Avulsionsfraktur der Tuberositas Tibiae mit Patellarsehnenruptur – Fallbericht und Literaturübersicht

Avulsionsfraktur der Tuberositas Tibiae mit Patellarsehnenruptur – Fallbericht und Literaturübersicht

ORTHTR 11044 No. of Pages 5 CASE REPORT Orthopaedics Traumatology Sports Orthop. Traumatol. xx, xx–xx (2018) C Elsevier GmbH www.SOTjournal.com ht...

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ORTHTR 11044 No. of Pages 5

CASE REPORT

Orthopaedics Traumatology

Sports Orthop. Traumatol. xx, xx–xx (2018) C Elsevier GmbH

www.SOTjournal.com https://doi.org/10.1016/j.orthtr.2018.07.014

and

Zusammenfassung Avulsionsfrakturen der Tuberositas tibiae sind eine seltene Entit€at. Betroffen sind vor allem sportlich aktive m€annliche Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren. Neben radiologischen Zeichen k€onnen eine palpable Delle im Bereich des Lig. patellae sowie die Unm€oglichkeit einer aktiven Kniegelenksextension oder das Anheben des gestreckten Beines in der klinischen Untersuchung hinweisen. Begleitverletzungen wie eine Ruptur der Patellarsehne sind sehr selten, aber sind stets in Betracht zu ziehen. W€ahrend nicht dislozierte Avulsionsfrakturen der Tuberositas tibiae konservativ mittels Gipsruhigstellung behandelt werden k€onnen, stellen dislozierte Fraktur und/ oder eine begleitende Patellarsehnenruptur eine Indikation zum offenen chirurgischen Vorgehen mit Naht des Ligaments und Reposition und Fixation der Fraktur dar. €rter €sselwo Schlu Knie – Avulsionsfraktur – Tuberositas tibiae – Ligamentum patellae

L. Drobny et al.

Tibial Tuberosity Avulsion Fracture with Patellar Tendon Rupture – Case Report and Literature Review Summary Avulsion fractures of the tibial tubercle are rare. The injury predominantly affects sports active male adolescents between the age of 12 to 16 years. Apart from radiological signs, clinical findings can include a palpable gap in the tendon’s course and the patient’s inability to perform a straight leg raise. The presence of rare concomitant injuries like a rupture of the patellar tendon should always be considered. While non-displaced tibial tubercle fractures can be treated conservatively by cast immobilisation, displaced fractures, and/or a concomitant patellar tendon rupture should be treated surgically with tendon repair and fracture fixation. Keywords Knee – avulsion fracture – tibial tubercle – patellar ligament

L. Drobny et al.



CASE REPORT

Avulsionsfraktur der Tuberositas Tibiae mit Patellarsehnenruptur – €bersicht Fallbericht und Literaturu Lanny Drobny1, Anna-Kathrin Leucht1, Victor Valderrabano2, Martin Wiewiorski1 1 Klinik fu¨r Orthopa¨die und Traumatologie, Kantonsspital Winterthur, Schweiz 2 SWISS ORTHO CENTER, Schmerzklinik Basel, Swiss Medical Network, Switzerland Eingegangen/submitted: 12.06.2018; akzeptiert/accepted: 31.07.2018 Online verfu¨gbar seit/Available online: xxx

Einleitung

Avulsionsfrakturen der Tuberositas

tibiae kombiniert mit einer Patellarsehnenruptur sind eine Rarita¨t [2,5– 7,9,11,15–18]. Wa¨hrend in der Literatur wenige Beitra¨ge zur Avulsionsfraktur als alleinige Verletzung zu finden sind [3,4,7,11,15,17] ist die Evidenz bezu¨glich einer Kombinationsverletzung mit Ruptur der Patellarsehne auf wenige Fallberichte beschra¨nkt [2,4–6,9,10,16,18]. Im Folgenden wird solch ein Fall pra¨sentiert und die aktuelle Literatur diskutiert.

Fallbericht Ein zum Unfallzeitpunkt 14-ja¨hriger Junge wurde mit dem Rettungsdienst auf unsere Notfallstation eingeliefert. Nach einem Sturz beim Fussballspielen bemerkte der Patient immobilisierende Schmerzen im rechten Kniegelenk, wobei der genaue Traumamechanismus nicht angegeben werden konnte. Das Knie imponierte deutlich geschwollen, mit einer hochgestellten Patella sowie Druckdolenz u¨ber der proximalen Tibia. Aktive Extension im Kniegelenk war nicht mo¨glich. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilita¨t zeigten sich intakt. Konven-

tionell-radiologisch wurde die Diagnose einer Avulsionsfraktur der Tuberositas tibiae vom WatsonJones-Typ 1B [15,19] gestellt und bei deutlicher Dislokation des Fragments die Indikation zur operativen Versorgung gestellt (Abb. 1). Intraoperativ zeigte sich zum einem das Fragment nach proximal umgeschlagen und zusa¨tzlich eine komplette Patellarsehnenruptur an ihrem Ansatz an der Tuberositas tibiae. Es erfolgte eine transossa¨re Fixation der Patellarsehne mittels nicht resorbierbarem geflochtenem Faden (PDS, Ethicon, Zug, Schweiz) und Fadenanker (JuggerKnot, Zimmer Biomet, Winterthur, Schweiz) an das Fragment. Zudem wurde das avulsierte Fragment offen reponiert und mittels zwei Schrauben (3.5 mm Kortikalisschraube, Depuy Synthes, Zug, Schweiz) fixiert. Zur Sicherung der Patellarsehne erfolgte die zusa¨tzliche Anlage einer DrahtCerclage (McLaughlin-Schlinge [12]) (Abb. 2). Postoperativ erfolgte eine Ruhigstellung in einer KnieKlettschiene in Extensionsstellung mit Teilbelastung von 15 kg fu¨r 6 Wochen. Ab der 5. Woche wurde mit physiotherapeutisch angeleitetem passivem Mobilisationsaufbau begonnen. Es folgten klinisch-radiologische Verlaufskontrollen nach 6

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Abb. 1 €ntgenbild. Hier zeigt sich die Avulsionsfraktur der Tuberositas tibiae, €operatives Ro Pra nach kranial disloziert und um nahezu 1808 rotiert. Es besteht ein Patellahochstand und €ntgendichtes Gewebe – mo €glicherweise oss€are Flakes – kranial des Fragmentes als ro €r eine begleitende Patellarsehnenruptur. Hinweise fu

Wochen, 3 und 5 Monaten. Nach drei Monaten wurde die McLaughlinSchlinge sowie das Osteosynthesematerial entfernt. Fu¨nf Monate nach dem initialen Eingriff zeigte sich eine vollumfa¨ngliche Funktion des Streckapparats mit 5/5 Kraftgraden und eine seitengleiche Flexion beider Kniegelenke bis 1508. Der Patient war beschwerdefrei.

Diskussion Die Avulsionsfraktur der Tuberositas tibiae wurde erstmals 1853 von Demorgan beschrieben [1]. Der ursa¨chliche Mechanismus ist wahrschein-

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lich eine kra¨ftige Anspannung des M. quadriceps. Hierbei ist entweder von einer erzwungenen Knieflexion entgegen der Kraft des angespannten M. quadriceps oder aber von einer Kontraktion des Muskels bei fixiertem Fuß die Rede [6,8,11,15]. Meist tritt die Verletzung bei Sportarten auf, die kraftvolle Spru¨nge voraussetzen. Typischerweise sind das Basketball, Hoch- oder auch Weitsprung. Dokumentiert sind aber auch Ereignisse beim Fussball, bei Laufsportarten oder Verkehrsunfa¨llen [4,11,15]. Die Verletzung betrifft vornehmlich athletische ma¨nnliche Jugendliche im Alter zwischen 12 und 16 Jahren [2,4] mit weit fortgeschrittener Ske-

lettreife. Gru¨nde fu¨r die deutliche Ha¨ufung der Verletzung bei ma¨nnlichen Adoleszenten liegen einerseits in deren Aktivita¨tsmuster und andererseits im spa¨teren physiologischen Verschluss der proximalen tibialen Wachstumsfuge im Vergleich zu Ma¨dchen [4,11]. Ogden et al. [14] untersuchten den histologischen Aufbau und die Entwicklung der Wachstumsfuge der Tuberositas tibiae. Sie fanden im Vergleich zu anderen Wachstumsfugen Unterschiede, die sie auf das prima¨re Auftreten von hohen Zugkra¨ften zuru¨ckfu¨hrten, wa¨hrend die meisten anderen Wachstumsfugen Druckkra¨ften ausgesetzt sind. Die chondralen und ossa¨ren Umbauprozesse, die kurz vor dem Fugenverschluss auftreten, ko¨nnten zu einer Schwa¨chung der Tuberositas tibiae gegenu¨ber besagten Zugkra¨ften fu¨hren [3,5,14,15]. Kombiniert mit einer in diesem Alter typischerweise generellen Zunahme der Muskelkraft pra¨disponiert dieser Umstand zu einem Auftreten einer Avulsion [11]. In einigen Arbeiten wird ein mo¨glicher Zusammenhang mit Morbus Osgood-Schlatter genannt [4,6,11,16]. Wenn auch dies theoretisch plausibel erscheint, fanden sich hierfu¨r klinisch keine Beweise. Bei einer der gro¨ßten dokumentierten Fallserien [15] fanden sich bei u¨ber der Ha¨lfte der Patienten zwar klinische und/oder radiologische Hinweise fu¨r das Vorhandensein eines Osgood-Schlatter, jedoch war bei allen außer einem Patienten nur die Gegenseite betroffen. Als mo¨gliche Spa¨tkomplikation – auch nach operativer Versorgung – Wachstumssto¨rungen zu sind beru¨cksichtigen, wobei die Entwicklung eines genu recurvatum im Speziellen erwa¨hnt wird [4,11,15]. Dies ist jedoch a¨ußerst selten, da die Verletzung wie bereits erwa¨hnt typischerweise kurz vor Wachstumsfugenschluss auftritt. In der Literatur

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Abb. 2 €ntgenbild. Reposition und Fixation des Fragmentes durch zwei Kortikalisschrauben, McLaughlin-Schlinge zur A & B Postoperatives Ro Sicherung der Patellarsehne.

ist lediglich 1 Fall dokumentiert [13]. Dennoch sind in diesem Zusammenhang insbesondere bei jungen Patienten auch nach Frakturheilung regelma¨ßige Nachkontrollen zu erwa¨gen. Die Fraktur wird nach Watson-Jones mit der gleichnamigen Klassifikation in drei Subtypen eingeteilt [19]. Ogden et al. [15] differenzierten die Klassifikation weiter, indem sie jedem Typ eine Untergruppe A oder mit zunehmender Dislokation oder Mehrfragmentierung eine Untergruppe B zuordneten (Abb. 3). - Bei Typ-1-Frakturen ist der distalste Teil der Tuberositas tibiae betroffen mit einer Frakturlinie distal der proximalen tibialen Wachstumsfuge. Typ-1A ist kaum disloziert, Typ-1B ist disloziert. - Die Frakturlinie von Typ-2-Frakturen liegt auf Ho¨he der proximalen L. Drobny et al.



tibialen Wachstumsfuge, wobei es sich bei 2A um eine einfache Fraktur und bei 2B um eine mehrfragmenta¨re Fraktur handelt. - Frakturen Typ-3 schließlich reichen u¨ber die proximale tibiale Wachstumsfuge hinaus und sind immer disloziert. Typ-3A ist wiederum einfach und 3B mehrfragmenta¨r. Dieser Klassifikation wurden von verschiedenen Autoren weitere Erga¨nzungen angefu¨gt. Ryu und Debenham [17] propagieren einen zusa¨tzlichen Typ-4, bei dem die Frakturlinie durch die proximale tibiale Wachstumsfuge bis zum posterioren Cortex zieht; McKoy et al. [11] fu¨gten einen Typ 5 hinzu mit einer Kombination von Typ-3B und proximalen tibialen Wachstumsfugenverletzung Salter-Harris-Typ-IV. Schließlich schlugen Frankl et al.

[6] vor, jedem der Typen eine Untergruppe C hinzuzufu¨gen, wenn wie im vorgestellten Fall das Ligamentum patellae rupturiert ist. Mit einer Avulsionsfraktur der Tuberositas tibiae assoziierte Weichteilverletzungen sind beschrieben worden. Neben der erwa¨hnten Ruptur der Patellarsehne handelt es sich um Meniskusla¨sionen oder Rupturen der Kreuz- oder Seitenba¨nder [ 5,11,18]. Die Patellarsehnenruptur kann in diesem Kontext durchaus als Rarita¨t angesehen werden. Unsere Literaturrecherche fu¨hrte lediglich 15 dokumentierte Fa¨lle dieser Kombinationsverletzung zu Tage [2,4–6,9,10,16,18]. Klinisch stellt die Diagnostik dieser Begleitverletzung eine große Herausforderung dar. Aufgrund der deutlichen Schwellung des Kniegelenks ist die Palpation und klinische Untersuchung im akuten Stadium meist

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Abb. 3 Watson-Jones-Klassifikation, modifiziert nach Ogden et al. [15].

nicht eindeutig. Hinweisend auf eine Patellarsehnenruptur sind eine palpable Delle im Bereich des Ligamentum patellae, die Unmo¨glichkeit einer aktiven Kniegelenksextension oder das Anheben des gestreckten

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Beines, was jedoch schmerzbedingt auch nicht immer konklusiv ist. Radiologisch ist auf eine Patella alta, eine um nahezu 1808 nach kranial rotierte frakturierte Tuberositas tibiae und das Vorhandensein von

subpatella¨r gelegenen kalkhaltigen Verschattungen zu achten, die als periostale Ansatzreste des avulsierten Ligamentum patellae verstanden werden [5,6]. Ha¨ufiger kommt eine assoziierte Patellarsehnenruptur bei Typ-2- und -3-Frakturen vor, ist aber auch bei Typ-I-Frakturen wie im vorgestellten Fall beobachtet worden [5]. Man vermutet nach initial auslo¨sendem Trauma das Zuru¨ckbleiben einer periostalen Bru¨cke am kranialen Ansatz des zudem nach kranial rotierten Fragments der Tuberositas tibiae, was bei erneuter forcierter Aktivierung des Streckapparats genug Widerstand bietet und im Sinne eines Double-Hit-Traumamechanismus zu einer Ruptur des Ligamentum patellae fu¨hrt [6]. Es ist die ga¨ngige Empfehlung, dass Typ-1A- und auch einige Typ-1BFrakturen konservativ mittels Gipsruhigstellung behandelt werden ko¨nnen [4,5,11,15,18]. Die u¨brigen Frakturtypen bedu¨rfen einer operativen Versorgung. Typ-3-Verletzungen sollten offen reponiert und fixiert werden, wa¨hrend wie in unserem Fall bei Typ-1B-Verletzungen ein mo¨glichst wenig invasives Vorgehen ohne komplette Darstellung der Patellarsehne gerechtfertigt sein kann [5,18]. Allerdings muss die Mo¨glichkeit von assoziierten Weichteilverletzungen und davon insbesondere die Patellarsehnenruptur bedacht werden, die eine Schnitterweiterung und offene Reposition und interne Fixation der Fraktur mit Versorgung der Begleitverletzung notwendig macht. Es gibt Empfehlungen, vor jeder geplanten minimalinvasiven Versorgung dieser Frakturen mittels MRT assoziierte Verletzungen auszuschließen [5]. Ob dies bei der Seltenheit dieser Kombinationsverletzung kosteneffizient und vor allem resourceneffektiv ist, stellen die Autoren selber infrage. Wir tendieren daher dazu, ein offenes Vorgehen mit Darstellung der Fraktur und des

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Patellarsehnenansatzes zu empfehlen. Dies setzt natu¨rlich sowohl voraus, die Patellarsehnenruptur als mo¨gliche Begleitverletzung vorauszusehen, als auch den Patienten u¨ber die mo¨gliche Eingriffserweiterung in Kenntnis zu setzen.

Schlussfolgerung Wa¨hrend die Avulsion der Tuberositas Tibia an sich bereits eine Seltenheit darstellt, sollte die Mo¨glichkeit von Begleitverletzungen der Patellarsehne bei der Diagnostik und Therapie stets mitbeachtet werden. Der Traumamechanismus, klinische sowie radiologische Hinweise und nicht zuletzt das charakteristische Patientengut ko¨nnen bei der korrekten Diagnosestellung unterstu¨tzen. Bei einer Entscheidung zur konservativen Therapie oder chirurgischen Versorgung sind Begleitverletzungen und insbesondere die Patellarsehnenruptur auszuschließen. Im Zweifel ist ein offen chirurgisches Vorgehen mit Exploration und gegebenenfalls Reparatur der Patellarsehne anzustreben.

Interessenkonflikt Alle Autoren besta¨tigen hiermit, dass kein Interessenskonflikt besteht.

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