FussSprungg 2:157–166 (2004) DOI 10.1007/s10302-004-0106-4
J. Heisel J. Jerosch
Eingegangen: 27. Februar 2004 Akzeptiert: 31. März 2004
Prof. med. Dr. h.c. mult. J. Heisel ()) Orthopädische Abteilung der Fachkliniken Hohenurach Immanuel-Kant-Str. 31 72574 Bad Urach, Germany Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. J. Jerosch Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie Johanna-Etienne-Krankenhaus Am Hasenberg 46 41462 Neuss, Germany
ORIGINALARBEIT
Sozialmedizinische Aspekte bei konservativer und operativer Therapie von Fußerkrankungen
Social medical aspects in cases of conservative and operative treatment of affections of the upper ankle joint and foot n Summary The different terms used by general and private health insurances like (dis)ability to work or capacity for work, degrees of invalidity and handicap especially concerning morbid affections of the upper ankle joint and the foot are explained. Depending on the different organizations of social care, there are several premises of obtaining financial compensation; ignoring these rules might cause considerable discrepancies and judicial differences. n Key words Diseases of the upper ankle joint and foot – aspects of social medicine – premises of financial compensation n Zusammenfassung Erklärung der in den einzelnen Bereichen der Sozialmedizin unterschiedlich
Vorbemerkungen
n Schlüsselwörter Krankhafte Störungen des oberen Sprunggelenkes und Fußes – sozialmedizinische Aspekte – Anspruchsvoraussetzungen für finanzielle Entschädigungen
den, dass diese Begriffe von den gesetzlichen Krankenkassen, den Rentenversicherungsträgern aber auch den privaten Krankenkassen unterschiedlich definiert und auch bezüglich ihrer Leistungspflicht unterschiedlich bewertet werden. Die Arbeitsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wird entweder positiv oder negativ beschieden; entscheidend ist, ob bezüglich einer speziellen Erkrankung eine volle berufliche Belastbarkeit in der aktuell ausgeübten Tätigkeit be-
Fuß 106
Krankhafte Affektionen im Bereich des Sprunggelenkes und Fußes werfen aufgrund des Betroffenseins der belasteten Extremität mit hierdurch möglicherweise bedingten Beschwerdebildern nicht selten Probleme im Hinblick auf Arbeitsfähigkeit, teilweise auch auf Berufs- und Erwerbfähigkeit auf. Zunächst muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt wer-
gebräuchlichen Begriffe der Arbeits(un)fähigkeit, der Berufsund Erwerbs(un)fähigkeit (BU, EU), der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sowie der Behinderung (GdB) im Hinblick auf krankhafte Störungen und Veränderungen des oberen Sprunggelenkes und des Fußes. In Abhängigkeit vom Kostenträger (gesetzliche oder private Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Versorgungsämter u. a.) bestehen meist völlig unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen des betroffenen Patienten, was in Unkenntnis der Vorgaben nicht selten zu erheblichen Missverständnissen und gerichtlichen Streitigkeiten Anlass geben kann.
158
Fuß & Sprunggelenk, Band 2, Heft 3 (2004) © Steinkopff Verlag 2004
Abb. 1 Sortiment an Einlagen unterschiedlicher Form und Materialien
steht oder nicht; in Einzelfällen kann eine temporäre oder permanente (innerbetriebliche) Umsetzung am Arbeitsplatz erfolgen. Dem gegenüber besteht nach Arbeitsunfällen über die Berufsgenossenschaft die Möglichkeit einer beruflichen Belastungserprobung in einer speziellen Tätigkeit, dies auch zeitlich abgestuft mit dann schrittweiser Wiedereingliederung in das Erwerbsleben. Auch die gesetzlichen Rentenversicherungsträger (BfA, LVA) erlauben im Hinblick auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes einen sog. Stufeneinstieg, wobei die Kosten für diese Reintegration nicht vom Arbeitgeber sondern vom jeweiligen Rentenversicherungsträger übernommen werden. Neben der stufenweisen Wiedereingliederung kann bei personenstarken Unternehmen über den Betriebsarzt eine entsprechende Umsetzung auf einen leidens- bzw. behindertengerechten Arbeitsplatz erfolgen. Eine private Krankenversicherung gewährt Tagegeld-Leistungen nur in dem Fall, in dem eine völlige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit besteht. Ist eine teilweise Leistungsfähigkeit (z. B. Büroarbeit, aufsichtsführende oder leichte körperliche Arbeiten u. a.) gegeben, so wird von einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit gesprochen und die Leistungspflicht erlischt. Im Falle bleibender Folgen eines Arbeitsunfalles werden vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, den Berufsgenossenschaften, Entschädigungen im Sinne von Teilrenten (prozentuale Minderung der Erwerbsfähigkeit = MdE) ohne speziellen Bezug auf die ausgeübte Tätigkeit sondern lediglich im Hinblick auf den sog. allgemeinen Arbeitsmarkt gewährt. Die Versorgungsämter gradieren nach dem Schwerbehindertengesetz unterschiedliche Grade der Behinderung, wiederum ohne besondere Berücksichtigung der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit. Im Zuge der Erhebung der sozialmedizinisch wichtigen Befunde bei krankhaften Affektionen im Bereich des Sprunggelenkes und/oder Fußes sind unter gutachterlichen Gesichtspunkten zunächst die
Abb. 2 Unterschiedliche Schienen zur seitlichen Stabilisierung des OSG
Abb. 3 Korrekturschiene für das Großzehengrundgelenk
relevanten Allgemeinbefunde wie die Durchführung der Gang- und Standvarianten, das Einnehmen des tiefen Hocksitzes sowie die Notwendigkeit einer Gehhilfe zu überprüfen. Am oberen Sprunggelenk spielen Faktoren wie Stabilität und Funktion (vor al-
J. Heisel and J. Jerosch Sozialmedizinische Aspekte bei konservativer und operativer Therapie
lem die Extension über die Null-Linie hinaus) sowie das röntgenologische Ausmaß evtl. bestehender degenerativer Veränderungen eine wichtige Rolle. Am unteren Sprunggelenk ist die Funktionalität eher von untergeordneter Bedeutung; degenerative Veränderungen können auch hier die axiale Belastbarkeit teilweise erhebliche limitieren. Im Mittel- und auch im Vorfußbereich steht die knöcherne Stabilität, z. B. im Falle eines erfolgten operativen Eingriffes, im Vordergrund. Außerdem muss das Ausmaß einer lokalen Umlaufstörung mit der Notwendigkeit des Einsatzes von Stützstrümpfen berücksichtigt werden. Letztendlich muss ein ausreichendes Gehvermögen gegeben sein (innerbetriebliche Wegefähigkeit sowie ausreichende Wegefähigkeit hin und zurück zur Arbeitsstelle), wobei evtl. auf die Versorgung mit speziellen Schuhzurichtungen, Spezialeinlagen (Abb. 1), evtl. sogar mit orthopädischem (Arbeits-)schuhwerk, auch auf den Einsatz von Orthesen (Abb. 2, 3) und/ oder einer kontralateral eingesetzten Gehhilfe zurückgegriffen werden kann.
Arbeitsunfähigkeit bei krankhaften Affektionen des Sprunggelenkes und Fußes Bei der Einschätzung von Arbeitsfähigkeit/Arbeitsunfähigkeit spielen vor allem die ätiologisch verantwortlichen Faktoren für die jeweilige krankhafte Affektion im Bereich des Fußes eine wesentliche Rolle: In aller Regel sind wesentliche körperliche Beeinträchtigungen bei statischen Störungen in Folge eines Senkfußes, Spreizfußes, Knickfußes, Hohlfußes, Klumpfußes, Plattfußes u. a.; Abb. 4, 5) nur selten gegeben. Zur Vermeidung belastungsabhängiger Beschwerdebilder ist allerdings in nicht seltenen Fällen eine individuell adaptierte Fußbettversorgung im Ar-
Abb. 4 Ausgeprägter Senkspreizfuß bds. mit kombinierter Fehlstellung der Großzehen und der Langzehen
159
Abb. 5 Posttraumatische Klumpstellung rechter Fuß
beitsschuhwerk, in Einzelfällen sogar orthopädisches Schuhwerk sinnvoll. Gleiches gilt auch für Fälle einer Zehen- bzw. Vorfußamputation (Abb. 6). Therapeutisches Ziel ist die weitgehende Beschwerdefreiheit und damit axiale Vollbelastbarkeit der betroffenen Extremität(en) im Berufsalltag. Degenerative Veränderungen sind im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenkes meist posttraumatischer Genese (Abb. 7), im Bereich des Zehengrundgelenkes I meist idiopathisch. Typische klinische Zeichen sind Belastungsarthralgien bis hin zur aktivierten Arthrose. Therapeutischer Ansatz bei akutem Beschwerdebild ist die Ausschöpfung der mediko-physikalischen Behandlungspalette; auf längere Sicht sind spezielle Zurichtungen am Konfektionsschuh (stoßdämpfende Sohlen, Abrollhilfen, Teilimmobilisation, u. a.) hilfreich. Entzündliche Affektionen sind meist Folge systemischer Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis (rheumatoide Arthritis, Gicht u. a.). Betroffen sind in erster Linie das obere Sprunggelenk sowie das Großzehengrundgelenk und evt. auch die Langzehengrund- und evtl. –mittelgelenke. Laborserologische Parameter (vor allem das CrP) geben Hinweise auf einen möglichen entzündlichen Schub; die radiologische Diagnostik erlaubt eine Gradierung des Schweregrades bzgl. des Ausprägungszustandes erosiver Veränderungen (Abb. 8). Im akuten entzündlichen Schub ist immer von einer weitgehenden Arbeitsunfähigkeit auszugehen; die Behandlungsstrategien umfassen in erster Linie eine adäquate medikamentöse Abdeckung unter zielgerichtetem Einsatz einer antiphlogistischen Medikation (NSAR, evtl. Kortikoide, Rheumabasismittel u. a.). In nahezu allen Fällen ist eine individuelle Fußbettung bzw. Schuh-
160
Fuß & Sprunggelenk, Band 2, Heft 3 (2004) © Steinkopff Verlag 2004
a
a
b
Abb. 7 Schwere postraumatische Arthrose im OSG im Röntgenbild. a a-p.Ansicht; b Seitansicht
Abb. 8 Ausgeprägte bilaterale erosive Veränderungen im a.p.-Röntgenbild der Füße im Falle einer rheumatoiden Arthritis
b Abb. 6 Röntgenologische Situation nach Amputation im Chopart-Gelenk. a a.p.-Ansicht. b Seitansicht
zurichtung zur Wiederherstellung einer ausreichenden Belastbarkeit erforderlich. Frische traumatische Verletzungen am oberen Sprunggelenk betreffen in erster Linie den lateralen Kapselbandapparat, weiterhin die Knöchelgabel mit möglicher Fraktur des inneren und/oder äußeren Malleolus. Am unteren Sprunggelenk sind knöcherne Verletzungen des spongiösen Sprung- und Fersenbeines im Zuge von Stauchungstraumen nicht selten (Abb. 9); im Bereich des Mittelfußes ist vor allem die Basis des MFK V betroffen. Bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit spielt vor allem die notwendige Dauer der axialen Entlastung der betroffenen Extremität bis zur Konsolidierung der knöchernen Ver-
Tab. 1 Dauer der axialen Entlastung bis zur belastungsstabilen Ausheilung bei traumatischen Affektionen im Bereich des Sprunggelenkes und Fußes (konservative und operative Behandlung) Lokalisation
Entlastung
Innenknöchel/Außenknöchel Talus Calcaneus Mittelfuß Zehen
6 Wochen 12 Wochen 12 Wochen 6–8 Wochen 2–6 Wochen
letzung die wesentliche Rolle (Tab. 1). Im Falle einer ligamentären Verletzung klingt das akute Beschwerdebild meist recht zügig innerhalb einiger Tage ab, so dass bei temporärem Einsatz einer stabilisierenden Orthese (z. B. Spezialschiene oder ein über die Knöchelregion geführter Schuh) meist eine frühzeitige volle Belastung und damit evtl. auch Arbeitsfähigkeit erreicht werden kann. Bei knöchernen Verlet-
J. Heisel and J. Jerosch Sozialmedizinische Aspekte bei konservativer und operativer Therapie
161
a
Abb. 11 Vorfuß-entlastender Schuh
b Abb. 9 Osteosynthese des Calcaneus nach Fraktur im seitlichen Röntgenbild. a mit Kirschner-Draht und Spongiosaschraube; b mit spezieller Osteosyntheseplatte.
Abb. 12 Rückfuß-entlastender Schuh
Abb. 10 Sprunggelenk-stabilisierender Unterschenkel-Brace
zungen ist dies in Einzelfällen teilweise durch Einsatz eines Unterschenkelbrace (Abb. 10) oder eines vorfuß- bzw. rückfußentlastenden Schuhes (Abb. 11, 12) möglich.
Bei den operativen Eingriffen im Bereich des Sprunggelenkes und Fußes handelt es sich einerseits um Osteosynthesen von Frakturen (Knöchelregion, Fußwurzel sowie Mittelfuß), andererseits um Osteotomien (vor allem der Mittelfußknochen; Abb. 13, 14) sowie um den alloarthroplastischen Gelenkersatz (vor allem des oberen Sprunggelenkes, seltener des Großzehengrundgelenkes; Abb. 15, 16). Nach Implantation einer OSG-Endoprothese ist im Allgemeinen mit abgeschlossener Wundheilung und Rückgang der lokalen Schwellung ab der dritten bis vierten postoperativen Woche von einer vollen axialen Belastbarkeit auszugehen, nach sechs Wochen ist ein Abschulen von den Gehstützen möglich; dies ist meist nach zwölf Wochen vollständig erreicht. Ab diesem Zeitpunkt kann dann auch mit einer Wieder-
162
Fuß & Sprunggelenk, Band 2, Heft 3 (2004) © Steinkopff Verlag 2004
a
Abb. 14 Postoperatives Bild nach Korrektureingriffen im Bereich des 1. und 2. Zehs mit jeweiliger temporärer Spickdrahtarthrodese in den Grundgelenken zur Aufrechterhaltung der erzielten Korrekturstellung
a b Abb. 13 Mittelfuß-Osteotomien im Röntgenbild (jeweils Schraubenosteosynthese). a MFK I (a.p.-Ansicht); b MFK V (a.p.- und Schrägansicht)
eingliederung in das Erwerbsleben gerechnet werden. Die knöcherne Ausheilung nach Frakturen der Knöchelregion ist ebenfalls in den meisten Fällen nach sechs bis acht Wochen weitgehend abgeschlossen, nach Osteosynthese der Fußwurzel bzw. Arthrodese im oberen Sprunggelenk jedoch frühestens nach zwölf Wochen (Abb. 16). Der gleiche Konsolidierungszeitraum ist auch für Osteotomien im Bereich des Mittelfußes anzusetzen. Auch hier können ortho-
b
Abb. 15 Röntgenologische Situation nach Alloarthroplastik des oberen Sprunggelenkes (mit erfolgter Außenknöchelosteotomie) a a.p.-Ansicht; b Seitansicht
pädische Hilfsmittel wie Braces bzw. vor- bzw. rückfußentlastendes Schuhwerk eine beschleunigte axiale Belastbarkeit erlauben; außerdem vermögen entsprechende Schuhzurichtungen bei verbliebener Funktionsbeeinträchtigung die Gangabwicklung oft wesentlich zu bessern. An Arbeitsfähigkeit ist bei derartigen operativen Eingriffen jedoch vor der 12. bis 16. Woche nicht zu denken. Letztendlich bleibt bei (post)traumatischen Störungen die mögliche Komplikation einer neurogenen
J. Heisel and J. Jerosch Sozialmedizinische Aspekte bei konservativer und operativer Therapie
Abb. 16 A.p.-Röntgenbild des rechten Fußes nach Implantation einer Endoprothese in das Großzehengrundgelenk sowie nach subkapitalen Osteotomien der MFK II und III
163
Abb. 17 OSG-Arthrodese mit Schrauben im seitlichen Röntgenbild
Reflexdystrophie zu berücksichtigen, die den Heilverlauf teilweise erheblich verlängern kann.
Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit bei Affektion des Sprunggelenkes und Fußes Für die Beurteilung der beruflichen (Rest)Belastbarkeit unter sozialmedizinischen Gesichtspunkten spielt vor allem die Möglichkeit einer vollen axialen Beanspruchung der betroffenen Extremität eine wesentliche Rolle [9]. Instabile Verhältnisse können teilweise durch Spezialschuhwerk sowie auch durch Orthesen (teil)kompensiert werden. Beurteilt werden muss die verbliebene globale Wegefähigkeit, wobei die maximal mögliche Wegstrecke hin zur und zurück von der Arbeit mindestens 500 Meter betragen muss; diese Wegstrecke muss zumindest viermal täglich zurückgelegt werden können. Ist dies nicht mehr gegeben, so geht der Gesetzgeber nicht mehr von einer möglichen Reintegration in das Erwerbsleben aus. Im Falle einer einseitigen Affektion sind derartig ausgeprägte Limitierungen des Gehvermögens nur selten gegeben, da durch die kontralaterale untere Extremität im Allgemeinen eine ausreichende Kompensationsfähigkeit besteht. Von weiterer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die periphere Durchblutungssituation mit möglicher Beeinträchtigung z. B. im Falle einer pAVK oder eines Diabetes mellitus. Bei Fuß- und Sprunggelenksaffektionen ist unter sozialmedizinischen Gesichtspunkten evtl. die inner-
Abb. 18 a.p.-Röntgenbild des rechten Fußes nach MFK-Köpfchenresektion I–V im Falle einer multiartikulären rheumatischen Destruktion
betriebliche Umsetzung auf einen adäquaten Arbeitsplatz in die Wege zu leiten. Qualitative Einschränkungen können möglicherweise bestehen bezüglich längerer gehender und stehender Tätigkeiten, des häufigen Begehens von Treppen (vor allem bei Affektionen des OSG), für Arbeiten in Hockstellung (limitierte Extension im oberen Sprunggelenk?), für Arbeiten auf unebenem Gelände (eingeschränkte Stabilität, Affektionen im unteren Sprunggelenk bzw. im Chopart-Gelenk), für Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie für das Heben und Tragen größerer Lastgewichte (über 10–12 kp). Eine quantitative Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit durch Fußaffektionen ist dann gegeben, wenn die Wegefähigkeit erheblich beeinträch-
164
Fuß & Sprunggelenk, Band 2, Heft 3 (2004) © Steinkopff Verlag 2004
tigt ist, weiterhin wenn eine Kompensationsfähigkeit durch die kontralaterale Extremität bei schwerer bilateraler Störung nicht gegeben ist und durch orthopädietechnische Maßnahmen nicht zumindest ausreichend beeinflusst werden kann. Auch im Falle einer persistierenden lokalen Infektion ist von einer dauerhaften erheblichen Beeinträchtigung auszugehen.
Minderungen der Erwerbsfähigkeit im Rahmen der Berufsgenossenschaft Die MdE im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung wird ohne spezielle Berücksichtigung der aktuellen beruflichen Tätigkeit lediglich auf dem sog. allgemeinen Arbeitsmarkt virtuell eingeschätzt [4, 6–8]. Bei einer Affektion im Bereich des Sprunggelenkes und Fußes bewegt sich diese, in Abhängigkeit vom Ausmaß der Funktionalität, der bestehenden Durchblutungssituation mit möglichen Umlaufstörungen, dem Ausmaß einer evtl. bestehenden inaktivitätsbedingten Atrophie der Muskulatur, einer Herabsetzung der Fußsohlenbeschwielung u. a. zwischen 10 und 30%; die einzelnen Sätze sind in entsprechenden Richtlinien vorgegeben (Tab. 2). Mit dem erstmaligen Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit wird die MdE – auch unter psychologischen Gesichtspunkten – meist großzügig, unter Dauerrentengesichtspunkten (auch ohne Besserungsnachweis im Vergleich zum letzten maßgeblichen Vorgutachten) jedoch in aller Regel unter strenger Auslegung der Vorgaben eingeschätzt. Im Falle einer zu einem späteren Zeitpunkt aufscheinenden objektivierbaren wesentlichen Verschlechterung der Situation ist eine Höherstufung der MdE möglich.
Beurteilung nach dem Schwerbehindertengesetz Eingeschätzt wird ein sog. Grad der Behinderung (GdB; kein Prozentsatz!), der das Ausmaß der nicht nur vorübergehend bestehenden Beeinträchtigung im täglichen Leben (Freizeit, Sport, Beruf) bewerten soll [1, 10]. Ähnlich wie bei der Berufsgenossenschaft bewegt sich der GdB bei Sprunggelenks- und Fußaffektionen zwischen 10 und 30, wiederum in Abhängigkeit vom Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung, dem Ausprägungsgrad der degenerativen Veränderungen u. a. (Tab. 2). Zusätzlich besteht die Möglichkeit der Zubilligung spezieller Merkzeichen. Von einer erheblichen Gehbehinderung („G“) wird dann gesprochen, wenn der betroffene Patient nicht mehr in der Lage ist, einfache Wegstrecken von 2000 Metern in der hierfür ortsüblichen Zeit (etwa 30 Minuten) zurückzulegen. Anzunehmen ist eine derartige Behinderung, wenn aufgrund von Beeinträchtigungen im Bereich einer unteren Extremität ein GdB von zumindest 40 vorliegt Von einer außergewöhnlichen Gehbehinderung („aG“) liegt dann vor, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, sich außerhalb eines Kraftfahrzeuges ohne Gefahr für sich und andere etwa 100 Meter fortzubewegen; in diesem Falle können Parkerleichterungen zugebilligt werden. Nur bei schweren funktionellen Beeinträchtigungen beider unterer Extremitäten (z. B. Doppeltamputierte, Querschnittsgelähmte, schwerstgradige multilokuläre Arthrosen) mit einem Gesamt-GdB in Höhe von 80 alleine aufgrund von Veränderungen der Rumpfwirbelsäule und/oder der Beine ist die Anerkennung dieses Merkzeichens gerechtfertigt; im Rahmen von Sprunggelenks- und/oder Fußaffektionen ist dies in aller Regel nie gegeben.
Schlussfolgerungen Invalidität im Rahmen der Privatversicherung Die Invalidität im Rahmen der privaten Versicherung wird im Bereich der Extremitäten mit Hilfe eines sog. Gliedertaxenwertes (1/7, 1/10 u. a.) eingeschätzt, wobei in aller Regel die klinische und röntgenologische Situation frühestens ein Jahr, spätestens zwei Jahre nach dem Unfallgeschehen bewertet wird (Tab. 2). Die Einschätzung erfolgt global unter Berücksichtigung des Lebensintegrales; zur Auszahlung kommt eine einmalige Summe, die alle Ansprüche auf Dauer abdeckt (Abfindung). Unter diesem Aspekt erfolgt die Bewertung des Invaliditätsgrades großzügiger als unter den Gesichtspunkten der Berufsgenossenschaft [5, 7].
Die sozialmedizinische Bewertung krankhafter Veränderungen im Bereich der Sprunggelenke und Füße erfordert ein umfangreiches Fachwissen, vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Richtlinien der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen gesetzlicher und privater Versicherungen, Versorgungsämter u. a. [2, 3, 5]. Leider wird in Unkenntnis dieser eindeutig definierten Bewertungsmaßstäbe oftmals durch den behandelnden Arzt beim Patienten eine Erwartungshaltung geweckt, die letztendlich durch den Gesetzgeber nicht gedeckt sind. Unter diesem Aspekt kommt es nicht selten zur vermehrten Inanspruchnahme der Sozialgerichte, in deren Verantwortung dann letztendlich die sachgerechte Klärung der Anspruchsvoraussetzungen liegt.
J. Heisel and J. Jerosch Sozialmedizinische Aspekte bei konservativer und operativer Therapie
165
Tab. 2 Begutachtungsrichtlinien für die Bewertung krankhafter Affektionen im Bereich des Sprunggelenkes und Fußes im Hinblick auf die unterschiedlichen Träger der Sozialversicherungen (Auswahl) Lokalisation und klinisches Bild (Funktionalität)
Gesetzliche Unfallversicherung (MdE in %)
Private Unfallversicherung (Gliedertaxenwert Bein/Fuß)
Versorgungsamt (GdB)
Oberes Sprunggelenk n Bewegungsspiel 10/0/30 n Bewegungsspiel 5/0/20 n Bewegungsspiel 0/0/10 n Versteifung in Neutralstellung n Versteifung in Spitzfußstellung n mit gleichzeitiger USG-Versteifung n Alloarthroplastik
0 10 20 20 30 30 20–30
1/14–1/10 B 1/7 B 2/7 B 2/7–3/10 B 2/5–3/7 B 2/5–3/7 B 2/7–3/7 B
0 10 20 20 30 30 30
Unteres Sprunggelenk n Funktionsstörung 25% n Funktionsstörung 50% n Funktionsstörung 75% n Versteifung in Neutralstellung n Versteifung in Klumpstellung n mit gleichzeitiger Versteifung im Chopart-Gelenk
0 0–10 10 10 20 25
1/14–1/10 B 1/10–1/7 B 1/7 B 1/7–1/5 B 2/7–2/5 B 2/5 B
0 10 10 10 20–30 30
Großzehengrundgelenk n Funktionsstörung 50% n Versteifung in Neutralstellung n Versteifung in deutlicher Fehlstellung n Alloarthroplastik
0 0–10 10–20 10
1/20–1/14 F 1/14 F 1/7 F 1/7 F
0–10 0–10 10–20 10–20
Langzehengrundgelenke II–V n Funktionsstörung 50% n Versteifung in Neutralstellung n Versteifung in deutlicher Fehlstellung (Krallenstellung)
0 10 20
1/14 F 1/7 F 2/7 F
0 10 20
30
3/7–1/2 B
40
25 30 (–40) 25
2/5 B (1/2 F) 3/7 B (3/5 F) 2/5 B (1/2 F)
30 40 30
25 30 (–40) 0 0 10 0 10
2/5 B (1/2 F) 3/7 B (3/5 F) 1/20 F 1/10 F 1/5 F 1/10 F 1/5 F
30 40 0 10 20 0 10
10 (–20) 10–30 20–30 20–40 10–30
1/7–1/5 1/7–1/2 2/7–1/2 2/7–3/5 1/7–1/2
10 (- 20) 10–30 20–30 20–40 10–30
0–10 10 10–50
1/10 B 1/7 B 1/7–5/7
0–10 10 10–50
– – – –
– – – –
10 40–70 20 50–100
Amputation n im OSG mit Erhalt der Ferse (Pirogoff) n in der proximalen Fußwurzel (Chopart) – Neutralstellung – Spitzfußstellung n in der distalen Fußwurzel (Lisfranc) n im Bereich der MFK (Sharp) – gut belastbarer Stumpf – mit Spitz-Klumpstellung n einer Langzehe n dreier Langzehen n aller 5 Zehen n nur Großzehe n Großzeh mit Köpfchen 1 MFK Fußdeformitäten n Senk(spreiz)fuß n Plattfuß n Hackenfuß n Klumpfuß n Hohlfuß Sonstiges n ausgeheilte Achillessehnenruptur n empfindliche Fußsohlennarbe n chronisches Ulkus (je nach Belastbarkeit) n pAVK – einseitig, ausreichender Kollateralkreislauf – einseitig, ungenügender Kollateralkreislauf – doppelseitig, ausreichender Kollateralkreislauf – doppelseitig, ungenügender Kollateralkreislauf
F F F F F
166
Fuß & Sprunggelenk, Band 2, Heft 3 (2004) © Steinkopff Verlag 2004
Literatur 1. Bundesministerium für Arbeit und Sozialversicherung (1983): Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz. Köllen, Bonn 2. Erlenkämper A (2003) Arzt und Sozialrecht. Steinkopff, Darmstadt 3. Fitze E (1989) Die ärztliche Begutachtung, 3. Aufl. Steinkopff, Darmstadt
4. Lauterbach H, Watermann F (1990) Gesetzliche Unfallversicherung. 3. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart 5. Marx HH (1987) Medizinische Begutachtung, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart 6. Mollowitz GG (1986) Der Unfallmann, 10. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 7. Rompe G, Erlenkämper A (1997) Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart New York
8. Schönberger A, Mehrtens G, Valentin H (1993) Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5. Aufl. Schmitt-Verlag, Berlin 9. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (2004) Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 6. Aufl. Springer, Heidelberg Berlin 10. Wilke G (1987) Soziales Entschädigungsrecht, 6. Aufl. Stutz, München