Neuropsychologia,
1966,
Vol.4,
Pergamon Press Ltd.Printed inEngland
pp. I13 to 132.
ZUR
PROSOPAGNOSIE
ILSE GLONING, KARL GLONING, HANS HOFF und HELMUT TSCHABITSCHER Psychiatrisch-Neurologische
Universitltsklinik,
Wien, &terreich*
(Eingegmgen8 Juni1965) Zusammenfassung-Es wird tiber zwei F&lle von Prosopagnosie berichtet und an Hand der F%lle wird das Problem der Prosopagnosie diskutiert. Nach Besprechung der Entwicklung des Physiognomie- und Mimikerkennens beim Sgugling und Kind wird festgestellt, dass es sich bei der Prosopagnosie urn eine SynthesestBrung einzelner Gesichtsteile zu der Gesamtheit der Physiognomie handelt. Speziell in unseren beiden Flllen war das Erkennen der Augemegion und das Zuordnen zu den passenden abgebildeten Gesichtem elektiv gesttirt mit starker zeitlicher VerzGgerung in Verhlltnis zu Stim und Mundpartie. Bei den Herdverhgltnissen, die zu einer Prosopagnosie fiihren kijnnen, handelt es sich urn beiderseitige parieto-occipitale Herde oder urn einen einseitigen Herd mit Balkendurchbruch. Bei der Prosopagnosie handelt es sich urn eine Partialagnosie, die von einer opt&hen Ktirperschemasttirung, die nie zur Erkennungsstiirung von Gesichtem fiihrt, strikte zu trennen ist.
1. EINLEITUNG MIT dem Problem
einer Agnosie
fiir Physiognomien-oder
Prosopagnosie,
wie sie BODAMER
[l] nannte, beschgftigten sich nach der ersten diesbeziiglichen Publikation von HOFF und P~TZL [2] (1937) eine Reihe von weiteren Autoren: ALAJOUANINE et al. [3], BEYN und, KNYAZEWA [4], BIRKMAYER[5], BODAMER[l], BORNSTEINet al. [6, 71, BUSSCHER et al. [8] CHLENOV et toll. [9], DONINI [lo], FAUST [l I, 121, GALLI [13], GENTILI et toll. [14], HBCAEN
et al. [15-191, KLEIN et ~011.[20], MACRAE et al. [21], NIELSEN [22], PALLIS [23], PEVZNER et cod. [24] und P~~TZL [25]. Aber schon in friiheren Berichten iiber optische Agnosien ist eine Schilderung einer Stiirung des Erkennens von Physiognomien zu finden, so z.B. bei WILBRAND [26], bei HEIDENHAIN [27], JOSSMANN [28] und MILIAN [29]. 2. KASUISTIK Die Prosopagnosie-insbesonders in klinisch “reiner” Form ist nicht h&fig. So fand sich z.B. unter 241 Fgllen unserer Klinik mit autoptisch oder operative verifizierten retrorolandischen Lgsionen (die Jahre 1950-1963 umfassend) nur ein einziger Fall mit einer Stijrung der optischen Unterscheidung von Gesichtern. Es handelte sich urn eine 41-jlhrige Pat. (E.F.) mit einem inoperablen Rezidiv eines grossen rechtsseitigen, parieto-temporo-occipitalen Glioblastoms, das den Balken durchwuchs. Es bestand eine linksseitige homonyme Hemianopsie, der zentrale Visus war 6/8 bds. Femer hatte die Pat. eine schwere rsumliche Agnosie, eine konstruktive Apraxie, eine Stiirung der Orientierung im Aussenraum und eine “Agnosie der linken Raumhdfte”. Sie erkannte optisch such die n%chsten Angehiirigen nicht (Bruder, Gatten), jedoch sofort an der Stimme. Eine Objektagnosie bestand nicht. Dieser Fall war aber wegen der schweren psychischen Vergnderungen (Bewusstseinstrtibung, passagere Verwirrtheit) sehr problematisch und einer eingenderen Untersuchung nicht zugtinglich. * Vorstand:
Prof. Dr. Hans Hoff. 113
ILSE GLONING, KARL
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In der letzten Zeit hatten ungen zu untersuchen. FaN Nr. 1: P. Johann,
GLONING,HANS Hoof und
wir jedoch
Gelegenheit,
HELMUT TSCHABITSCHER
2 FAle eingehend
nach allen Richt-
61a, Krkgesch. Nr.72/1965 (B18). Rechtshlnder.
Vorgeschichte: Volks-und Btirgerschule, Gewerbeschule (Male und Anstreicher). Seit mehreren Jahren labiler Hochdruck. Am 18.6.1964 plijtzlich kurze Bewusstlosigkeit, dann starke Uebelkeit, Erbrechen, Drehschwindel, Nebelsehen, dann starkes “Flimmem” von den Augen. Einweisung auf die interne Abteilung eines Wiener Spitals. Dort sah er nach kurzer Zeit wieder “klar”, konnte aber keine Gesichter-such die der herbeigeeilten nlchsten Angehbrigen (Frau, Bruder und Schwager)-unterscheiden. Er erkannte aber sofort die Verwandten an deren Stimme. Im Krankenhaus selbst hatte er grosse Schwierigkeiten, die Aerzte und Schwestern der Absteilung opt&h zu erkennen und zu identifizieren. Der Pat. half sich damit, dass er sich nicht an den Gesichtern, sondern an anderen Merkmalen, wie z.B. Brillen, Broschen, Kleidungsstiicken und an den Frisuren orientierte. Daneben bestanden noch weitere Stiirungen in der Identifikation von Sehobjekten. Der Kranke hielt z.B. einmal einen abgebildeten B&en ftir einen Hund und einen Teller fiir ein Sieb. In den ersten Tagen nach dem Insult bestanden such grobe Storungen in der raumlichen Orientierung, er konnte weder Krankenzimmer noch Bett finden, zog Kleidungsstticke verkehrt an und konnte weder schreiben noch lesen. Auch nach der Entiassung aus dem Krankenhaus am 16.764 hatte er Miihe, sich in bekannten Strassen zurecht zu finden und verwechselte die Wohnungstiire. Die Schreibund Lesestorung war damals schon zurtickgegangen. Im Vordergrund blieb aber weiterhin die Stiirung in der Identifikation von Gesichtern. Traf er auf der Strasse Bekannte, so erkannte er sie entweder gar nicht oder sie kamen ihm “irgendwie bekannt” vor. Er griisste sie, wusste aber nicht, wer sie waren. Besonders am Beginn der Krankheit konnte sich der Pat. Gesichter such nicht vorstellen. Als er nach dem Insult zum ersten Ma1 in den Spiegel blickte, kam ihm sein eigenes Gesicht “fremd und anders” vor. “Etwas stimmte nicht”, er konnte aber nicht sagen, was. Splter akzeptierte er wieder sein Spiegelbild, er meinte aber, er habe es “neu kennen lemen miissen”. In der ersten Zeit konnte der Pat. such keine Mimik erkennen und nicht unterscheiden, ob ein Gesicht alt oder jung war. Die Farben waren subjektiv nie gestiirt.
Durchuntersuchung
an der Klinik vom 24.2.-20.3.1965
Bis auf den Gesichtsfelddefekt unaufftillig. Gegentiber der Zeit vor dem Insult etwas verlangsamt. Sonst unauffaliig. Keine Demenzzeichen. I.Q. verbal (Hawie) 107. Augenbefund (II. Univ.-Augenklinik, Vorstand Prof. Dr. J. Boeck): Aeussere Teile und brechende Medien normal. Fundus: Papillen gut geflrbt, schmaler Conus temporal. Im Bereich der Macula zarte Pigmentverschiebung. Gefhse unauffallig. Visus: bds. mit Korr. (Ii. + 1, 5, re. +0, 75 sph.) 6/6 p. bds. mit Korr. (li.+4, 5, re.+3, 75 sph.) Jg. lp. Gesichtsfelder: Linksseitige, homonyme, obere Quadrantenanopsie (Abb. la, 1b) Neurologischer
Status:
Psychisch:
(Nach Methode CIBIS und BAY [30]): Im freien Gesichtsfeld Vergleich zu Normalpersonen (Abb. 2)
Lokaladaptation:
keine Herabsetzung
im
Uebrige Befunde. EEG: Untersuchungsgrundlagen:
19 Konvexitlts-Elektroden, 8 Kanal-EEG-Gerlt (Schwarzer), bipolare und Aufnahme in Ruhe, Hyperventilation und unter Flackerlicht. Aufnahmebedingungen am Patienten: gut In Ruhe findet sich links occipital eine mittelhohe Alpha-Tltigkeit urn 10 c/set, die mlssig weit nach frontal reicht und gut auf Augeniiffnen und-schliessen anspricht. Rechts ist der Grundrhythmus flacher, unregelmlssiger, langsamer und mit Theta leicht durchsetzt. Auch die Ausbreitung des Alpha-Rhythmus tiber die rechte Hemisphare ist standig gestbrt. Ueber den fronto-temporal-Regionen bds. eine flache Tatigkeit im Alpha-Theta-Uebergangsbereich. In Hyperventilation keine wesentliche Aenderung der Ruheaktivitlt. Unter Flackerlichtkeine AufBihigkeiten. Die monopolare Ableitung bestltigt die Alpha-Seitendifferenz zuungunsten von rechts. Zusammenfassung: M&ig abnormes, asymmetrisches EEG mit rechts gestbrtem Alpha-Rhythmus und flacher Alpha-Theta-Mischtatigkeit tiber dem rechten occipitalen Quadranten. Schiidelriinfgen: zarte Carotisverkalkung bds. Pneumoencephalographie: Erweiterung des rechten Hinterhornes und Unterhornabganges. Angiographie: (Carotis rechts und Vertebralis): Kaliberschwankungen der grossen Gefasstlmme. Vestibularis: Bds. normal erregbar. Oszillometrie: Hinweis auf bds. Femoralisverschluss im unteren Drittel.
unipolare Ableitungen,
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ABB. l(a). Identifzieren
und Beschreiben
von Physiognomien:
Bei anwesenden Personen beschreibt Pat. langsam, umstlndlich, dabei minutibs Kopfform, Haarfarbe, Haartracht, dann Stirn und Kinnfrom, Hautfarbe, etwaigen Bat-t und Schnurrbart und Brillen. Dann meist den Mund (und nur nach Hinweis such die Augen und die Nase), letztere sehr allgemein (“ganz schone Auger? oder “dunkle Augen . . . “1. Der Pat. selbst gibt an: “Die Gesichter sehe ich jetzt anders als friiher . . . ich vet-such immer, Personen an anderem als am Gesicht zu erkennen . . . wenn ich nur auf das Gesicht von einer Person schaue, dann achte ich auf bestimmte Dinge, z.B. auf die Haare, bestimmte Falten, einen Schnurrbart, auf die Zahne und den Mund, manchmal such auf ein bestimmtes Lachen-das Lachen kenne ich immer”. Die eigene Frau und den Schwager kennt der Kranke jetzt schon am Gesicht. “Aber ich habe es erst wieder neu lernen mtissen”. Die Gesichter von Aerzten und Schwestem der Station kijmren nicht unterschieden werden, der Pat. lernt dies such nicht wlhrend des ganzen Aufenthalts an der Klinik. Er versucht, sich notdtlrftig an Haartracht, Kleidungssttlcken, Brillen und Kiirpergrosse zu orientieren, wlhrend er die Motorik dieser Personen (Gesten, Gang) nicht zur Identifikation heranzieht. Er erkennt jedoch sofort die gleichen Personen an der Stimme. Lachen und Weinen unterscheidet der Pat. richtig an Zeichnungen, Fotos und such an Menschen in natura. Feinere Abstufungen der Mimik, wie z.B. Zom, Trauer, erkennt er nicht: “Ich Weiss nicht, es sieht alles so unbestimmt aus”. Mimikerkennen:
Fotos von bekannten Persiinlichkeiten:
Vorgelegt wird Sir Winston Churchill: “Vielleicht der Paul Horbiger (Schauspieler)” (Das ist Churchill) “Nein, der Churchill hat doch immer eine Zigarre, hier hat er keine, ich karm ihn nur daran erkennen”. Filmschauspieler (Pat. besucht 1-2 X wiichentlich ein Kino). Heinz Riihmann : “Kenne ich nicht” (Das ist der Riihmann!) “Nein so was, ich glaube, er schaut ganz anders aus. Ich habe ihn so oft gesehen”. Brigitte Bardot : “Eine Nordllnderin . . . nein, ist das die Knef?”
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ILSEGLONING, KARL GLONINO,HANS HOFF und HELMUTTSCHABITSCHER
Von einer weiteren Serie von Bildem kennt Pat. nur Fernandel: “Dieses Kinn hat nur er!” Kijnigin Elisabeth II. erkennt er an der Krone. Bei einem Bild ohne Krone bezweifelt Pat., dass es die gleiche Person sei. Vorstellung ( Visualisierung) bekannter Physiognomien: Schon die Gesichter der Geschwister und des Schwagers kann sich Pat. nur schwer und ungenau vor Augen halten : “es ist so nebelhaft”. Das Gesicht der Frau gelingt besser, die Beschreibung ist richtig. Bei der Beschreibung der Physiognomie des abwesenden behandelnden Arztes, den er nun durch 3 Wochen mehrmals taglich gesehen und gesprochen hat, gebraucht Pat. allgemeine Floskeln: “er hat ganz schiine Augen , . . die Haare sind dunkel . . .” (briinett, richtig), und gibt dann zu, dass er nicht wisse, wie der Betreffende aussehe. Das Erkennen und Beschreiben von Objekten, einfachen und komplexen Bildern (such Tierbildem) sowie von geometrischen Figuren ist intakt. Tachistoskopie: (Projektor, Bildabstand 6m). Strichzeichnungen von Objekten, geometrische Figuren, Ziffern, zweistellige Zahlen, Buchstaben und kurze Worte werden bei einer Darbietung von l/SO sec. richtig benannt. Filterfarben in gleicher Zeit ebenso. Auch bei komplexen Bildern (Landschaften) wird das Wesentliche bei gleicher Expositionsdauer erfasst und wiedergegeben. Schwierigkeiten bestehen bei der Darbietung von Gesichtern und komplexen Bildern mit Personen; (Schneeballbild aus Binnet-Bobertag) l/50 sec. : “da steht wer” l/25-1 sec. : “da stehen viele Leute her-urn”. Richtiges Erfassen erst bei lo sec. Exposition. (Madonnenbild): erst bei 5 sec. Expositionsdauer kann angegebenwerden, dass es sich urn eine Frau handelt. Topographische Gegebenheiten, riiumiiche Orientierung: Der Pat. findet sich jetzt in der Klinik und such in der Stadt gut zurecht. Fehler werden in der Beschreibung friiher bekannter Wege gemacht: (Oper-Stefanskirche): “iiber den Graben . . . nein in die Karntnerstrasse, dann in den Graben . . .” Keine Stiirung der Tiefensehschirfe (Heringscher Fallversuch). Zeichnen, Abzeichnen, Zeichnen einer Landkarte und Nachbauen mit Kliitzchen ungestiirt. Mosaiktests: Bei den KOHSschen Bliicken des Hawie immer Fehler, sobald schrlge Strukturen in der Vorlage vorhanden sind. Puzzle: Beim Figurenlegen (Hawie) kann weder die Hand noch das Gesicht richtig zusammengesetzt werden. Das Auto aus dem Hawik (fur Kinder) gelingt nach llngeren Versuchen in 5 Minuten. Es besteht keinerlei Aphasie, keine Schreib-Lese-oder Rechenstijrung mehr, keine motor&he keine Storung des Korperschemas und der Somatognosie sowie keinerlei Stonmg des Farbsinnes. Bentontest: 6 Pluspunkte, 6 Fehler (entspricht dem IQ.) Progressive Matrices Test: 27 Punkte (entspricht dem 50 Percentile fur das Alter von 60 Jahren). werden einige optisch konstellierte Fehler gemacht.
Apraxie2
Dabei
Hamburg- Wechsler-lntelligenzuntersuchung fiir Erwachsene: I.Q. verbal 107, Handlungsteil 96 (Hawie) Triiume: Nach dem Insult traumte Pat. nur mehr von Personen, die er in seiner Jugend gesehen hatte, meist von den Eltern. Von diesen sah er such lebhaft deren Gesichter. Epikrise: Ein 61-jlhriger Maler und Anstreicher erlitt einen Insult mit anfanglich corticaler Sehstorung, aus der sich eine obere homonyme linksseitige Quadrantenanopsie entwickelt. Anfangs bestand eine geringe Objektagnosie, eine Ankleideapraxie, eine schwere Stiirung der raumlichen Orientierung und eine komplette Alexie und Agraphie. Ziemlich unver&rdert blieb eine Prosopagnosie, die z.T. such das Mimikerkennen betraf. Die Visualisierung fiir Physiognomien war ebenfalls gestiirt. Ebenso blieb eine geringgradige konstruktive Apraxie bestehen. Das erhaltene Gesichtsfeld war vtillig funktionsttichtig, ebenso war keine Demenz vorhanden. Fall Nr. 2: Dr. K. Wazlaw, 49a. Krkgesch. Nr.l51/1965 (Bl8) Rechtshlnder. Voraeschichte: Der hochaebildete. aus Warschau stammende Patient beendete mit 23 Jahren das Jusstudium an der Sorbonne in Paris und war bis zu seinem Unfall als gesuchter und namhafter Rechtsanwalt tatig. Ausser seiner polnischen Muttersprache spricht er gut franziisisch, russisch und etwas tschechisch. Er besass ein ausserordentlich gutes Unterscheidungsvermogen fbr Physiognomien und erkannte sofort Klienten, die er viele Jahre-nicht gesehen hatte,- wieder, Am 25.8.1963krlitt er einen Autounfall mit anfanalich kurzer Bewusstlosigkeit und einer Beckenfraktur mit Blasenruptur. Nach kurzem freien Interval1 verlorer wieder das Bewusstsem und wurde in einem schweren Kollaps inhas Krankenhaus gebracht. Nach dem Erwachen sah er durch etwa 4 Wochen nichts, dann bildete sich die Blindheit tiber Nebelsehen
ZlJR
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PROSOPAONOSIE
zurtick. Er koMte allerdings nicht lesen, verwechselte Buchstaben und verlor die Zeilen. Das Schreiben war ungestort. Femer hatte er Schwierigkeiten in der Identi6kation von Farben. Er konnte seither Personen tiberhaupt nicht mehr an den Gesichtem tmterscheiden, such seine Gattin und seinen Sohn nicht. An der Stimme erkannte er sofort alle bekannten Personen. Im Stadium der Blindheit und such spgter zeigten alle oculistischen Untersuchungen normale Fundi und keine krankhaften Verlndenmgen an ausseren Teilen und brechenden Medien. Vom Tag des Unfalles bis zum 8.11.1964 war der Pat. ununterbrochen in station&rer Behandlung, zuletzt in Warschau, wobei sich nur die Lesestiinmg etwas besserte. Bei seinen ersten Stadtausgangen in Begleitung der Frau fiel dem Pat. auf, dass er manche bekannte Plltze in der Stadt nicht erkannte und such keine Autos unterscheiden konnte. Dise sahen-so wie die Gesichter-“unbestimmt und fast gleich” aus. Das Studium verschiedener Automarken war frtiher das “hobby” des Kranken gewesen. Stiirungen im Identifizieren und Erkennen von anderen Objekten hatten nie bestanden. Im Vordergrund blieb die Unfahigkeit, Personen am Gesicht zu erkennen. Dabei hatte der Pat. keine Schwierigkeiten, sich die Physiognomien Bekannter vorzustellen. Er sub die Gesichter-und ausser den Autos nur diese-anders als frtiher. Damals wusste er nicht, was eigentlich dabei “anders” geworden ware. Er kormte keinerlei Mimik erkennen und am Gesicht alt und jung nicht unterscheiden. Auch das eigene Spiegelbild war “fremd und anders” geworden. Am Telefon erkannte er jeden Klienten und sonstigen Bekannten sofort an der Stimme. Auf der Strasse erkannte er optisch anfangs niemanden, splter lemte er auf nicht physiognomische Besonderheiten, wie z.B. Gang, Gesten, G&se, Kleidungsstticke, Haartracht, Brillen, Bart etc. achten. Es fiel ihm auf, dass das optische Bild des Gesichtes such das Erkennen an der Stimme storte. Der Pat. schloss oft die Augen, wenn er einen Bekannten traf und hbrte einen Moment nur auf dessen Stimme. Dann wusste er sofort den richtigen Namen. In den ersten 6 Monaten nach dem Unfall bestand eine erhebliche Stiirung der Orientienmg im Aussenraum. Durchuntersuchung
an der Klinik vom 18.3. bis zum 10.5.1965.
Neurologischer und psychiatrischer Status bis auf den Gesichtsfelddefekt unauffallig. Ophthalmofogischer Befund: (II. Univ.-Augenklinik, Vorstand Prof. Dr. J. Bock, Dr. K. Hommer).
rechten Homhaut im oberen Drittel eine massig dichte Narbe nach Keratitis herpetica: brechende Medien sonst reizlos. Der Augenhintergrund bds. unauffalhg. Visus: rechts mit Korr. (+ 1,Osph.) 6/24, Jg.10 (+3,0 sph.) links mit Korr. (+ 1,5 sph-6/6-6/g, Jg. 1 (+4,0 sph.)
An der fiussere Teile und
Gesichtsfefder:
Inkomplette homonyme Hemianopsie rechts und inkompletter Das zentrale Sehen grossteils frei (Abb. 3a, 3b).
oberer homonymer
Quadrant
links.
Farbensinn:
Die pseudoisochromatischen richtig eingestellt.
Tafeln (Stilling, Ishihara) werden richtig gelesen. Die Farbgleichung
wird
Lokaladaptation:
Nach der Methode von CIBIS und BAY (30) keine Herabsetzung Restgesichtsfeld (Abb. 4).
gegeniiber
Normalpersonen
im
EEG:
(Doz. K. Pateisky) Untersuchungsgnmdlagen: 19 Konvexitiits-Elektroden, bipolar und unipolare Ableitungen, Aufnahme in Ruhe, Hyperventilation und Flackerlicht. Aufnahmebedingungen gut. In Ruhe besteht rechts occipital ein regelmlssiger mittelhoher Alpha-Rhythmus urn 9,5-10 c/xc., der mittelweit nach vome reicht und im Lidschlussversuch anspricht. Linksseitig ist der Alpharhythmus amplitudenmlssig weitgehend vermindert und tiber verschieden lange Zeitperioden zum Teil nicht nachweisbar. Beim Augenoffnen erfolgt bds. eine Alpha-Blockierung, beim Lidschluss werden such linksseitig regelmassig niedrige Alpha-Gruppen aktiviert. Links temporal treten vereinzelt mittelhohe langsame Thetawellen mit weiter links-temporaler Ausbreitung auf. In Hyperventilation werden zunachst vereinzelt generalisierte Alpha-outboursts und schliesslich links occipitale umegelm&sige Thetawellenztige aktiviert. Unter Flackerlicht erfolgt eine rechts occipitale Steuenmg im Beta-Bereich, wiihrend linksseitig eine Steuerung kaum nachweisbar ist. In den unipolaren Ableitungen ist die Alpha-Seitendiskrepanz weniger stark ausgeprlgt. Zusammenfussung: Abnormes EEG mit link&tiger Alpha-Mindenmg sowie mit links temporalen ThetaWellengruppen und mit HV-Aktivierung links occipitaler, unregehniissiger Theta-Wellenztige. Identifikation und Erkennen
von Gesichtern:
Bei anwesenden Personen beschriebt der Pat. immer und systematisch zuerst Haartracht und Farbe, dann Stime, darauf Mund und Kinn. Er gibt dann noch allgemeine Me&male (z.B. breites oder schmales Gesicht) und erst auf Aufforderung die Ohren an.
TLSEGLONING, KARL GLONING, HANS HOFF und HELMUTTSCHABITSCHER
ABB. l(b). Weiters achtet er se.hr auf nicht zur Physiognomie gehorende Merkmale, wie Brillen, Halsform und Schmuckstticke, Broschen. Er versucht, Gesichter an der Stirn-Haarpartie und an der Mund-Kinn-Partie zu identifizieren: “Augen und Nase sind anders als frtiher, irgendwie verschwommen, eher undifferenziert. Alle Nasen sind gleich. Die Augen sind uneindringlich, in die Breite gezogen und scheinen sich dauernd hin und her zu bewegen”.
Sol1 einen der Autoren beschreiben. Dieser hat eine grosse und markant scharfe Nase, tragt Brillen und hat ziemlich grosse Ohren: “Er ist ziemhch gross, ca. 1,79 (stimmt genau), hat einen charakteristischen Gang. Die Haare sind briinett, fast schwarz, er hat eine hohe Stirn (+). Der Mund ist nicht auffallig, das Kinn eher stark, das ganze Gesicht oval (+).” (Noch etwas?) “Er trlgt Brillen (+)“. (die Nase und die Ohren?): “Die Ohren sind mittel, die Nase such, nichts besonderes (!) (Und sonst?) Die Aerzte, Schwestem und Mitpatienten unterscheidet Pat. an der Stimme, am Gang und an der Kleidung. Am Gesicht allein kann er kaum alt und jung oder Mann und Frau unterscheiden. Fur letzteres sieht er zuerst auf die Haare und dann auf den Mund. Einen 15-jlhrigen Knaben, mit dem er das Zimmer teilt, hielt er anfangs fur einen alten Mann urn 70 Jahre. Mimikerkennen: Es wird nur ein sehr deutliches Lachen mit zumindest etwas entbllissten ZPhnen am lebenden Gesicht richtig bezeichnet. Eine Zahnefletschen ohne Lachen bezeichnet Pat. such als Lachen. Er sagt: “ich sehe nur auf den Mund . . . den Augenausdruck kann ich iiberhaupt nicht erkennen . . . ich brauche solange, bis ich von der Mimik etwas erfasse, und dann ist das Gesicht schon wieder verlndert . . _“. Auf Fotografien kennt der Pat. Lachen und Weinen, jedoch keine feineren Abstufungen der Mimik. Vorlage einer Strichzeichnung eines lachenden und eines traurigen Gesichtes in Art der Kleinkinderzeichnung (Abb. 5). (Welches Gesicht lacht)? Pat. zeigt sofort auf das traurige Gesicht, korrigiert aber fast in der gleichen Sekunde: “der nach unten gezogene Mund ist traurig”. Vorlage der Zeichnungen von 3 Gesichtspaaren aus dem Revised Stanford-Binet Test (Terman und Merrill):
ZUR
119
PROSOPAGNOSlE
P.J. L.
wien,
am
6-3.65
.._ ABB. 2.
Kart IV-6, 1A: (Welches Gesicht ist schiin?) “die rechte Person, die lacht” “Nein, das Lachen ist nicht schiin, such die Haare nicht” (Schauen Sie nochmal!) “Die rechte, weil die Haare schon sind” Karte IV-6 1B: “Bei der rechten Person-es ist eine Frau, wegen der Haare . . . ist das Kinn (Und ohne Haare?)
hiibscher" .
Karte IV-6 1C:
“Die rechte Person, sie lacht! Aber die Haare sind nicht schon . . .”
Bezeichnen van Fotos und Bildern: Voraeleti werden Bilder im Format 9 x 12 cm, Schwarz-Weiss und farbig. (&&how) “Kenne ich nicht” “In meiner Erinnerung ist sein Gesicht grosser und mehr rund . . . Dabei (es ist Chrustschow) haben wir ihn ja durch viele Jahre an allen Plakatwanden gesehen!” “Ein General . . . wegen der Uniform” (Napoleon I) “Nein, er sieht urn die Augen so anders aus . . .” (Napoleon !) “Ich denke, es ist ein Kind von 5-6 Jahren” (Saugling von 3 Monaten) “Das ist die Bardot, am Mund zu erkennen” (Brigitte Bardot) Pat. ist nicht imstande, auf einer Seite einer Zeitschrift mit den Abbildungen von 12 Professoren (anlkslich eines Kongresses) das Gesicht des Klinikvorstandes, den er tiglich mehrere Male sieht, herauszufinden. Yorsrelfung und Beschreibung bekannter Pfiysiognomien ist ungestort. Vorlage von Bildern: (Leonardo da Vinci, Mona prompt richtig Lisa) “Eine Madonna, italienisch, 15. Jahrhundert. (Madonna von F. Lippi) nicht ein.
Der Name des Malers fallt mir
ILSE GLONINCS,
GLONIN~ 105
90
HANS
HOFP turd 75
HELMUT TSCHABITSCHER so Nom.n: u ~.tum:
23.3.6S..__--__
Diagnosis: _.______ Dimlet.,p”p,ll..---.
&lB. 3(a).
(Kopf &r Venus von Botticelli) Abgebildete Gegenstande,
“Das ist Botticelli” Tiere werden immer prompt und richtig identifiziert).
Autos: (Sein frtiheres Hobby. Pat. meint, die Autos h&ten ftir ihn frtiher “Gesichter” gehabt.) Nur der Volkswagen wird richtig bennant. Die iibrigen Typen, such der gleiche Wagen, den er friiher steuerte (Opel) wird nicht identifiziert. Tachistoskopie (Projektor, Bildabstand 6m). In l/50 sec. werden prompt richtig bezeichnet: Dreieck, Quadrat, “T”, ein “w”, eine verkehrte “5”, 69 und 37. Strichzeichnungen mtissen z.T. Ianger projeziert werden, z.B. : Fisch: l/25 sec. “ein Oval” richtig bei 1 sec. l/5 sec. f Schmetterling: l/25 sec. “eine Fliege” Schere : l/25 sec. l/5 sec. + Apfel l/25 sec. “eine Uhr” l/2 sec. +
Kreis, Kreuz, Wtirfel, 7 Punkte, ein
Ebenso sind 18ngere Darbietungszeiten fur manch Buchstaben und fur Worte und besonders fur Filterfarben niitig : “R” l/5 sec. “ein K?” l/2 sec. + “Wien” l/2 sec. “Mi . . .” 2 sec.+ Rot l/25 sec. “gelb” l/2 sec. gelb mit Rotstich 2 sec. + Gelb l/25 sec. “Weiss” l/2 sec. gelb, etwas rot Blau l/25 sec. Griin such bei Dauerexposition “blau oder etwas dunkles” Komplexe Bilder : Landschaft “Ahe Donau”: l/25 “Wasser, ein Schiff, am Ufer Blume” (+) “Taufe Christi”: l/25 “ein Mann” l/5 sec. “In der Mitte ein Mann, rechts und links sind Tiere?’ 2 sec. “In der Mitte Christus, das ist die Taufe”
illIn
ZUR
PROSOPAoNosIE
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fiBB.
Spielfirm kann der Pat. die einzelnen Personen nicht unterscheiden und lilsst sich laufend e&l&en, wer gerade auftritt. Sonst kann er der Handlung folgen. Lesen: Am Anfang des Klinikaufenthaltes bestand eine deutliche, fast rein verbale Lesestiirung. Nur vereinzelt wurden Reversionen bei Buchstaben gemacht (m,n). Die Sti%ung klang vollig ab. Farben: Farbttichtigkeit ungestiirt (siehe Augenbefund). Sortieren der Holmgrenschen Wollproben gelingt fehlerlos. Fehler in der Bezeichnung von Farben, besonders fUr Grtlnwerte. Visualisierung von Farben ohne st&ung. Konstruktive Pruxie: Nachbauen mit Kllitzchen von einfachen Vorbildem gelingt. Beim Zusammensetzen von zerschnittenen Figuren (aus dem Hawie) schwere Storung: Das Gesicht und die Hand kbnnen nicht richtig zusammengesetzt werden, der Pat. arbeitet hiex nur nach der Form der Teile, sieht die “Gestalt” nicht. Das MHnnchen setzt er richtig zusammen, doch legt er zuerst den Kopf verkehrt, korrigiert aber spontan. Spruche, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Orientierung im Raum und Wahmemung ribnnlicher Gegebenheiten ungestort. Der Pat. findet sich bereits nach wenigen Tagen allein in der ihm vollig fremden Stadt Wien zurecht. I.Q. nach Huwie: verbal 138, Handlungsteill32. Bentontest: 9 Punkte, 1 Fehler (entspricht dem I.Q.) Progressive Matrices Test: 42 richtige Liisungen, entsprechend einem Percentil zwischen 15 und 90. Mehrere optisch konstellierte Fehler.
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ILSEGLONWG, KARL GLONING,HANS HOFF und HELMUTTSCHABITSCHER
Objekt: Weiss
L.
Wien, am 30.-3,.65Aen4
Dr.K.W.
.._
(7Jp-J ABB. 5.
ABB. 6. Epikrise: 49-jlhriger, hochintelligenter turd gebildeter Rechtsanwalt erlitt einen Autounfall. Im Anschluss daran passagere corticale Erblindung, aus welcher sich dann eine schwere Agnosie fur Physiognomien ohne Visualisierungsst&ung, eine Farbagnosie und eine leichte verbale Alexie entwickelten. Als Reste einer anfanglich schweren Raumagnosie und OrientierungsstLirung im Raum sind leichte konstruktiv-apraktische Ausfiille vorhanden. Die Prosopagnosie ist weder durch Demenz noch durch primlre Sehstorung erklarbar.
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3. EXPERIMENTELLE
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UNTERSUCHUNGEN VON PHYSIOGNOMIEN
ZUR
IDENTIFIKATION
Zuerst liessen wir beide Patienten Paare von einfachsten Strichzeichnungen, die Diese Aufgabe lijste jede durchschnittlich verschiedene Gesichter darstellten ordnen. begabte Kontrollperson fehlerlos. Unseren beiden Patienten gelang die richtige Ordnung der Paare ebenfalls ohne Fehler, wenn sie such bedeutend mehr Zeit dafiir brauchten als Kontrollpersonen (durchschnittlich 5 Minuten gegeniiber 30 Sekunden fi.ir 12 Paare). Als Ngchstes liessen wir die Patienten die gleichen Bilder aus 2 kompletten SzondiTests ordnen (48 Bildpaare). Dies gelingt ebenfalls jeder normalen Kontrollperson mit Beide Patienten beniitigten dafiir abnorm lange Zeiten: durchschnittlicher Begabung. P.J. ordnete alle Bildpaare in 35 Minuten richtig, Dr. K. W. 46 von 48 Paaren in 40 Minuten. Letzterer arbeitete sehr methodisch, suchte zuerst Details ausserhalb des Gesichtes (Kragen, Halspartie etc.), dann orientierte er sich an der Mund-Kinn-und Die Augenpartie vernachl%sigte er viillig. Deshalb Stirn-Haarpartie des Gesichtes. gingen wir in unseren Untersuchungen einen Schritt weiter und liessen zu ganzen Bildpostkarten mit en-Face-Gesichtern (Filmschauspieler) Einzelteile, die durch Zerschneiden von gleichen Karten entstanden waren, zuordnen. Wir verwendeten Karten mit folgenden Gesichtsteilen : oberes, mittleres und unteres Gesichtsdrittel (StirnBei horizontaler Schnittfiihrung: Haarpartie, Augenpartie, Mund-Kinnpartie). Bei senkrechter Schnittfiihrung: Rechte und linke Hglfte, mittleres Drittel mit Nase, Mund und medialem Anteil der Augen, und bei schrager Schnittfiihrung (45 Grad): obere und untere Hglfte. Die genaue Beschreibung der Versuchsanordnungen findet sich bei GLONING und QUATEMBER[31]. Bei der Verwendung von insgesamt 16 ganzen Karten als Vorlagen ergaben sich damit 128 Karten mit Einzelteilen von Gesichtern, die identifiziert werden mussten. Auch diese Aufgabe ist von durchschnittlich intelligenten Kontrollpersonen fehlerlos zu l&en. Es zeigte sich, dass die Zeit, die unsere beiden prosopagnostischen Patienten zur Durchfiihrung der Aufgabe brauchten, hochgradig gegeniiber der von Kontrollpatienten verlgngert war, wobei die meiste Zeit fiir die Zuordnung des mittleren horizontalen Gesichtsdrittels-also der Augen-Nasenwurzelregion-gebraucht wurde (P.J. : 25 Minuten, Dr. K. W. 40 Minuten gegeniiber 3 Minuten Durchschnittszeit in der Kontrollgruppe) (Abb. 6). Die Patienten machten such bei der Zuordnung der Augenregion bedeutend mehr Fehler als bei allen iibrigen Gesichtsausschnitten : P.J. 10 Fehler bei der Augenregion, 5 Fehler bei allen anderen Zuordnungsversuchen. Dr. K. W. 9 Fehler fiir die Augenregion, fiir die iibrigen nur 2 Fehler. Dieses Ergebnis ist statistisch hoch signifikant : PC 0,001. Diese Untersuchungen sind beweisend, dass die prosopagnostische Stiirung unserer beiden Patienten auf einem verlangsamten und mangelhalften Erfassen und Identifizieren einer bestimmten Gesichtspartie beruht. Es handelt sich urn das horizontale mittlere Gesichtsdrittel, das die Augenregion mit der Nasenwurzel enthglt. Diese Stijrung war bei beiden FBllen elektiv und war nicht durch sinnesphysiologische Ausfalle oder IntelligenzmHngel zu erkllren. 4. DISKUSSION In den beiden vorhin besprochenen Fgllen sind beidseitige occipitale Herde anzunehmen, bei P.J. auf Grund eines Gef%ssprozesses im Bereich der A. cerebri post., bei Dr. K. W. auf traumatischer Grundlage.
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IISEGLONINO, KARLGLONINO, HANSHOFFund HELMUT TSCHABITSCHER
Das Wesentliche unserer Untersuchung sehen wir darin, dass wir bei unseren beiden Fallen nachweisen konnten, dass die Hauptstiirung auf einer elektiven Erkennungsstorung der Augenregion beruht. Diese Tatsache gilt fur unsere beiden Falle, ohne dass wir Rtickschliisse auf andere Falle der Literatur ziehen wollen. In dem einen Fall BODAMER’S [l] schienen gerade umgekehrte Verhaltnisse zu bestehen. Der Pat. erkannte seine Frau in Schwesterntracht unter anderen Krankenschwestern an der Augenpartie. Weiters konnten wir in unseren Fallen eine pathologisch verlgngerte Zeitdauer fiir das Erkennen und Zuordnen von Physiognomien feststellen, wodurch bei fltichtigem Anblick einer bekannten Person das Erkennen unmiiglich wird. Bei der Besprechung
der Prosopagnosie
wollen wir drei Fragen berticksichtigen:
(1) Wie erfolgt physiologischerweise das Erkennen von Physiognomien; (2) Welche Komponenten Physiognomien kommt ; und (3) Welche Herdverhlltnisse verantwortlich.
sind niitig, damit es zu einer Erkennungsstiirung sind fur das Zustandekommen
von
von Prosopagnosie
Was das physiologischerweise Erkennen von Physiognomien betrifft, so herrschen diesbeztiglich differente Auffassungen. Nach P~TZL ist das Physiognomieerkennen eine archaische Form einer optischen Partialeinstellung. BODAMER meint, dass die Physiognomie ein in sich strukturiertes, zu einem individuellen Gesamt sich zusammenftigendes Gebilde sei, das jeden Menschen unverwechselbar zu diesem Individuum stempelt. Manche Autoren glauben, dass auf Grund der Gestaltstheorie es zur Gesamtauffassung der Gesichtsgestalt kime. GALLI [13] schliesst aus seinen Experimenten, dass die rlumliche Erscheinungsweise des Gesichtes der wichtigste Grund des Zusammenhangs der mimischen Me&male sei. ZEH [32] unterscheidet zwischen Physiognomie als individuelle Gesichtsform und den mimischen Ausdrucksbewegungen. Dass letztere uns Aussagen tiber das seelische Erleben unserer Mitmenschen machen, wird als selbstverstandlich erachtet. Ueber derartige Ausdrucksdeutungen bestehen folgende psychologische Theorien : (1) Assoziationstheorie: Nach ihr werden bei der Wahrnehmung fremden Ausdrucks Vorstellungen eines eigenen Erlebnisses wachgerufen, das mit diesem Ausdrucksgeschehen verkntipft war. (2) Die Analogieschlusstheorie nimmt an, dass man aus dem Wissen urn den Zusammenhang zwischen dem eigenen seelischen Geschehen und seinen Aeusserungen auf einen gleichen Zusammenhang schliesst, wenn man diese Aeusserungen bei einem andern wahrnimmt. (3) Die Rudimenttheorie : Die Wahrnehmung fremden Ausdrucks ruft beim Beobachter eine entsprechende Mitbewegung in “rudimentHrer” Weise hervor. Hierdurch kommt wieder das diesem Ausdruck zugehiirige Erlebnis zum Anklingen im eigenen Erleben. (4) Die Einftihlungstheorie besagt, dass man sich in den Ausdruck des anderen hineinversetzt und so das zugrundeliegende psychische Geschehen nacherleben kann. Der fremde Ausdruck gibt eine Resonanz in der eigenen Psyche. (5) Die Evidenztheorie: Nach ihr wird mit dem Ausdruck gleichzeitig der psychische Inhalt erfasst. Das Verstehen des Ausdrucks erfolgt unmittelbar; Erlebnis und Ausdruck bilden eine Einheit.
ZURPROSOPAONOSIE
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Die Kenntnis, wie sich das Physiognomieerkennen entwickelt, verdanken wir den z.B. LORENZ [33, 341 mit seinen vergleichenden Verhaltensforschungen bei Tier und Mensch, und AHRENS [35], der die Verhaltensweisen von Sguglingen und Kleinkindern untersuchte. Das Lgcheln des SBuglings tritt bereits in der ersten Lebenswoche auf und stellt, wie Lorenz nachweisen konnte, einen angeborenen Auslijsemechanismus dar. Derartige Auslijsemechanismen konnte er bei diversen Vogelarten feststellen. So ist der rote Fleck am Schnabel der SilbermSve-an Attrappen nachgewiessen-der Mechanismus, der das Futterbetteln frisch ausgeschliipfter Junger auslijst. Er konnte feststellen, dass bei allen Tieren, bei denen eine Prggung* maglich ist, die Fghigkeit besteht, Artgenossen und den Menschen persijnlich zu erkennen. AHRENS [35] meint hiezu, dass maglicherweise eine derartige Prtigung in der sensiblen Phase des Sguglings durch Begegnung mit dem mimischen Ausdruck erfolgt. Das Physiognomieerkennen stellt eine der friihesten Leistungen in der Ontogenese dar. AHRENS [35] konnte nachweisen, dass bereits in den ersten Lebenswochen des SBuglings augengrosse Punkte, die auf einen Kopfumriss gemalt sind, Lgcheln ausliisen. Die Anordnung der Punkte, ob waagrecht oder senkrecht, spielt zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle. Im 2. Lebensmonat wirken waagrechte Punkte bereits besser als senkiechte; jetzt wendet sich der Sgugling der Augenregion der Mutter zu. Mit 3 Monaten ist bereits die natiirliche Augenpartie wirksamer als die schematische, such die iibrige Gesichtspartie, mit Ausnahme des Mundes, wird beachtet. Mit 4 Monaten erfolgt bereits die Beachtung der Mundpartie, ohne dass die Bewegungsform eine Rolle spielt. Mit 5 Monaten l&t Breitziehen des Mundes, sowie Lachen, Lgcheln aus. Erst mit 8 Monaten lbst nur der lachende Mund LBcheln aus. Senkrechte Stirnfalten und such waagrechte l&en zwischen dem 5. und 7. Monat Abwehrreaktionen aus. SPITZ und WOLF [38] konnten nachweisen, dass zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat sardonisch verzerrte Fratzen genau so wie das menschliche Antlitz Lgcheln auslijsen. Mit 6 Monaten ist das Erwachsenengesicht ausdifferenziert, ohne dass noch Mimikerkennen erfolgt. Mit 8 Monaten tritt das Kind in die Phase der Gegenstandseroberung. Mit Plsttchen verdeckte Augen l&en zwischen 8 und 9 Monaten Weinen und Abwenden des Kopfes aus. Erst mit 8 Monaten wird die Mutter persiinlich erkannt. Von diesem Zeitpunkt an, besonders aber zwischen dem 10. und 14. Lebensmonat, besteht Bngstliche Abneigung gegeniiber fremden Personen. Schreiende oder lachende Maskengesichter kiinnen bis zum 2. Lebensjahr nicht unterschieden werden. Mimik auf Strichzeichnung: Lachen und Schreien wird erst mit 3 Jahren erfasst. Nach Gates werden Ausdrucksbewegungen der Furcht, der Verachtung und des Erstaunens auf Abbildungen erst mit ca 11 Jahren erfasst. Leonhard unterscheidet alte, neue und zusammengesetzte Mienen. Lachen und Drohen gehiiren zuden alten Sozialmienen. Das Lacheln stellt somit eine angeborene Instinkthandlung dar. Dieses wird durch die menschliche Augenpartie und nicht durch den Anblick der Brust der Mutter oder der Milchflasche in Gang gesetzt. Ein Reflektieren der Mimik, wie diese CHARLOTTE B~~HLER[36] annahm, wird von Ahrens jedenfalls bis zum 7. Monat fiir unwahrscheinlich gehalten. Die ersten derartigen Attrappenversuche” an Sguglingen wurden von KAILA [37] und etwas spgter von SPITZ und WOLF [38] durchgeEthologen,
* Unter Prlgung versteht man das Aneignen eines erworbenen Kumpan-Eltemschemas, wenn die natiirlichen Eltem fehlen. Diese Prigung kann nur in einem bestimmten Zeitraum, wlhrend diese Reaktionsbereitschaft besteht, erfolgen. Bei der Graugans ist dieser Zeitraum zwischen der 13. und 16. Lebensstunde. SO sah eine Graugans LORENZ 1331als erstes Lebewesen, behandelte ihn hierauf als Fiihrungskumpan und zag ihm wie der Mutter nach. Eine Dohle, die auf den Menschen gepr&t war, lernte mit Krlhen fliegen; als sie aber geschlechtsreif wurde, balzte sie die Hausgehilfin an. Beim Menschen ist diese Prigungsperiode von lingerer Dauer, sodass eine Abgrenzung zwischen Lernen und Prtigung nicht miiglich ist.
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ILSECLONING, KARL GLONING, HANSHOFFund HELMUTTSCHABITSCHER
fiihrt. Im 3. Lebensmonat l&en bewegte Attrappen, bei denen Augen-Wangenpartie und Nase ausgebildet sind, ein Lgcheln aus, wahrend die Mundpartie vernachl;issigt werden kann. Wenn man die Augen, die sich in einer Maske befinden, durch Kugeln ersetzt, SO fixiert der 2 Monate alte SBugling jede Kugel einzeln, wahrend der Blick auf das bewegte menschliche Gesicht ruhig bleibt. Aus diesen Ergebnissen der Verhaltensforschung geht hervor, dass das Physiognomieerkennen wesentlich friiher erfolgt als das Mimikerkennen. Anscheinend spielt die Augenregion, die ontogenetisch die friiheste Zuwendung erfghrt, fiir das Erkennen von Physiognomien eine Rolle, worauf such Bodamer hinweist. P~TZL [25] meint hiezu, dass die TransfoImationsvorggnge zwischen den Mechanismen, die das Hering’sche Doppelauge reprgsentieren, und der Augenregion des KBrperbildes fiir die Einstellung auf Physiognomien von grundlegender Bedeutung sind, und dass hiebei bilaterale interparietale Leistungen eine Rolle spielen. Unsere beiden Patienten empfanden die eigene Augenregion im Spiegelbild fremd und vergndert. Ein Fall P~TZL [25] konnte hingegen Gesichter nicht unterscheiden, da alle shnlich aussahen. Diese Aehnlichkeit von Physiognomien erleben wir beim Anblick fremder Rassen. Aber such das Verwechseln gesehener Personen mit einer anderen beruht auf einer vermeintlichen Aehnlichkeit, die der Verwechselte meistens alles eher als schmeichelhaft empfindet, es sei denn, es handelt sich urn geistreiche oder schijne Gesichter bekannter PersGnlichkeiten. Jede Zeitepoche pAgt ihre Schijnheitsideale, die einzelne Personen wieder derart beeinflussen, dass diese auf das Einmalige ihres Gesichtes verzichten, urn ihr Gesicht nach dem Zeitgeschmack zu einem Kollektivtyp herzurichten. LORENZ [34] konnte im Rahmen seiner Verhaltensforschung festellen, dass bestimmte Gesichtsformen von Mensch und Tier den Schliisselreiz zur Auslijsung des Pflegeinstinktes des Menschen darstellen. Es handelt sich urn kurze Gesichter mit hoher Stirne, rundlich vorstehenden Backen, relativ grossen Augen, wie dies bei Kleinkindern und Jungtieren vorkommt. Dieses von LORENZ [34] benannte “Kindchenschema” erweckt beim Menschen das Gefi.ihl des Herzigen oder Niedlichen und findet in Reklame und Filmindustrie reichlich Anwendung. So stellt das pin-up girl eine Summation von derartigen Schliisselreizen dar. Wenden wir uns der zweiten Frage zu, welche Komponenten fiir die Stbrung des Physiognomieerkennens verantwortlich zu machen sind, mi.issen wir die auf Grund der F?ille von Prosopagnosien mijglichen StGrformen betrachten: (1) der Patient erkennt keine Physiognomien bei erhaltenem Mimikerkennen; (2) der Patient kann weder Physiognomien noch Mimik erkennen; (3) der Patient kann sich Gesichter bekannter Personen nicht mehr vorstellen und kann auf Grund dieser StSrung des PhysiognomiegeIn allen Fgllen von Prosopagnosie kiinnen die dgchtnisses Gesichter nicht erkennen. Abbildungen bekannter Personen nicht erkannt werden, meistens erscheint das eigene Spiegelbild versndert. Eine Visualisierungsstijrung fiir Gesichter wird in FBllen von Prosopagnosie eher selten angetroffen, worauf such BORNSTEIN[7] hinweist. Die klassischen F%lle BODAMER’S [l] konnten sich Gesichter bekannter Personen vorstellen. Hingegen war im Fall HOFF und P~TZL [2] vorwiegend die Visualisierung fi.ir Physiognomien gestiirt, weswegen die Autoren such von einer Stijrung des Physiognomiegedgchtnisses sprachen. Dabei Auch in einigen FBllen Htcaen’s ist die Vorstellung fiir Physiognomien mitbetroffen. ist zu betonen, dass dieses Vergessen sich ausschliesslich auf Physiognomien bezieht und So scheint fiir die Prosopagnosie nicht im Rahmen eines amnestischen Syndroms auftritt. dieselbe Gesetzmgssigkeit in bezug auf die Visualisierung wie fiir die optischen Agnosien
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zu bestehen. Es gibt optische Agnosien mit Erhaltensein der inneren Optik und umgekehrt. Bei Stijrung der inneren Optik kann nicht ausgesagt werden, dass diese opt&hen Residuen in Verlust geraten sind, sondern nur ihre Erweckbarkeit. Bei derartigen Visualisierungsstcrungen erlischt die optische Komponente im Traum. Fragen wir uns aber, warum der Prosopagnostiker keine Physiognomien erkennt, so stehen die Kranken selbst meistens vor einem R&e]. Immer wieder werden Angaben iiber Vergnderung, Fremdheit oder Aehnlichkeit von Physiognomien angegeben. Einzelne Gesichtsteile werden genau wahrgenommen, ohne dass es zum Erkennen kommt. Beachten wir die Protokolle von Prosopagnostikern, so f5llt auf, dass alle Patienten angestrengt die einzelnen Gesichtspartien studieren, ohne dass eine Gesamtauffassung gelingt. Zu derselben Auffassung bekennt sich PALLIS [23], der annimmt, dass es sich bei der Prosopagnosie urn eine StBrung der Synthese und eine Simultanagnosie fiir Gesichter handelt. In unseren Fgllen hat sich beim Zuordnen einzelner Gesichtspartien eindeutig ergeben, dass die Augenregion die griissten Schwierigkeiten machte und somit das Physiognomieerkennen beeintrgchtigte. Diese Augenpartie wird als versndert oder fremd empfunden, sie erscheint beim menschlichen Antlitz in dauernder Bewegung. Aber such die Nase wurde in die Augenpartie einbezogen und bei allen Menschen als gleich aussehend empfunden. Das Faszinierende unserer Ergebnisse sehen wir in der Tatsache, dass eine Leistung, die ontogenetisch am friihesten verankert ist, am stbksten betroffen erscheint, wghrend das Erkennen der Mundpartie, das vie1 spkter erfolgt, weit weniger gestiirt ist. Wie bereits eingangs betont, gilt diese Tatsache fiir unsere beiden Fglle, ohne dass wir auf analoge F5lle Riickschliisse ziehen kiinnen. Dass das Physiognomieerkennen physiologischerweise beim einzelnen Individuum starken Unterschieden unterworfen ist, ist allgemein bekannt. Die Schwankungen bestehen zwischen Menschen, die ein hervorragendes Physiognomieerkennen und solchen, die immer wieder Schwierigkeiten beim Erkennen selten gesehener Personen aufweisen. Auch der Name einer gesehenen Person scheint an das Physiognomieerkennen gekoppelt zu sein. Unser Fall Dr. K. erkannte alle Klienten telefonisch an der Stimme, hingegen Ibschte der Anblick einer bekannten Person, wenn diese sprach, such den Namen aus. BORNSTEIN [7] berichtet die hochinteressante Tatsache, dass ihm 40 Personnen bekannt seien, die ohne cerebrale L&ion seit jeher die grassten Schwierigkeiten beim Erkennen von Personen hatten. Diese Personen wiesen gleichzeitig Schwierigkeiten in der r%umlichen Orientierung und Rechts-Linksorientierung auf. Diese rlumliche Orientierungssttirung konnten wir such bei unseren FHllen anfangs beobachten, jedoch blieb die Prosopagnosie such nach ihrer Riickbildung weiter bestehen, sodass wir in unseren Fgllen die optisch-rgumliche Stiirung nicht verantwortlich machen kiinnen. Letztere kann natiirlich in entsprechenden FBllen, wie GALLI [13]meint, eine wesentliche Komponente der Prosopagnosie darstellen. Dass es dem Prosopagnostiker unmSglich ist, bekannte Personen auf Abbildungen zu erkennen, halten wir fiir allgemein giiltig. Wir kennen such Fglle von Objektagnosie, bei denen der reale Gegenstand, nicht aber seine Abbildung erkannt werden konnte. Ob in allen Fgllen das eigene Spiegelbild fremd oder vergndert wirkt, kijnnen wir nicht aussagen. Es ist jedoch anzunehmen, dass eine Wechselwirkung zwischen dem eigenen Schaubild und dem gesehener Personen besteht, indem das Erfassen des eigenen Schaubildes das des fremden bewirkt und umgekehrt. Der Fall von HOFF und P~TZL [2] erkannte sein eigenes Spiegelbild neben anderen Personen erst dann, als er Sprechbewegungen machte. Das Mimikerkennen scheint in den meisten F5llen weit weniger als das Physiog-
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ILSEGLONING,KARLGLONING, HANS HOFFund HELMUTTSCHABITSCHER
nomieerkennen betroffen zu sein. Jedenfalls werden me&ens die alten Sozialmienen des Lachens, Weinens, der Drohung und des Zornes erfasst. Hingegen hatten unsere FBlle Schwierigkeiten, die hijheren Sozialmienen, wie Trauer, Verachtung, Erstaunen etc., aufzufassen. Diese Feinheiten der Mimik werden nach GATES [39] erst urn das I I. Lebensjahr wahrgenommen. Inwieweit iiberhaupt such der Gesunde in der Lage ist, diese mimischen Feinheiten zu erkennen, diirfte je nach dem seelisch-geistigen Niveau starken Schwankungen unterworfen sein, wobei es sicher such zwischen den einzelnen VGlkern und Rassen Unterschiede gibt. Es scheint, dass in allen FHllen von Prosopagnosie das ontogenetisch friihere Physiognomieerkennen stkker als das spHter erworbene Mimikerkennen betroffen ist. Jedoch ist eine strikte Trennung von Physiognomie und Mimik beim menschlichen Antlitz kaum maglich, da dieses aich dauernd in mimischer Bewegung befindet und vergndert. So ist sicher nicht nur die individuelle Form der Augenpartie, sondern such der Augenausdruck, der wieder mimisch bedingt ist, fiir das Erkenen einer Person massgebend, der uns fiber seelisches Geschehen und die Intelligenz des Mitmenschen Aussage macht. Dasselbe gilt fiir die Mundpartie: der volle sinnliche Mund, der verkniffene Mund, die schmale sensible Oberlippe, schliesslich die Mundform, die bei Menschen niedriger Gesinnung und BeschrBnktheit des Verstandes im Laufe des Lebens dem Tiermaul ghnlich wird. So schreibt such SCHOPENHAUER [40] in seinem Kapitel iiber die Physiognomien folgendes : “Jener langsame Bildungsprozess des bleibenden Gesichtsausdruckes durch unzshlige, voriibergehende charakteristische Anspannung der Ziige ist such der Grund, warum die geistreichen Gesichter es erst allmtihlich werden und sogar erst im Alter ihren hohen Ausdruck erlangen. Hingegen gibt es Einzelne, auf deren Gesicht eine so naive Gemeinheit und Niedrigkeit der Sinnesart, dazu so tierische Beschranktheit des Verstandes ausgeprggt ist, dass man sich wundert, wie sie mit einem solchen Gesicht noch ausgehen mi5gen und nicht lieber eine Maske tragen. Denn das Gesicht eines Menschen sagt gerade das aus, was er ist, und tliuscht es uns, so ist dies nicht seine, sondern unsere Schuld. Vie1 besser jedoch als aus Gesten und Bewegungen sind die geistigen Eigenschaften aus dem Gesicht zu erkennen, aus der Gestalt und GrGsse der Stirn, der Anspannung und Beweglichkeit der Gesichtsziige und vor allem aus dem Auge-vom kleinen, triiben, mattblickenden Schweinsauge an, durch alle Zwischenstufen, bis zum strahlenden und blitzenden Auge des Genies hinauf”. Was die dritte Frage, ngmlich die Herdverhgltnisse bei FBllen von Prosopagnosie betrifft, so muss festgestellt werden, dass nur wenig Obduktionsbefunde existieren. Namhafte Autoren, wie P~TZL [25], FAUST [l 1, 121, BODAMER [I] and BORNSTEIN [7] betonen immer wieder die Tatsache, dass fi.ir das Zustandekommen von Prosopagnosie beiderseitige Fgllen darf von parieto-occipitale Herde erforderlich seien. Bei den nicht obduzierten der klinischen Symptomatik allein nicht auf einen einseitigen Herd geschlossen werden, wie dies der obduzierte Fall von Bornstein beweist: Bei dem 61-jghrigen Patienten traten nach einem zweiten Insult optisch-rlumliche Agnosie, Simultanagnosie, Achromatopsie und Prosopagnosie auf, die bis zum Tod bestehen blieb. Es bestand eine linksseitige Hemianopsie, die sich auf eig parazentrales Skotom im linken oberen Quadranten zuriickbildete. 3 Die Obduktion ergab rechts einen basalen Jahre splter erfolgte der Exitus infolge Herzinfarkts. Calcarinherd. In der linken Hemisphlre befand sich ein jiingerer Herd, der mit 3 cm Ausmass vom Gyr. angularis nach temporal und parieto-occipital reichte. Betrachten wir die Tabelle 1 mit den Obduktionsbefunden, so f%llt auf, dass es sich his auf den Fall von H&en et ~011. [17] urn beiderseitige Herde handelt. Im Fall HBCAEN [17] handelt es sich urn ein rechtshirniges parieto-occipitales Gliom, das durch den Balken in die weisse Substanz der linken Hemisphgre reicht. HJ~CAEN and ANGELERQUES [18, 191 konnten bei 22 FHllen von Prosopagnosie 16 rechtshirnige, 4 beidseitige und 2 linkshirnige
Alter
63a
45a
61a
52a
64a
Fall
WILBRAND(1892)
HEIDENHAIN (1927)
NIELSEN (Fall Nr. 17)
H~CAENet CON. (1957)
BORNSTEIN et al. (1962)
Hemi-
Inkomplette obere Quadrantenanopsie links.
Inkomplette homonyme anopsie links
Homonyme Hemianopsie rechts Homonyme untere Quadrantenanopsie links
Homonyme obere Quadrantenanopsie rechts
Raumagnosie
Leichte Bildagnosie R&nnliche Agnosie Agnosie e. Raumhiilfte Konstr. Apraxie, Akalkulie
Objektagnosie Farbagnosie Alexie
Objektagnosie Farbagnosie Alexie
Rlumliche Agnosie Objektagnosie
Encephalomalacie
Gliom
Encephalomalacie, Verschluss d. Art. cerebri post.
Encephalomalacie
Encephalomalacie
Art d. Prozesses
Fllle von Prosopagnosie
Begleitsymptome
iiber die obduzierten
Homonyme Hemianopsie links, Partielle, homonyme untere Quadrantenanopsie rechts
Gesichtsfelder
Tabelle. 1. iibersicht
bds.
Rechts: Linguale Calcarinalippe Links: Gyrus angularis.
Infiltriert rechts parieto-temporooccipital, reicht tiber das Splenium nach links ins Mark
Bds. occipitale Herde
Bds. Occipito-basale Herde. Links kleiner Herd im Mark von F2.
Rechts: Cuneus u. Gyrus lingualis. Links: Mark von 02. (Frische Erweichung im ganzen tibrigen Marklager)
Obduktion (Herde)
M
!
8
1
3
130
ELSEGLONING,KARL GLONING,HANSHOFFund HELMUT TSCHABITSCHER
Llsionen feststellen. Auch Faust konnte bei seinen Fgllen ein Ueberwiegen der Rechtshirnigkeit beobachen, jedoch waren seine 7 FBlle posttraumatisch vorbbergehend rindenblind, was, wenn man von Diaschisiswirkung absieht, fiir ein anfgngliches, beidhirniges Betroffensein spricht. In den beiden Bodamerfallen handelt es sich um Posttraumatiker, in dem einen Fall urn eine beidseitige, in dem zweiten Fall urn eine rechtshirnige L&ion bei einem Linkshgnder. Was nun die Begleitsymptomatik betrifft, so konnten HBCAEN und ANGELERGUES [ 18, 191 bei ihren 22 Fgllen, die sie mit 382 Fgllen von retrorolandischen L5sionen verglichen, feststellen, dass die Begleitsymptome ghnlich den bei FHllen von optisch-r5umlicher Agnosie beobachteten waren; nur iiberwogen bei den Fgllen von Prosopagnosie die vestibulgren Stiirungen. Die wichtigsten Begleitsymptome waren: Gesichtsfelddefekte, Stiirungen des topographischen Gedschtnisses, somatognostische und vestibulgre Stiirungen. Uns f%llt auf, dass bei schweren Formen von Objektagnosie, wie in den FHllen von WILBRAND [26] und HAIDENHAIN [27], such Prosopagnosie besteht, dass es aber umgekehrt FBlle von Prosopagnosie ohne Objektagnosie gibt. Wir glauben jedoch, dass eine onto- und phylogenetisch so verankerte und so friihzeitig erworbene Leistung wie das Erkennen von Physiognomien nur durch ausgedehnte occipitale bzw. parietooccipitale Lgsionen verursacht werden kann, sei es durch eine beidseitige oder durch eine einseitige L%sion mit Balkendurchbruch. Wir halten im letzteren Fall die Balkenbeteiligung fiir eine Voraussetzung, da durch die L&ion die Resonanz von lmpulsen in den kontralateralen symmetrischen Regionen gestijrt wird, wodurch die Verbindung beider Sehsphgren zu einem Zyklopenauge unterbrochen wird. Was aber die iiberwiegende klinische Rechtshirnigkeit der FHlle betrifft, so vermuten wir, dass bei der Fghigkeit, Physiognomien zu erkennen, es sich urn eine Funktion unseres opt&hen Kbrperschemas handelt, wodurch das eigene Spiegelbild und das Gesicht bekannter Personen erkannt wird, bzw. dessen Abbildung. P~TZL [29] misst fiir diesen optischen Erkennungsvorgang der beiderseitigen interparietalen Leistung eine Rolle bei. Bei der Prosopagnosie handelt es sich urn eine gnostische Stiirung, wghrend optische KGrperschemastC%ungen, bei denen ein eigener K6rperteil und als Aussenprojektion derseiben an gesehenen Personen verzerrt oder vergndert gesehen wird, nie zu einer Agnosie fiihren. Darauf wies bereits BODAMER [1] hin. Sein dritter Fall sah Gesichter verzerrt, ohne dass das Physiognomieerkennen beeinflusst wurde. Auch FAUST [12] beschrieb einen Fall, der anfallsartig
alle Gesichter
wie Mongolengesichter
verzerrt
sah.
Derartige
Metamor-
phopsien kijnnen sich elektiv auf gesehene Physiognomien erstrecken. So sah der Kranke K. H. STAUDER’S [41] wghrend temporaler Anfglle das Gesicht des Arztes verzogen mit ungewijhnlich grosser Nase, wobei das Gesicht in die Ferne riickte. Eine unserer Patientinnen sah anfallsartig ein Auge verzerrt und hgsslich, sowohl im eigenen Spiegelbild als such bei gesehenen Personen. Derartige Metamorphopsien, die nur das Gesicht betreffen, wurden ferner von LENZ [42], PICHLER [43] and SZATMARY [44] beschrieben. Meistens erleben diese Kranken anfallsartig die Gesichter als verdreht, verzerrt, oft Nasen und Augen schief, den Schadel nach einer Seite hin abgeplattet oder aber das Gesicht zu einer Fratze verzerrt, die Augen vorgequollen. Dass derartige Metamorphopsien zu fliichtigen Verkennungen fiihren kiinnen, halten wir fiir durchaus mbglich, genauso wie die primgr Sehgeschgdigten infolge des schlechten Visus Dinge verkennen kijnnen. Aber das sind keine agnostischen, sondern, wie FAUST [ 121 betonte, pseudoagnostische StGrungen. Derartige optische VeAnderungen des Gesichtes oder von Kcrperteilen bezeichnen wir
ZIJR PROSOPAGNOSIE
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mit
optischer KiirperschemastGrung, worunter wir eine optische Stiirung des Karperschemas an sich selbst, an anderen Personen oder im Spiegelbild verstehen. Es handelt sich hiebei urn eine Aussenprojektion einer KGrperschemastiirung in den Sehraum, das heisst, eine Starung, die die Relation unseres Kbrperschemas zum Aussenraum betrifft. Pijrz~ [25] nimmt an, dass zwischen Kijrperfiihlsphgre und Sehrinde eine dauernde Wechselwirkung besteht, die die Fusion von Schaubild und Fiihlbild unseres Kiirpers bewirkt. Durch Einfliisse von occipital her kommt es zur Harmonisierung der Proportionen unseres Kiirperbildes, wHhrend von der Kbrperfiihlssph%re Wirkungskomponenten iiber das Splenium corporis callosi zu identischen Punkten der kontralateralen Calcarina verlaufen und hier Einfliisse induzieren, die das Bild wahrgenommener Personen mitgestalten. Nach Pijtzl erstreckt sich eine thalamokommissurale Leistung von der lateralen Kerngruppe des Thalamus auf die KBrperfiihlssphgre bei gleichzeitiger Riickkoppelung thalamo-kommissuraler Energie zwischen Pulvinar und parasensorischen Zonen der Occipitalrinde. Durch Verankerung an Kiirperfiiihlssphare und Sehrinde erfolgt die Aktivierung von Fiihlbild und Schaubild unseres Kijrpers. Infolge der Gesamtwirkung der thalamogenen und kommissuralen Einfliisse auf beide Interparietalregionen wird die Stabilitst der Kiirpermediane gewahrt, wghrend in analoger Weise durch die bilaterale symmetrische Wirkung der Calcarina die Horizontalebene des Raumes in Augenhijhe ensteht. Die Vertikalebene des Raumes wird durch eine Aussenprojektion der Kiirpermediane in den Sehraum gebildet. Aus diesen Voraussetzungen geht hervor, dass es fir das Zustandekommen von optischen KGrperschemastijrungen einer Ausschaltung sehr grosser Teile an Hirnleistung bedarf und daher-wenn man von epileptischen Anfallsgeschehen absieht-selten anzutreffen sind. In den oben obduzierten Fgllen von HOFF und P&ZL [45] und v. STOCKERT [46] fehlten dem Patienten optisch Karperteile, im Falle Stockert die ganze KBrperh%fte. In unserem obduzierten Fall wurde der Karper in der KBrpermediane geteilt gesehen, wobei eine Kiirperhglfte sich nach riickwarts verschob. In allen drei F&llen bestanden ausgedehnte Lgsionen, die folgende Formationen betrafen: (1) eine L&ion zwischen Kbrperfiihlsph%re und Sehrinde, bzw. zwischen Pulvinar und Sehrinde; (2) eine L&ion zwischen Thalamus und KBrperfiihlsph;ire; und (3) Eine L&ion, die die kommissurale Leitstung zwischen beiden Hemisphgren unterbricht. Dies zeigt, wieviel Hirnleistung zerstijrt werden muss, damit es zu einer optischen Kijrperschemastijrung kommt. Urn aber zur Prosopagnosie zurtickzukehren, so glauben wir, wie bereits betont, dass ebenfalls ausgedehnte LBsionen zwischen beiden parieto-occipitalen Regionen bestehen miissen, was such die Obduktionsbefunde beweisen. Miiglicherweise sind die basalen Anteile des Occipitallappens hgufiger betroffen, wie such FAUST [12] vermutet, da bei den klinischen F%llen h%ufig eine obere Quadrantenhemianopsie angetroffeu wird. LITERATUR 1. BODAMER, J. Arch. Psychiat. NervKrankh. 179, 6-54, 1947. 2. HOFF, H und PBTZL, 0. 2. ges. Neural. Psychiat. 159, 367-395, 1937. 3. ALA.JOUANINE,T., LHERMITTE,F. et SABOUROD, 0. Revue. neuroI. 89, 158-170, 1953. 4. BEYN, E. S. and KNYAZEWA, G. R. J. Neural. Neurosurg. Psychiat. 25, 154-158, 1963. 5. BIRKMAYER, W. Hirnverletzungen. J. Springer, Wien, 1951. 6. BORNSTEIN,B. and KIDRON, D. P. J. Neurol. Neurosurg. Psychiat. 22, 124-131, 1959. 7. BORNSTEIN,B. In Problems of Dynamic Neuro1og.y. Ed. L. HALPERN. pp. 283-318. Hadassah Medical Organization, Jerusalem, 1963. 8. BUSSCHER,J. DE, HOFFMANN, E. et KLUYSKENS, J. Acta neural. psychiat. be/g.-56, 167-176, 1956. 9. CHLENOV, E. G. et BEIN, E. G. Zh. Nevropat. Psikhiat. 58, 914-925, 1958 (Russ&h).
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Abstract-Two cases showing prosopagnosia have been investigated and prosopagnosia related to these two cases is discussed. Discussing the development of recognition of faces and of mimical expression in early childhood leads to the thesis of prosopagnosia being a disturbance of synthesis within adjoining single parts of a face. In our two cases recognition of the ocular region and adjoining single parts of a picture towards its test-pattern was specifically disturbed; timing difficulties in relation to adjoining regions of a face have also been observed. Central lesions causing prosopagnosia are placed in the parieto-occipital region on both sides or unilateral lesion involving the corpus callosum. Prosopagnosia is a partial agnosia. This syndrome has to be strictly differentiated from the “optic disturbance of the body-scheme” (which never causes a disturbance in the recognition of faces). R&urn&-On expose deux cas de prosopagnosie; les probltmes relatifs a ces troubles sont discutCs ainsi que le dtvelopment de la reconnaisance des physionomies chez le nourrison et chez l’enfant, et on propose “hypothese que la prosopagnosie est un trouble d’integration des parties separks du visage g I’ensemble de la physionomie. Daus nos deux cas la reconnaisancedelar&giondesyeux&ait specialement troublCe. L’attribution de cetterdgion au visage auquel elle appartiend (sur photographie) Btait troubl&e de facon sClective, le temps ntcessaire pour l’attribution etait sensiblement plus long que lorsqu’il s’agissait d’autres parties du visage. La prosopagnosie correspond soit a des foyers bilateraux pariCto-occipitaux, soit d un foyer unilateral accompagnC d’une l&ion du corps calleux. La prosopagnosie est une agnosie partielle et doit &tre differenciie radicalement du trouble du schtma corporel qui, lui, ne trouble jamais la reconnaisance des physionomies.