Osteochondrom der distalen Tibia – Ein Fallbericht

Osteochondrom der distalen Tibia – Ein Fallbericht

CASE REPORT Orthop€adie Traumatologie Zusammenfassung Osteochondrome sind die h€aufigsten knorpelbildenden Knochentumoren. Sie sind oft ein Zufallsb...

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Orthop€adie Traumatologie

Zusammenfassung Osteochondrome sind die h€aufigsten knorpelbildenden Knochentumoren. Sie sind oft ein Zufallsbefund in der radiologischen Diagnostik und am h€aufigsten an den Meta-/Epiphysen langer R€ohrenknochen zu finden. Die meisten Patienten bleiben zeitlebens beschwerdefrei. Die distale Tibia ist nur selten betroffen, wobei als m€ogliche Komplikationen Arrosionen der Fibula, tibiofibul€are Diastasen oder Deformit€aten des oberen Sprunggelenks vorkommen. Eine maligne Entartung ist selten, die prophylaktische Abtragung des Tumors daher obsolet. Bei symptomatischen Verl€aufen sollte eine marginale Resektion erfolgen. €rter €sselwo Schlu Osteochondrom – Knorpeltumor – distale Tibia – Deformit€at

M. Wiewiorski et al.

Osteochondroma of the distal Tibia – Case Report Summary Osteochondromas are the most common benign bone tumors. In most cases ostochondromas represent incidental radiological findings with patients remaining asymptomatic throughout life. The distal tibia is only infrequently involved, but osteochondromas in this location can cause erosion of the fibula, tibiofibular diastasis and ankle joint deformity Malignant degeneration to chondrosarcoma is rare. Since malignant transformation is rare, prophylactic resection of osteochondroma is obsolete. However, marginal resection should be considered the treatment of choice in symptomatic cases. Keywords Osteochondroma – distal tibia – cartilage tumor – deformity

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SportOrthoTrauma 27, 112–116 (2011) Elsevier – Urban&Fischer www.elsevier.de/SportOrthoTrauma doi:10.1016/j.orthtr.2011.03.043

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Osteochondrom der distalen Tibia – Ein Fallbericht Martin Wiewiorski1, Andre Leumann1, Daniel Baumhoer2, Geert Pagenstert1, Victor Valderrabano1 1 Orthopa¨dische Universita¨tsklinik, Behandlungszentrum Bewegungsapparat, Universita¨tsspital Basel, 4031 Basel, Schweiz 2 Institut fu¨r Pathologie, Universita¨tsspital Basel, 4031 Basel, Schweiz Eingegangen am 24. Januar 2011; akzeptiert am 28. Ma¨rz 2011

Einleitung

Eine

26-ja¨hrige Patientin stellte sich wegen einer unklaren Schwellung und Schmerzen im Bereich des linken Außenkno¨chels in unserer orthopa¨dischen Sprechstunde vor. Etwa drei Monate zuvor war es zu einer Distorsion des oberen Sprunggelenks (OSG) gekommen. Zeitgleich wurde damals ein sichtbarer Knochenvorsprung u¨ber dem Außenkno¨chel entdeckt. Zum Zeitpunkt der Vorstellung klagte die Patientin u¨ber rezidivierende Schmerzen und Schwellungszusta¨nde des OSG, die ihr die Ausu¨bung des bis dahin betriebenen Tanzsports unmo¨glich gemacht haben. In der klinischen Untersuchung fiel wa¨hrend der Inspektion bei insgesamt athletischem Habitus eine deutliche, 6x6 cm große Schwellung oberhalb des linken lateralen Malleolus auf. Eine Messung des Unterschenkelumfangs oberhalb der Malleolengabel ergab ein Umfangsplus von 3 cm im Vergleich zur Gegenseite. Im Palpationsbefund stellte sich die Raumforderung als druckdolent, hart und nicht verschiebbar dar. Muskelkraft und Sensibilita¨t waren unauffa¨llig. Funktionell zeigte sich bei plantigradem Ru¨ckfuß ein reduzierter Bewegungsumfang im OSG mit

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Dorsalextension von 158 und Plantarflexion von 408 bei einem American Orthopaedic Foot and Ankle Society (AOFAS)-Hindfoot-Score [7] von 72 Punkten. Zur Abkla¨rung der unklaren Raumforderung erfolgte die Durchfu¨hrung nativer Ro¨ntgenaufnahmen (Rx), einer Magnetresonanztomographie (MRT) mit Kontrastmittelapplikation und einer Single Photon Emission Computed Tomography – Computed Tomography (SPECT-CT). Das SPECTCT ist ein neues Hybridverfahren, welches die szintigraphische und computertomographische Bildgebung in einer einzelnen Untersuchung vereint. Durch eine pra¨zise digitale Bildfusion wird eine exakte Zuordnung des Knochenmetabolismus (SPECT) zur Anatomie kno¨cherner Strukturen (CT) mo¨glich [13]. Das Rx (Abb. 1 A-B) und SPECT-CT (Abb. 1 C-D) zeigten einen gut 3 cm in kraniokaudaler Ausdehnung messenden Tumor im epi-/metaphysa¨ren Teil der distalen Tibia, der breitbasig dem Knochen aufsaß und sich pilzartig vorwo¨lbte. Gleichzeitig war die Fibula bogenfo¨rmig nach konvex lateral deformiert. Der Befund war assoziiert mit einem intens erho¨hten Knochenstoffwechsel in der Spa¨tphase. Im MRT zeigte sich eine du¨nne Schicht knorpeliger Matrix an der

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Abbildung 1 Bildgebung. €ntgenaufnahmen (A, B) sowie SPECT-CT (C, D) zeigen im epi-/metaphys€ Ro aren Teil der distalen Tibia (#) einen breitbasig dem Knochen €hter Knochenstoffwechsel des Tumors in der Sp€ aufsitzenden Tumor, welcher die Fibula (+) deformiert. Intens erho atphase im SPECT-CT. €chernen Proliferation (E, !). €nne knorpelige Matrix an der lateralen Begrenzung der kno Im MRT zeigt sich eine du

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Oberfla¨che der kno¨chernen Proliferation (Abb. 1 E). Der klinische und der radiologische Befund ergaben die Verdachtsdiagnose:

Osteochondrom der distalen Tibia. Die Patientin wurde u¨ber eine mit hoher Sicherheit vorliegende Gutartigkeit des Befundes aufgekla¨rt. Aufgrund der Schmerzsymptomatik, reduzierter Funktion des OSG und radiologisch drohender Fibulafraktur wurde die Indikation zur operativen Tumorentfernung gestellt, wobei auf eine pra¨operative Probeentnahme verzichtet wurde. Intraoperativ zeigte sich eine ausgepra¨gte kno¨chern-cartilagina¨re Exostose an der anterolateralen Tibiakante oberhalb des OSG. Nach Freipra¨paration des Befundes erfolgte eine marginale En-Bloc-Resektion des Tumors mittels oszillierender Sa¨ge. Nach Entfernung des Tumors zeigte sich ein

ausgepra¨gter kno¨cherner Defekt der Fibula, welcher zur Verbesserung der Stabilita¨t mit einem vom Beckenkamm entnommenen, trikortikalen Span aufgefu¨llt und plattenosteosynthetisch befestigt wurde. Die Syndesmose zeigte sich intakt, eine Rekonstruktion war nicht notwendig. Die pathohistologische Untersuchung des Resektats besta¨tigte die klinische und radiologische Verdachtsdiagnose eines breitbasigen sessilen Osteochondroms (Abb. 2 A, B). Postoperativ wurde das OSG in einer Unterschenkelschiene (Aircast-Walker, Aircast-DJO-Ormed, Schweiz) u¨ber sechs Wochen entlastet. Nach Entfernung der Stellschraube folgte dann eine schmerzadaptierte Steigerung der Belastung bis zur Vollbelastung unter intensiver Physiotherapie u¨ber weitere sechs Wochen. Drei Monate postoperativ war die Patientin beschwerdefrei. Die nativ-radiologische Kontrolluntersuchung nach einem halben Jahr zeigte eine vollsta¨ndige kno¨cherne Konsolidierung der Fibula

(Abb. 3). Sechs Monate postoperativ gelang der Wiedereinstieg in den Tanzsport.

Diskussion Osteochondrome sind die ha¨ufigsten (40% aller benignen Knochentumore) gutartigen Knochentumoren, die durch langsames Wachstum und eine nur selten vorkommende maligne Entartung gekennzeichnet sind [1,4,18]. Sie zeigen insbesondere wa¨hrend des La¨ngenwachstums eine Wachstumstendenz bei gleichzeitig zunehmender Entfernung von der Epiphysenfuge in Richtung Diaphyse, die nach Wachstumsabschluss meist sistiert. Das Durchschnittsalter fu¨r Osteochondrome an der distalen Tibia betra¨gt 16 Jahre [1]. Am ha¨ufigsten treten Osteochondrome in Lokalisationen auf, welche sich durch besonders schnelles physiologisches Knochenwachstum auszeichnen, z. B. distales Femur,

Abbildung 2 Pathologie. Die Untersuchung des Resektats (A) zeigt auf lamellierenden Schnitten (B) einen breitbasigen Tumor, der mit der Kortikalis und dem €ße). Markraum der Tibia in direktem Kontakt steht und eine 2 mm dicke Knorpelkappe aufweist (H€ amatoxylin - Eosin-F€ arbung, Originalgro €r Malignit€at bestanden nicht. Anhaltspunkte fu

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Abbildung 3 €ntgenkontrolle. Postoperative Ro 6 Monate postoperativ zeigt sich eine gute Durchbauung des Knochenspans.

proximale Tibia oder proximaler Humerus [1,16]. Die distale Tibia ist mit etwa 4% relativ selten betroffen [11]. Gema¨ß der WHO-Klassifikation fu¨r Weichteil- und Knochentumoren za¨hlt das Osteochondrom (veraltetes Synonym = osteokartilagina¨re Exostose) zu den gutartigen Knorpeltumoren [12]. Ihre Genese ist unklar. Wahrscheinlich entstehen Osteochondrome aus versprengtem, aberrantem Knorpel der Wachstumsfuge, welcher eine enchondrale Ossifikation durchla¨uft [17]. Der Tumor entspringt entweder breitbasig oder gestielt dem Markraum der Metaphysen langer Ro¨hrenknochen, wobei sich Kortikalis und Markraum kontinuierlich in die La¨sion fortsetzen. Auf der Oberfla¨che von Osteochondromen findet sich eine von Perichondrium bedeckte Kappe aus hyalinem Knorpel. Aufgrund des langsamen Wachstums bleiben Osteochondrome u¨ber la¨n-

gere Zeit inapparent und stellen einen Zufallsbefund in der nativradiologischen Diagnostik dar. Erst im spa¨teren Verlauf ko¨nnen Irritationen der Weichteile oder Arrosionen des Knochens klinisch eine Schmerzsymptomatik induzieren [1]. Als mo¨gliche Komplikationen werden Fibulafrakturen [14], Diastasen des tibiofibularen Gelenks [3,15] und Gelenkdeformita¨ten des OSG [5] beschrieben. Sekunda¨re Chondrosarkome sind hingegen selten (< 1% der Fa¨lle) und sollten insbesondere bei einer Gro¨ßenzunahme von Osteochondromen nach Abschluss des Knochenwachstums in Erwa¨gung gezogen werden. In den meisten Fa¨llen handelt es sich um hochdifferenzierte periphere Chondrosarkome (Grad I). Osteochondrome haben meist ein radiologisch eindeutiges Erscheinungsbild, so dass in den meisten Fa¨llen auf eine Biopsie verzichtet werden kann. In der zu Beginn der Diagnostik stehenden obligaten nativradiologischen Aufnahme zeichnet sich das Osteochondrom durch einen kontinuierlichen U¨bergang der Spongiosaba¨lkchen in die kno¨cherne Tumorbasis aus. Szintigraphisch la¨sst sich auch nach Abschluss des La¨ngenwachstums eine erho¨hte kno¨cherne Umbauaktivita¨t nachweisen [9]. Zudem erlaubt das Ganzko¨rperszintigramm den Ausschluss weiterer inapparenter Osteochondrome. Zur genauen Lokalisation und Bestimmung der Tumorausmaße ist eine axiale Schichtbildgebung durchzufu¨hren (CT, MRT). Das MRT kann insbesondere bei nicht sicher klassifizierbaren La¨sionen Aufschluss u¨ber die sich am Tumoraufbau beteiligenden Gewebearten geben (Knorpelkappe) [6,10]. Die meisten Osteochondrome sind Tumoren des Stadiums I nach Enneking und werden aufgrund des langsamen Wachstums der VerlaufsbeobM. Wiewiorski et al.



achtung zugefu¨hrt [4,16]. Eine prophylaktische Abtragung ist obsolet und nur sinnvoll, wenn es zu Komplikationen wie funktionellen Einschra¨nkungen von Gelenken, Knochendeformita¨ten oder einer Schmerzsymptomatik kommt [16]. Komplikationslose Langzeitverla¨ufe bei konservativer Behandlung sind ha¨ufig [2]. Wird die Indikation zum operativen Eingriff gestellt, ist, wenn mo¨glich, eine marginale Resektion des gesamten Tumors anzustreben [8]. Bei Arrosion der Fibula bietet sich zur Auffu¨llung eines nach Resektion entstandenen Defektes autologer Knochen aus dem Beckenkamm an. Bei ausgepra¨gten kno¨chernen Defekten, welche zu hochgradiger Instabilita¨t des distalen tibiofibularen Gelenks fu¨hren, sollte eine Arthrodese angestrebt werden [3]. Nach Abschluss des La¨ngenwachstums neu aufgetretenes Wachstum und Schmerzen im Bereich der Knorpelkappe mu¨ssen weiterfu¨hrend diagnostisch abgekla¨rt werden. Besteht klinisch und radiologisch der Verdacht auf eine maligne Entartung, sollte zur definitiven pathohistologischen Kla¨rung der Dignita¨t eine Probeentnahme erfolgen. Chin et al. beschrieben in ihrer Studie die Behandlung von 19 Patienten mit einem Osteochondrom an der distalen Tibia [1]. Alle Tumoren lagen lateral und fu¨hrten zu einer Deformierung der Fibula, die in 8/19 Fa¨llen zu einer Pronationsfehlstellung im OSG fu¨hrte. Nach vollsta¨ndiger Resektion und einer durchschnittlichen Nachuntersuchungszeit von 9.5 Jahren zeigten alle Patienten eine zur Gegenseite symmetrische Beweglichkeit des OSG, volle Kraft der Unterschenkelmuskulatur sowie vollsta¨ndige Schmerzfreiheit.

Schlussfolgerungen Das Osteochondrom der distalen Tibia ist ein in dieser Lokalisation

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seltener gutartiger Tumor, der bei klinischer Manifestation eine Schmerzsymptomatik, eine Deformation der Fibula und/oder ein funktionelles Defizit des oberen Sprunggelenks verursachen kann. Bei ausgepra¨gter klinischer Symptomatik und radiologischem Nachweis einer hochgradigen Fibulaarrosion sollte die Indikation zur Resektion des Tumors großzu¨gig gestellt werden. Langzeitergebnisse zeigen eine Wiederherstellung der Funktionalita¨t des OSG sowie Schmerzfreiheit nach einer Tumorresektion. Bei klinisch asymptomatischem Verlauf ist eine regelma¨ßige Verlaufskontrolle die Strategie der Wahl.

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