Neuropsychologia, [967, Vol. 5, pp. 99 to I01. Pergamon Press Ltd. Printed in England
S T A N D A R D I S I E R U N G EINER U N T E R S U C H U N G S M E T H O D E DER S O G E N A N N T E N "PROSOPAGNOSIE" K. GLONING,G. HAUB und R. QUATEMBER Psychiatrisch-Neurologische Universit~itsklinik, Wien (Received 7 August 1966)
Zusammenfassung--Eine UntersuchungsmethodefiJr sogenannte prosopagnostische St6rungen wurde an 100 gesunden Vpn mittels einer Varianzanalyse standardisiert. Diese Methode priift die F/ihigkeit zur Differenzierung und ldentifizierung bestimmter Gesichtsregionen. Dm PROSOPAGNOSIE, als Agnosie for Physiognomien, stellt keine einheitliche hirnpathologische St6rung dar. Seit ihrer Beschreibung 1937 durch HOFF und P/STZL[1] befaBten sich verschiedene Autoren mit diesem St~Srungskomplex, wobei bei einem Teil der F/ille r~iumlich-agnostische St~3rungen (PALLIS[2], GALLl [3]), bei einem anderen sogenannte objektagnostische StiSrungen im Vordergrund standen. (HEIDENHAIN[4], JOSSMANN [5]). Weiters geht aus diesen Ver~Sffentlichungen hervor, dab eine Form der Prosopagnosie durch eine St~Srung der Visualisierungs~!~higkeit f~ir Physiognomien (Physiognomieged~ichtnis) gekennzeichnet ist (HoFF und P~SrZL [1], HECAEN et al. [6, 7]). GLON1NG, GLONING, HOFF und TSCHABITSCHER[8] beschrieben zwei F/~lle einer sehr "reinen" und deutlich ausgepr~igten StBrung der Differenzierung und Identifikation von Physiognomien; bei diesen Patienten wurde von GLON1NG und QUATEMBER [9] ein experimenteller Ansatz zu einer speziellen Untersuchungsmethode entwickelt. Bei dieser Untersuchungsmethode handelt es sich um die L~sung der Aufgabe aus einer Serie von Gesichtsausschnitten zu vorgegeben Vergleichsunterlagen Zuordnungen zu treffen. Dabei zeigte sich bei den Patienten K. und P. mit "Prosopagnosie", dab sie besondere Schwierigkeiten in der Zuordnung eines bestimmten vorgegebenen Gesichtsteiles hatten. Diese beiden Patienten hatten bei weitgehend ungestt~rter intellektueller Leistungsf~ihigkeit grosse Schwierigkeiten bei der geforderten Zuordnung yon Gesichtsausschnitten der Augenpartie (mittleres Drittel des Gesichtes bei horizontaler Schnittfiihrung rnit Augenpartie und Nasenwurzel). Die Zuordnung des oberen Drittels, (Stirn- und Haarpartie) und des unteren Drittels des Geschites (Kinn- und Mundpartie) sowie die Zuordnung vertikaler Schnitte stiess auf keine ausgepr~igten Schwierigkeiten. Diese Untersuchungsmethode wurde in der Folge von uns fiJr den klinischen Gebrauch modifiziert und vereinfacht und einer statistischen Untersuchung unterzogen, die den Zweck verfolgte, festzustellen, ob und inwieweit die Zuordnung der Augenregion einen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad gegen~iber der Zuordnung anderer Gesichtsregionen besitzt. Unt ersuchungsgrundlagen
Die Vpn hatten die Aufgabe 6 vorgelegten Gesichtern (Photographien, en face, von bekannten Schauspielern) im AusmaB von 19 × 22 cm, 3 m~innlich und 3 weiblich, jeweils folgende Ausschnitte zuzuordnen. 99
100
K. GIONIN(~,O. HAUIIund R. QUATI!MBEI~
Siehe S k i z z e
Die einzelnen Ausschnitte wurden jedesmal in einer gleichen, ursprfinglich zufallsausgewfihlten Reinhenfolge zugeordnet. Ffir jede einzelne Ausschnittsserie wurde die Dauer der Zeitspanne, die ftir die Zuordnung ben6tigt wurde, festgehalten. Fehlzuordnungen wurden registriert. Versuchsgruppe
100 Vpn im Alter wm 18-60 Jahren (Durchsclmittsalter 37 Jahre) wurden dem Versuch unterzogen. Es waren 48 M~inner und 52 Frauen, Die Versuchsgruppe bestand aus Gesunden (Arzte, Schwestern, Studenten, Soldaten, Hausarbeiter). Grobe Intelligenzdel'ekte wurden ausgeschieden. (Die intelligenzquotienten nach Wechsler in der Hamburger Fassung (HAWIE) [agen zwischen 80 und 140. Der Mittelwert betrug 108. Die Vpn waren zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht ermfidet. 0 b e r die Altersnorm abgebaute Vpn wurden ausgeschieden. ,4 us ~'ert tmg
Die einzelnen Gesichtsausschnitte wurden alphabetisdl bezeichnet (siehe Skizze). Die entscheidende Versuchsserie (Augenpartie und Nasenwurzel) bekam also die Bezeichnung E. In nachfolgender Tabelle werden die Mittelwerte der einzelnen Leistungen und die Standardabweichungen angeffihrt.
F Vorlage
A
B
C
D
E
F
AUB. 1. ~1
A
15,5 14,7 13,0 13,4 14,1 13,3
B
(' D E F
s
7,08 6,60 6,43 6,33 6,57 6,28
a MJttelwerte (Sekunden) s Standardabweichung Die unterlaufenen Fehler bei der L6sung der Aufgaben betrugen: A 5 ,)5 %
B 5 95 '%
C 2 98 i!.i
D 4 96 ",]
I-.' 3 97"
F 2 98 % richtige L/Ssungen in '),;~ a ller Vpn.
Zur statistischen Beurteilung wurden die Testergebnisse der 100 Vpn einer Varianzanalyse unterzogen [10]. Der gew6hnliche t-Test ist zur Untersuchung der Mittelwertsunterschiede weniger geeignet, da ein solcher bei mehr als 2 Variablen nut zwischen zwei der Gr6sse nach benachbarten Mittelwerten anzuwenden ist. Ergebnis der Varianzanalyse:
STANDARD1SIERUNG EINER UNTERSUCHUNGSMETHODE DER SOGENANNTEN "PROSOPAGNOS1E"
Quelle der Variation A
zwischen den Testreihen
B
zwischen den Vpn
Wechselwirkung A × B zwischen allen Gruppen
Quadratsumme
df
mittl. Quadrat
101
F
489,69
5
97,94
14,1 ss
21 576,10
99
217,94
31,4 ss
3 425,78
495
6,92
25 491,57
599
Die Fragestellung dieser Varianzanalyse war folgende: K 6 n n e n die durchschnittlichen Ver/inderungen der zur L/Ssung einer A u f g a b e benStigten Zeiteinheiten durch den Zufall erklfirt werden o d e r sind F a k t o r e n wie ~)bung, Ermtidung, unterschiedliche Aufgebenschwierigkeit usw, an den V e r a n d e r u n g e n beteiligt. Ergebnis: Sowohl die Variation zwischen den Testreihen als auch die V a r i a t i o n zwischen den Vpn weichen hochsignifikant (lrrtumswahrscheinlichkeit kleiner als 1 °{i) vom Zufall ab. Bei den Vpn war das zu erwarten. Welche F a k t o r e n an der V a r i a t i o n innerhalb der Testreihen beteiligt sind, l~isst sich atff G r u n d dieses Versuchsplanes nicht entscheiden; vermutlich sind es Obungseffekte. A u f alle Ffille ist es statistisch gesichert, dass die Versuchsreihe E (Augenpartie und Nasenwurzel) for diese Vpn nicht schwieriger ist als die anderen, da sie mit a m schnellsten gel6st wurde. Die vorliegende U n t e r s u c h u n g hat gezeigt, dass die yon uns ausgearbeitete M e t h o d e als objektive Prtifung bei der U n t e r s u c h u n g sogenannten p r o s o p a g n o s t i s c h e r StSrungen verwendet werden kann. Wie wir in einer friJheren A r b e i t nachgewiesen haben, stellen bestimmte F o r m e n der " P r o s o p a g n o s i e " eine Desintegration einer Hirnleistung dar, die die Identifizierung einer bestimmten Region des Gesichtes garantiert. h n Falle unserer Patienten P. und K. [9, 10] handelte es sich dabei um die A u g e n r e g i o n mit der Nasenwurzel, einen Gesichtsteil der praktisch mit den A t t r a p p e n (KAILA [11]; S p i t z und WOLF [12]; AHRENS [13]) identisch ist, die bei Sfiuglingen L/icheln ausltisen und d a m i t den ersten Schritt zu einem " E r k e n n u n g s v o r g a n g " tiir Gesichter darstellen. LITERATUR 1. HovE, H. und POXZL, O. Z. ges. Neurol. Psychiat. 159, 367-397, 1937. 2. PALUS, C. A. J. Neurol. NeltrOSltrg. Psychiat. 18, 218-225, 1955. 3. GALLI,G. Wien Z. Nerrenheilk. 22, 28-37, 1965. 4. HEIDENHAIN,A. Mschr. Psychiat. 66, 61-116, 1927. 5. JOSSMANN,P. Mschr. Psychiat. Nettro. 77, 81-149, 1929. 6. Ht~CAEN,H., ANGELERGUES,R., BERNHARDT,C. et CH|ARELU, 1. Rev. Nettrol. 96, 125-144, 1957. 7. H~CAEN,H. et ANGELERGUES,R. La CecitO Psyehique. Masson et Cie., Paris, 1963. 8. GLONING,I., GLONtNG, K., HOrF, H. und TSCHABITSCHER,H. Neuropsychologia 4, 113-132, 1966. 9. GLONING,K. und QUATEMB~R,R. Neuropsychologia 4, 133-141, 1966. 10. M1TTENECKER,E. Planung und statistisehe Auswerttmg yon E:,'perhnenten. 5.Aufl.F,Deuticke, Wien, 1964. 1I. KAILA,E. Ann. ttniv. Aboensis, Set. B. 17, 114, 1932. 12. SPITZ, R. A. and WOLF, K. M. Genet. Psyehol. Monogr. 34, 57-125, 1946. 13. A~IRENS,R. Z. exp. angew. PsychoL 2, 412-454, 599 633, 1954. Summary--A testing method for so called prosopagnostic disturbances was standardized on 100 normal subjects by medium of a variance analysis. This method examines the capacity for differentiation and identification of certain facial regions. R~sum6--Ce travail contient une standardisation d'une m6thode d'investigation des troubles prosopagnosiques bas6e sur 100 sujets normaux. Cette m6thode, v6rifi6e par une analyse de varkmce, examine la capacit6 de diff6rencier et d'identifier certaines r6gions du visage.