Public Health Forum 20 Heft 76 (2012) www.journals.elsevier.de/pubhef
Epidemiologische Fachgesellschaften in Deutschland Hajo Zeeb Heute gibt es in Deutschland mit der DGEpi eine junge Fachgesellschaft, die sich speziell als Organisation fu¨r und von Epidemiologen versteht. Eine la¨ngere Tradition haben die GMDS wie auch die DGSMP, die sich thematisch breiter aufgestellt haben. Die IBS-DR hat ihren Fokus im Bereich der Biometrie und der klinischen Studien. Zwischen den verschiedenen Gesellschaften bestehen an vielen Stellen enge wissenschaftliche Bezu¨¨ berlappungen sowie ge, personelle U konkrete gemeinsame Aktivita¨ten. Andererseits positionieren sich die Fachgesellschaften durchaus auch deutlich eigensta¨ndig, um ihre jeweiligen Interessen bestmo¨glich nach innen und außen vertreten zu ko¨nnen. Dieser Beitrag gibt einen kurzen ¨ berblick zu den epidemiologischen U Fachgesellschaften in Deutschland und den Entwicklungen der ju¨ngeren Zeit. Nach dem Ende des NS-Regimes dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis die bevo¨lkerungsbezogene epidemiologische Forschung im heutigen Sinne in Deutschland Fuß fassen konnte; dies gelang erst mit der Deutschen Herz-Kreislauf-Pra¨ventionsstudie ab ca. 1979. Ein Epidemiologie-nahes Thema der Nachkriegsjahre war die Dokumentation im Gesundheitswesen, wie einer Chronik der ersten 15 Jahre der Vorla¨ufergesellschaft (GMD) der Deutschen Gesellschaft fu¨r Medizinische Informatik Biometrie und Epidemiologie (GMDS) im Jahresbericht 1970 (siehe www.gmds.de) zu entnehmen ist. Im Jahr 1969 etwa fu¨hrte die Gesellschaft erstmalig eine Befragung der Krankenha¨user in Deutschland durch, um die Praxis der
medizinischen Dokumentation in den Hospita¨lern zu erfassen. Auch damals war die Response schon ein zentrales Problem. Nur ca. 17% der ausgesendeten 6.000 Fragebo¨gen kehrten zuru¨ck, und diese offenbarten ein Bild rudimenta¨rer medizinscher Datenerfassung in den Einrichtungen. Heute ist die moderne Medizinische Informatik eins der Themen in der GMDS, die als Fachgesellschaft ein breites wissenschaftliches Feld einschließlich der Biometrie und der Epidemiologie abdeckt. Die Deutsche Gesellschaft fu¨r Sozialmedizin und Pra¨vention wurde im Jahr 1963 gegru¨ndet. Die DGSMP kann sich in der mehr als hundertja¨hrigen sozialmedizinischen Tradition Deutschlands verorten, die verbunden ist mit Namen wie Rudolf Virchow und Salomon Neumann. Die Deutsche Gesellschaft fu¨r sociale Medicin, Hygiene und Medicinalstatistik, gegru¨ndet im Jahr 1905, war wohl die erste Fachgesellschaft der o¨ffentlichen Gesundheitspflege in Deutschland; die Epidemiologie als die Grundlagenwissenschaft von Public Health ist in der heutigen DGSMP in einer Vielzahl von Arbeitsgruppen des Fachbereichs Epidemiologie – oft als gemeinsame AGs mit den weiteren Fachgesellschaften – vertreten. Die Deutsche Region der Internationalen Biometrischen Gesellschaft (IBS-DR) hat eine a¨hnlich lange Historie wie die beiden schon genannten Fachgesellschaften. Die IBS-DR fo¨rdert die Biometrie in Forschung, Lehre und Anwendung. Die IBS-DR bescha¨ftigt sich u.a. mit statistischen Methoden in der Epidemiologie, daneben gibt es mehrere thematische
Bereiche wie etwa die ra¨umliche Statistik mit direktem Bezug zur Epidemiologie in der Fachgesellschaft. Das Fachgebiet Epidemiologie in den drei Gesellschaften GMDS, DGSMP und IBS-DR wurde ab der Mitte der 90er Jahre zuna¨chst durch die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie (DAE) gebu¨ndelt und eigensta¨ndig weiterentwickelt. Aus der zuna¨chst noch unter dem Dach der Tra¨gergesellschaften arbeitenden DAE entstand dann im Jahr 2005 die eigensta¨ndige Deutsche Gesellschaft fu¨r Epidemiologie (DGEpi), die mit heute (2012) u¨ber 600 Mitgliedern die gro¨ßte epidemiologische Fachgesellschaft ist. In 18 thematischen Arbeitsgruppen wird eine große Spanne epidemiologischer Themen durch die Mitglieder bearbeitet. Regelma¨ßige AG-Workshops und eine ja¨hrliche wissenschaftliche Tagung geho¨ren zu den Kernaktivita¨ten der DGEpi. Epidemiologische Nachwuchswissenschaftler haben sich in einer eigenen AG organisiert, und mit den ja¨hrlich vergebenen Stephan-Weiland Preisen fu¨r Nachwuchsepidemiologen hat die DGEpi ein eigenes Instrument der Nachwuchsfo¨rderung eingefu¨hrt. Die epidemiologischen Fachgesellschaften bringen sich oft gemeinsam in die wissenschafts- und gesundheitspolitische Diskussion ein, z.B. indem gemeinschaftlich abgestimmte Stellungnahmen und offene Briefe vero¨ffentlicht werden. Auch dies kann als Ausdruck der zunehmenden Professionalisierung der Epidemiologie in Deutschland verstanden werden (Razum et al., 2011). In ju¨ngerer Zeit ging es dabei z.B. um Themen wie den Nichtraucherschutz oder das bevo¨lkerungsbezogene Screening fu¨r
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Krebserkrankungen. In der Diskussion um die Einfu¨hrung der HPV-Impfung machten sich die Fachgesellschaften fu¨r eine stringente wissenschaftliche Evaluation dieses Impfprogramms stark. Ein epidemiologisches Großprojekt der kommenden Jahre ist in Deutschland die Nationale Kohorte, eine prospektive multizentrische Kohortenstudie mit ca. 200.000 Teilnehmern. Vertreter der Fachgesellschaften spielen eine zentrale Rolle
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bei der Planung und den bisherigen Durchfu¨hrungsaktivita¨ten dieser Großstudie, und es ist absehbar, dass die Fachgesellschaften dieses Projekt in konstruktiv-kritischer Weise in den kommenden Jahren begleiten werden. Daneben stehen weitere wichtige Aufgaben an, etwa im Bereich der verbesserten internationalen Vernetzung, der weiteren Fo¨rderung epidemiologischer Ausbildungsmo¨glichkeiten und der Wissenschaftskommunikation.
Der korrespondierende Autor erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. Literatur siehe Literatur zum Schwerpunktthema. http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2012.06.017 Prof. Dr. med. Hajo Zeeb, MSc BIPS - Institut fu¨r Epidemiologie und Pra¨ventionsforschung GmbH Abt. Pra¨vention und Evaluation Achterstraße 30 28359 Bremen
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Einleitung Die Epidemiologie hat in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten einen erheblichen Aufschwung erfahren, was sich u.a. in einer wachsenden Zahl epidemiologischer Forschungsinstitute, besseren Ausbildungsmo¨glichkeiten und einer € gro¨ßeren Pra¨senz der epidemiologischen Wissenschaftler in der (Fach-) Offentlichkeit a¨ußert. Die Professionalisierung der Epidemiologie in Deutschland spiegelt sich auch in Wachstum und Ausdifferenzierung der epidemiologischen Fachgesellschaften wider. Summary Over the past decades, epidemiology has advanced substantially in Germany, manifested for example in the growing number of epidemiological research institutes, improved training and education opportunities and the more active public role taken by epidemiologists. The increasing professionalization of epidemiology in Germany is also reflected by the growth and differentiation of professional epidemiological societies. Schlu¨sselwo¨rter: Epidemiologie = Epidemiology, Fachgesellschaften = professional societies, Ausbildung = education, Gesundheitspolitik = health policy
Literaturverzeichnis Jahresbericht der GMDS, 1970: www.gmds.de/organisation/jahresberichte/jahresberichte.php
Razum O, Broszka P, Breckenkamp J. Die Professionalisierung der Epidemiologie in Deutschland im Kontext von Public Health. In: Schott T, Hornberg C (Hrsg.) Die Gesell-
schaft und ihre Gesundheit. VS-Verlag Wiesbaden, 2011;S.145–58.
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