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Perspektiven der Medizinischen Physik Eroffnung der Jahrestagung in Erfurt 1994
Geschichte voJlzieht sich unaufhalLsam vorwansdrangend im Wech el von Zeitabschnitten mit langsamem Wandel und solchen mit sich tiber tiirzenden Ereignissen. Die fast 13 lahrhunderte un eres Tagungsortes ErfUl4 tiber lange Zeitraume nieht nur geographische Mitte, eher noch politisch-wirtschaftlicher, vor aHem geistig-kultureller Angelpunkt zwischen Ost und West, illustrieren dies besonders eindrucksvoll' und so kann man sich gerade an die em Ort, auch wenn die Ge chichte chon !angst wieder tiber die Verwerfungen der jtingsten Zeit hinweggegangen ist, einem 1nnehalten und bewegenden Rtickblick kaurn entziehen: wer erinnert ich nicht der uniiberwindlichen Grenze knapp 100 km westwans der ot, Bedrangnis und EntUiu chung, der persanlichen Freiheitsverlu te und begrenzten oder gar entzogenen beruflichen Entfaltung maglichkeiten Umstiinde, deren Schatten tiber die persanlichen Schicksale hinaus auch in unserer Fachgesellschaft, pezieU bei unseren Jahre tagungen wahrnehmbar waren. Und nun, unfaBbar damals se1bstverstandlich heute ist der Weg frei, die Stafette unserer Jahrestagungen erreicht zurn er tenmal eines der neuen Bunde liinder und mit Erfurt zugleich die Stadt mit der nach Heidelberg und Kaln drittaItesten Univer itat auf deut chern Boden. Geschichte, Wandel und Zukunftshoffnungen dieser Stadt geben gleich am ein Bezug system vor, in dem sicb au AnlaB unserer Jahre tagung die aktuelle Lage und die erkennbaren Per pektiven in unserem Fachgebiet der Medizinischen Physik, betrachten lassen. Die Zukunft der Medizinischen Physik, dieses im Reigen der Biowissen chaften der medizinischen Gesundheitsversorgung besonders nahe tehende naturwissen chaftliche Fach, wird ent cheidend von einigen Weichen tellungen beeinfluBt werden, die im forschungspo1itiscben gesundheit politischen und wissenschaftlicb-facblicben Bereich zu erwarten oder wahrzunehmen sind. Ohne Frage ist die Entwicklung unserer noch jungen und wenig etablierten Disziplin trotz der unstrittig in allen Bereichen der Medizin zunehmenden Bedeutung phy ikalischtechnischer Innovation unter den gegenwartigen Rahmenbedingungen knapper fmanzieller Ressourcen schwierig. In nichl selten verheerender Weise erfolgen Einschnitte in die For chungsetats, nicht zuletzt mit dramati chen Folgen fur den wissenschaftlichen achwuchs. MuB e nicht nachdenklich machen, daB ich auf eine ausgeschriebene Hoch chulstelle heute etwa 150 junge Physiker bewerben, darunter gUl ein Drittel hochqualifiziert und mit allerbe ten Referen-
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zen, der iiberwiegende Teil bestenfalls in zeitlich befristeten wissenschaftlichen Hilf kraftstellen, daB viele aber schlicht auf der StraBe stehen? Schlagworte wie Akademikerschwemme und Taxifahrer mit Promotion verharmlo en einen ProzeB der keine wegs mebr auf die neuen Bunde lander mit den noch nicht verkrafteten Anpa ungsschwierigkeiten beschrankt i l. Zusatzlich zu den gegenwartig etwa 40.000 berufstiitigen Physikem in Deutschland verlassen jahrlich tiber 4000 junge Physiker die HochschuJen, die bei lndustrie Forschung einrichtungen und auch im Bereich des Gesundheitswesens praktisch iiberall auf verschlo ene TUren stoBen. Es gibt andere Berufsgruppen, bei denen bekanntermaBen wie etwa in der Medizin eine Bedarfsausweitung allein volkswirtschaftIich schon ehr umstritten ist. Ene Bedarf regulierung fUr Phy iker, deren primare Aufgabe immer die Be chaftigung mit allen Naturphanomenen von der Erfas ung ibrer GesetzmaBigkeiten bi hin zur Gestaltung der Leben bedingungen des Menschen war und die de halb auch heute, einer Umfrage von 1993 folgend, zu 3/4 in For chung und Entwicklung eingesetzt sind, darf man sicher nicht kurzatmigen konjunkturellen Schwankungen unterwerfen. Gerade die vielfaltigen Bedrohungen un erer Leben grundlagen. die nicht nur objektiv be tehen, ondem in hohem MaBe immer weitere Bevalkerungs chichten beiingstigen, magen sie Res ourcenknappheit, Klimaanderung, Umweltbelastung oder Ge undheirsgefahrdung heiBen all dies verlangt Antworten, die nicht zuletzt aus den aturwissen chaften kommen mii en wobei hier nach wie vor der Phy ik eine SchliisselroUe zufailt. Die gilt gerade auch bei Fokussierung auf Fragen unserer Gesundheit auf die Mog1ichkeiten von Pravention und Gesundheitsvorsorge, auf die Erforschung von Krankheitsursachen und die Enlwicklung wirksamer Diagnose- und Therapieverfahren. Man hatbei uns manchma1 den Eindruck als lage die Gesundheit de Menschen kiinftig nUT noch in Handen von Molekularbiologen und Gentechnikem. Da i t so unsinnig, a]s wiirden wir die Lasung un ere Energieproblemes allein von der Quantenchromodynamik erwarten. Wenn nach mehr Raum fiir Physik, nach mehr SteUen fiir Physiker gerufen wird mage man nicht langfristige Zukunftssicherung mit vordergriindigen KJienlelinteressen verwechseln. In Relation zu vergleichbaren Landem bedarf es in der Bundesrepublik innerhalb der Biowis en chaften insbe ondere einer deutlichen Akzentuierung der Physik in Gestalt von Biophy ik, Medizinischer Phy ik und Biomedizini cher Technik.
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Perspektiven der Medlzlnischen Physik
Das etzt eine kritische Oberprufung vOn Prioritaten auf drei Ebenen vorau - in der For chung - und Ge undheit politik, der - Wis enschaftspolitik und - auf fachlich-beruflicher Ebene.
Forschungs- und Gesundheitspolitik Zunachst einige Bemerkungen zur Forschungs- und Gesundheitspolitik. Das ira letzten Jahr von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Prograrnm ,Gesundheitsforschung 2000" liest sich fast durchgehend wie ein Idealkatalog an MaBnahrnen zur Stimulierung der Gesundheitsforchung mit einer Hille von gerade auch au unserer Sicht begrliB n werten An atzen zur starkeren Integration von aturwissenschaften und Medizin. Die vorgeschlagenen Instrumente reichen von der Bildung klinischer Forschergruppen, interdi ziplinarer Zentren fUr klini che For chung, tiber themenspezifi che Verbundforschung und achwuch fOrderung bi hin zu enoerer Verzahnung von auBeruniversitarer und universit1i.rer Forschung, also Zu ammenarbeit von Hoch chulen For chungseinrichtungen und Entwicklungslabors der Industrie. In ge amt also ein attraktiver Rahmen fUr die Perspektiven von Pbysik und Teehnik innerbalb der Biowis en chaften, der noch dazu vor dem Hintergrund der vom BMFf ktirzlieh verkiindeten Prioriilitenverlagerung von Elementarteilchen- und Weltraumforschung zu den Biowissenschaften uns eigentlich zuver ichtljcb timmen mUBte. Jedoch die Umsetzung de Programm toBt gerade bei der Einbeziehung von Medizinischer Physik und Biophysik auf gravierende Probleme, viel weruger aus GrUnden von Geldknappheit zurn Teil au wohl tage politi chen Grunden - der angektindigte Innovationskreis Medizintechnik beim BMFT ist immer noeh nicbt gegrundet - tiberwiegend aber aus strukturellen und wi sen chaft politischen Grunden.
Wissenschaftspolitik De halb einige Bemerkungen zum wissenschaftspolitischen Kontext au Sieht der Medizini chen Physik. Es ist sicher nur eia Lap u , aber in dem 140 eitigen Programm "Gesundheitsforschung 2000" taucht nirgend explizit Medizinische Physik oder Biophysik auf, nur Medizintechnik, wa, wie man mir sagte aber in gewisser Weise als Synonym zu verstehen ware. Ob man aber nicht doch beftirchten muB, daB sich in diesem Lapsus widerspiegelt
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wie weit haufig der Glanz moderner Technik in der Medizin ei e der Laser in der Hand de Chirurgen, der Kern pintomograph beim Radiologen oder da Cochlea-Implantat fUr den Horbehioderten, kaum noch die Wurzeln phy ikali cher Grundlagenforschung in der Medizin erkennen laBt. Weiter wird tiber ehen daB medizintechni che Lnnovationen bei un tiberwiegend den EntwicklungsJabors der Industrie entspringen, allenfalls noch vereinzelten Verbundvorhaben von Hochschule und Wirtschaft, kaum jedoch in irgendeinem Bereich primar al Resultat universitarer Forschung. Wie anfalJig eine zu einseitig iadustrieorientierte Wis en chaftspolitik gegentiber konjunkturellen Einbrticben aber ist, erleben wir gegenwartig in Form eine nahezu kompletten Einstellungsstops bei allen groBeren Firm n d r medizintechni chen Branche. Abgesehen davon, daB eine derartig kurzatmige , An- und Au knipsforschung" sicher auch okonornisch kein tragfahige Fundament ftir eine zukunftsorientierte Forscbungsricbtung dar tellt bedarf es auch zur Entwicklung medizintechnischer Produkte des Zusammen piel von Grundlagen- und anwendungsbezogener For chung. Ort der Grundlagenfor chung aber ist die Hoch chule da muB auch fur die phy ikali ch-techni chen Richtungen in den Biowissenscbaften gelten. FUr die Medizini che Physik bedeutet da in Sonderheit, daB dieser jungen aus der Vernechtung medizini cher Fachrichtungen mit der Phy ik erwachsenen Di ziplin verbe erte Forschungsmoglichkeiten an den Universitaten eingeriiumt werden mti13ten, und zwar mit eigenstiindigen Organisations trukturen, Abteilungen oder Sektionen, und mit einer Per onalau stattung, die nieht nur bestenfaJls auf die Erftillung kJinischer Dien tJeistung zugeschnitten ist. 10 den verantwortHchen Uindenninisterien ist offensichtbch nicht bekannt, welches EinsparungspotentiaJ welche Moglichkeiten zur Qualitatsverbes erung der medizini chen DienstJeistung und welche Valenzen zur Intensivierung der Forschung in Medizinischer Pby ik be teh n, wenn man allein schon das an den meisten Universitiiten dezentral in Diagnotik, uklearrnedizin und StrahJentherapie jeweil voneinander separierte physikaJisch-technische Personal zu einer strukturellen Einheit zu arnmenfassen wtirde. GewiB auf Seiten mancber Ante mtiBte von liebgewordenen Traditionen wie dem , eigenen Physiker" Abschied genommen werden; aber warum soll dieser LernprozeB, wie er durch die rasante EntwickJung gerade im Bereich der Medizini chen Strahlenphysik mit 3D-Bildgebung, PET und neuen strahJentherapeutischen Techniken eigentlich erzwungen wird, nach SA, England, Skandinavien und den iederlanden Dicht auch in Deut chland zustande kommen? SchlieBIich verftigt ja auch kein Chirurg in unserem Land mehr tiber seinen eigenen Anasthesisten.
Perspektiven der Medizinischen Physik
Wi! konnen nur eindringlich an die wissenschaftspolitisch Verantwortlichen, vomehmlich in den Land rrninisterien, appellieren, an ihren Hochschulen die trukturellen Voraussetzungen fUr mehr Forschung und Entwicklung in Medizinischer Physik und Biophysik zu chaffen. Wir ind in dieem Zusarnmenhang sehr froh, daB e gelungen ist, in den neuen Bundeslandem trotz gravierender Einschnitte in unserem Fach die Abteilungen fUr Medizinische Physik und Biophy ik in Greif wald, Halle Leipzig und Berlin zu erhalten.
Fach- und Berufspolitik Zukuoftsorienlierte Konzepte und adliquate Rahrnenbedingungen blieben ohne Wirkung auf die Entwicklung d r Medizinischen Physik, wenn wir uns nicht selbst innerhalb unserer be cheidenen Moglichkeiten tatkrliftig fUr den Ausbau unseres Faches einsetzen. Der Umgang mit Physik und Technik im Bereich der Krankenversorgung erfordert Au Weiter- und Fortbildung auf hohem Niveau. Unser stlindiges Drlingen nach taatlicher Fachanerkennung hal in letzter Zeit etwas Bewegung insofem gebracht, als eine rechtliche Prtifung durch da Bundesgesundheit mini terium klar die Zustandigkeit der obersten Lande behorden fiir die Regelung unserer Weiterbildung ergeben hat. An die er Stelle freue ich mich sehr iiber die Mitteilung, daB in Thiiringen Uberlegungen zur Ubemahme des Berliner Gesetzes zurn Schutz der Beruf bezeichnung Medizinphysiker/Medizinphy ikerin bestehen. Wir hoffen ehr in die er dringlichen Frage vorwarts zu kommen und unterstiitzen nachdriicklich die 'e Intention der Lande regierung. 1m benachbarten Sachsen-Anhal.t wird ogar iiber diesen Beruf bezeichnung schutz hinaus die Moglichkeit einer Verkarnmerung unserer Berufsgruppe di kutiert. Es ist sidler kein Zufall daB gerade die neuen Bunde lander einer staallichen Regelung def Weiterbildung in Medizinischer Physik erfreulich aufgeschlossen gegeniiberstehen, hat man doch hier die im Rahmen des Einigungsvertrags leider verlorengegangene, frilher jedoch bewlihrte und im europlii chen Llindervergleich noch heute vorbildliche staatliche Regelung de postgradualen Studiums Medizini che Phy ik in Erinnerung. Wlihrend auf dem Weg der beruflichen An rkennung des Medizinphysikers mit den ab ehbaren Eingriffen auf Landerebene zumindest die richtige Richtung einge chlagen ist, halte ich im Bereich der Forschung eine deutliche Intensivierung un erer nstrengungen. vor allem der an den eot. prechenden Hoch chul- und Forschung einrichtungen wirkenden Wissen chaftIer fiir unverzichtbar. Ob wir derzeit wirklich aile Moglichkeiten der Drittmitteleinwerbung bei europlii chen Verbundprojekten, bei der DFG bei Stiftungen und Forderin titutionen wahmehmcn?
Dariiber hinaus sehe ich es als we entliche zukiinftige Aufgabe der DGMP an, auf der Grundlage einer kritischen Standortiiberpriifung un ere fachliche Ausrichtung zu aktualisieren und verstlirkt zukunftsweisende Impulse au dem deutlich erk nnbaren Wandel der Biowissenschaften aufzunehmen. Wi! ollten nicht yom vertrauten Pode t der Medizinischen Strahlenphysik aus bahnbrechende Entwicklungen an un vorbeiziehen la en' denn wie weil ich aIlein auf dem Gebiet medizinischer Struktur- und Fuoktionsunteruchungen neue Beriihrung fllichen zwischen Medizinischer Physik, Biophysik Biochemie und MolekuJarbiologie aufgetan haben, da werden wir im Fe tvortrag von Herm Arnold sicher veran chaulicht bekommen. Ein weiteres, von uns bisher lediglich im radiookologischen Bereich wahrgenommenes For chungsfi Id i t die Wechselwirkung von Umwelteinflii sen und dem menschlichen Organismu . !eh erinnere nur an die aktuelle Diskussian der Wirkung elektrischer und elektromagnetischer Felder, die abge ehen von vereinzelten Forschungsanslitzen bisher nicht immer tiber das iveau emotion geladener Auseinander etzungen hinau gekommen i t. Geme erwlihne ich in Verbindung mit dem TheOla Umweltforschung al eine uniibersehbare Wegmarkierung auf der von mir angemahnten Erweiterung medizinphysikali cher Aktivitliten daB unser Mitglied, Frau Prof. Keck au Wien flir ihre Studien ZUI UV-Strahlenexpo ilion der osterreichischen Bevolkerung in diesem Jabr mit dem hochdotierten Wi en chaft preis der Deutschen Hygienege 'ell chaft ausgezeichnet wurde. Er te Anfange zur Beschliftigung mit Umweltproblemen durch Medizinphy iker sind al 0 gemacht wir ollten uns ktinftig verstlirkt dieser Thematik zuwenden.
Schlu6 Jahre tagungen un. erer Ge ellschaft sind nicht nur Schaufen ter fUr das, wa Kolleginnen und Kollegen oft unter schwierig ten Bedingungen erarbeitet haben sie ind dariiber hinau in fa t noch wichtigerer Funktion Ideenborse und Markt zum Austausch von Ioforrnationen und Anregungen. Die DGMP ist Ihnen, lieber Herr Tautz als Tagungsprlisident, tatkriiftig unterstiitzt durch Ihre Mann chaft irn femen Berlin und vor art durch Sie, lieber Herr Kirsch und Ihre Mitarbeiter, ehr dankbar, daB Sie diesen KongreB ausgerichtet haben. Ich wtin che un allen eine ergiebige und anregende Zeit in Erfun und dieser wunder choneo Region. Fridtjof tis lin Abteilung Medizini che Physik Radiologische Universitatsklinik Tiibingen
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