Effekte von Bonusprogrammen der Kassen

Effekte von Bonusprogrammen der Kassen

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Effekte von Bonusprogrammen der Kassen Viviane Scherenberg und Gerd Glaeske Doppeleffekte. Pra¨mie und Boni sind magische Worte, die aufgrund der implizierten Erwartungshaltungen das interne Belohnungssystem aktivieren und das interne Kontrollsystem reduzieren (Weber und Neuhaus, 2007). Diese neuropsychologischen Effekte ko¨nnen sich die GKVen seit Einfu¨hrung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) und damit dem Bonus fu¨r gesundheitsbewusstes Verhalten im Jahr 2004 zunutze machen; derzeit nutzen ca. 85% der GKVen die Mo¨glichkeit der Bonivergabe (Scherenberg and Glaeske, 2010). Dabei beziehen sich die Anreizsysteme auf das Zuru¨ckdra¨ngen von Krankheiten (z.B. Fru¨herkennung nach §25 und §26 SGB V) und der Fo¨rderung gesundheitlicher Ressourcen (z.B. Stressbewa¨ltigung). Ein dreija¨hriger Effizienznachweis bei der Aufsichtsbeho¨rde (§65a SGB V) soll der Risikoselektion vorbeugen (Ho¨ppner et al., 2005) und Anreize fu¨r die Problemlagen schlechter Risiken schaffen. Denn anders als in der Solidargemeinschaft subventionieren die schlechten Risiken (bzw. die positiv vera¨nderte Gesundheit) die guten Risiken. Neben der Fo¨rderung bzw. Besta¨tigung gesundheitlicher Verhaltensweisen versta¨rkt der Wettbewerbsdruck den Effekt, dass Boni zudem zur preislichen Differenzierung (versta¨rkt durch den einheitlichen Beitragssatz) sowie zur Kundengewinnung und -bindung genutzt werden. Status quo. Zwar weisen bisher alle eingereichten Effizienznachweise eine positive Kosten-Nutzen-Effizienz auf, doch darf dies nicht daru¨ber hinwegta¨uschen, dass auch bei Bonusprogrammen das altbekannte Pha¨nomen der Zielgruppenverfehlung (Pra¨ventionsdilemma) zum Tragen kommt.

Denn lt. Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung ist der typische Teilnehmer ohnehin gesundheitsbewusst, weiblich und geho¨rt eher der Oberschicht an (Schnee, 2007). Einschreibungsquoten von Arbeitslosen und sozial Schwachen sind eher gering. Wa¨hrend bei Kindern bspw. keine ho¨here Inanspruchnahme bei Fru¨herkennungsuntersuchungen verzeichnet werden kann, nehmen jugendliche und erwachsene Programmteilnehmer deutlich ha¨ufiger teil (Dreier et al., 2006). Zwar ist die Vorsorgefreudigkeit bei U-Untersuchungen in Deutschland mit ca. 80 bis 90% per se hoch, allerdings sinkt sie mit zunehmendem Alter des Kindes, niedrigem Sozialstatus der Eltern sowie bei Migrationshintergrund rapide ab (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2006). Nicht ohne Grund weißt die vom Robert Koch Institut durchgefu¨hrte KIGGS Studie ausdru¨cklich auf die pra¨ventiven Potenziale dieser Zielgruppe hin (Lampert and Kurth, 2006), was fu¨r eine spezifische Aufkla¨rung und Motivierung der heranwachsenden Generation spricht. Wenn auch kurzfristig in ho¨heren Altersgruppen (Rentner) gro¨ßere Einsparungseffekte zu erzielen sind, pra¨gen gerade positive Erfahrungen im Kindesalter gesundheitsfo¨rdernde Verhaltensweisen, die sich auf die Gesundheit als Erwachsener auswirken. Zudem weisen insbesondere Kinder aus unteren Schichten eine bedenkliche Pra¨valenz pra¨venta¨ berbeler Gesundheitssto¨rungen wie U gewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Entwicklungssto¨rungen und psychische Erkrankungen auf (UNICEF, 2008). Doch kinderreiche Familien unterer Schichten sind weder eine at-

traktive Zielgruppe, noch sind o¨konomische Effekte hier kurzfristig erzielbar. Hinzu kommt, dass bei einem Wechsel die konkurrierende Kasse von langfristigen Investitionen der Vorga¨ngerkasse profitiert. Aus o¨konomischer Sicht bleiben Investitionsanreize in Maßnahmen fu¨r junge freiwillige Versicherte ohne Kinder bestehen, da der Morbi-RSA zudem nur wenig Anreize zur Pra¨vention (z.B. aufgrund der Entkoppelung vom Disease Management Programm) setzt und ein vollsta¨ndiger Ausgleich aller Krankheiten samt Schweregrad und Leistungsbedarf nie ganz mo¨glich ist (Busse et al., 2007; Glaeske, 2008). Ursachen. Mitnahmeeffekte guter Risiken und Selbstselektionseffekte schlechter Risiken stellen langfristig eine Schwa¨chung des Solidarprinzips dar. Denn inwieweit Einsparungen erzielt werden, ha¨ngt von der gesundheitlichen Stimulierung schlechter Risiken durch die Ausgestaltung ab. Fungiert das Pra¨ventionspotenzial nicht als Steuerungsgro¨ße, werden Streuverluste und die Verschwendung knapper Ressourcen erho¨ht und die Erfolgswahrscheinlichkeit minimiert. Werden zudem Risikogruppen (z.B. ¨ bergewichtige) durch die empfundeU ne Unwahrscheinlichkeit der Zielerreichung (z.B. BMI-Pflichtkriterien) abgeschreckt, wird die Wirkung verfehlt. Boni bzw. Bonifizierungskriterien sollten daher fu¨r alle Versicherten (je nach Alter, Geschlecht, soziale Lage und Gesundheitszustand) erreichbar sein, die Anstrengung (respektive bei Reduktion fest verwurzelter behavioraler Risikofaktoren) anerkennend honoriert werden und einen direkten Einfluss auf die gesundheitliche Zielsetzung ausu¨ben. Werden

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die populationsbezogenen Bonusprogramme nach dem Gießkannenprinzip ausgerichtet, werden Erfolge vom healthy user effect bzw. Mitnahmeeffekt gesunder und gesundheitlich engagierter Versicherter u¨berlagert. Die wenigen Zielgruppenprogramme (8,9%) - eher gro¨ßerer Kassen - orientieren sich dabei vorwiegend an altersspezifischen Merkmalen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) (Scherenberg and Greiner, 2008). So ko¨nnen Kinder und Jugendliche beim Bonusprogramm z.B. der mhplus BKK (Potzblitz) und der Barmer GEK (Leo & Bixi) mithilfe eigener Bonushefte Punkte sammeln und so lernen, fru¨h Eigenverantwortung zu u¨bernehmen. Die Altersverteilung des Bonusprogramms der Barmer zeigt, dass eine zielgruppenspezifische Aktivierung junger Menschen mo¨glich ist (vgl. Abbildung 1). Bei den meisten Programmen sammeln Kinder indes u¨ber ihre Eltern und sind Bestandteil der Altersgruppe 20 bis 49 Jahre (vgl. Tabelle 1). Hier besteht ein erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich der tatsa¨chlichen und mo¨glichen Aktivierung. Dabei darf nicht unterscha¨tzt ¨ bernahme werden, dass die fru¨he U der Selbstverantwortung von Kindern und Jugendlichen vom gesundheitlichen Verhalten, sozialem Status und Migrationshintergrund und damit fo¨rderungsfa¨higer und -williger Eltern abha¨ngigist. Da eine Risikogruppen-

Abbildung 1. Prozentuale Altersverteilung der Teilnehmer des Bonusprogramms der Barmer. Datenbasis: Evaluationszeitraum 01.01.2004-31.12.2005; (n = 70.429); Stock et al., 2008.

strategie nach sozioo¨konomischen Kriterien (z.B. Einkommen) einer Diskriminierung gleich ka¨me, werden bei der Wahl der Bonifizierungskriterien, den Anreizen sowie der Kommunikation in erster Linie soziodemografische Kriterien (z.B. Alter, Geschlecht, Familienstand) herangezogen. Nebeneffekte. Bonusprogramme ko¨nnen intrinsische Motivation zersto¨ren (Verdra¨ngungseffekt) oder fo¨rdern (Versta¨rkungseffekt). Der Verdra¨ngungseffekt ist bei Kindern besonders stark (Deci et al., 1999; Frey, 1997). Eine Konditionierung der heranwachsenden Generation auf Boni scheint daher bedenklich. Hohe Folgekosten ko¨nnen zudem entstehen, da Menschen dazu neigen, sich an Reize

zu gewo¨hnen und immer neuere und sta¨rkere Reize suchen, sodass es einer (Re-)Motivierung mithilfe (zusa¨tzlicher) aufmerksamkeitsstarker Anreize bedarf. Studien (Walter et al., 2006) belegen, dass nicht moneta¨re Anreize, sondern besonders die Kommunikation (Reminder, positive FeedbackMechanismen bzw. verbale Belohnungen) sowie der Abbau finanzieller Barrieren die Motivation und Teilnahme positiv beeinflussen. Fazit. Von Bonusprogrammen sind starke Pra¨ventionsimpulse ausgegangen. Allerdings kann nur das Zusammenspiel von Verhaltens- und Verha¨lt¨ bernispra¨vention einen Beitrag zur U windung des Pra¨ventionsdilemmas leisten. Basis ha¨tte hier das ,,Gesetz zur Sta¨rkung der gesundheitlichen

Tabelle 1: Prozentuale Altersverteilung Teilnehmer (40 Bonusprogramme) (BKK Bundesverband, 2008). Ma¨nner < 20 Jahre 20-49 Jahre 50-59 Jahre 60-69 Jahre > 70 Jahre gesamt (n = ca. 170.000) Anzahl aktive Kinder und Jugendliche?

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Frauen

Kontrolle

Bonus

Kontrolle

Bonus

1,6% 64,2% 15,2% 11,0% 8,0% 100,0%

0,6% 56,5% 18,1% 19,0% 5,8% 100,0%

1,5% 63,8% 13,0% 8,7% 13,1% 100,0%

0,3% 45,3% 45,3% 7,2% 2,0% 100%

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Pra¨vention’’ der Bundesregierung von 2005 sein ko¨nnen, welches trotz breitem Konsens u¨ber den notwendigen Ausbau einer gesamtgesellschaftlichen Pra¨vention aufgrund finanzieller Unstimmigkeiten der parlamentarischen Diskontinuita¨t mehrfach zum Opfer fiel.

Literatur siehe Literatur zum Schwerpunktthema. www.elsevier.de/phf-literatur Die korrespondierende Autorin erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Viviane Scherenberg Leitung Competence Team & Partnerships Health- und Socialcare die dialogagenten - Agentur Beratung Service GmbH Katernberger Straße 4 42115 Wuppertal [email protected]

doi:10.1016/j.phf.2010.09.023

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Einleitung Seit dem 01.01.2004 ko¨nnen die GKVn ihren Versicherten Boni fu¨r gesundheitsbewusstes Verhalten offerieren. Die spezifischen Gestaltungsmo¨glichkeiten auf die spezifischen Zielgruppenbelange auch von Kindern und Jugendlichen sind vielfa¨ltig, um fru¨h eigenverantwortliches Handeln zu fo¨rdern. Im Hinblick auf die Nutzung, den Nutzen nicht kinder- und jugendzentrierter Programme, mo¨glicher Nebeneffekte aufgrund der Verdra¨ngung intrinsischer Motivation sowie verha¨ltnisbezogener Barrieren besteht erheblicher Forschungsbedarf. Schlu¨sselwo¨rter: Bonusprogramm = bonus program, Krankenkassen = health insurance funds, Pra¨vention = prevention, Anreize = incentives, Motivation = motivation

Literaturverzeichnis BKK Bundesverband. Evaluation der BKK Bonusprogramme - Ergebnisse der ersten Evaluationswelle, URL:http://www.bkk-bv-gesundheit.de/redaktion_intern/dokumente/11515. pdf, [Stand 20.11.2009]; 2008. Busse R, Dro¨sler S, Glaeske G, Greiner G, Scha¨fer T, Schrappe M. Wissenschaftliches Gutachten fu¨r die Auswahl von 50-80 Krankheiten zur Beru¨cksichtigung im morbidita¨tsorientierten Risikostrukturausgleich, URL:http://www.zes. uni-bremen.de/ccm/cms-service/stream/asset/? asset_id=1647368, [Stand 10.06.2010]; 2007. Deci EL, Koestner R, Ryan RM. A Meta-Analysis Review of Experiments Examining the Effects of Extrinsic Rewards on Intrinsic Motivation. Psychological Bulletin 1999;125(6):S.627–68. Dreier M, Lingner H, Wagenblast M. DGSMPTagung vom 27.-29.09.2006, Frankfurt/Main/ Offenbach, Originalfoliesatz siehe Kongressabstrakt der Zeitschrift ,,Das Gesundheitswesen’’, Ausgabe 68, URL:http://www.thiemeconnect.com/ejournals/abstract/gesu/doi/10. 1055/s-2006-948585, [Stand 10.06.2010]; 2006. Frey B. Markt und Motivation: Wie o¨konomische Anreize die (Arbeits-) Moral verdra¨ngen. Mu¨nchen: Franz Vahlen; 1997.

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Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheit in Deutschland 2006, Kapitel 3.2.4. (Fru¨herkennungsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen); 2006. Glaeske G. Vom RSA zum Morbi-RSA: Mehr Rationalita¨t im Finanzausgleich?, in: Die Krankenversicherung, Heft, 2008; 7/8, S. 188–92. Ho¨ppner K. Buitkamp M, Braun B, Greß St, Rothgang H, Wasem J. Grenzen und Dysfunktionalita¨t des Kassenwettbewerbs in der GKV: Theorie und Empirie der Risikoselektion in Deutschland, ZeS-Arbeitspapier Nr. 4/2005, Bremen: Zentrum fu¨r Sozialpolitik, Universita¨t Bremen; 2005. Lampert T, Kurth BM. Sozialer Status und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Originalarbeit. Deutsches ¨ rzteblatt. Jg. 104. Heft, 2006;43:S.A2944-49. A Scherenberg V, Glaeske G. Gutfu¨hlsternchen und Powerpoints - Was bringen die Bonusprogramme der Krankenkassen?, 183. Ausgabe: Mabuse Verlag; 2010. S. 65–7. Scherenberg V, Greiner W. Pra¨ventive Bonus¨ berwindung programme – Auf dem Weg zur U des Pra¨ventionsdilemmas. Bern: Hans Huber; 2008. Schnee M. Neue Versorgungs- und Versicherungsformen in der GKV: Wer kennt sie und wer

nutzt Sie?, Newsletter der Bertelsmann Stiftung - Gesundheitsmonitor 2/2007, Gu¨tersloh; 2007. Stock St, Stollenwerk B, Klever-Deichert G, Redaelli M, Bu¨scher G, Graf Ch, Mo¨hlendick K, Mai J, Gerber A, Lu¨gen M, Lauterbach KW. Preliminary analysis of short-term financial implications of a prevention bonus program: first results from the German Statutory Health Insurance. International Journal of Public Health 2008;53(2):S.78–86. UNICEF. Mittelmaß fu¨r Kinder. Der UNICEFBericht zur Lage der Kinder in Deutschland, Herausgegeben von Prof. Dr. Hans Bertram, Mu¨nchen: Verlag C.H. Beck; 2008. Walter U, Krauth C, Wienold M, Dreier M, Bantel S, Droste S. Verfahren zur Steigerung der Teilnahmerate an Krankheitsfru¨herkennungsmaßnahmen, Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland, Herausgeber: Deutsches Institut fu¨r Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Deutsche Agentur fu¨r Health Technology Assessment (DAHTA), 1. Auflage 2006, URL:http://gripsdb.dimdi.de/de/hta/hta _berichte/hta136_bericht_de.pdf, [Stand 10. 06.2010]; 2006. Weber B, Neuhaus C. Vom Teuro zur Schna¨ppchenjagd, in: Ha¨usel, HG. (Hrsg.): Neuromarketing, Freiburg: Haufe, 2007; 32–7.