Sonographie von gesunden Nerven

Sonographie von gesunden Nerven

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Neurophysiol. Lab. 34 (2012) 91–97

Sonographie von gesunden Nerven Sonography of healthy nerves Matthias Schilling Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Schilling, Geschäftsführender Oberarzt, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster, Albert-Schweizer-Campus 1, 48149 Münster

Zusammenfassung Die sonographische Untersuchung peripherer Nerven wird zunehmend in der Diagnostik peripherer Nervenerkrankungen eingesetzt. In Ergänzung zur Elektrophysiologie liefert die Sonographie wertvolle Informationen über die Morphologie des Nerven und der umgebenden Strukturen. Die Aussagekraft dieser diagnostischen Methode hängt von der verwendeten Technik, der Erfahrung des Untersuchers und ihrem sinnvollen Einsatz ab. Diese Übersichtsarbeit stellt die technische Ausstattung, die Grundlagen der Untersuchung gesunder Nerven und Normwerte vor. Schlüsselwörter: Ultraschall, Nerven, Morphologie

Abstract Sonographic examination of peripheral nerves is incrementally important in routine examination of peripheral nerve diseases. In addition to electrophysiological examination sonography provides further information about morphology of the nerves and the surrounding structures. The diagnostic value of this method depends on the technique applied, experience of the examiner and quality of its indication. This review presents technical equipment, basic examinations of healthy nerves and normal values. Keywords: Ultrasound, Nerves, Morphology

1. Einleitung Ultraschall wird in der Diagnostik peripherer Nervenerkrankungen erst seit einigen Jahren eingesetzt. Erste Publikationen über die sonographische Darstellung peripherer Nerven wurden bereits in den 80er Jahren veröffentlicht [6]. Mit der damaligen Technik gelang insbesondere die sonographische Darstellung von Nerventumoren. Ein breiterer Einsatz war jedoch wegen der zunächst E-mail: [email protected] http://dx.doi.org/10.1016/j.neulab.2012.08.004

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eingeschränkten Bildqualität nicht möglich. Einen Aufschwung erfuhr der Nervenultraschall seit den 90er Jahren durch den Fortschritt der Software und die Entwicklung hochfrequenter Breitband-Ultraschallsonden mit mehr als 10 MHz Schallfrequenz. Seitdem nehmen der Einsatz der Sonographie zur Darstellung peripherer Nerven und die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen stetig zu. Mittlerweile können neben den Raumforderungen peripherer Nerven auch Engpasssyndrome [3], traumatische Nervenläsionen [7,14] und generalisierte Neuropathien sonographisch untersucht werden. Ultraschallkriterien zur Beurteilung peripherer Nerven anhand ihrer typischen Echotextur wurden ebenso erarbeitet wie Differenzierungsmerkmale zur Abgrenzung ähnlich formierter Strukturen wie z.B. Muskelsehnen. In der Anästhesie wird die Sonographie als methodisches Hilfsmittel zur sicheren Platzierung der Injektions- bzw. Reizstellen der Regionalanästhesie und Nervenstimulation angewendet. Der hochauflösende Ultraschall ist in der Detailauflösung insbesondere oberflächlich gelegener Strukturen unübertroffen und ermöglicht zudem eine Untersuchung in Echtzeit in jeder gewünschten Untersuchungsebene [8]. Sie hat den Vorteil, den Nerven in seinem Verlauf dynamisch verfolgen zu können. Die Sonographie ermöglicht neben der Darstellung der Nerven im bewegten Bild zudem die Durchführung funktioneller Tests (Nervenluxation) und die Steuerung invasiver Maßnahmen (Punktionen, Biopsien, lokale Infiltrationen). Das Interesse an dieser Methode nimmt stetig zu, da der Ultraschall breit verfügbar, schnell durchführbar und kostengünstig ist. Nicht nur Neurologen, Anästhesisten und Radiologen verwenden zunehmend die Nervensonographie, auch in operativ tätigen Fachdisziplinen wächst das Interesse an ihrem Einsatz.

2. Technische Ausstattung Die Qualität eines Ultraschallbildes ist abhängig von Kontrast und Auflösung. Die Entwicklung hochfrequenter Linearschallköpfe mit Breitbandtechnik und die Verbesserung der apparativen Ausstattung ermöglichte den zunehmenden Einsatz des Ultraschalls zur hochauflösenden Darstellung peripherer Nerven. Eine ausreichende Auflösung mit möglichst hohem Kontrast erreicht ein digitales Sonographiegerät mit mindestens 512 Kanal-System und einem Hochfrequenz-Breitband-Linearschallkopf mit Frequenzen bis zu 18 MHz. Hiermit kann eine axiale Auflösung von über 200 Mikrometer erreicht werden. Diese hohe Auflösung im Nahfeldbereich ermöglicht es, benachbarte Strukturen gut voneinander abgrenzen und differenziert beurteilen zu können. Die räumliche Auflösung hängt zudem von der Schichtdicke und der Auflösung innerhalb der Bildebene (laterale Auflösung) ab. Mit steigender Sendefrequenz verbessert sich das Auflösungsvermögen, gleichzeitig lässt jedoch die Eindringtiefe nach. Mit hohen Frequenzen von bis zu 17 MHz ist die Eindringtiefe auf 2-3 cm zugunsten der Auflösung von über 150 Mikrometer eingeschränkt [8]. Für die Beurteilung peripherer Nerven sind daher Frequenzen von mindestens 12 MHz sinnvoll. Eine sehr gute Auflösung wird mit Frequenzen von 15-18 MHz erreicht. Hierdurch

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Abb. 1. A) Querschnitt, N. med. re. Unterarm. 1 B) Längsschnitt, N. med. re. Handgelenk.

wird eine genaue Beurteilung der Binnenstruktur eines Nerven (z.B. Auftreibung, Echotextur) möglich. Für tiefer gelegene Strukturen wie z.B. den N. ischiadicus, kann es sinnvoll sein, die Sendefrequenz auf bis zu 9 MHz (9-12 MHz) zu senken. Eine spezielle Software mit ,,post-processing“-Verfahren“ kann die Bildqualität zusätzlich verbessern, indem sie Artefakte reduziert und den Kontrast verstärkt. ,,Compound Imaging“ minimiert Kanten-, Laufzeit- und Rauschartefakte. ,,Harmonic imaging“ filtert störende Frequenzen heraus. Dieses Verfahren hat im Nahfeldbereich des hochauflösenden Ultraschalls jedoch nur einen eingeschränkten Nutzen [8]. Extended-FOV Imaging oder Panoramic Imaging erleichtern die Beurteilung sonographischer Bilder im Longitudinalschnitt, sowie eine Nachbearbeitung der Bilder.

3. Der Nerv im sonographischen Bild Ein gesunder Nerv besteht aus einem Bündel Faszikel unterschiedlicher Größe. Die Anzahl der Faszikel ist abhängig von Größe, Funktion und Lokalisation des Nerven. Das Endoneurium umgibt die Nervenfasern, das Perineurium fasst mehrere Nervenfaserbündel zu Nervenfaszikeln zusammen. In transversalen Schnittebenen ergibt sich dadurch eine typische wabenförmige Echotextur (Abb. 1 A). Das Reflexmuster entsteht durch echoarme, runde bis längsovale Nervenfaszikel, durchsetzt von echoreichen Septen (interfaszikuläres Epineurium) und umgeben von einem echoreichen Saum (äußeres Epineurium und umgebendes Bindegewebe). Verglichen mit histologischen Untersuchungen unterschätzt der Ultraschall die tatsächliche Faszikelanzahl. Benachbarte Faszikel können im BBild ganz oder partiell verschmelzen. Aus diesem Grund kann eine Reduktion der Schallfrequenz (MHz) mit der dadurch verminderten Auflösung zu einer Reduktion der korrekt abgebildeten Anzahl an Nervenfaszikeln führen [13]. Der Fortschritt der Technik ermöglicht mit heute verwendeten Ultraschallgeräten und hohen Schallfrequenzen über 12-15 MHz eine suffiziente Beurteilung einzelner Faszikel. Im Längsschnitt erscheinen im sonographischen Bild eines Nerven parallel verlaufende echoarme Bänder, getrennt durch diskontinuierliche, echoreiche Linien (Abb. 1 B). Kleinere Nerven erscheinen als echoarme Bänder ohne

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erkennbare Binnentextur (R. profundus N. radialis) [10]. Im Längsschnitt ist eine sichere Differenzierung zu den Muskelsehnen notwendig. Während Nerven im Querschnitt multiple echoarme Faszikel mit einem schmalen echoreichen Randsaum zeigen, die im Längsschnitt kontinuierlich darstellbar sind, präsentieren sich Sehnen mit zahlreichen, fibrillären, diskontinuierlichen echoreichen Linien, unterbrochen von echoarmen Linien. Außerdem sind die Übergänge der Sehnen in Muskeln und Faszien zu verfolgen. Nerven werden im Gegensatz zu Sehnen nur passiv mitbewegt. Das Phänomen der Anisotropie gilt grundsätzlich für Nerven und Sehnen, betrifft letztere jedoch stärker. Bei exakt senkrechter Beschallung ist die maximale Echogenität zu erreichen. Ist die Beschallung nicht senkrecht, entsteht ein echoarmer Artefakt. Dieser kann durch Veränderung der Schallkopfausrichtung reguliert werden. Dieses als Anisotropie oder auch Reflexumkehr bezeichnete Phänomen führt dazu, dass die Kippung der Ultraschallsonde während der Untersuchung ständig optimiert werden muss, um den optimalen Beschallungswinkel zu erreichen. Sehnen reagieren intensiver auf ein Kippen des Schallkopfes aus der Schallebene. Dieses führt zu einer relevanten Veränderung der Echotextur von einem echoreichen in ein echoarmes Bild. Im Gegensatz zu Sehnen sind Nerven stark vaskularisiert. Mit neuen Hochfrequenzultraschallköpfen können die kleinen Gefäße entlang des Perineuriums (epineurial verlaufende Vasa nervorum) und ihr Verlauf zu dünnen Gefäßgeflechten dargestellt werden. Dies gilt insbesondere für verbesserte Farbdopplerund Power-Doppler-Ausstattungen [10,13]. Intraneurale Gefäßsignale sind nicht regelhaft darstellbar [10]. Der normale Vaskularisationsgrad im Ultraschall ist bisher nicht durch Studien festgelegt. Eine veränderte Vaskularisation kann ein Hinweis für Nervenkompression oder –verletzung sein. Zudem ist eine Hypervaskularisation bei Perineuritis oder postoperativ zu erwarten. Hierbei ist stets der Seitenvergleich vorzunehmen, um Unterschiede zwischen gesunder und betroffener Seite zu ermitteln.

4. Untersuchung der Nerven Für die Untersuchung sollte der Patient eine bequeme Haltung einnehmen, die einen guten Zugang zum jeweils untersuchten Nerven und die Darstellung in seinem gesamten Verlauf zulässt. Jeder Nerv sollte im Längs- und im Querschnitt untersucht werden (Abb. 1 A, B). Anhand typischer anatomischer Strukturen als Orientierungspunkte wird der Nerv zunächst im Querschnitt identifiziert. Insbesondere Gefäße und ossäre Strukturen dienen als topographische Hilfe. Zudem können farbkodierte Duplexsonographie und funktionelle Tests (Bewegung von Sehnen, Muskeln und Gelenken) eingesetzt werden. Anschließend sollte der Nerv in seinem Verlauf nach oben und unten verfolgt werden. Der Transversalschnitt ermöglicht eine suffiziente Beurteilung der Binnenstruktur. Dabei empfiehlt sich die Untersuchung zunächst im Gesunden mit anschließendem Übergang zum erkrankten Anteil. Zur Erfassung des internen Referenzwertes werden stets beide Seiten im Vergleich untersucht. Die Darstellung im Längsschnitt ist wegen des

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Abb. 2. A) Querschnitt, N. med. re. Karpaltunnel, Flächenberechnung durch Längs- und Querdm. 2 B) Querschnitt, N. med. re. Karpaltunnel, Flächenmessung durch Umfahren.

zum Teil kurvigen Verlaufs der Nerven wesentlich schwieriger. Zum einen kann der Schallkopf wegen anatomischer Strukturen (Knochen, Gelenke) nicht immer parallel zum Nerven aufgesetzt werden, zum anderen kann die Unterscheidung durch überlagernde Strukturen (Sehnen) erschwert sein. Für die Drehung zum Wechsel der Schnittebene ist eine sichere Transversalposition empfehlenswert, aus der um 90◦ gedreht die Longitudinalposition eingestellt werden kann. Der Längsschnitt eignet sich zur Beurteilung der Nervenkontinuität und möglicher Kalibersprünge z.B. durch Kompression. Die Darstellung eines pathologischen Befundes sollte stets in beiden Ebenen angestrebt werden und 5-10 cm Nervenverlauf oberhalb und unterhalb der Pathologie umfassen. Nervenquerschnittsflächen werden im Transversalschnitt gemessen. Dies kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Zum einen kann der Nerv umfahren und die Fläche mittels geräteintegrierter Algorithmen berechnet werden. Zum anderen kann die Nervenquerschnittsfläche mithilfe des anteroposterioren und mediolateralen Nervendurchmessers und der mathematischen Berechnung mit der Ellipsenformel (d1 x d2 x ␲ / 4) bestimmt werden. Hierbei ist insbesondere darauf zu achten, dass die Messung innerhalb des echoreichen Randsaumes (ohne umgebendes Bindegewebe) erfolgt (Abb. 2 A, B). Eine exakte Empfehlung zur Ermittlung der Nervenquerschnittsfläche besteht aktuell noch nicht, so dass die angewendeten Verfahren in der Literatur noch uneinheitlich sind [1]. Die Berechnung mithilfe der Ellipsenformel wurde von einigen Autoren als weniger präzise eingeschätzt. Eigene Untersuchungen zeigten, dass beide Verfahren äquivalente Ergebnisse ohne signifikante Unterschiede liefern können [2]. Eine hinreichende inter- und intraobserver Reliabilität der Nervenmessungen wurde bereits mehrfach nachgeweisen [11]. Für einzelne Nerven liegen Normwerte der Querschnittsflächen vor (Tab. 1).

5. Fazit Die hochauflösende Sonographie der peripheren Nerven ist eine wertvolle Ergänzung zu den elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden. Sie kann eine versierte elektrophysiologische Untersuchung zum Nachweis einer

96 · M. Schilling Tab. 1. Normwerte für Nervenquerschnittsflächen. Autor

Nerv

Lokalisation

Fläche

Kluge [11]

N. medianus N. medianus N. medianus N. ischiadicus

Karpaltunneleingang 2 cm prox. der Raszetta Verlauf am Unterarm distaler Oberschenkel Fossa poplitea Caput fibulae Fossa poplitea Knöchel proximaler Karpaltunnel Handgelenk Höhe des Epicondylus 7-8 cm proximal des Processus styloideus des Radius proximaler Karpaltunnel distales Unterarmdrittel

8,75 ± 1,61 mm2 9,54 ± 1,67 mm2 7,5-9,8 mm2 52,6 ± 14 mm2 11,7 ± 4,6 mm2 11,2 ± 3,3 mm2 35,3 ± 10,3 mm2 13,7 ± 4,3 mm2 8,6 ± 1 mm2 4 (3 bis 8) mm2 9 (5 bis 12) mm2 2 ± 0,5 mm2

Cartwright [5] Cartwright [4]

N. peroneaus

Kele [9] Bayrak [1] Visser [15] Nakamichi [12]

N. tibialis N. medianus N. ulnaris N. ulnaris N. radialis superficialis N. medianus N. medianus

9,6 ± 2,4 mm2 9,4 ± 1 mm2

Nervenläsion und zur Lokalisation derselben nicht ersetzten. Sie liefert jedoch wichtige morphologische Detailinformationen und schließt damit eine bestehende diagnostische Lücke, die durch die Kernspintomographie derzeit nicht abgedeckt werden kann. Dies liegt zum einen an der häufig fehlenden unmittelbaren Verfügbarkeit der MRT, zum anderen an ihrem begrenzten Auflösungsvermögen und geringem ,,field of view“. Darüber hinaus ist die MRDiagnostik mit hohen Kosten verbunden. Die Sonographie kann sowohl zur Planung weiterer diagnostischer und therapeutischer Schritte eingesetzt, als auch zur Verlaufskontrolle und postoperativen Nachkontrolle verwendet werden. Insbesondere für die Untersuchung von Kindern hat der Ultraschall den Vorteil als schmerzlose Methode ohne Angst gut toleriert zu werden. Das Potential des Ultraschalls ist noch nicht ausgeschöpft. Viele Fragen sind noch ungeklärt. Können sich die Ultraschallphänomene im Verlauf einer Erkrankung ändern? Sieht ein axonaler Schaden sonographisch anders aus als ein Myelinschaden? Gibt es krankheitsspezifische Befunde? Wird der Einsatz von speziellen sonographischen Kontrastmitteln in den kommenden Jahren neue Möglichkeiten eröffnen? Die technische Entwicklung der letzten Jahre hat die Nervensonographie bereits entscheidend beeinflusst. Es ist zu erwarten, dass die weiterentwickelte Gerätesoftware in Kombination mit günstigeren Anschaffungspreisen hochwertiger Ultraschallgeräte zu einer zunehmenden Etablierung der hochauflösenden Nervensonographie als bildgebendes Verfahren zum Direktnachweis morphologischer Veränderungen der peripheren Nerven und ihrer Umgebung führt.

Interessenklonflikt Der Autor gibt an, das kein Interessenkonflikt vorliegt

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