Akupunktur-Therapie eines dissoziativen Mutismus, einer psychogenen Aphonie

Akupunktur-Therapie eines dissoziativen Mutismus, einer psychogenen Aphonie

Akupunktur DZA Fallberichte | Case Reports D O I : 1 0 . 1 0 1 6 / j . d z a . 2 0 1 3 . 1 1 . 0 07     2 4     D t. Z t s c h r . f. A k u p u n k ...

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Akupunktur

DZA

Fallberichte | Case Reports D O I : 1 0 . 1 0 1 6 / j . d z a . 2 0 1 3 . 1 1 . 0 07     2 4     D t. Z t s c h r . f. A k u p u n k t u r 5 6 , 4 / 2 0 1 3

Deutsche Zeitschrift für

German Journal of Acupuncture & Related Techniques

S. Mörkl

Akupunktur-Therapie eines dissoziativen Mutismus, einer psychogenen Aphonie Acupuncture-therapy of dissociative mutism, psychogenic aphonia Zusammenfassung

Abstract

Hintergrund: Eine 49-jährige Patientin kommt über die neurologische Universitätsklinik zur stationären Aufnahme. Sie hatte ihre Fähigkeit zu Sprechen vor zwei Wochen aus dem Schlaf heraus plötzlich verloren. Die somatischen Abklärungen (Neurologie, HNO) führten zu keinem objektivierbaren Befund. Zielsetzung: Wiederaufnahme der Sprechfähigkeit, Artikulation. Methode: Zweimal pro Woche durchgeführte Akupunktursitzungen in Kombination mit hypnotherapeutischen Interventionen und Logopädie. Ergebnis: Wiedererlangung der Sprechfähigkeit. Schlussfolgerung: Akupunktur kann als sinnvolle adjuvante Behandlung einer psychogenen Aphonie verwendet werden.

Background: A 49-year old female patient was referred to us. Two weeks ago and all of a sudden she had lost her ability to speak after waking up in the morning. Somatic diagnostics showed no pathological results. Aim: Regain ability to speak. Method: Acupuncture, in combination with hypnotherapy and speech therapy. Result: Regained ability to speak. Conclusion: Acupuncture may serve as an adjuvant treatment for psychogenic aphonia.

Schlüsselwörter

Keywords

Akupunktur, dissoziativer Mutismus, psychogene Aphonie, Konversionsstörung

Acupuncture, dissociative mutism, psychogenic aphonia, conversion disorder.

Einleitung Die 49-jährige Patientin erwacht Anfang April aus dem Schlaf heraus mit starken Kopfschmerzen und Mutismus. Die somatischen Abklärungen (CT, MR Gehirnschädel und Halsregion, Lumbalpunktion, EEG, HNO-Untersuchung, Sonografie der Hirnarterien) in der Notaufnahme und der Univ. Klinik für Neurologie konnten keine krankheitswertigen Befunde aufzeigen. Die Patientin wurde schließlich stationär an die Univ. Klinik für Psychiatrie übernommen. Hier wurde bei bestehender Depression, Kopfschmerzen und Ein- und Durchschlafstörungen eine multimodale Therapie eingeleitet. Medikamentös wurde die Patientin antidepressiv und schlaffördernd behandelt. Parallel dazu erhielt sie Einzeltherapie mit hypnotherapeutischen Interventionen sowie regelmäßige logopädische Unterweisungen. Darüber hinaus war sie in das Behandlungsprogramm der Physiotherapie und der Ergotherapie integriert. Akupunktur wurde im Einverständnis der Patientin als adjuvantes Therapieverfahren verwendet.

Diagnose und Punkteauswahl Die psychogene Aphonie gehört nach ICD-10 zur Gruppe der Konversionsstörungen (F44.4). Sie ist gekennzeichnet durch ein plötzliches, unklares Wegbleiben der Stimme nach Ausschluss somatischer Ursachen [9]. Frauen, besonders jene mit introvertierter Persönlichkeitsstruktur [7], sind häufiger davon betroffen als Männer. Besonders hervorzuheben ist der geradezu regelhaft auftretende Zusammenhang mit Schreckerlebnissen, Traumata, Stressreaktionen und Depressionen [4]. Dr. Sabrina Mörkl Universitätsklinik für Psychiatrie LKH-Univ. Klinikum Graz

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Es wird grundsätzlich zwischen einer hypofunktionellen und einer hyperfunktionellen Form unterschieden, je nachdem, ob noch eine aktive Bewegung der Stimmlippen zustande kommen kann oder nicht [5, 9]. Im Nei Jing wird psychogene Aphonie einfach als Mutismus klassifiziert (yin). In der modernen chinesischen Medizin wird die Erkrankung häufig der Depression (yu zheng) zugeordnet. Während im Westen Konversionsstörungen eher selten auftreten, kommen diese in China in beträchtlich größerer Zahl vor, allein wenn man die Anzahl der dazu publizierten Artikel betrachtet. Aufgrund der begleitenden depressiven Episode, der charakteristischen Kopfschmerzen (plötzlich blitzartig einschießend im Bereich der Schläfen, berstender Druck im Kopf, Schwindel) und der Schlafstörungen der Patientin, ging ich in der Behandlung vom Funktionskreis Leber aus (aufsteigendes Leber-Yang, Leber-Qi-Stagnation) [1]. Ich verwendete Leber 3, den Quellpunkt der Leber, um die Leber zu beruhigen, das Qi zu lenken und die Stagnation im Hals zu lockern. Weiters verwendete ich jeweils reaktive Punkte des Nierenmeridians (Ni 3, Ni 6). Bei massiven Ein- und Durchschlafstörungen verwendete ich Leber 3 in Kombination mit Herz 7. In der Literatur werden zusätzlich häufig die Punkte LG 15, LG 23/24, und He 5 eingesetzt [10, 11]. Darüber hinaus verwendete ich die Ohrakupunktur. Mittels Very-Point-Technik [8] konnte ich im konkreten Fall folgende, sensible Punkte lokalisieren: PT1-4, Frustration, Zunge, Shen Men. Die Patientin wurde zweimal pro Woche behandelt.

Fallberichte | Case Reports

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Die Patientin wurde im Verlauf des stationären Aufenthaltes sowohl medikamentös, mit medizinischer Hypnose als auch mit Logopädie behandelt. Die Punkte der Leber und Niere in Zusammenschau mit den psychotropen Punkten der Ohrakupunktur führten merklich zu einer besseren Entspannung der Patientin, sodass hypnotherapeutische Interventionen, insbesondere die Einleitung einer Tieftrance, einfacher und schneller möglich wurden. Zu Beginn der Therapie bestand bei der Patientin eine völlige Sprechunfähigkeit, schrittweise wurden Artikulationsbewegungen und Luftstromlenkungsübungen möglich. Nach zwei Wochen konnte die Patientin erstmals über Flüstersprache kommunizieren. Nach einer weiteren Woche konnte sie wieder normal sprechen und nach Hause entlassen werden.

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Therapie und Verlauf

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Die psychogene Aphonie hat eine gute Prognose. Hervorzuheben ist besonders, dass sie auch nach längeren aphonen Perioden nicht manifest wird [2]. Die einzelnen Verläufe der psychogenen Aphonie sind unterschiedlich. Häufig kommt es auch zu plötzlichen Spontanremissionen. Die Zeiten, die bezüglich Remission angegeben werden können, differieren sehr stark und liegen im Mittel zwischen wenigen Tagen [3] und mehreren Wochen bis Jahren [2]. Nach Kolbrunner et al. erlangten die Patienten ihre Sprechfähigkeit im Mittel nach zwölf Wochen zurück. Im oben besprochenen Fall konnte die Patientin nach drei Wochen wieder normal sprechen. Es gibt bislang wenige Studien, die die einzelnen Behandlungsverfahren von psychogener Aphonie untereinander verglichen haben, weiters liegen kaum Studien bezüglich Kombination einzelner Therapieverfahren vor. Es gibt jedoch Hinweise, dass die Kombination von Therapieverfahren bessere und schnellere Heilungserfolge aufweisen kann als die Anwendung eines Verfahrens allein [6]. Bezüglich Kombinationstherapien, die Akupunktur mit einschließen, konnten jedoch auch nach längerer Recherche keine Studien ausfindig gemacht werden. In chinesischen Studien wird in der Akutphase bei psychogener Aphonie besonders die Wichtigkeit einer starken, für den Patienten sehr unangenehmen, ableitenden Nadelstimulation unterstrichen, da sich dadurch ein bedeutend schnellerer Therapieerfolg einstelle [10, 11]. Dies konnte jedoch bei der genannten Patientin aufgrund von Schmerzempfindlichkeit und protrahierter Symptomatik nicht durchgeführt werden. Bei chronifizierten Verläufen erscheint deshalb ein multimodales Therapiekonzept sinnvoll. Akupunktur könnte als ergänzende Therapiemaßnahme unterstützend auf andere Therapiemaßnahmen einwirken.

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Schlussfolgerung und Diskussion

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1. Hecker HU, Steveling A, Peuker E, Kastner J. Lehrbuch und Repetitorium der Akupunktur. Stuttgart: MVS, 2007 2. Kolbrunner J, Menet A-D, Seifert E. Psychogenic aphonia: no fixation even after a lengthy period of aphonia. Swiss Med Wkly. 2010 Jan 9;140(1–2):12–7 3. Maniecka-Aleksandrowicz B, Domeracka-Kołodziej A, Rózak-Komorowska A, Szeptycka-Adamus A. Management and therapy in functional aphonia: analysis of 500 cases. Otolaryngol Pol. 2006;60(2):191–7 4. Marek A. Psychosomatik in der HNO-Heilkunde. Georg Thieme Verlag, 2009 5. Nawka T, Wirth G. Stimmstörungen: für Ärzte, Logopäden, Sprachheilpädagogen und Sprechwissenschaftler; 30 Tabellen. Deutscher Ärzteverlag, 2008 6. Reiter R, Rommel D, Brosch S. Long term outcome of psychogenic voice disorders. Auris Nasus Larynx. 2013;40(5):470–5 7. Roy N, Bless DM, Heisey D. Personality and voice disorders: A multitrait-multidisorder analysis. Journal of Voice. 2000 Dec;14(4):521–48 8. Rubach A. Propädeutik der Ohrakupunktur. Georg Thieme Verlag, 2009 9. Studt HH, Petzold ER. Psychotherapeutische Medizin: Psychoanalyse, Psychosomatik, Psychotherapie. Walter de Gruyter, 1999 10. Yang Yong. The Treatment of 35 Cases of Hysterical Aphonia by Electroacupuncture. Si Chuan Zhang Yi. 2001 11. Zhu Jun-ke. The Treatment of 44 Cases of Hysteric Aphonia with Acupuncture. Guangxi Chinese Medicine & Medicinals, 2003

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Literatur

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