tep) medial des Tectum intermedium gelegen ist. Das runde Septum ist durch Ligamente in der Praemaxillar-Rinne fixiert. Das Maxilloturbinale (mxt) ist intranarial verknoÈchert. Das Vomeronasalorgan (vno) verlaÈuft in geschlossenen KnochenkanaÈlen zu beiden Seiten der medianen GaumenoÈffnung (Foramen palatinum medium), die den Durchlaû fuÈr die Nn. nasopalatini (nnp) darstellt. In diesem Bereich liegt das hauptsaÈchliche Ursprungsareal des M. retractor proboscidis.

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einen extendierten Zustand repraÈsentiert, uÈberlagern sich hier die Dachknorpel weitgehend, so daû auf histologischen Querschnitten alle drei Wandelemente uÈbereinander liegend angeschnitten sind (Abb. 11, 12). Der verbogene Ductus nasolacrimalis und die ihn begleitenden Knorpelelemente des Maxilloturbinale zeigen ebenfalls den Retraktionsvorgang an. Am Modell laÈût sich ausmessen, daû die aÈuûeren Nasenknorpel in gestreckter Form um etwa 30% laÈnger waÈren als im retrahierten Zustand, also etwa 5,3 mm messen sollten; dies entspraÈche dann bei Sorex araneus etwa 26,5% der KopflaÈnge. Anders ausgedruÈckt legen diese Befunde die Annahme nahe, daû sich das Rostrum der untersuchten Soricinen durch den beschriebenen Retraktionsmechanismus etwa um ein Viertel seiner MaximallaÈnge verkuÈrzen kann. Hier ist nur vorlaÈufig auf einige evidente strukturelle Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Gattungen hinzuweisen;

dabei kann naturgemaÈû das Ausmaû der individuellen VariabilitaÈt vorerst nicht beurteilt werden. Insbesondere sind einige Proportionsunterschiede zwischen Neomys und Sorex sehr auffaÈllig, wie sie aus einem Vergleich zwischen den Abb. 1 B und 10 B deutlich werden. Mimische Muskulatur Es kann in diesem Zusammenhang lediglich auf einige wenige Muskeln eingegangen werden, die mit dem postulierten Retraktionsmechanismus zu tun haben. Bei Neomys fodiens entspringt ein kraÈftiger mimischer Muskel von einer Knochenleiste am Alveolarrand der vorderen drei OberkieferzaÈhne und zieht sehr schraÈg in rostraler Richtung, um im Perichondrium der Tectalknorpel zu inserieren (Abb. 5± 9). Da es Meinertz (1978) offenkundig nicht gelungen war, die tieferen Rostralmuskeln zu praÈparieren und zu identifizie-

Abb. 9. Neomys fodiens. Querschnitt durch das verknoÈcherte rostrale Nasenskelett mit dem aboralsten Ursprung des M. retractor proboscidis. Der knorpelige Unterrand des Septum liegt in der Vomerrinne. Der Vomeronasalkanal hat sich zu einer Rinne geoÈffnet, an deren Medialrand der N. nasopalatinus verlaÈuft.

Nasenknorpel der Soriciden ren, soll dieser neue, gut definierte Muskel hier als M. retractor proboscidis bezeichnet werden. Beim retrahierten Rostrum von Sorex araneus verlaÈuft er in nahezu ventro-dorsaler Richtung (Abb. 10, 11). Diese unterschiedliche Ausrichtung des Retraktormuskels steht in Einklang mit dem oben postulierten Retraktionsmechanismus. Zu erwaÈhnen sind noch zwei kraÈf-

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tige LaÈngssehnen, die in einer lockeren Sehnenscheide zum Perichondrium des rostralen Nasendachs ziehen; sie gehen aus von Muskeln, die vermutlich als Mm. dilatatores nasi superficialis zu bezeichnen sind (Michelson 1921; Saban 1971, Meinertz 1978); bei ArnbaÈck-Christie-Linde (1907; Fig. 4) heiûen sie wohl M. levator labii superior proprius.

Abb. 10. Retrahierte Rostralknorpel bei einem adulten Sorex araneus. ± A. Ansicht von der rechten Seite. Das S-foÈrmig gebogene Nasenseptum ist zu erkennen; das Tectum ist hinten angehoben und nach ventral umgeknickt. ± B. In der Dorsalansicht ist zu erkennen, daû die isolierten hinteren Tectalknorpel teleskopartig ineinander geschoben sind.

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Osteocranium Am GesichtsschaÈdel der Soriciden faÈllt die fruÈhe Verschmelzung (Synostosierung) der KnochennaÈhte sowie der relativ massive Bau der Knochenstrukturen auf. Die fruÈhe und intensive Verschmelzung von Praemaxillare und Maxillare sowie der Mediansuturen fuÈhrt u. a. zu Schwierigkeiten bei der Homologisierung der FrontzaÈhne (Niethammer und Krapp 1990). Insbesondere faÈllt auch die ¹Verblockungª der Processus palatini mediales der Praemaxillaria mit dem Vomer in die Augen (Abb. 7±9). Dies fuÈhrt unter anderem dazu, daû die paarigen Ductus nasopalatini (Stenon'sche GaÈnge) nur durch zwei

enge Foramina incisiva hindurchtreten; diese Foramina sind partiell durch Knorpel ausgekleidet (Cartilagines ductus nasopalatini), die hier nicht naÈher beschrieben werden. Weiterhin zieht der Ductus vomeronasalis zunaÈchst beiderseits durch einen engen Knochenkanal (Abb. 1 C, D, 8), bevor sich dieser weiter aboral wieder zu einer offenen Knochenrinne fuÈr das eigentliche Organ oÈffnet (Abb. 9). Welche Knochenelemente an der Umrahmung des Stenon'schen Gangs und des Jacobson'schen Organs beteiligt sind, und ob ErsatzverknoÈcherungen der Nasenbodenknorpel in sie eingehen, muû durch eine Analyse juÈngerer Ontogenesestadien abgeklaÈrt werden.

Abb. 11. Querschnitt durch die hintere Tectalregion von Sorex araneus. Infolge der Retraktion sind alle drei Tectalelemente auf einem Querschnitt getroffen. Der M. retractor proboscidis verlaÈuft in diesem retrahierten Zustand vertikal.

Nasenknorpel der Soriciden Die bei Neomys, Crocidura und anderen Soriciden anzutreffende mediane GaumenoÈffnung (Abb. 8) durchdringt den medianen Knochensteg des Foramen incisivum und endet im Boden der Praemaxillarrinne; sie hat mit dem Foramen incisivum daher nichts zu tun und soll hier neu als Foramen palatinum medium bezeichnet werden. In der NaÈhe seines Hinterrands treten die beiden Nn. nasopalatini auf die Gaumenseite aus. Bei Sorex und anderen Taxa, denen dieses mediane Foramen fehlt, muÈnden die isolierten NervenkanaÈle nahe dem Hinter-

Abb. 12. Sorex araneus. Auf der rechten Seite sind alle drei ineinander geschachtelten Tectalelemente angeschnitten, die linke Seite ist hinter dem aboralen Rand des Tectum anterius getroffen. Querschnitt durch die Úffnung des Jacobson'schen Organs in den Ductus nasopalatinus; diese vertikal orientierten GaÈnge werden von Bodenknorpeln teilweise umrahmt.

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rand der beiden Foramina incisiva aus dem Gaumenknochen. Weiter aboral verlaufen diese Nerven an den Medialseiten der Vomeronasal-Rinnen (Abb. 9). Bei Meester et al. (1986), Skinner und Smithers (1990) werden die rostralen GaumenoÈffnungen, die sehr undifferenziert ¹palatal fissuresª genannt werden, zur Diagnostik bestimmter Taxa eingesetzt; hier sind zur weiteren AbklaÈrung ohne Zweifel genauere mikroskopisch-anatomische und vergleichend-ontogenetische Analysen erforderlich.

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Diskussion In der vorliegenden Arbeit wurden erstmals aÈuûere Nasenknorpel von adulten Soriciden auf der Grundlage von histologischen Schnittserien untersucht. Mittels dieser Serien konnten Plattenrekonstruktionen hergestellt werden, welche eine sehr detailgenaue Untersuchung der StrukturverhaÈltnisse gestatten. Der auffaÈlligste Befund an Neomys fondiens und Sorex araneus sind zweifellos die Differenzierungen im Grenzbereich zwischen Osteocranium und aÈuûeren Rostralknorpeln. Einerseits ist in diesem Abschnitt das Nasenseptum zu einem zentral gelegenen, runden Knorpelstab modifiziert, welcher ± in Verbindung mit der mimischen Muskulatur ± die hohe Beweglichkeit des Rostrums ermoÈglicht. Im Sinne der Konstruktionsmorphologie ist hier von einer biegsamen Zentralachse zu sprechen (Nachtigall 1971). Die aÈuûeren Nasenknorpel sind im Bereich dieser basalen Gelenkung weitgehend reduziert, um die Bewegungen nicht zu behindern. Andererseits zeigt sich, daû die Knorpel des Nasendachs (Tectum) in die nach dorsal offene NasenoÈffnung des Osteocraniums (Apertura piriformis) hineinreichen und hier in besonderer Weise differenziert sind: Durch zwei Dehiszenzen sind von den zipfelartigen Hinterenden des Tectums jederseits zwei Knorpelelemente abgegliedert, die tuÈtenartig ineinander gesteckt sind. Mittels eines speziellen mimischen Muskels (M. retractor proboscidis) kann die aÈuûere Nase betraÈchtlich (ca. 25%) retrahiert werden, wobei sich diese aboralen Knorpel teleskopartig ineinander schieben; ob es dabei zu einer mechanisch relevanten Verkeilung kommt, muû durch weitere Untersuchungen abgeklaÈrt werden. Bei dieser Retraktion wird der septale Achsenstab S-foÈrmig nach dorsal aufgebogen. Die Extension duÈrfte durch die EigenelastizitaÈt der Rostralknorpel in Verbindung mit der mimischen Muskulatur erfolgen. Allerdings erwies die LupenpraÈparation eines Exemplars von Sorex, daû die Wandknorpel, die oft weniger als 0,05 mm Dicke aufweisen, eine sehr weiche Konsistenz besitzen; ver-

mutlich ist also vor allem das massivere Septum mit den randlichen Faserstrukturen fuÈr die RuÈckstellung verantwortlich. Es ist auch in Betracht zu ziehen, daû die knorpelige Umrahmung der rostralen Luftwege zusaÈtzliche aerodynamische Funktionen zu erfuÈllen haben koÈnnte. Kingdon (1974) stellt ein Exemplar von Crocidura flavescens dar, das in aggressiver Beiûhaltung das Rostrum in einer Weise nach dorsal kruÈmmt, die mit unseren Befunden an den Nasenknorpeln in Einklang zu bringen ist. Eine experimentelle ÛberpruÈfung unserer morphologisch hergeleiteten Ûberlegungen steht noch aus. Durch die Untersuchung von DeBeer (1929) ist klargestellt, daû dieser proximale Gelenk- und Retraktionsmechanismus des Rostrums eine Differenzierung darstellt, die sich erst waÈhrend der spaÈteren Ontogenese ausbildet. DeBeer (1929) untersuchte einen 11 mm langen Foeten von Sorex araneus, der im vorderen Nasenbereich noch keine sehr spezifischen StrukturauspraÈgungen zeigte. Roux (1947) beschrieb eine Embryonalserie von Suncus orangiae (6±28 mm SSL); bei den abgebildeten Stadien von 18,3 mm und 25,5 mm SSL ist die Abgliederung der Rostralknorpel von der Nasenkapsel gerade angedeutet. Nach den von P. Vogel (Lausanne) hergestellten Schnittserien datierter Postnatalstadien von Sorex, Crocidura und Neomys erfolgt die Untergliederung des Nasendachs etwa zwischen dem 7. und 10. Tag nach der Geburt. Neben einer Reihe von fetalen Crocidurinen-Cranien steht vorerst nur die etwas defekte Schnittserie einer adulten Crocidura russula zu Vergleichszwecken zur VerfuÈgung. Danach zeigen die Crocidurinae grundsaÈtzlich die gleichen StrukturverhaÈltnisse wie die hier dargestellten Soricinae; insbesondere ist der beschriebene Retraktionsmechanismus ebenfalls voll ausgebildet. Die Crocidurinen unterscheiden sich jedoch vor allem hinsichtlich des Verlaufs des Ductus nasolacrimalis von den Soricinae. Die vergleichende Untersuchung weiterer Lipotyphla (Erinaceidae, Solenodontidae, Tenrecidae, Potamogalidae, Tal-

Nasenknorpel der Soriciden pidae) erwies ± neben vielen anderen Unterschieden ± auch die Einzigartikeit des bei den Soricidae dargestellten Retraktionsmechanismus. Am GesichtsschaÈdel der Soricidae ist die fruÈhe und extrem ausgepraÈgte Synostosierung sehr auffaÈllig. Gemeinhin wird sie mit der Spezialisierung des Vordergebisses in ursaÈchlichen Zusammenhang gebracht. Es ist aber die Frage zu stellen, ob nicht auch die Verankerung des prominenten und mobilen Rostrums sowie eines Teils seiner Muskulatur mit der mechanischen VerstaÈrkung des vorderen GesichtsschaÈdels in ursaÈchlichem Zusammenhang steht. Eventuell waÈre sogar die evolutive Abfolge der adaptiven Spezialisierungen neu zu bedenken: KoÈnnte moÈglicherweise die Verfestigung des rostralen GesichtsschaÈdels nicht primaÈre Anpassung an die mechanischen Anforderungen eines verlaÈngerten und mobilen Rostrums sein, und die daraus resultierende Konsolidierung die praeadaptive Voraussetzung fuÈr eine Ausdifferenzierung des spezialisierten Frontgebisses der Soricidae?

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Die eigentuÈmliche Form der Apertura piriformis der Soricidae findet durch den dargestellten Retraktionsmechanismus eine ErklaÈrung. Die Apertura bildet eine dorsal offene Knochenrinne, welche als FuÈhrung fuÈr die hinteren Abschnitte der aÈuûeren Nasenknorpel angesehen werden kann. Die nach hinten ansteigenden RaÈnder des Praemaxillare dienen einerseits der Verankerung der Wurzel der I1, sie stellen jedoch zugleich eine verrundete Umlenkungskante (Hypomochlion) fuÈr den M. retractor proboscidis dar.

Danksagung Frau Monika Meinert und Frau Thi Thi Fussenegger haben in bewaÈhrter Weise die histologischen Schnittserien angefertigt. Ohne die Mithilfe der Biologiestudentinnen Miriam Mann, Franka Schermutzky und Sanja Wuchter haÈtten die Modellrekonstruktionen vermutlich nicht entstehen koÈnnen. Frau Schmidt hat die Abbildungen ausgefuÈhrt. Ihnen allen danke ich auch an dieser Stelle.

Zusammenfassung Erstmals wurde das Knorpelskelett des Rostrums adulter Soriciden auf der Grundlage histologischer Schnittserien modelliert und damit einer genauen morphologischen Untersuchung zugaÈnglich gemacht. Bei Neomys fodiens betraÈgt die maximale LaÈnge der aÈuûeren Nasenknorpel etwa 8,4 mm, was etwa 35% der gesamten KopflaÈnge entspricht. Bei Sorex araneus betraÈgt die LaÈnge der Rostralknorpel nur etwa 4 mm, was etwa 20% der KopflaÈnge ausmacht. Der genaue Vergleich beider Exemplare zeigt nicht nur eine Reihe systematisch bedingter Unterschiede, sondern offenkundig auch verschiedene FunktionszustaÈnde: Beim untersuchten Exemplar von Neomys sind die Rostralknorpel extendiert, bei Sorex retrahiert. Bei beiden Taxa sind die hinteren Dachknorpel in drei Elemente untergliedert, die teleskopartig ineinander schiebbar sind. WaÈhrend bei Neomys diese Elemente weit auseinander gezogen sind, sind sie bei Sorex ineinander geschachtelt; bei Sorex ist konsequenterweise auch das Nasenseptum, das im hinteren Bereich einen runde, biegsame Zentralachse bildet, S-foÈrmig nach dorsal gebogen. Die Retraktion wird durch einen kraÈftigen M. retractor proboscidis bewirkt, der jederseits vom vorderen Alveolarrand zum Nasendach zieht. Weitere strukturelle Details der Nasenknorpel und des vorderen Osteocranium werden beschrieben und abgebildet, von einer vergleichend-systematischen Auswertung wird jedoch bis zur Untersuchung weiterer Taxa abgesehen.

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Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Wolfgang Maier, Lehrstuhl fuÈr Spezielle Zoologie, Eberhard-Karls-UniversitaÈt, Auf der Morgenstelle 28, D-72076 TuÈbingen (e-mail: [email protected])