Public Health Forum 20 Heft 74 (2012) www.journals.elsevier.de/pubhef
€ herkennung: Informierte Entscheidung bei Darmkrebsfru € ndigkeit Ausweg aus der Unmu Anke Steckelberg und Martina Bunge Bu¨rgerinnen und Bu¨rger haben ein Recht auf Evidenz-basierte Informationen als Grundlage fu¨r informierte Entscheidungen. Viele Medien-Kampagnen zum Thema Gesundheit, insbesondere zur Krebsfru¨herkennung, bieten dagegen den Bu¨rgern irrefu¨hrende Informationen, so z.B. die Kampagne zur Darmkrebsfru¨herkennung der Felix Burda Stiftung, (Felix Burda Stiftung, 2011). Gigerenzer et al. haben in einer europa¨ischen Studie gezeigt, dass der Nutzen des Mammografie- und Prostata-spezifischen Antigen-Screenings in der Bevo¨lkerung nach wie vor massiv u¨berscha¨tzt wird. Die Basis fu¨r informierte Entscheidungen scheint in Europa nicht vorhanden zu sein (Gigerenzer et al., 2009). Die Qualita¨tskriterien fu¨r Evidenz-basierte Gesundheitsinformationen sind international definiert (Bunge et al., 2010; Koch und Mu¨hlhauser, 2008; Steckelberg et al., 2005; Trevena und Barratt, 2003). Die Bereiche Inhalte, Darstellung und Entwicklungsprozess der Gesundheitsinformation sind dabei zu beru¨cksichtigen (Bunge et al., 2010). Die ethischen Leitlinien des britischen General Medical Councils definieren, welche Inhalte kommuniziert werden sollen (General Medical Council, 1998; General Medical Council, 2008): Die Bu¨rger sollen u¨ber den natu¨rlichen Verlauf der Erkrankung informiert werden. Es sollen alle Optionen genannt werden einschließlich der Mo¨glichkeit, auf eine Intervention zu verzichten. Dies gilt sowohl fu¨r pra¨ventive, diagnostische als auch therapeutische Maßnahmen. Zu den anstehenden medizinischen Eingriffen
sollen Wahrscheinlichkeiten zum Erfolg, Ausbleiben des Erfolgs und des Schadens pra¨sentiert werden. Die Angaben sollen sich auf patientenrelevante Zielparameter beziehen und das Fehlen von Evidenz offen gelegt werden. Fu¨r diagnostische und ScreeningMaßnahmen sollen Daten zu mo¨glichen falsch-positiven und falsch-negativen Ergebnissen kommuniziert werden. Dem Leitfaden des Medical Research Councils (UK Medical Research Council, 2008) folgend, wurde eine Evidenz-basierte Information zur Darmkrebsfru¨herkennung entwickelt, die die definierten Kriterien beru¨cksichtigt (Universita¨t Hamburg, 2011a). Die Broschu¨re umfasst 38 Seiten und beinhaltet die Themen: perso¨nliches Darmkrebsrisiko, alle verfu¨gbaren Screening-Optionen mit mo¨glichem Nutzen und Schaden einschließlich der Option, nicht am Screening teilzunehmen und Pra¨ventionswege von Darmkrebs zu erhalten. In Pilotstudien wurde die Broschu¨re mit Angeho¨rigen der Zielgruppe der Darmkrebsfru¨herkennung auf Versta¨ndlichkeit, Vollsta¨ndigkeit und Akzeptanz in Fokusgruppen getestet und anschließend u¨berarbeitet (Steckelberg et al., 2004). Die Evaluation der Broschu¨re erfolgte im Rahmen einer randomisiertkontrollierten Studie mit 1586 Versicherten der Gmu¨nder Ersatzkasse (GEK), die zur Zielgruppe des kolorektalen Screenings geho¨rten (Steckelberg et al., 2011). Es wurde die Evidenz-basierte Information gegen die Information des Gemeinsamen Bundesausschusses getestet (Kontrollintervention) (Gemeinsamer
Bundesausschuss, 2002). Die Interventionsgruppe erhielt zusa¨tzlich den Zugang zu zwei interaktiven Lernelementen mit den Themen ‘‘Risiko’’ und ‘‘Diagnostischer Test’’, die jedoch keine neuen inhaltlichen Aspekte beinhalteten (Universita¨t Hamburg, 2011b). Der prima¨re Ergebnisparameter war die informierte Entscheidung (Marteau et al., 2001). Das Modell umfasst die Dimensionen Wissen, Einstellung und Inanspruchnahme. Entscheidungen werden als informiert klassifiziert, wenn ada¨quates Wissen vorhanden ist und die Einstellung kongruent mit der Inanspruchnahme ist. Das Wissen wurde als ada¨quat bewertet, wenn 4 Punkte auf der Skala von 0-8 erreicht wurden. Die Einstellung wurde als positiv klassifiziert, wenn der Wert < 2,5 betrug. Das Votum der Ethikkommission wurde vor Beginn der Studie eingeholt. Im Januar 2009 wurden die Intervention und Kontrollintervention verschickt. Nach 6 Wochen wurden die Dimensionen Wissen und Einstellung und nach 6 Monaten die Inanspruchnahme anhand von Fragebo¨gen erhoben. 1457 (92,4%) Studienteilnehmer haben beide Fragebo¨gen, 48 (3%) keinen Fragebogen zuru¨ckgeschickt. Die Basisdaten der Gruppen waren vergleichbar. In der Interventionsgruppe haben die Teilnehmer signifikant ha¨ufiger eine informierte Entscheidung getroffen im Vergleich zur Kontrollgruppe: 44% v 12,8% (99% CI 25,7% bis 36,7%; P < 0,0001). Die Analyse der einzelnen Dimensionen des prima¨ren Endpunktes zeigte signifikant ha¨ufiger ‘ada¨quates Wissen’ in der
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Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe: 59,6% v 16,2% (99% CI 37,8% bis 49,1%; p < 0,0001). Die ‘positiven Einstellungen’ waren in der Interventionsgruppe signifikant niedriger verglichen mit der Kontrollgruppe: 93,4% v 96,5% (99% CI 5,9% bis 0,3%; P < 0,01). Der Unterschied der Inanspruchnahme war nicht statistisch signifikant: 72,4% v 72,9% (99% CI 6.3 bis 5,3; p = 0,87). Die Analysen der sekunda¨ren Ergebnisparameter zeigten fu¨r den Endpunkt Wissen (Skala 0-8: 0 = keine korrekte Antwort; 8 = 8 korrekte Antworten) einen Mittelwert (SD) von 4,3 (2,3) in der Interventionsgruppe und 2,5 (1,2) in der Kontrollgruppe (p < 0,0001). Fu¨r den Endpunkt Einstellung (Skala 1-4: 1 = positiv; 4 = negativ) zeigte sich ein Mittelwert (SD) von 1,4 (0,6) in der Interventionsgruppe und 1,3 (0,5) in der Kontrollgruppe (p = 0,0001). Alle
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Analysen wurden als intention-to-treat durchgefu¨hrt. Die Evidenz-basierte Broschu¨re zur Darmkrebsfru¨herkennung fu¨hrte zu signifikant mehr informierten Entscheidungen. Es gab keinen Effekt auf die Inanspruchnahme der Fru¨herkennung. Nach Abschluss der Studie wurden die Broschu¨re und die interaktiven Module auf der Homepage der Universita¨t Hamburg zur Verfu¨gung gestellt (Universita¨t Hamburg, 2011a). Um die Forderungen der ethischen Leitlinien nach Evidenz-basierten Informationen als Voraussetzung fu¨r informierte Entscheidungen erfu¨llen zu ko¨nnen, sollten die Akteure im Gesundheitswesen, die u¨ber die Einfu¨hrung von Screeningprogrammen entscheiden, das ethisch verbriefte Recht der Bu¨rger
auf Evidenz-basierte Informationen respektieren. Kampagnen, die irrefu¨hrende Informationen verwenden und zu Trugschlu¨ssen fu¨hren, eingestellt werden. Strukturen entwickelt werden, die eine nachhaltige Entwicklung, Evaluation und Implementierung hochwertiger Evidenz-basierter Informationen ermo¨glichen. Die korrespondierende Autorin erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. Literatur siehe Literatur zum Schwerpunktthema. http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur doi:10.1016/j.phf.2011.12.018 Dr. phil. Anke Steckelberg Universita¨t Hamburg Gesundheitswissenschaften Martin-Luther-King Platz 6 20146 Hamburg
[email protected]
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Einleitung Bu¨rger haben ein Recht auf Evidenz-basierte Informationen als Voraussetzung fu¨r informierte Entscheidungen. In einer randomisiert-kontrollierten Studie wurden die Effekte einer Evidenz-basierten Information zur Darmkrebsfru¨herkennung mit einer Standardinformation verglichen. Der prima¨re Endpunkt war die informierte Entscheidung. 1586 Versicherte der Gmu¨ndener Ersatzkasse (GEK) wurden randomisiert. Die Evidenz-basierte Information fu¨hrte signifikant ha¨ufiger zu informierten Entscheidungen. Schlu¨sselwo¨rter: Gesundheitsinformationen = health information, Evidenz-basierte Patienteninformation = evidence-based patient information, informierte Entscheidung = informed choice, Darmkrebsfru¨herkennung = colorectal cancer screening
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ethical considerations. 1998. (Zitierdatum: 30.09.2004), abrufbar unter http://www. gmc-uk.org/Seeking_patients_consent_The_ ethical_considerations.pdf_25417085.pdf Gigerenzer G, Mata J, Frank R. Public knowledge of benefits of breast and prostate cancer screening in Europe. J Natl Cancer Inst 2009;101:1216–20. Koch K, Mu¨hlhauser I 2008, fu¨r den Fachbereich Patienteninformation des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Kriterien zur Erstellung von Patienteninformationen zu Krebsfru¨herkennungsuntersuchungen. 2008. (Zitierdatum: 07.11.2011), abrufbar unter http://www.ebm-netzwerk.de/netzwerkarbeit/ images/stelungnahme_dnebm_080630.pdf Steckelberg A, Hu¨lfenhaus C, Haastert B, Mu¨hlhauser I. Effect of evidence-based risk information on ‘‘informed choice’’ in colorectal cancer screening: a randomised controlled trial. BMJ 2011;342:d3193. doi: 10.1136/ bmj.d3193.
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