Eine gute Entscheidung

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Eine gute Entscheidung Bericht von der 14. Jahrestagung des Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V Vom 15.-16. März 2013 fand in Berlin die 1...

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Eine gute Entscheidung Bericht von der 14. Jahrestagung des Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V

Vom 15.-16. März 2013 fand in Berlin die 14. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin DNEbM e.V. in Berlin statt. Die Kongresspräsidentin, Dr. Monika Lelgemann, begrüßte mehr als 350 Teilnehmer, die sich in 5 Plenarveranstaltungen mit 25 Einzelvorträgen, 15 interaktiven Workshops und in mehreren Postersessions mit insgesamt 76 Postern zum Thema ,,Entscheiden trotz Unsicherheit‘‘ austauschten. Die Mitgliederversammlung des DNEbM wählte einen neuen Vorstand. ,,Wir kennen alle die Erwartung, dass mit evidenzbasierter Medizin Entscheidungen ganz einfach getroffen werden können‘‘, sagte Monika Lelgemann in ihrer Eröffnungsrede der 14. Jahrestagung des DNEbM. Daten und Fakten aus wissenschaftlichen Untersuchungen können aber auch das Gegenteil bewirken: die Unsicherheit bei Entscheidungen nimmt zu. Entscheidungen müssen aber immer getroffen werden, ob nun trotz oder wegen Unsicherheit. Lelgemann erinnerte an die Gründung des Netzwerks am gleichen Tag vor 15 Jahren. ,,Hier in diesem Lehrgebäude des Virchow Klinikums der Charité haben früher unter Leitung von Regina Kunz (heute als Professorin am Universitätsspital Basel tätig) viele EbM-Kurse stattgefunden.‘‘ Dieser Tradition bleibt auch die Jahrestagung 2013 treu. ,,Wir haben in diesem Jahr Tutorials und Workshops einen breiten Raum gegeben, um einen besseren Austausch der Netzwerkmitglieder zu ermöglich‘‘, erklärte Lelgemann.

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Der Referent erklärte anhand der Theorie von Daniel Kahnemann, auf welchen Ebenen wir Entscheidungen treffen. ,,System 1‘‘ entscheidet schnell, intuitiv, emotional; ,,System 2‘‘ langsamer und analytischer. Diese beiden Systeme spielen auch bei der medizinischen Entscheidungsfindung eine Rolle. Als Verbindungsglied beider Systeme schlägt Djulbegovic das Konzept der Reue vor. Ein Beispiel: Ein Student kommt zum Arzt mit Symptomen, die auf eine Meningitis hindeuten könnten, aber unklar sind. Jetzt muss der Arzt entscheiden: Soll er Antibiotika verschreiben? Nach Djulbegovic wäre der Reuefaktor kleiner, wenn der Arzt unnötig Antibiotika geben würden, als wenn er irrtümlich ein notwendiges Antibiotikum nicht verordnet. Die unterschiedlichen Entscheidungssysteme (intuitiv oder analytisch) beeinflussen auch die Risikobewertung. Daneben bestimmen noch andere Faktoren die Entscheidungsfindung, wie zum Beispiel Framing-Effekte, also die positive oder negative Darstellung der wissenschaftlichen Daten. Djulbegovic weist darauf hin, dass sich eine rationale Entscheidungsfindung nicht unbedingt auf das Ergebnis bezieht, sondern vielmehr auf den Prozess, wie die Entscheidung getroffen wurde.

Wenn die Evidenz zeigt, dass etwas nicht wirkt, dann sollte es nicht angewendet werden. Christian Weymayr geht noch einen Schritt zurück. Der Biologe und Medizinjournalist postuliert, dass dort, wo Grundlagenexperimente nicht valide und nachvollziehbar sind, klinische Studien unnötig sind. ,,Klinische Studien haben nicht die Power, Erkenntnisse aus Grundlagenexperimenten zu bestätigen oder zu widerlegen‘‘, erläuterte Weymayr. Am Beispiel der Homöopathie stellte er fest: ,,EbM macht die Unsicherheit über die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel nicht deutlich, sondern schafft sie.‘‘ Weymayr führt den Begriff der ,Scientabilität’ ein und fordert, dass nur dann Fragestellungen nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin untersucht werden sollten, wenn die klinische Studie mit gesicherten Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung übereinstimmt. Im Auditorium wurden die Thesen von Weymayr kontrovers diskutiert.

Methoden und Instrumente schärfen Die Weiterentwicklung der Methodik gehört zu den Schwerpunkten des

Evidenz ist notwendig, aber nicht ausreichend Für die Entscheidungsfindung reicht Evidenz alleine nicht aus. Im Umkehrschluss kann die Ursache einer suboptimalen Behandlung neben fehlender Evidenz auch eine schlechte Entscheidungsfindung sein. Dieses Fazit zog der Keynote-Speaker Benjamin Djulbegovic von der University of South Florida.

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Angeregte Diskussion nach dem Vortrag: Prof. Benjamin Djulbegovic und Dr. Monika Lelgemann Foto: Karsta Sauder Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2013) 107, 270—273 http://journals.elsevier.de/zefq

Netzwerks. Auch hierzu gab es eine Reihe interessanter Vorträge. Levente Kriston vom UKE Hamburg zum Beispiel widmete sich der Frage, ob ein gepoolter Effekt von Studienergebnissen, wie man ihn aus dem Forest Plot kennt, wirklich bedeutsam für die eigene Entscheidung ist. Oft sei eine Heterogenität der eingeschlossenen Studien zu beobachten, was beim Nutzer eher Unsicherheit erzeugt als zu mehr Entscheidungssicherheit führt. Das von seiner Arbeitsgruppe entwickelte Instrument ,MANITOO (MetaAnalysis Interpretation Tool)’ ist Grundlage der individuellen Integration wissenschaftlicher Evidenz und klinischer Expertise bei Unsicherheit in der medizinischen Entscheidungsfindung. Es soll den Nutzer befähigen, verschiedene Aspekte klinischer Heterogenität von Studien hinsichtlich ihrer Relevanz für die konkrete Situation zu beurteilen. ,,MANITOO dient dazu, die Evidenz aus wissenschaftlichen Studien mit der klinischen Expertise des Lesers zu verbinden. Die Expertise zur Entscheidung jedoch lässt das Instrument dort wo sie ist: beim Arzt‘‘, fasst Kriston zusammen.

Aktive Fachbereiche Die Jahrestagungen werden von den Fachbereichen des DNEbM genutzt um sich über spezifische Fragen auszutauschen. Zum Personenkreis, der letztlich Ziel aller klinischen Entscheidungen ist, gehören Patient/innen und Verbraucher/innen. Diskutiert wurden vor allem Fragen der Qualität und Evidenzbasierung von Patienteninformationen und Patientenleitlinien. Sabine Schwarz vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin stellte vor, dass nur an der Hälfte aller Patientenleitlinien auf der Website der AWMF auch Patienten an der Erstellung beteiligt waren. Alarmierend ist auch, dass in 2/3 der Publikationen keine Angaben zu Interessenkonflikten gemacht wurden. Eine österreichischen Arbeitsgruppe um Petra Schnell-Inderst untersuchte, wie es um die Evidenzbasierung von Patienteninformationen zum Einsatz von Biomarkern für die Krebsfrüherkennung bestellt ist. Solche Untersuchungen müssen in der Regel von den Patienten als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) selbst

bezahlt werden. Das Ergebnis: In den meisten Patienteninformationen gab es nur wenige Angaben zu Nutzen und Schaden sowie zur Unsicherheit der Evidenz. Dr. Judith Günther, Sprecherin des Fachbereichs Evidenzbasierte Pharmazie stellte fest, dass die EbM bereits in einige Bereiche der pharmazeutischen Praxis Einzug gehalten hat. Als Beispiele nannte sie die von der ABDA initiierte Studie zur pharmazeutischen Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz (PharmCHF-Studie), Projekte zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit und die Umsetzung des Medikationsmanagements. Im Bereich der Krankenhauspharmazie spielt vor allem das Konzept »Apotheker auf Station« eine wichtige Rolle. Aber auch hier beschäftigt die Frage: Wie kommen evidenzbasierte Konzepte an der Basis an? Als mögliche Wege wurden eine verbesserte Ausbildung zum Thema Arzneimittel-Information, eine Verstärkung der entsprechenden Angebote in der Fortbildung und der freie Zugang zu evidenzbasierten Quellen diskutiert.

Netzwerken in den Pausen Foto: Karsta Sauder Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2013.04.029

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Gut besucht: die Posterbegehungen der insgesamt 76 Poster Foto: Karsta Sauder

Preise und Ehrungen Der David-Sackett-Preis 2013 ging an das Autorenteam Dr. Gerhard Fritsch, Dr. Maria Flamm, Dr. Tim Johansson, Univ.-Doz. Dr. Karl Entacher und Prof. Dr. Andreas Sönnichsen für Projekt ,,PROP — Präoperative Diagnostik: der Weg von der Erfassung der gängigen Praxis über eine systematische Übersichtsarbeit zur Entwicklung einer evidenzbasierten elektronischen Entscheidungshilfe, deren Implementierung und Evaluation‘‘. Den Journalistenpreis ,,Evidenzbasierte Medizin in den Medien‘‘ 2013 teilen sich Dr. Thomas Liesen für seinen Hörfunkbeitrag ,,Geheimsache Pillentest — Wie Studienergebnisse verschleiert werden‘‘ (gesendet bei ,,Wissenschaft im Brennpunkt‘‘ des Deutschlandfunks am 03.06.2012) und Claudia Gürkov für ihren Hörfunkbeitrag ,,Krebs - Das Geschäft mit der Hoffnung‘‘ (gesendet am 26.03.2012 vom Bayerischen Rundfunk Bayern 2). Eine Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. Edmund Neugebauer wählte folgende Poster-Preisträger aus: Platz 1: ,,Modellprojekte zur Verbesserung der fachärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern: eine Bestandsaufnahme‘‘, präsentiert von Stefanie Butz, Universitätsklinikum

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Schleswig-Holstein, Lübeck Platz 2: ,,OptRisk: Optimierung von Risikoberatung durch Darstellung der Veränderbarkeit der individuellen Lebenserwartung‘‘, präsentiert von Sarah Kürwitz, Abteilung für Allgemeinmedizin, Philipps-Universität, Marburg Platz 3: ,,Kritische Gesundheitsbildung im Hamburger Lehramtsstudiengang Berufliche Schulen - Gesundheitswissenschaften: eine prospektive Kohortenstudie‘‘, Anke Steckelberg, Universität Hamburg Prof. Dr. Dr. Günter Ollenschläger, Gründungsmitglied des Deutschen Netzwerks evidenzbasierte Medizin e.V., wurde zum Ehrenvorsitzen des DNEbM ernannt.

Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) • Zweiter stellvertretender Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Daniel Strech Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin Medizinische Hochschule Hannover • Schriftführer: Dr. Markus Follmann, MPH, MSc Deutsche Krebsgesellschaft e. V

Als Beisitzer wurden gewählt: Prof. Dr. Norbert Donner-Banzhoff, MHSc (Marburg), Dr. Michaela Eikermann (Witten/Herdecke), Dr. Jörg Meerpohl (Freiburg) und Dr. Tobias Bernd Weberschock (Frankfurt).

Der neue Vorstand Fazit und Ausblick Die Mitgliederversammlung wählte für die Dauer der nächsten zwei Jahre einen neuen Vorstand. Dem Vorstand gehören an: • Vorsitzende: Univ.-Prof. Dr. Gabriele Meyer, Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg • Erste stellvertretende Vorsitzende: Dr. Monika Lelgemann, MSc, Leiterin Fachbereich Evidenzbasierte Medizin, Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes

,,Viele Teilnehmer haben mir gesagt, dass es eine gute Entscheidung war, die 14. Jahrestagung des DNEbM zu besuchen‘‘, freute sich die diesjährige Kongresspräsidentin Monika Lelgemann nach zwei ereignisreichen und diskussionsfreudigen Tagen. Der Kongresspräsident der Jahrestagung 2014, Prof. Dr. Johann Behrens, lädt bereits jetzt für den 13.-15. März 2014 nach Halle an der Saale ein. Das Thema wird lauten

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2013) 107, 270—273 http://journals.elsevier.de/zefq

‘‘Prävention zwischen Eminenz und Evidenz‘‘. Nähere Informationen zum EbM Kongress unter: www.ebm-kongress.de Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.: www.ebm-netzwerk.de

Sylvia Sänger, Iris Hinneburg Korrespondenzadresse: Dr. Sylvia Sänger Sänger Gesundheitskommunikation Schlehendornweg 3 07751 Jena Tel: 03641 471972

NVL Kreuzschmerz: Kurzfassung auf Englisch erschienen

Die Kurzfassung der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) „Kreuzschmerz‘‘ ist jetzt auf Englisch erschienen. Damit sind deren Empfehlungen auch einer internationalen Leserschaft zugänglich.

Informationsangebot für Ärzte und Patienten Mit der englischen Kurzfassung vervollständigt das NVL-Programm sein Angebot zu Kreuzschmerz: Bislang gibt es die Leitlinie in einer ausführlichen Langfassung, einer deutschsprachigen Kurzfassung sowie einer laienverständlichen Version für Patienten. Auch ärztliche Praxishilfen und Kurzinformationen für Patienten (KiP) zu akutem und chronischem Kreuzschmerz stehen zur Verfügung. Die KiPs sind zudem in sechs weiteren Sprachen abrufbar: Türkisch, Russisch, Arabisch, Spanisch, Französisch und Englisch.

Viel Beachtung für die NVL Kreuzschmerz Die Langfassung der Leitlinie war im Dezember 2010 erschie-

nen und ist seither viel diskutiert worden: Viele Empfehlungen der NVL raten deutlich von bestimmten Maßnahmen zu Diagnostik und Therapie ab. Bildgebende Verfahren zum Beispiel sollen nur bei ganz bestimmten Warnhinweisen eigesetzt werden, manche Medikamente oder nichtmedikamentöse Verfahren empfiehlt die Leitlinie dezidiert nicht. Damit beeinflusst die NVL Kreuzschmerz die Versorgungspraxis von Patienten wegweisend und wahrnehmbar: Ein Pharmahersteller hatte eine dieser negativen Empfehlungen juristisch anfechten wollen, die Klage wurde jedoch zweifach abgewiesen.

Das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien Das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien steht unter der Trägerschaft von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Mit der Durchführung wurde das ÄZQ beauf-

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2013.04.026

Fax: 03641 471973 E-Mail: [email protected]

ZEFQ-SERVICE:TIPP tragt. Zu ausgewählten Krankheitsbildern arbeiten Experten verschiedener Organisationen zusammen, um im Rahmen der strukturierten Versorgung chronisch kranker Menschen die angemessene und evidenzbasierte Patientenversorgung darzustellen. So finden Sie die Dokumente im Internet: • Englische Kurzfassung der NVL Kreuzschmerz www. versorgungsleitlinien.de/themen/ kreuzschmerz/pdf/nvlkreuzschmerz-kurz-engl.pdf • NVL Kreuzschmerz — Übersichtsseite www.versorgungsleitlinien. de/themen/kreuzschmerz/ index html • Übersetzungen der Kurzinformationen zu akutem Kreuzschmerz (Übersicht) www.arztbibliothek.de/ kurzinformation-patienten/kipakuter-kreuzschmerz Übersetzungen der Kurzinformation zu chronischem Kreuzschmerz (Übersicht) www.arztbibliothek.de/ kurzinformation-patienten/ kip-chronischer-kreuzschmerz

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