Kommentar: Medizin und Psychotherapie – ein Blick nach vorn

Kommentar: Medizin und Psychotherapie – ein Blick nach vorn

Deutsche Zeitschrift für DZA Akupunktur Originalia | Original Articles 1 0     D t Z t s c h r f A k u p. 5 9, 3 / 2 0 1 6 German Journal of Acupu...

103KB Sizes 2 Downloads 93 Views

Deutsche Zeitschrift für

DZA

Akupunktur

Originalia | Original Articles 1 0     D t Z t s c h r f A k u p. 5 9, 3 / 2 0 1 6

German Journal of Acupuncture & Related Techniques

R. Musil

Kommentar Medizin und Psychotherapie – ein Blick nach vorn In unserer dreiteiligen Serie zu Akupunktur bei psychiatrischen Erkrankungen ging es uns vor allem darum, die Beweislage dieses Therapiefeldes aufzuzeigen. Und wie Sie gesehen haben, ist die Beweislage oft noch nicht ausreichend belegt, manchmal gar dürftig. Dennoch sehe ich ein großes Entwicklungspotenzial für Aspekte der Chinesischen Medizin in der Arbeit mit psychiatrisch erkrankten PatientInnen, besonders im Bereich der Psychotherapie. Dies möchte ich in diesem Kommentar, angelehnt an einen Vortrag im Rahmen des 2. Symposiums „Akupunktur und Psychiatrie“ am Max-Planck-Institut für Psychiatrie im November 2015, noch einmal bekräftigen. In der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie sind viele Elemente aus asiatischen Medizinsystemen übernommen worden. Insbesondere achtsamkeitsbasierte Techniken werden bei unterschiedlichen psychiatrischen Störungsbildern wie Depressionen, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen angewandt. Daneben spielen Techniken zur Emotionsregulation eine zentrale Rolle. Durch Förderung der Selbstreflexion oder durch imaginative Übungen und Stuhlarbeit wird hierbei emotionales Erleben reflektiert und bearbeitet. Dabei geht es häufig um basale Emotionen wie Wut, Trauer, Freude oder Angst. Diese Emotionen werden einerseits von vielen Autoren zu den „Basisemotionen“ gezählt, andererseits kann man sie auch den Emotionen in der Chinesischen Medizin (CM) zuordnen. Hier können sie als innere pathogene Faktoren zu psychischen Störungen führen. Die CM bietet durch die wechselseitigen Beziehungen der fünf Wandlungsphasen (z. B. Kontroll-Zyklus; chin.: ke-Zyklus) und den ihnen zugeordneten Emotionen aus Sicht des Autors eine Möglichkeit an, innerhalb von therapeutischen Sitzungen nach diesen Zusammenhängen direkt mit den Emotionen zu arbeiten, z. B. in dem bei verärgerten Patienten nach einer zugrunde liegenden Trauer gesucht und diese bearbeitet wird. Es wird also eine Emotion durch eine dieser entgegengesetzten Emotion verändert. Ähnlich werden z. B. in der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) in der Behandlung von Borderline-PatientInnen aktivierte emotionale Netze durch bestimmte Fertigkeiten wie „entgegengesetztes Denken oder Handeln“ abgeschwächt. Eine weitere interessante Möglichkeit durch Akupunktur psychotherapeutische Prozesse zu unterstützen, könnte in der Anwendung von Elektrostimulationsakupunktur von Schädel-

Dr. Richard Musil Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums der LMU München Nussbaumstr. 7 D-80336 München

punkten liegen. In den letzten Jahren sind in der Psychiatrie einige nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren in den Fokus der Forschung gerückt. Hierzu zählt z. B. die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS). Dabei wird Strom über zwei Elektroden, ähnlich den Elektroden von TENS-Geräten, appliziert; dieser führt dann je nach Anordnung der Elektroden zu einer Stimulation bestimmter Hirnareale. Klinisch wird diese Methode bereits erfolgreich bei affektiven und psychotischen Störungen eingesetzt. Durch eine Verstärkung der Aktivität im präfrontalen Cortex und durch eine Verbesserung von Lernprozessen kann tDCS synergistisch mit Psychotherapie auf relevante neuronale Netzwerke wirken. In Zukunft wäre es ein spannendes Forschungsfeld, die Wirksamkeit der Elektrostimulationsakupunktur von Schädelpunkten analog der Therapieerfolge und zugrunde liegenden Wirkmechanismen von tDCS zu untersuchen. Zuletzt spielen gesunde Verhaltensweisen zur (Sekundär-)Prophylaxe von psychiatrischen Erkrankungen eine große Rolle, so bei der psychoedukativen Vermittlung von Basiswissen über das sogenannte Vulnerabilitäts-Stress-Modell, welches vielen psychiatrischen Störungen zugrunde gelegt wird. Die Chinesische Medizin wiederum bietet eine Fülle von gesundheitsförderlichen Lebensweisen in ihren Anschauungen über die Lebenspflege (Yangsheng). Das hier vorhandene Wissen zu diätetischen Maßnahmen, Qi-Gong-Übungen, Akupunkturmassagetechniken oder maßvollen Verhaltensweisen wird bislang nur ansatzweise in modernen Psychotherapieverfahren genutzt. Zusammenfassend ließen sich also aus Sicht des Autors viele Grundprinzipien und therapeutische Kenntnisse der Chinesischen Medizin insbesondere in die modernen verhaltenstherapeutischen Methoden gewinnbringend integrieren. Damit so ein Prozess gelingen kann, ist eine grundlegende Erforschung der Wirksamkeit solch integrierter Behandlungskonzepte in der Zukunft erforderlich. Autoreninformation (STRICTA recommendations) Dr. Richard Musil ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (VT) Ausbildung in Traumatherapie (MITT-DE), Schematherapie und DBT Oberarzt der Klinik (Spezialstation für PatientInnen mit Borderlineund Bipolaren Störungen, Tic-Ambulanz); Zusatzbezeichnung Akupunktur Dozent der DÄGfA seit 03/2014