Über Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

Über Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

Ober Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen. Von Berta-Slbylle Sommer. Mi~ Abbildungen im Text. In haltsan ga be. Einleitu ng . . . . . . . . . . . ...

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Ober Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen. Von Berta-Slbylle Sommer. Mi~ Abbildungen

im Text.

In haltsan ga be. Einleitu ng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ka pi tel: Darreglmg des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der speziellen Fragestellungen. Beurteilung dieser Fragen in' der bereits vorhandenel'l Literatur. 2. Ka pi tel: Ergebnisse 'der Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . Methode und Technik. Beschreibung der beobachteten Vorgllnge. Zu. sammenstellung der Ergebnisse. 3. K a p itel: Theoretische. Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verkiimmerungserscheinung im VerhlUtnis zum OrganisationBtypus der gesamten Bliite. Betrachtung der Einzelvorgllnge unter dem GesichtBpunkt typischer Ubereinstimmung. Auswertung gefundener Typen fiir die Beurteilung der. Bystematischen Stellung der untersuchten Pflanzen.

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Einleitung. Es ist eine seit Jahrzehnten bekannte Tatsacfte, daB bei einer Anzahl von Pflanzen (Quercus, Fagus, Castanea, Corylus, Betula, Alnus, Carpinus, Ostrya, Prunus, Aesculus, Acer, Fraxinus, Tilia) nur ein Same in jedem Fruchtknoten ausgebildet wird, obwohl stets mehrere Sam enanlagen angelegt werden, und obwohl eine groBe Menge von Pollen auf die Narben gel~ngt, so daB an und fiir sich fiir aIle Samenanlagen .die Voraussetzungen gegeben waren, sich gleichmaBig weiter zu entwickeln. Diese Erscheinung, die wegen der RegelmliBigkeit ihres Auftretens bei den genannten Pflanzen wohl eine Erforschung beanspruchen kann, ist aber bisher noch nicht von der Wissenschaft zielbewuBt untersucht worden. Zwar sind eingehende Arbeiten iiber die vor.und wahrend der Befruchtung eintretenden Vorgange an der einzelnen, befruchteten Samenanlage von berufenen Handen geniigend durclrgefiihrt worden. Wie es scheint, hat man aber iiber der speziellen Fragestellung, die nur' jede Samenanlage fiir sich ins Auge falHe, die allgemeine Frage auBer acht ge]assen, wie sich denn die Entwicklungsstadien aller Samenanlagen eines und desselben Fruchtknotens zueinander verhalten.

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1. K a p i tel: Darlegung des Problems. Ein Vergleich zwischen den verscbiedenen Entwicklungszustanden aller Samenanlagen eines und desselben Frucbtknotens nmfaBt zweierlei Gegeniiberstellungen; einmal das Verbiiltnis der einzigen, zum Samen reifenden Samenanlage zu den iibrigen, verkiimmernden; zum anderen den Vergleich zwischen den iibrigen Samenanlagen untereinander. Unter der Voraussetzung, daB zwischen den verl{iimmerten Sam enanlagen kein Unterschied vorhanden ist - eine Annahme, die sich spater als zutreffend herausstellen wird -, bleibt dann nur die Betrachtung des ersten Falles iibrig. In den folgenden Untersuchungen muB es sich daher urn die Auffindung von Merkmalen handeln, welcbe die fertile Samenanlage von den anderen nicht zur Samenreife gelangenden unterscheiden. Solche Untersuchungen miissen naturgemiiB bis anf die Entwicklungszustande zuriickgeben, in denen noch aIle Samenanlagen volIkommen iibereinstimmen, und sie sind bis zu dem Entwicklungsstadium auszudehnen, in dem nur noch der einzige junge Same iibrig geblieben ist. Zwischen diesem Anfangs- und Endzustand muB sich ein Zeitpunkt befinden. von dem an eine Samenanlage sich von den iibrigen in ihrem Entwicklungsverlauf erstmalig unterscheidet. Die Frage nach der Lage dieses Zeitpunktes bildet die spezielle Aufgabe der nacbstebenden Untersuchungen. 1m einzelnen soIl festgestellt werden: 1. ob sich ein solcher Zeitpunkt bei der genaueren Untersucbung durch cbarakteristische Merkmale bestimmen laBt, 2. wie dieser Zeitpunkt zeitlicb mit der Befruchtung der sich spater zum Samen entwickelnden Samenanlage zusammenbangt, 3. ob sicb aus den gewonnenen Einzelergebnissen typische Vorgange erkennen lassen. Anhangsweise soIl nocb die Frage bebandelt werden, ob die aus der Untersucbung sicb ergebenden Typen in Zusammenhang gebracht werden Mnnen mit anderen, allgemeineren Problemen, welche die Stellung der untersucbten Pflanzen im System betreffen. Der allgemeine Gang del' Untersucbungen bestand darin, daB die Entwicklungsstadien aller Samenanlagen zwischen ibrer ersten Anlage und dem letzten Stadium des beranreifenden Samens vergleichend untersucbt wurden. Von dem gewahlten Vergleichszeitpunkt, dem Befruchtungsakt der spater einzig iibrigbleibenden Samenanlage ans lassen sich zwei Entwicklnngsabschnitte nnterscbeiden, namlich die Entwicklungsstadien

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vor und die nach der Befruchtung. Von vornherein ist in bezug auf die zu erwartenden Ergebnisse mit folgenden MogIichkeiten zu rechnen: A. Eine Differenzierung tritt schon v 0 r der BeCruchtung ein. In dies em Fall Mnnte ein Unterschied schon in der Embryosackentwicklung der verschiedenen Samenanlagen vorhanden sein. Es ware z. B. moglich, daB der Eiapparat bei der einen Samenanlage kraftiger entwickelt ware als bei allen iibrigen, oder es konnte iiberhaupt nur die eine Samenanlage allein einen Eiapparat entwickeln, aIle iibrigen aber auf einem friiheren Entwicklungsstadium stehen bleiben. B. Die Differenzierung tritt am Z e i t pun k t der Befruchtung ein. Dann miiBte,. falls man nicht mit einer Differenzierung der PolJenkorner rechnen woIIte, angenommen werden, daB die Unterschiede nicht in der Befruchtungsfahigkeit der Samenanlagen liegen, sondern daB sie in der Eigenart des Befruchtungsvorgangs selbst begriindet sind. Die Verschiedenheiten in den Folgeerscheinungen konnten sich etwa daran auBern, daB die iibrigen Samenanlagen iiherhaupt nicht mehr von Pollenschlauchen erreicht werden, oder daB sie erst spater von ihnen erreicht werden, und daB sich dann nur die zuerst befruchtete Samenanlage weiter entwickeln kann.

C. Die Differenzierung tritt erst nach der Befruchtung ein. Dies bedeutet mit anderen Worten, daB eine Samenanlage sich in ihrem Befruchtungsakt noch nicht von den anderen unterscheidet, sondern daB ihre Befruchtung zusammenfliIlt mit der Befruchtung aller iibrigen. Die Differenzierung miiBte in diesem Fall erst spater irgendwie eintreten. In der gesamten Literatur iiber die Embryologie der in Frage komIllenden Pflanzen finden sich, soweit bekannt, nur drei Bemerkungen, welche die Tatsache, daB gewisse Sarnenanlagen keine Sarnen entwickeln, iiberhaupt erwahnen. Der erste, der die Erscheinung ins Auge faBte, war W. Hofmeister (1849). In seiner Untersuchung iiber die Entstehung des Embryo an Prunus cerasus findet sich die Bemerkung, er habe so· oft beide Samenanlagen befruchtet gefunden, daB er nicht daran zweifIe, "in sehr. vielen FaRen erfolge das Fehlschlagen eines der Eichen erst nach der Befruchtung". Die beiden anderen Bemerkungen stammen einmal aus Untersuchungen von S. Nawaschin an der Birke (1894) und zum anderen aus der Arbeit von J. Wolpert iiber Alnus alnobetula (1910). Beide Forscher haben Ernbryonen in beiden Samenanlagen eines und desselben Fruchtknotens festgestellt und schlieBen daraus, daB der eine Sarne in der Frucht dieser Pflanzen aus einem Wettstreit zwischen zwei gleichberechtigten. Embryonen hervorgegangen sei. Flora.

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Aus den bisher vorliegenden Arbeiten ergibt sich also, daB nur der unter C erorterte Fall in Erwagung gezogen worden ist. Ihrer Betrachtungsweise haftet der grundsatzliche Fehler an, daB sie sich mit der Feststellung eines Endzustandes begniigen. Daher ist es erklarbar, daB sie sich vor einer entwicklungsgeschichtlichen Nachpriifung nicht behaupten konnten. 2. K a p i tel: Ergebnisse der Untersuchungen. Die Ausfiihrung der Untersuchungen geschah so, daB an der Hand von Mikrotom-Langsschnitten der anatomische und morphologische Bau der Samenanlagen desselben Fruchtknotens vergleichend beobachtet wurde. Es ist zwar moglich, daB die ersten Unterschiede sich bereits in inneren Vorgangen anbahnen und daB die Differenzierung in Wirklichkeit schon auf einer friiheren Stufe einsetzt, als mit der angewandten optischen Methode festgestellt· werden kann. Aber wir besitzen keine anderen Methoden, urn die am lebenden Objekt, etwaim chemischen Aufbau sich einstellenden Unterschiede, zu erkennen. Nur einmal konnte bei der Losung der hier gestellten Aufgabe eine mikrochemische Untersnchungsmethode mit verwendet werden zum Nachweis von Reservestoffen im Nucellus (s. Corylus). Sicher bestehen aber die optischen Unterscheidungsmerkmale der Differenzierungen vollkommen zu Recht, denn es ist kaum denkbar, daB etwaige innere Unterschiede, z. B. im Chemismus, anders als vor den morphologischen Unterschieden auftreten konnten. Bei der Durchfiihrung del' Methode bot die Kleinheit del' Objekte erhebliche Schwierigkeiten. Urn mit steter Sicherheit fiir aIle Samenanlagen die gleiche Schnittebene zu erhalten, blieb nichts anderes iibrig, als jede Samenanlage einzeln aus ihrem Fruchtknoten herauszupraparieren. Wahrend der Weiterbehandlung (Fixieren, Alkoholreihe, Einbetten in Paraffin) wurde durchweg so verfahren, daB nur diejenigen Samenanlagen, die zu demselben Fruchtknoten gehort hatten, zusammen bearbeitet wurden, daB aber jeder Fruchtknot~ninha1t fiir sich getrennt behandelt wurde. Auf diese Weise gelang es, ein unmittelbares und zuverlassiges Vergleichsmaterial herzustellen. Die Schnittdicke der meisten Langsschnitte betrug 10 p. Gefarbt wurde mit Heidenhain-Haematoxylin und nachgefarbt wurde mit Saurefuchsin. Als ein nahezu ideales Fixierungsmittel fiir alle Objekte erwies sich nach Versuchen mit den Fixiergemischen von J u e 1, FIe m min g, (schwache und starke Konzentration), Nawaschin, Hofker nnd Carnois das Fixiergemisch von Gilson-Petrumkewitsch. Bei Aescnlus

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ist der Embryosack von einer wasserigen Fliissigkeit erfiiIlt; daher drang das Fixiergemisch nur schwer ein, doch gelang die Fixierung sehr gut, nachdem die Objekte unter der Luftpumpe evakuiert worden waren und danach 24 Stunden lang bei 40 0 in Gilson gelegen hatten. Urn die Pflanzen, die systematisch zusammengehOren, nicht voneinander zu trennen, sollen die nachstehenden Beobachtungen zunachst nur beschrieben werden, ohne Riicksicht auf ihre Einordnung unter die im ersten Kapitel hervorgehobenen FaIle des Zeitpunkts, an dem die Verkiimmerung in Erscheinung treten kann. Erst zum SchluB wird eine Ubersicht folgen, wie die an den verschiedenen Pflanzen vorgenommenen Nachpriifungen sich unter bestimmten zeitlichen .Gesichtspunkten zusammenfassen lassen. Die erste Gruppe bildet die Ordnung der Fagales. 1. Familie: Betulaceae. Betula alba. Uber die Entwicklung des Embryosacks und die Befruchtung, die chalazogam ist, berich ten Ben son (1894) und N a was chi n (1894). Ben son s Angaben iiber die Entwicklung des Embryosacks, der Ende Mai fertig ausgebildet vorIiege, konnte ich bestatigen. Der Zeitpunkt der eintretenden Befruchtung, den Ben son ffir Anfang bis Mittc Juni angibt, war dagegen in diesem Jahr (1928) flir die Birken des Miinchner BoFig. 1. Betula al ba: tanischen Gartens urn etwa 10 Tage verZwei noch unbeschoben, indem man die ersten befruch- fruchtete Samenanlagen eines teten Eizellen Ende J uni beobachten Fruchtknotens. (Gro£\enunterschied). konnte. Die ersten Entwicklungsphasen des Em bryosacks verIiefen in der Weise, wie sie von N a was chi n beschrieben worden sind. Die Kernteilungen der Embryosackmutterzelle, die zum befruchtungsfahigen Emb~yosack fiihren, erfolgten ffir beide Samenanlagen desselben Fruchtknotens gleichzeitig und in der gleichen Weise. Die ersten Spuren eines Unterschieds zwischen den beiden Samenanlagen eines und desselben Fruchtknotens beobachtete ich Ende J uni. Ein solches Stadium ist in Fig. 1 wiedergegeben. Beide Samenanlagen enthalten ein einfaches Integument mit. der von Nawaschin als primitives Merkmal geschilderten zweischichtigen Epidermis. Die Embryosacke sind auffallend tief in den Nucellus eingelagert und von dem Scheitel desselben wie mit einer Kappe bedeckt. 5*

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Bei beiden Samenanlagen ziehen sich vom Funiculus her GefaBbiindel durch das Integument bis an die Chalaza. An der Chalaza befindet sich ein Rest des etwa drei Zellschichten starken, axiIen Stranges, der in einer seiner Terminalzellen die Mutterzelle der Makrospore geliefert hat. Auch in bezug auf ihren Kerninhalt stimmen beide Samenanlagen vollkommen iiberein. Dagegen springt der GroBenunterschied zwischen beiden Samenanlagen auffallend in die Augen. Dieser GroBenunterschied macht sich auch im Lumen des Embryosacks deutlich geltend. Die an den Embryosack angrenzenden .Zellen des Nucellus erscheinen bei der kleineren Samenanlage noch kleiner und plasmareicher als bei der groBeren Sam enFig. 2. Betula alba: anlage, wo sie sich aufzulOsen scheinen.· Zwei Samenanlagen eines Fruchtknotens mit Pollenschlauchen.

Fig. 3 u. 4. Betula alba: Die Embryosacke starker vergroJilert. Kerninhalt iibereinstimmend. (p = Pollenschlauch.)

Fig. 5. Betula alba: Embryo.

Einen interessanten Fail zeigt Fig. 2. Hier sind am Eiapparat der beiden Samenanlagen Pollenschlauche festzustellen. Ob die beiden Eizellen bereits befruchtet sind, ist nicht sicher zu entscheiden, da noch keine Kernteilung an der Eizelle zu beobachten ist. Immerhin erscheint es zweifelhaft. Denn erstens sind beide Synergiden noch ohne ein Zeichen der Veranderung, und zweitens ist auch die Membran des Pollenschlauchs noch ganz unversehrt. 1m Vergleich zu Fig. 1 ist der Embryosack der zweiten Samenanlage in diesem Fall auffallend groB. Doch zeigen auch hier beide Samenanlagen deutliche Verschiedenheiten in der Form, wie

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aus den Fig. 3 und 4, welche die Embryosacke sHirker vergroBert darstell en , hervorgeht. Nach erfolgter Befruchtung tritt in der befruchtungsfahigen Sam enanlage eine Streckung und VergroBerung des Embryosacks auf Kosten des basal en Teiles des Nucellus ein. In dem Stadium, in dem man den jungen Embryo deutlich erkennt, ist del' Nucellus bis auf eine kleine Kappe am Scheitel ganz verschwunden (Fig. 5). Del' Embryosack del' zweiten Samenanlage macht nach den letzten Kernteilungen, die zur Anlage des fertigen Embryosacks fUhren, fUr gewohnlich kein weiteres Wachs tum mit. Del' Embryosack bleibt klein und nimmt nul' einen Teil des Nucellus ein. Del' ganzeNucellus beginnt an del' Chalaza zu schrumpfen. Die Mittel- Fig. 7. Betula alba: Endlamellen del' Zel- stadium derVerkiimmerung. len werden aufgelOst, del' Embryosack wird von unregelmaBigen Plasmamassen angefiillt. Die Kerne sind noch eine Fig. 8. Betula alba: Zwei Zeitlang zu er- Samenanlagen eines von der Fig. 6. Betula alba: Vorgang kennen. SchlieB- Befruchtung ausgeschlosder Verkiimmerung. Reate der (entspr. lich, nachdem del' senen Fruchtknotens Kerne. Fig. 1). Embryosack schon liingst seine normale Gestalt verIoren hat, verfallen auch sia del' Degeneration (Fig. 6). Das Endstadium del' Degeneration ist in Fig. 7 dargestellt. Die hier gezeichnete Samenanlage ist die Nachbarin del' in Fig. 5 gezeichneten, befruchteten Samenanlage. Abgesehen von dem schon an Fig. 2 beschriebenen Gro:Benund Formunterschied zwischen den noch unbefruchteten Samenanlagen, konnten die bisher vorgenommenen Feststellungen noch weiter bestatigt werden durch Untersuchungen an unbefruchtet gebliebenen Samenanlagen. Hingst vor del' Bestiiubung wurde aine Reihe von weiblichen Bliitenkiitzehen durch Abbinden in Pergamenttiitchen von del' Bestiiubung

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und Befruchtung ausgeschlossen. Indem die Entwicklung dieser Samenanlagen gleichzeitig mit den unter normalen Bedingungen wachsenden untersucht wurde, konnten folgende Tatsachen sichergestellt werden: 1. Die Entwicklung des Embryosacks geschieht unabhlingig von der Bestaubung. Eine durch den Pollen schlauch veranlaJ3te Reizwirkung kann fur die zum fertigen Embryosack fuhrenden Kernteilungsvorgange nicht ausschlaggebend sein. Diese Beobachtung steht in vollkommenem Einklang mit den Angaben W 0 I per t s fiir Alnus alnobetula. 2. Genau zu der Zeit, da man zuerst in den bestaubten Sam enanlagen eine Differenz zwischen den beiden Samenanlagen eines und desselben Fruchtknotens feststellt, wird diese Differenz auch bei der abgebundenen SamenanJage deutlich. Diese Tatsache ist der beste Beweis

Fig. 9.

Fig. 10.

Fig. 9 u. 10. Betula alba: Die Embryosacke aus Fig. 8 starker vergr1iJ3ert.

dafur, daB die Verkummerung mit einer gewissen GesetzmaBigkeit auf bestimmter Entwicklungsstufe einsetzt. Fig. 8, die der Fig. 1 entspricht, sowie Fig. 9 und 10, entsprechend 3 und 4, gestatten einen Vergleich zu ziehen zwischen den bestaubten und den abgebundenen Samenanlagen. N a waschin fugt an den SchluB seiner Darstellung von der Embryosackentwicklung der Birke folgende Bemerkung: ". . . Beide Sam enanlagen von der Birke erscheinen vor der Befruchtung in allen Beziehungen vollkommen gleich. Es laBt sich somit nicht voraussehen, welche von beidenSamenanlagen der Befruchtung unterliegen und zum Sam en sich entwickeln werde. Ich fand nicht selten nicht nur ein befruchtetes Ei, sondern auch einen ziemlich entwickelten Embryo in jeder der beiden Samenanlagen eines und desselben Fruchtknotens vor. Normalerweise ist natiirlich das Auftreten eines einzigen Samens im Achenium der

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Birke das Resultat eines Wettstreites der beiden befruchteten Samenknospen in der ersten Periode der Embryoentwicklung." Wenn auch bei den an dieser Stelle untersuchten Samenanlagen zwei gieichzeitig befruchtete Eizellen nicht festgestellt werden konnten, so braucht die Richtigkeit der Nawaschinschen Beobachtung keineswegs in Zweifel gezogen zu werden. Doch kann ihre Deutung wohl nicht Hinger angenommen werden. Denn es HiBt sich vor der Befruchtung voraussehen, welche von beiden Samenanlagen sich weiter entwickeln wird, und man kann wohl nicht bezweifeln, daB auch zwischen den zu zweien auftretenden Embryonen del' beiden Samenanlagen desselben Fruchtknotens ein Unterschied besteht. Auch der zweite Embryo ist von vornhereiil dem Untergang geweiht. Den gauzen VerI auf bei der Birke muB man sich wohl folgendermaBen vorstellen: Beide Samenanlagen machen ihre Entwicklung in vollstandiger Ubereinstimmung durch bis zu den Teilungen der Archespormutterzellen. Nachdem der Eiapparat aus diesen Teilungen gerade h~r­ vorgegangen ist, ist er offen bar noch nicht empfangnisreif, sondern braucht noch eine gewisse Zeit, in der er sich streckt und kraftiger wird. Diesen StreckullgsprozeB macht offen bar nur die eine Samenanlage durch, so daB die andere trotz vollstandiger Kernzahl des Embryosacks normalerweise befruchtungsunfahig bleibt.

Alnus glutinosa. An den ubrigen Vertretern aus der Familie der Betulaceen konnten prinzipielle Abweichungen vori den fiir Betula charakterisierten Vorgangen nicht festgestellt werden. Die angegebenen Figuren werden die weitgehende Ubereinstimmung bei allen Vertretern dieser Familie am deutlichsten machen. Fig. 11 uud 12 geben die ersten GroBenimterschiede bei Alnus glutinosa wieder. Beide Samenanlagen· sind noch nicht befruchtet und entsprechen in ihrem Entwicklungsstadium dem in Fig. 2 fiir Betula alba wiedergegebenen Stadium. Auch hier wei sen beide Samenanlagen deutliche Formenunterschiede auf, indem auch hier bei der groBeren Samenanlage das Lumen des Embryosacks gestreckter erscheint als bei der kleineren. Die Fig. 13 und 14, welche die beiden Embryosacke bei starkerer VergroBerung zeigen, entsprechen durchaus den Fig. 3 und 4 fUr Betula alba. Zur Zeit, da sich bereits der Embryo entwickelt, finden wir, wie bei Betula, nur noch einen Rest von Nucellusgewebe am Scheitel erhalten (Fig. 15). Fig. 16 zeigt eine verkummernde Samenanlage mM; einem Embryo. Solche verkummernde Samenanlagen, bei denen noch

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eine Befruchtung und Embryobildung eingetreten ist, waren bei Alnus glutinosa mehrmals zu beobachten. Auffallend war dabei das vollige Fehlen von Endosperm. W 0 I per that bei Alnus alnobetula ebenfalls wiederholt in beiden Samenanlagen desselben Fruchtknotens Embryonen festgestellt. Auf Grund der Beobachtung der Frfihstadien des Embryo-

Fig. 11. Fig. 12. Fig. 11 u. 12. Alnus glutinosa: Zwei Samenanlagen eines Fruchtknotens kurz vor der Befruchtung.

Fig. 15. Alnus glutinosa: Derentwicklungsfahige Embryo.

Fig. 13. Alnus gIutinosa: Embryosack aus Fig. 11 starker vergroJ3ert.

Fig. 14. Alnus glutinosa: Embryosack aus Fig. 12 starker vergroJ3ert (Reste der ArchesporschwesterzelIen).

Fig. 16. Alnus glutinosa: Die verkiimmernde Samenanlage zu Fig. 15.

sacks, die schon Differenzen bereits vor der Befruchtung erkennen lassen, erscheint die Annahme W 0 I per t s, es handle sich bei Alnus alnobetula um zwei bis zu ihrer Befruchtung vollig gleichgestimmte Samenanlagen, unhaltbar. Sicher sind die Samenanlagen, selbst wenn es noch bei beiden zu einer Befruchtung kommt, verschieden gestimmt und ist nul' ein Embryo zur Fortentwicklung und Samenreifung befahigt.

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Uber Entwickiungshemmungen bei Samenaniagen.

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Corylns avellana. Schon N a was chi n gibt an, daB die Samenanlagen von Corylus avellana in GroBe nnd Gestalt sehr wechselnd erscheinen. Dieser Umstand macht es schwierig, schon vor der Befruchtung zwischen den zwei Samenanlagen eines und desselben Fruchtknotens auBerlich diejenige Zll unterscheiden, welche der Verkummerung preisgegeben wird. Doch zeigt ein Vergleich zwischen den aufeinanderfolgenden Entwicklungsstadien, wie die Differenzierung zustande kommt. Nach den untersuchtcn Schnitten schcint es, als ob bei der fUr den Sam en vorgesehenen Samenanlage kurz vor der Befruchtung die Schwesterzellen der Makrospore (Fig. 17) nicht mehr zu erkennen sind, wahrend bei der verkummernden Samenanlage stets die Makrosporenschwesterzellen erkennbar bleiben (Fig. 18 und 19). Nawaschin gibt an, daB auch der befruchtete Embryosack die Archesporschwesterzellen noch enthalte (N a" was chin ,Fig.22). Doch fragt es sich, ob in dem von Fig. 18. Corylus avellana: Fig. 17. Corylus avellana: Entstehung des EmbryoN a was chi n dar- Embryosack einerverkiimmernsackes aus einem vielzelliam Zeitpunkt gestellten Fall den Samenaniage gen Archespor. der Befruchtung. wirklich eine befruchtungsfahige Samenanlage vorgelegen hat. Man kann den Pollenschlauch nicht direkt am Eiapparat sehen und kann auch selbst an der Eizelle nichts sehen, was auf eine bereits eingetretene Befruchtung schlieDen lieBe. Dieser Zweifel verdient um so mehr Beachtung, als aIle ubrigen Figuren durchaus ubereinstimmen. (Die Figuren 19 und 20 entsprechen den Figuren 9, 10 und 11 bei N a w as chi n.) N a was chi n betont, daB er wiederholt Samenanlagen mit nur einer Makrospore gefunden habe. Sollte diese einzige Makrospore nicht der von allen uhrigen Schwesterzellen allein ubrig gebliebene befruchtungsfiihige Embryosack sein '? Einen GroBenunterschied zwischen beiden Samenanlagen konnte man erst feststellen, nachdem die Befruchtung stattgefunden hatte.

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Bei der befruchteten Samenanlage wird das Nucellargewebe bis auf einen schmalen Wandbelag aufgebraucht. Der Embryo liegt in einem Mantel von Endosperm (Fig. 21). Mikrochemische Untersuchungen ergaben, daB das Nucellargewebe der befruchteten Samenanlage zuckerhaltig ist, also wohl zur Ernahrung der Eizelle dienen kann. Bei den

Fig. 19. Corylus avellana: Embryosack einer entwicklungsfahigen Samenanlage unmittelbar vor der Befruchtung.

Fig. 22. Corylus avellana: Stadium der vollendeten Yerkiimmerung.

Fig.20.Corylusavellana: Die zu Nr. 19 gehOrende, verkiimmernde Samenanlage.

Fig.21.

Corylus avellana: Embryo.

spliter verkummernden Samenanlagen wird das Nucellusgewebe nicht aufgebraucht und ergab keine Zuckerreaktion. Spater lOst sich das Gewebe von dem Integument ab und schrumpft allmahlich (Fig. 22). Der Kern in Fig. 22 Mnnte als befruchteter Eikern gedeutet werden. Doch scheint es wahrscheinlicher, daB es sich urn einen Polkern handelt. Auffallend ist bei Corylus, daB das machtig entwickelte Integument noch lange erhaIten bleibt.

Carpinus betulus. Die Befunde bei Carpinus betulus decken sich in allen wesentlichen Zugen mit den vorher besprochenen. In bezug auf die Entwicklung der Samenanlagen konnte ich durch Vergleich zwischen bestliubten und in Pergamentpapier abgebundenen Bluten feststellen, daB die Anlage genau wie bei Betula ganz unabhlingig von der Beruhrung der Pollenschlliuche iu beiden Fallen gleichmliBig vor sich ging. Die Differenzierung setzte bei Carpinus sehr spat ein, erst Ende Juli, nachdem die Bestaubung Ende Mai stattgefunden hatte. Leider litten die

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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meisten weibIichen Katzchen, vor allem die Bluten in den Tuten so stark unter der Trockenheit des diesjahrigen Sommers, daB kein befriedigendes Endergebnis in bezug auf den Zeitpunkt der Differenzierung bei bestaubten und bei abgebundenen Bluten erzielt werden konnte. Wie bei Corylus war auch bei Carpinus schon vor der Wahrnehmung eines deutIichen GroBenunterschiedes zwischen den ganzen Samenanlagen eine Verschiedenheit in den GroBenverhiiltnissen zwischen den Embryosacken der zwei, manchmal auch drei Samenanlagen eines Fruchtknotens vorhanden. Auch schien ein Unterschied in den Gewebestrukturen zu bestehen. Zu einem genauen Vergleich sollen die in Fig. 23 und 24 dargestellten Samenanlagen

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Fig. 25.

Fig. 25a. Fig. 23. Carpinus betulus: Struktur der entwicklungsfllhigen Samenanlage vor der Befruchtung.

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Fig. 24. Carpinus betulus: Struktur der Fig. 23 entsprechenden, verkiimmernden Samenanlage.

Fig. 25 u. 25 a. Carpinus betulus: Gr6J3enverhllltnisse unmittelbar nach der Befruchtung.

dienen. Es sind hier beide Samenanlagen in vollkommen gleicher Schnittlage getroffen. Der Kerninhalt stimmte bei beiden uberein und bot das normale BiId. Die Kerne befanden sich aber auf den nicht median getroffenen Schnitten. Man sieht, wie der Nucellus der verkummernden Samenanlage in seinem vegetativen Gewebe plasmaarmer ist. Er ist auch nur undeutlich von den Integumentenzu unterscheiden. Der Embryosack bleibt klein und eng, wahrend der Embryosack der spater befruchteten Sam enanlage nach der Chalaza zu stark erweitert scheint. Kurz nach der Befruchtung, wenn schon die ersten Endospermkerne auftreten, die befruchtete Eizelle sich aber noch nicht weiter geteilt hat, wird auch der GroBenunterschied augenfallig (Fig. 25). Fig. 26 zeigt den ganzen Embryosack der verkummernden Samenanlage aus Fig. 25. Die Kerne

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scheinen vollstandig vorhanden zu sein. Der Embryosack der entsprechenden, befruchteten Samenanlage ist aber um ein Vielfaches grotler und weiter. Fig.. 27 zeigt einen kleinen Ausschnitt desselben mit der befruchteten 1"" ::. ?·:'o". Eizelle. Wenn ein vielzelliger Embryo und reichIich Endosperm zu Fig. 27. Carpinus besehen ist, ist der NuFig. 26. Carpinus

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tulus: Embryosack der befruchteten SamenanIage aus Fig. 25.

betulus: Embryosack der verkiimmernden Sam en anI age aus Fig. 25a.

Fig. 28. Carpinus betulus: Embryo.

Fig. 29. Carpinus betulus: Endstadium der Verkiimmerung.

Fig. 30. Carpinus betuIus: Embryosack aus Fig. 29 starker vergrllJilert.

cellus der entsprechenden verkiimmernden Samenanlage schon ganz verschrumpft (Fig. 29). Die Kerne sind auch auf diesem Stadium noch ganz erhalten, wie Fig. 30 zeigt. Befruchtete Eizellen konnten in den verkiimmernden Samenanlagen nie festgestellt werden.

Ostrya ostrya. Fig.31.0stryaostrya: Endstadium der Verkiimmerung nach Befruchtung der entwicki ungsfahigen Samenanlage.

Zur Vervollstandigung sollen noch zwei Figuren des Endstadiums von Ostrya ostrya hinzugefiigt werden. Auch hier hOrt die spater verkiimmernde Sam en-

Fig. 32. Ostrya ostrya: Die Makrosporen aus Fig. 31 starker vergrll/3ert.

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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anlage mit ihrer Weiterentwicklung auf, wenn die Makrosporen gebildet werden (Fig. 31 und 32). Befruchtung verkummernder Samenanlagen konnte in keinem der untersuchten FaIle fest,gestellt werden. 2. Familie: Fagaceae. Quercus pedunculata, fagus silvatica, Castanea vulgaris. Die mitder Familie der Betulaceen in die Ordnung Fagales einbegriffene zweite Familie der Fagaceen umfaBt die drei Gattungen Quercus, Fagus, Castanea. Die weiblichen Bluten der beiden ersten Gattungen besitzen einen dreifacherigen Fruchtknoten mit je zwei Samenanlagen. Von diesen sechs Samenanlagen verkummern flinf. Bei Castanea handelt es sich urn einen sechsfacherigen Fruchtknoten mit je zwei, also im ganzen ]2 Samenanlagen. Nur eine von diesen ]2 Samenanlagen bildet einen Samen aus.

Fig. 33. O&trya ostrya: Das Fig.31 entSft'r. Stadium der befruchteten Samenanlage.

Fig. 35. Fagus silvatica: Embryosack aus Nr. 34 stlirker vergroLlert.

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Fig. 34.

Fig. 34. Fagus silvatica: Eine der 6 Samenanlagen eines Fruchtknotens zur Zeit der Bestliubung.

Fig. 36. Fagus silvatica: Die befruchtungsflihige Samenanlage zur Zeit der Befruchtung.

Die Entwicklung des Embryosacks bei den drei Gattungen ist von Ben son (1894) beschrieben worden und geht bei allen in voIlkommen

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iibereinstimmender Weise vor sich. Der anatomische und morphologische Aufbau zeigt so viel .Ahnlichkeit in bezug auf das langgestreckte, doppelte Integument mit dem von Funiculus kommenden Leitbiindel, das im

Fig. 37. FaguM silvatiea: Eiapparat aus Fig. 36, sHirker vergroBert.

Fig.38. Fagus silvatiea: Verkiimmernde Samenanlage, entspreehend Fig 36.

Fig. 39. Fagus silvatiea: Eiapparat aus Fig. 38, stlirker vergro/3ert.

Fig. 41. Fig. 40.

Fagus silvatiea: Embryo.

Fig. 41. Fagus silvatiea. Embryo aus Fig. 40, starker vergroBert. Fig. 42. Fig. 40.

Fagus silvatiea. Endstadium der Verkiimmerung.

Fig. 42.

auBeren Integument endigt, in bezug auf den langen, schmalen Nucellus mit dem spater sich nach der Chalaza hin verlangernden Embryosack und in bezug auf die Verwachsung der Mikropyle, daB es wohl berechtigt ist, die drei Beispiele im Zusammenhang zu behandeln. In bezug auf

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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die Entwicklung des Embryosacks wurden, wie bei Betula und Carpinus, auch an Quercus Versuche mit abgebundenen Eluten angestellt. Es zeigte sich, daB auch bei· Quercus die Entwicklung unabbiingig von einer etwaigen Reizwirkung durch den Pollen schlauch vor sich ging. Die

Fig. 43. Quercus pedunculata: Befruchtungsfahige Samenanlage kurz vor der Befruchtung.

Fig. 44. Quercus pedunculata: Embryosack aus N r. 44 a.

Fig. 44 a. Quercus pedunculata: Eine, Nr.43 entsprechende, verkiimmernde Samenanlage.

Fig. 45. Quercus pedunculata : Endstadium der Verkiimmerung. (Zu Nr. 46 gehOrend.)

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Fig. 46. Quercus pedunculata: Embryo.

Fig. 47. Castanea vulgaris: Befruchtungsfahige Samenanlage zur Zeit der Befruchtung.

Fig. 47a. Castanea vulgaris: Embryosack aus Nr. 47.

Fig. 34-42 beziehen sich auf Fagus, 43~46 auf Quercus, 47-53 auf Castanea. Ben son s Beobachtung, daB die Befruchtung porogam sei, konnte bestatigt werden. Zur Zeit der Bestaubung hatte der Embryosack seine

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Berta-Sibylle Sommer,

fertige AusbiIdung noch nicht erlangt (Fig. 35 und 52). Die ersten GroBenunterschiede waren 10 Tage nach der BesHiubung wahrnehmbar. Die entsprechenden Langsschnitte zeigten, daB in diesem Stadium der Embryosack in fertiger Ausbildung bereits vorhanden war. Endosperm und die nach der Befruchtung einsetzenden ersten Teilungsvorgange

Fig. 48. Fig. 49.

Fig. 48a.

Fig. 48 u. 48a. Castanea vulgaris: Eine der verkiim, mernden Samenanlagen aus demFruchtselben knoten wie in Fig. 47.

Fig. 49a. Fig. 49 u. 49 a. Castanea vulgaris: Die verkiimmernde Samenanlage am Zeitpunkt der Befruchtung.

Fig. 50. Castanea vulgaris: Befruchtungsfiihige Samenanlage zur Zeit der Befruchtung.

waren noch nicht zu beobachten. Die verkfimmernden Samenanlagen unterscheiden sich von den zur Weiterentwicklung bestimmten hauptsachlich durch die GroBenverhaltnisse (Fig. 36 und 38, 43 und 44 a, 47 und 48). Eine auffaUende Veranderung macht bei Quercus und Fagus das inn ere Integument durch. Bei allen Samenanlagen beginnt es von dem Augenblick an, wo der Embryosack der befruchtungsfahigen Samen-

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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anlage seine definitive GroBe erreicht hat, zu schrumpfen und wird schlieBIich bis auf eine einzige Zellreihe aufgelOst. Wiihrend bei Fagus das innere Integument eigenartige Verschlingungen ausstiilpt, die zu einer VerschlieBung der Mikropyle fiihren (Fig. 36), kommt bei Quercus und Castanea der VerschluB durch ein bloBes Verwachsen der Integumente zustande· (Fig. 45 und 46). Am Zeitpunkt der einsetzenden Verkiimmerung war in allen verkiimmernden Samenanlagen von Quercus, Fagus und Castanea der Embryosack mit acht Kernen ausgebildet vorhanden (Fig. 37, 39, 43, 44, 47, 49 rind 51). Auch waren an verschiedenen Samenanlagen eiues und desselben Fruchtknotens Pollenschlauche zu sehen. Die Bilder der Ietzten Stadien der vollstandigen Verkiimmerung stimmen fiir die drei Gattungen so sehr iiberein, daB es nur einem geiibten Auge gelingt, die Samenanlagen dieses Stadiums den Gattungen richtig zuzuordnen. Die Verkiimmerung ist dadurch charakterisiert, daB der ganze

Fig. 51. Castanea vulgaris: Eizelle aus Nr.50 (degenerierende Kerne des Archespors).

Fig.52. Castanea vul· garis: Samenanlage zur Zeit der Bestiiubung.

Fig. 53. Castanea vulgaris: Embryo.

Nucellus sich zunachst zusammenzieht zu einer schmalen, von den Integumen ten abgelOsten Saule (Fig. 42, 45, 48 und 52). Auch hier setzt also die Verkiimmerung nicht bei den Geschlechtszellen, sondern am vegetativen Teil des N ucellus ein. Bei den befruchteten Samenanlagen, in denen schon Embryonen entstanden sind, ist das Nucellargewebe aufgebraucht. Der Embryo liegt in einem Wandbelag yom Endosperm (Fig. 40, 41, 46 u. 53). Das Ergebnis der Befunde bei dieser zweiten Gruppe ist also foIgendes: Die sichtbare Differenzierung setzt erst nach der Bestaubung ein. In der Zeit zwischen der Bestaubung und der Befruchtung, wahrend welcher der Embryosack erst zur vollstandigen Ausbildung gelangt, findet schon die Differenzierung statt. Man muB wohl auch bei den Fagaceen annehmen, daB nur eine Samenanlage iiberhaupt befruchtungsfiihig ist. An den zur Verkiimmerung bestimmten Samenanlagen konnten Embryonen niemals beobachtet werden. Flora. Bd. 124.

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Berta-Sibylle Sommer,

Aesculus hippocastanum. Au.Ber einer Bemerkung in Jon s son s "Om embryosackens utveckling hos Angiospermerna" liegen fiir Aesculus iiberhaupt keine Angaben vor. Dieser Mangel an Beobachtungen an einer so haufigen Pflanze wie Aesculus kann zunachst befremden, wird aber bei den Untersuchungen begreiflich, da die Orientierung der ganz eigentiimlich gekriimmten, asymmetrischen Samenanlage zur Erzielung medianer Langsschnitte groBe Schwierigkeiten macht. Die sechs Samenanlagen des dreifacherigen ;Fruchtknotens sitzen zu je zwei in einem Fach, meist gegenlaufig orientiert. Sie besitzen zwei Integumente. 1m Knospenstadium sitzen die Samenanlagen . m.it dem breiten Funiculus der Plazenta an. 1m Lauf der Entwicklung

Fig. 54. Aesculus hippocastanum: Samenanlage einer jungen Bliitenknospe.

Fig.55. Aesculus hippocastanum: Embryosack aus N r. 54 sHirker vergrOJilert.

Fig. 56. Aesculus hippocastanum: Embryosackeiner anderen Samenanlage desselben Fruchtknotens wie Nr.55.

verbreitert sich der Funiculus zu einem machtigen W ulst, urn den sich die wachsende Samenanlage dicht anlegt. Dabei macht die Samenanlage selbst eine Drehung mit, so daB sie zuletzt asymmetrisch wird. Die ersten Untersuchungen wurden an jungen Bliitenknospen angesteUt zu einer Zeit, da die Samenanlagen auBerlich noch vollkommen miteinander iibereinstimmten. Der Embryosack war noch auffallend klein im Verhiiltnis zu dem machtigen Nucellus. Doch waren die Kernteilungen, die zum Achtkernstadium fiihren, augenscheinlich schon vollzogen. Von den sechs Samenanlagen eines Fruchtknotens aus einer jungen Bliitenknospe aus Fig. 54, 55 und 56 konnte ich nur in dem Embryosack einer einzigen Samenanlage einen normalen Eiapparat fest· stell en mit einer von einer Membran umgebenen Eizelle und Synergiden (Fig. 56). In einer einzigen anderen Samenanlage waren noch

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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Fig. 57 a. Aes· culus hippocastanum: Eine andere Samenanlage desselben FruchtknotenswieNr.57.

Fig. 57. Aesculus hippocastanum: Spateres Stadium einer verkiimmernden Sam enanlage.

Fig. 59. Aesculus hippocastanum: EiapparatausNr.58 starker vergrllJilert.

Fig. 58. Aesculus hippocastanum: Spateres Stadium der befruchtungsfiihigen Samenanlage.

Fig. 60. Aesculus hippocastanum : Verkiimmernde Samenanlage zur Zeit der Befruchtung.

Fig. 61. Oberer Teil der Samenanlage aus Fig. 60.

Fig. 62. Befruchtete Samenanlage nach den ersten Teilungen der Eizelle.

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Fig. 63. Embryo. 6*

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Berta-Sibylle Sommer,

die Reste der offen bar schon degenerierenden Kerne ohne Membran zn erkennen (Fig. 55). Die iibrigen Samenanlagen besaBen keinen normalen Nucellus und boten das in Fig. 57 gegebene Bild dar. Aus spateren Stadien, wenn sich die Eliite geoffnet hat, und wahrend der Zeit der Bestllubung, waren in den zuriickbleibenden Samenanlagen nie wieder Spuren des Eiapparates herauszufinden. Der langgestreckte Embryosack der befruchtungsfahigen Samenanlage sah dagegen in bezug auf Kernzahl und Eiapparat durchaus normal aus (Fig. 58 und 59). In den vollig verkiimmerten Samenanlagen ist der Nucellus bis auf einen ganz sparlichen Rest. von einigen Plasmakornchen verschwunden. In der befruchteten Samenanlage (Fig. 62, 63) sitzt der Embryo noch unter einer Nucellusklappe, eingebettet in einen Wandbelag von dichtem, kleinkernigem Endosperm. Bei allen Samenanlagen verschwindet das innere Integument bis auf einen Rest an der Mikropyle. Acer pseudoplatanus. Bei den zwei Samenanlagen eines Fruchtknotenfaches von Acer handelt es sich, wie bei Aesculus, urn ein sehr friihes Vorauseilen der spater allein befruchteten Samenanlage. Die Fig. 66 und 67,

Fig. 64. Acer platanoides: Befruchtete Samenanlage am Zeitpunkt der Befruchtung.

Fig. 65. Acer platanoides: Embryosack aus N r. 64 starker vergrOj3ert.

Fig. 66. Acer platanoides: Die Nr. 65 entsprechende. verkiimmernde Samenanlage des· selben Faches.

Fig. 67. Acer platanoides : Nucellus aus Nr.66.

68 und 69, die Samenanlagen eines und desselben Fruchtknotenfaches darstellen und aus einer bereits befruchteten Eliite stammen, zeigen, daB Befruchtung iiberhaupt nur bei einer Samenanlage moglich ist. An dieser Samenanlage erkennt man auch noch den Pollenschlauch. Der Zeitpunkt des Entwicklungsstillstandes bei der anderen Samenanlage scheint nicht auf einen Punkt schematisch festgeiegt zu sein.

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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In Fig. 69 ist ein hiiufig beobachteter Fall wiedergegeben, in dem es nicht einmal mehr zur Anlage der Makrosporen gekommen ist. In anderen Samenanlagen war der Embryosack vorhanden, doch erschienen der Eiapparat und die Kerne dann nur rudimentar (Fig. 70). Tilia platyphyllos.

Betrachtet man bei Tilia die Stadien, in denen sich die Teilungen des Archespors vollziehen, so lassen sich keine Unterschiede wahrnehmen. Doch sind die Abweichungen der verkummerten Sam enanlagen bereits vorhanden, nachdem die letzte Tei- Fig. 68. Acer platanoides: Verkiimlungsphase durchlaufen ist. Man findet dann niemernde Samenanlage mals einen normal aussehenden Eiapparat. Polkerne, mit rudimentaren Kernen. auch Antipoden sind vorhanden (Fig. 71). Zur Zeit, da man an einer Samenanlage den Befruchtungsvorgang verfolgen kann, war fOr gewohnlich an keiner der fibrigen Samenanlagen noch eine Eizelle zu sehen. Nur ein einziges Mal konnte noch ein I{ern ohne Zellmembran festgestellt werden. Man muB wohl annehmen, daB bei Tilia die Degeneration einsetzt, wenn die erste von allen zehn Samenanlagen des fiinffiicherigcn Fruchtknotens ihre zum

Fig. 69. Tilia platyphyllos: Eine Samenanlage vor der Befruchtung.

Fig. 70. Tilia platyphyllos: Embryosack von Nr. 69 starker vergrilfiert.

Fig. 71. Tilia platyphyllos: Befruchtungsvorgang.

Fig. 72. Tilia platyphyllos: Befruchtete Samenanlage.

fertigen Embryosack ffihrenden, letzten Teilungsstadien gerade durchgemacht hat. Es scheint, als ob die anderen Samenanlagen dann geradezu auf der Stelle sistiert wiirden. Die Befunde an Tilia diirfen vielleicht nicht in dem MaB wie aIle fibrigen Untersuchungen als vollig

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Berta- Sibylle Sommer,

abgeschlossene Tatsachen hingestellt werden, da die Anzahl der untersuchten Samenanlagen nicht so grot! war, wie bei den iibrigen Pflanzen. fraxinus excelsior.

Um eine ebenso friih eintretende Verkiimmerung wie bei Tilia, Aesculus und Acer scheint es sich auch bei den Oleaceen zu handeln.

Fig. 73. Fraxinus excelsior: Befruchtungsfahige Samenanlage einer j ungen Bliitenknospe.

Fig. 74. Fraxinus excelsior: Embryosack aus Fig. 73 starker vergr5Bert.

Fig. 74a. Fraxinus excelsior: Eine der verkiimmernden Samenanlagen zu Fig. 75.

Fig. 75. Fraxinus excelsior: Befruch tungsfiihige Samenanlage nach der Befruchtung.

Als Beispiel wurde Fraxinus excelsior gewiihlt. Bei Fraxinus verkiimmern von den vier Samenanlagen des Fruchtknotens drei. Ein augenfiilliger Grot!enunterschied wurde unmittelbar nach eingetretener Befruchtung bemerkbar. Wahrend des Knospenstadiums konnten aber schon innere Verschiedenheiten festgestellt werden. Fig. 73 zeigt das Ubersichtsbild einer Samenanlage aus einer jungen Bliitenknospe. Die Samenanlage sitzt an einem auffallend langen Funiculus und besitzt ein Integument. Der Embryosack nimmt nur einen schmalen Fig. 75 a. Fraxinus Platz zwischen dem miichtigen Integument ein und excelsior: Embryobefindet sich augenscheinlich im Vierkernstadium. sack aUR Nr. 75 starker vergr5Bert. Die entsprechenden verkiimmernden Samenanlagen, von denen eine in Fig. 74 dargestellt ist, enthielt nur einen vollig leeren Schlitz. Auf keiner Entwicklungsstufe konnten je in den drei der Verkiimmerung anheimfallenden Samenanlagen Kerne oder Eiapparat entdeckt werden. Fig. 75 zeigt das Stadium des Proembryos. Die gesamte Embryologie ist bereits von Billings (Bei-

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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trage zur Kenntnis der Samenentwicklung, Flora 88) 1901, beschrieben worden.

Prunus Pad us. Die ersten Verschiedenheiten traten schon sehr fruh an Samenanlagen aus jungen BIutenknospen in die Erscheinung. Die Langsschnitte G

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Fig. 76. Prunus Padus: Entwicklungsfahige Samenaniage einer jungen Bliitenknospe.

Fig. 76a. Prunus Pad us: Embryosack aus Nr. 76 starker vergrofiert.

Fig. 77. Prunus Padus: Verkiimmernde Samenanlage desselben Fruchtknotens wie Fig.76.

Fig. 77a. Prunus Pad us: Embryosack aus Nr. 77 sHirker vergr(j/'\ert.

(Fig. 76 und 77) zeigten, daB die Embryosacke bei beiden Samenanlagen noch zu vollstandiger AusbiIdung gelangen. Sie sind zwar noch sehr kleinund sicher auf diesem Entwicklungsstadium der ersten Differenzierung beide noch nicht reif fUr die Befruchtung. Die fur die Befruchtung au serle sene Samenanlage macht in der Zeit, wahrend welcher sich die

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Padus: Befruchtungsfahige Samenanlage aus einer Bliite mit gei!ffneten Antheren.

Fig. 79. Prunus Padua: Die Nr. 7S entsprechende, verkiimmernde Samenanlage.

Prunus Fig. SO. Padus: Embryosack aus Nr. 79.

Prunus Fig. SI. Padus: Nucellus aus Nr. 79 starker vergrMert.

Blute entfaItet, ein Stadium des Wachstums durch. In den Fig. 78 und 79 sind die beiden zusammengehOrenden Samenanlagen einer eben geMfneten BIute wiedergegeben. Die Antheren dieser BIuten waren schon ge5ffnet. Zwischen dem in Fig. 76 und 77 wiedergegebenen· Stadium·

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Berta-Sibylle Sommer,

und dem in Fig. 78 und 79 gezeichneten Stadium liegt ein Zeitraum von 9 Tagen. Man sieht, wie die GroBenunterschiede zwischen den beiden Samenanlagen zugenommen haben. Der Embryosack der entwicklungsfahigen Samenanlage hat sich auch erweitert. In der verkfimmernden Samenanlage sind zwar Embryosack und Kerne noch deutlich vorhanden, doch sind Schrumpfungserscheinungen unverkennbar. Da die Blfiten von Prunus Padus protandrisch sind, dauert es nach der Entfaltung der Bliitenknospe noch einige Zeit, bis die Samenanlagen befruchtungsfahig werden. Eine befruchtungsfiihige Samenanlage weitere 9 Tage spater ist in Fig. 81 wiedergegeben. Man sieht, welche bedeutende GroBe der Embryosack nun erreicht hat. Die verkfimmernde Sam enanlage desselben Stadiums ist bereits ganz degeneriert, der N ucellus bis auf einige Plasmaklumpen aufgelOst (Fig. 83). Bei . den Prunoideen ist die Verkfimmerung zur Zeit der Befruchtung also schon vollstandig vollzogen. Der Eiapparat wird zwar noch vollig ausgebiIdet, doch wird eine Samenanlage bei der weiteren Entwicklung bevorzugt. Die Tatsache, auf Fig. 83. Prunus Fig. 82. Prunus Pad us: BePadus: Endstadidie H of m ei s te r hinge- urn der Verkiimfruchtungsflihige Samenanlage zur Zeit der Befruchtung. merling. wiesen hat, daB man namlich gerade bei Prunoideen gelegentlich zwei befruchtete Samenanlagen in demselben Fruchtknoten findet, steht in keinem Widerspruch zu den Beobachtungen. Man muB auch dann unterscheiden zwischen dem Embryo, der aIIein einen normalen Samen Hefern kann und dem, der aus der zur Verl{fimmerung bestimmten Samenanlage hervorgegangen ist und nicht weiter zur voUen Entwicklung gelangen kann. An den ScbluB der fiir die 13 untersuchten Pflanzen einzeln beschriebenen FaIle sei eine tabellarische Ubersicht fiber die gefundenen Ergebnisse gestelIt:

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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Differe.nzierung vor der Befruchtung

Differenzierung Differenzierung nach der aile Sa-AnI. I nur eine Sa- am Zeitpunkt mit normal em AnI. m. norm. der Befruchtung Befruchtung Eiapparat Eiapparat Betula. Alnus Corylus . Carpinus " Ostrya . Fagus Quercus Castanea. Prunus. Aesculus . Acer. Fraxinus . Tilia.

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3. K a p i tel: Theoretische Folgerungen. Aus der Tabelle ergibt sich die Moglichkeit, die an den einzelnen Pflanzen angestellten Beobachtungen einmal in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Wir' finden in allen FaIlen, daB die Verkiimmerung schon vor der Befruchtung, also unabhangig von ihr und den nach ihr stattfindenden Vorgangen einsetzt. Sie liegt von vornherein in der Natur eines der Entwicklungszustande der Samenanlage. Diese Erkenntnis macht es auch verstandlich, daB aIle Vorgange in den verkiimmernden Samenanlagen iibereinstimmen in bezug auf Zeitpunkt und ReduktionsverI auf. Wir miissen diese FaIle mit den hiiufig vorkommenden Fallen parallelisieren, wo neben normalen Samenanlagen noch Reste anderer Samenanlagen andeutungsweise im Gynaeceum auftreten. ~r Unterschied besteht also nicht, wie man bisher annahm, in der qualitativen Beschaffenheit· der vollig ausgebildeten Embryosacke auf der einen Seite und jenen Rudimenten auf der anderen, sondern nur in dem Grad der Ausbildung, bis zu welchem die Organe noch vorgeschritten sind. Eine Erklarung der Pradestinierung einer Samenanlage fiir Verkiimmerung oder fiir Befruchtungsfahigkeit wird aus den der experimentellen Nachforschung zuganglichen Tatsachen allein nicht hervorgehen konnen. Die mechanischen oder stofflichen Einfliisse, die von auBen oder innen in den Entwicklungsgang eingreifen, sind sicher nicht prim are Ursachen. Wie konnten sonst solche Einfliisse auf die eine einzige Samenanlage fordernd, auf die anderen aber hemmend einwirken? Wollte man aber ann ehmen, daB von der zur Samenentwicklung bestimmten Samenanlage irgendwelche, die anderen Samenanlagen hemmende

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Berta-Sibylle Sommer,

Enzyme ausgehen, so muBten diese Enzyme doch erst durch den EntwicklungsprozeB selbst ausgebildet werden. Sie wiiren also immer schon Folge einer bereits vorauseilenden Entwicklung der fertilen Samenanlage. J edenfalls handelt es sich bei der ganzen Erscbeinung nicht urn ein, menschlichen Begriffen entsprechendes Sparsamkeitsprinzip. Vielmehr liiBt sie sich auch in diesem Falle nur aus dem Organisationstypus der ganzen BIute heraus begreifen. Wir verstehen dann die Befruchtungsuntauglichkeit bestimmter Samenanlagen als etwas durch den gestaltlichen Werdegang der ganzen BIute Gewordenes, als einen Ausdruck einer in verschiedenen Teilen der BIute zur Geltung kommenden Reduktionserscheinung. Von den sich auf andere Teile derselben BIuten erstreckenden Reduktionserscheinungen seien einige angefuhrt: 1. die Unterdruckung der Mittelblute in den weiblichen Dichasien der Betulaceen, 2. die Unterdruckung eines Geschlechts in den Zwitterbliiten bei Fagaceen, Aceraceen, Aesculus, Fraxinus, 3. Staminodialbildungen bei Fagaceen, Aceraceen, Aeseulus, Fraxinus 1), 4. das Verschwinden der BIutenbliitter der miinnlichen BIuten von Betula und Alnus, 5. der Ausfall zweier BIutenbHUter bei Fraxinus, Fehlen des Kelches, 6. die gelegentliche Unterdruckung des mittleren der unteren drei BIutenbliitter bei Aesculus, 7. Ausfall des Kelches bei Acer. Hinsichtlich des genauen Zeitpunktes, an dem die Verkummerung zuerst beobachtet werden kann, lassen sich in den untersuchten FiiIlen zwei Typen aufstellen: 1. hei allen Samenanlagen geht die Entwicklung bis zur Ausbildung des fertigen Embryosacks. In den fruben Stadien ist keinerlei Unterscheidung zwischen der befruchtungsfiihigen und der verkummernden Samenanlage moglich. (In diese Gruppe gehOren aIle bei den Fagales und Prunoideen beobachteten FiiIle.) 2. es kommt nur noch bei einer Samenanlage zur Entwickluug des fertigen Emhryosacks. 1) Einzelheiten fiber die im Andrilceum der Betulaceen vorgehenden Reduktionserscheinungen sind hisher noch nicht bekannt.

Uber En,twicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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Die diesem Typus folgenden Pflanzen weisen nach v. Wetts tei n alle untereinander phylogenetische Beziehungen auf: Columniferae Terebinthales (Tilia) Acer Aesculus Celastrales Ligustrales (Fraxinus) Man konnte den Typ 2 vielleicht als Columniferen-Typ bezeichnen, den Typ 1 als Fagales-Typ. Die Prunoideen wurden danach dem ersten Typus folgen, doch sind sie von den Fagales dadurch unterschieden, daB die Verkummerung schon auf einem viel jungeren Entwicklungsstadium voIlzogen ist. Es ist auffallend, daB' die Pflanzen, die systematische Beziehungen zueinander aufweisen, auch demselben Typus folgen. Diese Tatsache zeigt noch einmal, daB die Verkummerungen nicht durch irgendwelche, durch die Umwelt bedingte physiologische Prozesse hervorgerufen werden. Die Zusammenfassung einzelner Reduktionserscheinungen zu einem, den gesamten Habitus der Pflanze bestimmenden Gestaltungsprinzip hat zu einer neuen Auffassung der heute gegebenen Formen gefuhrt. Es sei daher zum SchluB noch die Frage gestreift, inwiefern die in der vorliegenden Arbeit gesammeIten Erkenntnisse zu den Gesichtspunkten passen, die heute fur die Systematik maBgebend geworden sind. 1m besonderen soli hier noch kurz eingegangen werden auf die Streitfrage, an welcher Stelle des Systems die Monochlamydeen einzuordnen sind. Die altere Systematik stelltt) die Monochlamydeen an den Anfang des Angiospermenzweiges und sah in ihr Pflanzen primitiven Charakters. Als starkste Beweise primitiver Merkmale wurden angefuhrt: 1. Vorherrschen von Holzpflanzen, Fehlen von Holzfasern im Xylem, 2. die Eingeschlechtigkeit del' Bluten, 3. Fehlen, bzw. einfacher Bau des Perianths, 4. Anemophilie, 5. Endotropisches Wachstum des Pollenschlauches, 6. Stellung der Staubblatter uber den Perianthblattern, 7. Leitbiindel im Integument, 8. Mehrzelligkeit des Archespors, 9. Krassinucellare Samenanlagen, 10. die spate Entstehung und Reife der Samenanlagen in der Ontogenese.

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Berta-Sibylle Sommer,

Den starksten Beweis unter den angefiihrten Eigentiimlichkeiten konnte wohl die von Treub entdeckte und von Nawaschin eingehend analysierte Chalazogamie bilden. N a waschin erblickte in der Unfahigkeit des Pollenschlauches, frei durch den Mikropylenhohlraum zu wachsen, eine von den Befruchtungsverh1iltnissen bei den Gymnospermen her abzuleitende Eigenart. In den seit seinen Untersuchungen verflossenen Jahren hat sich die Auffassung von N a waschin nicht bestatigt gefunden, und he ute betrachtet man die Monochlamydeen als stark abgeleitete Formen. Zur Widerlegung der alteren Auffassung fiihrt man an: 1. ihr geologisches Alter, 2. ihre geographische Verbreitung, 3. daB die eingeschlechtigen Bliiten durch Reduktion aus zwittrigen Eliiten entstanden sind, 4. daB das fehlende Perianth durch Unterdriickung erst sekundar ausgefallen ist, 5. daB die AnemophiIie von Insektenbliitigkeit abgeleitet gedacht werden kann, 6. daB Mehrzelligkeit des Archespors auch in ganz anderen Gruppen mit zweifellos abgeleiteten Charaktermerkmalen vorhanden ist (Rosales, UmbeIIiferen, Compositen u. a.), 7. daB die Leitbiindel in den Integumenten als Fortbildungen gedacht werden konnen der GefaBe, die in der Chalaza endigen, 8. daB das endotropische Wachstum des Pollenschlauches, seit es auch an stark abgeleiteten Formen bekannt geworden ist, aufgefaBt werden kann als eine, erst sekundar erworbene Eigentiimlichlmit. In bezug auf die angefiihrten, anatomischen Merkmale fehlt es noch an vergleichenden Untersuchungen, urn die Entscheidung, ob es sich urn primitiven oder abgeleiteten Bau handelt, endgiiltig zu sichern. Aber die in der vorliegenden Arbeit gewonnene Erkenntnis von der planmiitlig eintretenden Reduktion im Gynaeceum kann vielleicht die neuere Auffassung von der systematischen Stellung der Monochlamydeen stiitzen.

Uber Entwicklungshemmungen bei Samenanlagen.

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Zusammenfassung. I. Die bei einigen' Pflanzen regelmaBig eintretende Erscheinung, daB bestimmte Samenanlagen des Fruchtknotens verkiimmern, tritt in allen Fallen unabhangig von auBeren Einfliissen auf einer bestimmten, friihen Stufe der Embryosackentwicklung ein. II. Die Verkiimmerung lauft parallel mit anderen, den morphologischen Typus derselben Bliiten bedingenden Reduktionserscheinungen. III. Die Verkiimmerung nimmt innerhalb derselben systematisch zusammengehOrenden Formenkreise einen charakteristischen VerIauf. Die vorliegenden Untersuchungen wurden im PfIanzenphysiologischen Institut der Universitat Miinchen in der Zeit yom 15. April bis 15. Oktober 1928 ausgefiihrt. Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Professor Dr. K. von Go e bel mochte ich auch an dieser Stelle fiir die Anregung zu dieser Arbeit und fUr sein dauerndes, anspornendes Interesse meinen aufrichtigsten Dank aussprechen. AuBerdem danke ich auch Herrn Professor Dr. A. Mitterer aus Brixen und allen anderen, die mir bei der Beschaffung des auswiirtigen Materials geholfen haben.

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