Cecidologische Notizen liP). Von Ernst Kiister (Gie13en). Mit 2 Abbildungen im Text.
Die Entwicklung irgendwelcher Gallen liber ihr natlirliches MaB hinaus zu ford ern , d. h. liber das MaB hinaus, welches unter den in der Ireien Natur verwirklichten Bedingungen ihren Wachstums- und Differenzierungsprozessen gesteckt ist, hat namentlich Beyer inc k mit vielseitigen Experimenten erfolgreich versucht. Beyer inc khat darauf aufmerksam gemacht, daB manche Po n _ tania-Gallen (auf Salix), die man von ihren Wirtsorganen ablost, unter glinstigen Bedingungen nicht nur lange am Leben bleiben, sondern sich auch kraftig bewurzeln 2). Durchwachsene TriebspitzengaUen zeigen, daB die in den Gallenbliitterspitzen verborgenen Vegetationspunkte normale Zweige liefern. Beyer inc k fand, daB Bedeguare (Rhodites rosae auf Rosa) ihre Filamente zu einfachen oder gefiederten Blattchen werden lassen konnen, wenn man an den Gallenwirten rechtzeitig Wurzellohden und Seitenzweige entfernt. In diesen und ahnlichen Fallen 3) handelt es sich urn organoide Bildungen. Die G ewe b e der Gallen zu besonderer, abnorm gesteigerter Entwicklung. zu bringen, gelingt durch Steigerung der Erriiihrung [V och ti ngs Versuche an H etero d era-infizierten Sonnenrosen 4)]. Dem Experiment zunachst llicht leicht zuganglich sind die Fragen, welche uns die "Mischgallen" 5) vorlegen, d. h. die Produkte, die nach Infektion einer Galle durch ein fremdes Zezidozoon zustande kommen. Es laBt sich ann ehmen, daB einmalige oder gar wiederholte Neuinfektion einer Galle durch Zezidozoen gleicher oder verschiedener Art das Wachstum der Gallen abnorm zu steigern imstande sein wird. Durch Pfropfung 1) Vgl. Flora, Bd. 90, 1902, S. 67 und Bd. 92, 1903, S. 380. 2) Beyerinck, M. W., Uber das Cecidium von Nematus capreae auf Salix amygdalina (Bot. Ztg. 1888, Bd. 46, S. 1). 3) Vgl. Kiister, Gallen der Pflanzen 1911, S. 305ff. 4) Vgl. Kiister a. a. 0., S. 320. 5) Vgl. Kiister a. a. 0., S. 317. 22*
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die Gewebsbildung der Gallen zu beeinIlussen, ist bereits wiederholt versucht worden, bisher jedoch ohne nennenswerte Erfolge 1). Ein einfaches Verfahren, bestimmte Gallen zu einer Gewebsbildung anzuregen, die iiber die norm ale Histiogenese hinausgeht, besteht darin, daB man jene oder die gallentragenden Organe im dampfgesattigten Raume verweilen laBt. Eriophyes tiIiae ruft, wie bekannt, auf den Blattern der Linden ein Erineum hervor, das sich vorzugsweise auf der Unterseite d.er Spreiten in den fiir die FiIzgaUen charakteristischen Formen entwickelt. Die GroBe und die Form der Erineumrasen, ihre Beziehungen zu Blattrand und Blattnerven usw. wechseln sehr; auch die Blattoberseite, sogar der Blattstiel zeigen sich oft infizierP). NamentIich von Frank beachtet worden sind diejenigen LindenfilzgaUen, bei welchen die besiedelten Spreiten auf beiden Flachen an korrespondierenden Arealen Erineumhaare liefern, zumeist aber so, daB die eine der beiden Flachen sehr kraftige Haare tragt, die andere nur schwachere Behaarung aufweist. An man chen Standorten findet man selbst an stark infizierten· Baumbestiinden nur einseitige, an anderen neben einseitigen auch viele' doppelseitige ErineurngaUen oder sogar ausschlieBIich die letzteren Frank hat durch seine entwicklungsgeschichtlichen, Untersuchungen· dargetan, daB der Haarrasen der beiden Spreitenflachen sich nicht gleichzeitig entwickelt, sondern zunachst an der von den MiIben direkt besiedelten, spater an der dem Infektionsareal korrespondierenden Flache der anderen Seite S): nur zwischen den Haaren der unmittelbar besiedelten Flache sind Zezidozoen nachweisbar; auf der entgegengesetzten sind keine Tiere zu finden. Nun ist zwar auch von zahlreichen anderen Phytoptozezidien bekannt, daB beide Seiten eines infizierten Blattabschnittes zur Haarbildung kommen; beim Erineum der Linde ist aber der Fall insofern von besonderem Interesse, als das zwischen· den beiden haarliefernden Epidermen liegende Mesophyll der Lindenblatter in sehr vielen Fallen zu keinerlei Wachstumsleistungen angeregt wird, 1) K ii s t e r, E., tIber die Gallen der Pflanzen (Fortschritte der naturwiss. Forschung, Bd.8, 1913, S. 115, 153). Magnus, W., Die Entstehung der PflanzengaUen verursacht durch Hymenopteren, Jena 1914, S. 86, 87. 2) Vgl. z. B. Houard, C., Les Zoocecidies des plantes d'Europe, T. 2, 1909, p. 714ff., und die sehr eingehende Beschreibung von Schlechtendal, D. H. R. v. Eriophyidocecidien (2. Lief. von Riibsaamen, Die Zoocecidien Deutschlands, Stuttgalt 1916, S. 36Uf.). 3) F ran k, A. B., Die tierparasitlirEm Krankheiten der Pflanzen (Krankh. d. Pfl. Bd. 3). Breslau 1896, S. 47.
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in anderen hOchstens durch minimales FHichenwachstum eine schwache Ausbeulung der Blatter bewirkt 1). An vielen Standorten sucht man nach doppelseitigen FiIzgaJlen umsonst, auch wenn die Baume die Spuren starker Infektion tragen. Es ist bekannt, daB manche Eriophyes-Arten in verschiedenen Varietaten vorkommen, und es laBt sich zur Zeit noch nicht beurteilen, ob und inwieweit geringe Unterschiede in der Struktur der Gallen wie die soeben angeffihrten vielleicht auf (morphologisch oder nur physiologisch unterscheidbare) Rassen der Zezidozoen zuruckzufuhren sind. Es ware bei den vorliegenden Unterschieden der Gallen weiterhin zu fragen, ob individuelle Unterschiede der Gallenwirte zu ihrer Erklarung heranzuziehen sind, oder ob. irgendwelche AuBenweltsbedingungen (Klima und Boden) die Hauptrollen spielen . .Mit Lindenblattern, welche einseitiges Erineum auf der Unterseite der Spreiten tragen, laBt sich leicht folgender Versuch durchfuhren: man laBt die gaUentragenden Spreiten oder Stucke von ihnen auf Wasser schwimmen. Bedient man sich geschlossener Schalen, so befinden sich die Oberseiten in dampfgesattigter Luft. Die Zellen der oberseitigen Epidermen wachsen binnen 4 oder 5 Tagen zu typischen Erineumhaarell aus, vorausgesetzt, daB die Blatter nicht allzu alt sind (Versuche im J uni). LaBt man die Blatter mit ihrer Oberseite auf dem Wasser schwimmen, so bleibt das anomale Haarwachstum aus; wohl aber erfolgt noch nachtraglich ein solches binnen wenigen Tagen, wenn man die Blatter umkehrt und nunmehr mit ihrer behaarten Unterseite auf das Wasser auflegt. Der in feuchter Luft entstandene Erineumrasen ist niemals so up pig wie der in der freien Natur erwachsene. Dicke, weiBe, pelzahnHche Belage sah ich niemals entstehen, vielmehr nur schwache, oft sehr sparliche Haargruppen.Unter dem Mikroslwp sieht man die neu entstandenen HaarzeUen, wie die EpidermiszeUen, welche nur zu kurzen papillen- oder blasenahnlichen Formen herangewachsen sind, reich mit Protoplasma geffiUt. Die Dicke der Wande der Haare ist auffallend un gleich, die Form der Haare gleicht der der typischen Erineumhaare; doch sah ich auch im Wasserversuch relativ dichte Rasen enstehen, die aus Keulenhaaren sich aufbauten; solche sind von anderen Erineumformen zwar bekannt, das typische Lindenerineum hingegen weist nur regelmaBige Zylinderformen auf. Ich verweise auf die umstehende Figur 1. I) Vgl. Kuster, Pathol. Pflanzenanatomie, 1. AufI., Jena 1903, S. 115.
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Ernst Kuster,
Es ist klar, daB die kiinstlich hervorgerufenen Erineumrasen iitiologisch durchaus den Intumeszenzen 1) entsprechen; diesen gleichen sie auch histologisch - hOchstens, daB die Lindenhaare die typischen Intumeszenzen durch ihren EiweiBreichtum iibertreffen. An Bliittern der Espe (Populus tremula u. a.) lassen sich durch dieselbe Methode, die den Gallen gegeniiber sich brauchbar zeigte, Mesophyllintumeszenzen in groBer Zahl erzeugen. An den Bliittern der Linde entstehen solche bei gleicher Behandlung nicht, und bei den schwimmenden Bliittern un serer Versuche entstehen die Haarfilze nur an denjenigen Arealen, welche mit den unterseitigen typischen Gallenfeldern korrespondieren. Ubrigens finden sich an denselben Linden, deren Bliitter so reich mit unterseitigem Erineum ausgestattet sind, gelegentlich auch solche, welche oberseits infiziert worden sind: diese lassen sich durch die geschilderte Methode zur Bildung unterseitiger sekundiirer Haarrasen bringen. Die in Fig. 1 dargestellten Proben, entstammen iibrigens durchweg denjenigen Objekten, welche unterseits von Milben besiedelt worden waren und oberseits die sekundiiren Rasen trugen. Tilia platyphyllos und T. ulmifolia verhalten sich gleich. Aus den geschilderten Versuchsergebnissen geht hervor, daB die Bliitter der Linden in dampfgesiittigter Luft "Intumeszenzen" Iiefern, wenn die Epidermen durch die Einwirkung des Eriophyes tiliae oder bestimmter Rassen dieses Zezidozoons hierzu befiihigt worden sind. Wir diirfen weiterhin sagen, daB die Bliitter mancher Lindenbiiume nach Infektion durch bestimmte Milbenrassen an den besiedelten Arealen schon dann intumeszenzeniihnliche Epidermisprodukte entstehen lassen, wenn die Feuchtigkeit der sie umgebenden Atmosphiire eine mittlere ist (doppelseitiges Erineum). Wir wissen, daB viele Gallen - und oft auch die Filzgallen von entsprechenden nichtinfizierten Anteilen derselben Pflanze sich durch groBen Stoffreichtum unterscheiden. Vielleicht genugt diesel' bereits, urn die Intumeszenzbildung au den Milbenarealen der Lindenbliitter zu erkliiren. Kiinstliche Fiitterung del' Lindenbliitter mit Kohlenhydra ten (Kultur der Spreiten auf 5 % Glukose) fOrdert jedoch die Intumeszenzbildung in keiner Weise. Auch ist die Eigentiimlichkeit, in dampfgesiittigter Atmosphiire glatte Epidermen zu Haaren auswachsen lassen zu konnen, weder bei den Milbengallen noch bei anderen Kategorien von Zezidien weit verbreitet, obwohl del' ihnen allen gemeinsame Nahrgehalt an Starke und EiweiB solche Reaktionen urn so eher 1) K u 8 t e r, Pathol. Pflanzenanatomie 1916, 2. Aufl., S. 44.
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erwarten lassen konnte, als - zumal bei den MiIbengalIen - Haarbildung zu den verbreitetsten und auWUligsten Teilprozessen der Cecidogenese gehOrt. In Fig. 2 ist der Querschnitt durch zwei C e p h aloneon-Beutel des Acer pseudo-platanus dargestellt; stark infizierte Blatter sind fur 6 Tage auf 5 % ige GIukoselOsung gelegt und in feuchter Luft zur Produktion von auffallend langen Haaren ge~ bracht worden, so daB an den Gallenmundungen geradezu pinselahnIiche HaarschOpfe sichtbar werden. Wie die Gallen des Ace r p s e u d 0 -
Fig. 2. Querschnitt durch zwei Cephaloneongallen des Ahorns. Zwei Gallen wliJben sich auf der Blattoberseite vorj die sekundaren Haarbildungen entwickeln sich auf der (beirn Versuch nach oben gewandten) rnorphologischen Unterseite des Blattes.
platanus verMIt sich auch das Cephaloneon myriadeum des Acer cam p es tre (E riophye s m acrorrhynch us). 1m ubrigen kann ich nur fiber negative Ergebnisse berichten. ErineumgaUen von Vitis, Alnus, IugJans und Acer lieBen sich - auch bei vierwochentlichem VerweiIen im Dampfbad - nicht in doppelseitige Haarrasen verwandeln. Das Ausbleiben der an den Infektionsarealen erwarteten Intumeszenzen konnte vielleicht bei Vi tis deswegen besonders fiberraschen, weil das Erineum des Rebstockes in der freien Natur zuweilen 1) doppelseitig auftritt. Vielleicht lassen sich 1) Vgl. SchlechtendaJ, a. a. 0., S. 387.
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in FaIlen besonders starker Infektion oder nach Einwirkung besonders virulenter Milbenrassen auch im Dampfbadversuch doppelseitige Filzrasen noch erzielen. _ Versuche mit Lindenblattern habe ich zu verschiedenen Zeiten _ zuletzt Mitte Juli mit Material verschiedenster Provenienz angestellt. Die JUli-Versuche ergaben hinsichtlich der Intumeszenzbildung ebenfalls ein positives Resultat, wenn auch die Haarrasen recht schmachtig ausfielen. Auf aile Faile handelt es sich bei den kiinstlich hervorgerufenen Eri~!'lumrasen urn Produkte, die am ausgewachsenen Material entstehen. Tho mas hat den "Fundamentalsatz der Zezidiologie" aufgestellt, nach welchem Gallenbildung nur moglich ist, solange der betreffende Pflanzenteil noch in der Entwicklung begriffen ist. Bei den doppelseitigen Erineumbildungen der Linde haben wir es nach dem Gesagten mit Gallen zu tun, von welchen zum mindesten einige histiogenetische Teilprozesse nicht an den embryonalen Zustand der Substrate gebunden sind, sondern unter geeigneten AuBenweltsbedingungen noch an Zellen des Dauergewebes sich abspielen konnen. ·Auch in diesem Punkte ist ein Vergleich der beschriebenen Haarbildungen mit den typischen Intumeszenzen angezeigt, da diese - eben so wie die hyperhydrischen Wucherungen der sekundaren Rinde - auch aus Dauergewebe sich entwickeln Mnnen.