Public Health Forum 22 Heft 84 (2014) http://journals.elsevier.de/pubhef
Infektionen im Kindesalter Beate Zoch und Rafael Mikolajczyk Die besondere Rolle der Infektionen im Kindesalter verglichen mit spa¨teren Lebensabschnitten ist durch immunologische Zusammenha¨nge begru¨ndet: Bei der Geburt ist das Immunsystem noch nicht vollsta¨ndig ausgereift und Infektionen spielen eine wichtige Rolle fu¨r die Reifung und Entwicklung des kindlichen Immunsystems (Wasik et al., 2005). Erst in Auseinandersetzung mit den verschiedenen Erregern bildet sich ein pathogen-spezifisches Immungeda¨chtnis. Dies fu¨hrt bei einem zweiten Kontakt mit demselben Erreger zu einer schnelleren und effektiveren Immunantwort. Erst im Alter von ca. 15 Jahren erreichen die T-Geda¨chtniszellen den Stand von Erwachsenen (Holt und Jones, 2000). Vor allem durch Verbesserung der Lebensverha¨ltnisse und durch Impfungen konnten zahlreiche Infektionskrankheiten eingeda¨mmt werden. Dennoch sind Infektionen weltweit noch immer die Hauptursache fu¨r Kindersterblichkeit. 64% der Todesfa¨lle von Kindern unter 5 Jahren wurden im Jahr 2010 durch Infektionskrankheiten verursacht. Die drei ha¨ufigsten zum Tode fu¨hrenden Infektionskrankheiten waren im Jahr 2010 Lungenentzu¨ndung, Durchfall und Malaria (Liu et al., 2012). In Deutschland sind laut Todesursachenstatistik im Jahr 2012 bei den 0 bis 5 Ja¨hrigen insgesamt 52 Todesfa¨lle durch Infektionen und parasita¨re Krankheiten aufgetreten; dies entspricht 2% der gesamten Todesfa¨lle in dieser Altersgruppe (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2012). Trotz dieser geringen Zahl an Todesfa¨llen fu¨hren Infektionen in Deutschland auf Grund ihrer
Ha¨ufigkeit zu einer nicht zu vernachla¨ssigenden Krankheitslast, beispielsweise die gerade im Kindesalter sehr ha¨ufigen Atemwegs- und Durchfallerkrankungen. Neben den klassischen Forschungsstra¨ngen im Rahmen der Infektionsepidemiologie, wie Risikofaktoren von Infektionen und pra¨ventive Maßnahmen, sowie Effektivita¨t und Nebenwirkungen von Impfungen, ist in den letzten Jahren versta¨rkt der Einfluss der Infektionen im fru¨hen Kindesalter auf die Entstehung von chronischen Erkrankungen in den Fokus der Wissenschaft getreten. Naheliegend sind hier Krankheiten, die im Zusammenhang mit Fehlsteuerungen des Immunsystems stehen (Holt und Jones, 2000). So wurde in zahlreichen Studien der Einfluss von respiratorischen Infektionen im Sa¨uglings- und Kleinkindalter auf das spa¨tere Auftreten von Asthma untersucht (Bartlett et al., 2009; Inoue und Shimojo, 2013; Le Souef, 2009; Martinez, 2009; Piedimonte, 2013; Saglani und Bush, 2007). Neben der bloßen Anzahl von Infektionen wurden als konkrete Erreger, die mit Asthma in Verbindung stehen insbesondere Rhinoviren und das respiratorische Syncytial Virus identifiziert (Lemanske et al., 2005; Piedimonte, 2013). Weiterhin wurde ein positiver Zusammenhang zwischen Enterovirus-Infektionen und Typ 1 Diabetes gefunden (Stene und Rewers, 2012). Auch hinsichtlich Erkrankungen, die auf den ersten Blick nichts mit Fehlsteuerungen des Immunsystems zu tun haben, wie beispielsweise Adipositas, wird der Einfluss von Infektionen untersucht. So wurde in mehreren Studien ein Zusammenhang zwischen einer
Infektion mit dem Adenovirus 36 (Ad36) und Adipositas gefunden (Inoue und Shimojo, 2013; Yamada et al., 2012). Doch das Immunsystem wird nicht nur durch Infektionen getriggert. In den letzten Jahren ist das Mikrobiom als wichtiger Player in der Entwicklung des Immunsystems in den Fokus geru¨ckt (Kelly und Mulder, 2012). Allerdings fokussieren die bisherigen Studien meist auf einzelne Pathogene oder betrachten entweder nur Infektionen oder nur das Mikrobiom. Wie im Review von Bisgaard et al. (2014) dargestellt, wird diese Betrachtungsweise der Komplexita¨t der Sache nicht gerecht. Es besteht die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung der Entwicklung des Immunsystems und mo¨glicher Fehlentwicklungen unter Beru¨cksichtigung von Infektionen, Mikrobiom und Impfungen. McDade (2012) rief deshalb dazu auf, im Rahmen einer Geburtskohorte den Einfluss von Infektionen auf die Entwicklung des Immunsystems im life-course approach zu untersuchen. Geburtskohorten haben in der Erforschung von Infektionskrankheiten eine lange Tradition. Wa¨hrend in den ersten Geburtskohorten, die Mitte des 20. Jahrhunderts begonnen haben (Hertfordshire Cohort Study, Newcastle thousand families study) nur eine symptomatische Erfassung von Infektionen erfolgte, ermo¨glichen neue verbesserte Analysemethoden von Bioproben mit hoher Durchsatzrate die Verbindung von symptombasierter Surveillance mit der Identifizierung krankheitsverursachender Pathogene. So wurden beispielsweise bei der ORChID Studie (Observational Research in Childhood Infectious Diseases)
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einer Arbeitsgruppe in Australien (Lambert et al., 2012) wa¨hrend der ersten zwei Lebensjahre wo¨chentlich Nasenabstriche und Stuhlproben durch die Eltern bei ihrem Kind entnommen und diese mittels Real-time PCR Verfahren auf eine Vielzahl von Viren getestet. Die umfassende Betrachtung von Infektionen, Impfungen und Mikrobiom sowie deren Zusammenha¨nge mit nicht infektio¨sen Erkrankungen steht noch aus. Eine Geburtskohorte, die diese Fragen untersuchen soll, wird derzeit am Helmholtz Zentrum fu¨r Infektionsforschung in Braunschweig initiiert. Im Rahmen der Langzeitstu-
die sollen die Infektionen, das Mikrobiom und die Entwicklung der Immunita¨t in den ersten Lebensjahren mittels Symptomtagebuch, symptomgetriggerter Entnahme von Nasenabstrichen und Stuhlproben durch die Eltern zur Pathogenanalyse, regelma¨ßiger Probenentnahmen zur Mikrobiomanalyse, der Erfassung von Impfdaten und der sequentiellen Blutentnahme zur Bestimmung der spezifischen und unspezifischen humoralen und zellula¨ren Immunantwort erfasst werden. Weiterhin geplant ist ein ja¨hrliches Follow-up bis ins Erwachsenenalter zur Erfassung von spa¨teren Outcomes.
Rafael Mikolajczyk arbeitete 2010-2012 in Drittmittelprojekten, die von Sanofi Pasteur und Bayer gesponsert wurden und war Mitantragsteller bei entsprechenden Projekten. Die korrespondierende Autorin erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.07.014
Beate Zoch Epidemiologische und Statistische Methoden (ESME) Abteilung Epidemiologie Helmholtz-Zentrum fu¨r Infektionsforschung Inhoffenstr. 7 38124 Braunschweig
[email protected]
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Einleitung Das fru¨he Kindesalter stellt sowohl bezu¨glich der Exposition gegenu¨ber Infektionskrankheiten als auch fu¨r die Entwicklung des Immunsystems die sensibelste Lebensphase dar. Weltweit wurden und werden zahlreiche Anstrengungen unternommen, um die Zusammenha¨nge zwischen Infektionen, Immunantwort und Langzeitfolgen zu untersuchen. Neue Erkenntnisse werden aus Geburtenkohorten erwartet, die sich besonders der Betrachtung von Infektionen widmen. Abstract Infancy and early childhood represent the most sensitive period of life with respect to both, development of the immune system and exposure to infectious diseases. Therefore, numerous efforts have been and are being taken to study the associations between infections, immune response and long-term outcomes. New findings are expected from birth cohorts dedicated to infection research. Schlu¨sselwo¨rter: Infektionen = Infections, Kinder = children, Geburtskohorten = birth cohort studies, Immunsystem = immune system
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