Russian Literature 1X(1981) 2346 North-Holland Publishing Company
DIE SPHiiRE DER METAPHERN IN VELIMIR CHLEBNIKOVS GEDICHT "DEREVO"
JOHANNES HOLTHUSEN
hat Chlebnikov mehrere GeMit dem Titel "Derevo" dichte bzw. Gedichtfragmente versehen, die alle auf den Herbst 1921 zurcckgehen, den der Dichter in zeleznovodsk und Pjatigorsk verbrachte. Schon in der Vers"Truba Gull-mully" und in Gedichten, in erzzhlung denen Chlebnikov im gleichen Jahr die Eindriicke seiner Persienreise (Frfihjahr-Frchsommer 1921) verarbeitete, finden sich Auseinandersetzungen mit dem Motiv des Baums (z.B. "Dub Persii", 3, 134)' sowie mit Vorstellungen, die auf den "Weltbaum" oder den "Lebensbaum" verweisen. Vor der eigentlichen Betrachtung des Gedichts "Derevo" (NCh, 277 f.) - unter Einbeziehung des gleich betitelten kiirzeren Gedichts (3, 224 f.) - muss betont werden, dass Chlebnikov den metaphorischen Gebrauch des Worts "Baum" schon friih in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt hat, und zwar im Zusammenhang mit seiner Zahlenund Zeittheorie. Schon in dem Artikel "Kurgan Svjatogora" (1908) ist gleich zu Anfang die "Wissenschaft von den Zahlen" in ihrer Bedeutung hervorgehoben, und fiir die Zukunft werden Erkenntnisse vom "Baum der imagingren Zahlen" (drevo mnimych &sel; NCh, 321) postuliert. Die Lehre von den Zahlen hat sich bei Chlebnikov stufenweise von da an bis 1921/1922 entfaltet und ist von ihm besonders in den Schriften der Kriegsjahre (1915/17) und in den "Tafeln des Schicksals" (Doski sud'by, 1922) entwickelt worden. Bestimmte Zahlenverh;iltnisse hat Chlehnikov dabei bekanntlich in der Geschichte wiedergefunden zu haben geglaubt, und Geschichte blieb fiir ihn - unter dem starken Eindruck des Weltkriegs und des russischen Biirgerkriegs - in erster Linie Geschichte der Kriege, der Gewaltanwendung unter Menschen, speziell Geschichte der Unter-
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HoZthusen
jochung fremder Viilker und Geschichte der globalen Dabei ist aber vor allem wichtig, dass Glaubensksmpfe. Chlebnikov in den "Gleichungen des Schicksals" (uravnenija roka), d.h. in den Gesetzmzssigkeiten der ,Zahlenverhgltnisse bestimmte kosmische Rhythmen vermuteGeltung hatten. "Welle" te, die fiir ihn universale (~uE)~ und "Baum" (derevo) nehmen (volna) , "Strahl" hier den ersten Platz ein. "Wir Menschen", so schreibt Chlebnikov in "Otryvok iz dosok sud'by" (1922), "sind den Wellen gleich, die das eiserne Gesetz des Verh;iltnisses der Zeit zum Raum gegeneinander wirft; der von Ewigkeit bestehende Vertrag zwischen Zeit und Raum fiihlt sich als unsere Kriege, Propheten, Glaubenslehren (als Brille alles zu sehen)" (III, 500). Da Kriege und Zusammenst?jsse von Glaubenslehren in Chlebnikovs Zahlentheorie austauschbare Grijssen sind, kann es nicht wundern, wenn das "Gesprzch" (Razgovor) "VzirajuHEij na gosudarstva V.Chlebmit dem Untertitel nikov" aus dem Jahr 1917 hier indirekt ankniipfend mit dem Satz beginnt: "Du hast gezeigt, was der Strahlder Du hast den Schlachtengott in Kriege (1~6 vojn) ist. die Fesseln von Gleichungen gelegt" (III, 457). Die Frage des Gesprzchspartners lguft an sich darauf hinafinliche "Strahlen" und "neunte Wogen" aus, ob es nicht wie fiir Kriege und Schlachten such fiir soziale Revolutionen zu entdecken gsbe, was bejaht wird. Im Zusammenhang mit den "Reihen der Kriege" (rjady vojn), die durch die Zahl 317 miteinander verbunden sind, pr;igt Chlebnikov aber gerade hier seinen Begriff "Baum der Kriege" (derevo vojn, III, 457), der weit in rgumliche und zeitliche Fernen ausgreift. Die~an sich recht ungewghnliche Metapher "Baum der Kriege" (Kriegsbaum) ist, wie noch einmal betont werden ~011, vermittelt durch die universale Metapher vom "Zahlenbaum" oder vom "Rechnungsbaum" (derevo sEeDie Beschreibung dieses Baums liefert III, 478). ta, Chlebnikov an zwei Stellen im ersten Bruchstiick aus den "Doski sud'by" (1922). Interessant ist, dass dieser Baum in der vertikalen Ausdehnung eine ausgesprochene Symmetrie der Wurzeln und Kronen aufweist: "Irgendwie freudig stimmte der Gedanke, dass es im Grunde genommen weder Zeit noch Raum gab, sondern dass zwei verschiedene Rechnungen existierten, zwei Neigungen eines einzigen Dachs, zwei Wege entlang einem einzigen Gebzude von Zahlen. Zeit und Raum erscheinen als ein und derselbe Rechnungsbaum (derevom sEeta), aber in dem einen Fall bewegt sich das imagin;ire Eichhbrnthen der Rechnung von den Zweigen zum Grund (k osnovaniju), im anderen vom Grund zu den Zweigen" (Otryvok iz dosok sud'by, 1922, III, 478).
Die
Sphitre
der
Metaphern
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27
“Derevo”
Chlebnikov spricht hier von dem entscheidenden geistigen Erlebnis, das er auf den 17.11.1920 datierEntdeckung des Zahte, und mit dem er die persgnliche lenbaus der Welt verband. Die entscheidende Rolle spielt dabei das Begriffspaar "gerade - ungerade" sowie die Zahlen 2 und 3 mit deren Vielfachen und Potenzen. Den "Baum" aus Zahlen, der recht eigentlich ein Weltbaum ist, hat der Dichter damals so beschrieben: 'Als ich die Bedeutung von gerade und ungerade in der Zeit erkannt hatte, war ich von einem solchen Gefiihl durchdrungen, als ob ich eine Mausefalle in der Hand hielte, in der wie ein erschrecktes Tierchen das alte Fatum (drevnij rok) zitterte. Die einem Baum ahnelnden Zeitgleichungen, einfach wie der Stamm am Grunde, aber elastisch und von kompliziertem Leben erfiillt in den Zweigen ihrer Potenzen, wa das Gehirn und die lebendige Seele der Gleichungen konzentriert sind, schienen umgekehrte Gleichungen des Raums zu sein, wo die Riesenzahl des Grunds (osnovanija) gekrant ist von einer Eins, einer Zwei, einer Drei, aber nicht mehr weiter" (op.cit,, 473). Wenn Chlebnikov an der gleichen Stelle such den "altslavischen Glauben an Gerade und Ungerade' (zet i nec?et) beschwijrt, so ist hier doch mindestens ebenso an die pythagoreischen Lehren zu erinnern, in denen einfache Zahlen (bzw. Gerade und Ungerade) den universalen Lebenszusammenhang herstellen. Chlebnikov hat selbst die Verwandtschaft seines Denkens mit Pythagoras such gar nicht geleugnet, sondern lediglich spielerisch die Abhgngigkeit umgekehrt: ti@zrop
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1975, 252).
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Der "Kriegsbaum" (Derevo vojn) taucht bei Chlebnikov schon Ende 1916 in der Korrespondenz mit seinem Freund Grigorij Petnikov auf, und an dem Druck seines gleichnamigen Aufsatzes war dem Dichter offensichtlich vie1 gelegen. Am 30.9.1916 schreibt Chlebnikov an Petnikov: "Ich schicke Dir den Artikel 'Derevo vojn" (5, 307), und im November/Dezember an den n;imlichen Adressaten: "Fiir mich ist es sehr wichtig, dass 'Derevo vojn' gedrudkt wird,..." (5, 308). Da dieser Artikel bisher, soviel ich sehen kann, nicht bekannt geworden ist, bietet nur der schon erwghnte Hinweis aus dem "Razgovor" von 1917 eine klare Antwort auf die Frage nach dem Inhalt des Artikels. Mit dem "Derevo vojn' korrespondierende Gedanken enthslt such die Schrift "Novae uEenie o vojne. Bitvy
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1915-1917 g-g." (1915), die teilweise den Charakter einer Zukunftsprognose tr;igt. Die Baummetapher kommt zwar dort nicht direkt vor, aber dafiir die wichtigen korrespondierenden "Termini" der Verflechtung einzelner "Reihen" (rjady) der Kriege: "polotno" (Bahnr Gewebe, bzw. Leinwand) in der aufschlussreichen Benennung der russischen Feldziige zur Eroberung Sibiriens (vse velikoe polotno zavoevanija Sibiri, III, 422); "resetka" (Gitter) in dem metaphorischen Bild "resetka Eisel" (III, 422); "uzel" in dem Bild "pod osobym (1.11, 422) sowie "tkan"' (Gewebe) in dem uzlom sudeb" Ausdruck "tkan' javlenij" (III, 427). Der Ausdruck "nevod" (Netz) taucht schliesslich beim Zahlenspiel mit der Abfolge der Generationen wichtiger Denker und Dichter auf, iiber die Chlebnikov eine eigene Schrift verfasst hat: "Zakon pokolenij" (1914, III, 428 ff.). Hierauf bezieht sich mit Sicherheit der Ausdruck "nevod pokolenij" in den "Thesen" (Tezisy, 1917). Die metaphorischen Termini "polotno" und "uzel" sind, wie hier schon angemerkt werden muss, such im Eisenbahnbau gebrzuchlich, fiir den sich Chlebnikov seit 1913 lebhaft interessiert hatte (Rjav o Heleznych dorogach, NCh 344). Die Flussbetten der Volga und des Dnepr wollte Chlebnikov dort in ihrem Mittellauf wie zwei Baumkronen (kak verchugki dvuch derev'ev) durch einen neuen "Eisenbahnkreis" verbunden sehen (lot.cit.). Vie1 sp;iter taucht dieses fiir unser Gedicht "Derevo" wichtige Bild in dem Gedicht "Vozduch raskolot na Eernye vetki..." (datiert 7.9.1921) wieder auf, wo die beiden Verse stehen: Ha rIepTexc pocc~?8c1cax xene3Hblx sopor AepeBo 0CeHX-iSBOHICO noxoxe. [Dem Umriss der russischen ist der Baum des Herbstes Zhnlich.]
(3,
186)
Eisenbahnen klangvoll
Mit den Daten des Baus der transsibirischen Eisenbahn beschzftigte sich Chlebnikov in der Schrift "Vremja mera mira" (19'16, III, 451), wo er feststelldieser Bahn (laut Chlebnikov te, dass vom Baubeginn am 19.5.1899) bis zu ihrer Inbetriebnahme (10.2.1901) 317 x 2 Tage verflossen waren. Der weite, von grossen StriSmen durchzogene und an mythischen Uberlieferungen reiche sibirische Raum hatte fiir Chlebnikov bekanntlich eine grosse symbolische Aussagekraft als Briicke zwischen Europa und Asien. Der stufenweisen Inbesitznahme Sibiriens durch Russland mass der Dichter eine grosse historische Bedeutung zu, und die hierbei entscheidenden Zeitpunkte spielen eine wichtige Rolle in
Die
Sphiire
der
Metaphern
in
"Der~ei~o"
29
Chlebnikovs "Neuer Lehre vom Krieg" (Novoe uEenie o vojne, 1915). Der Dichter glaubte sogar, herausgefunden zu haben, dass die Verteidigung von Port Arthur (1904/05) in ihrem zeitlichen Rahmen als eine "verkleinerte und umgekehrte Wiederholung der Eroberung Sibiriens" (III, 425) zu betrachten sei, wobei den rund 300 Jahren nach 1552 (Einnahme von Kazan') im russisch-japanischen Krieg jeweils ein Tag entsprothen habe. Chlebnikov hat zur Beweisfiihrung ein genaues Raster verfertigt (III, 423-425), nach welchem jedem wichtigen Schritt bei der Eroberung Sibiriens ein ebensolcher bei der Belagerung von Port Arthur entspricht. Das "Gitter der Zahlen" hat damit einmal eine makrohistorische und einmal eine mikrohistorische Dimension.
Die Interpretation des Gedichts den schwierigeren Texten Chlebnikovs der allegorisch-personifizierenden beginnen: ,&I TR
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In dieser Apostrophe an den Baum ist die Beziehung zum Krieg ebenso deutlich angesprochen wie die Beziehung zum Lebensbaum durch den Gesang der den Baum bevglkernden Turteltauben. Der Baum als Weg zum Himme1 mit seinen gefliigelten Bewohnern (den Vtgeln) ist sowohl in der Folklore gelsufig (Veleckaja 1978, 37 f.) als such in den archaischen Vorstellungen vom Weltbaum (Toporov 1971, 43 et passim). Auf der paradigmatischen Achse ist jedoch gerade die Aquivalenzbeziehung zwischen Baum und Krieg der Schliissel zumVerstsndnis einer ganzen Reihe bzw. einer besonderen Sph;ire von kriegerischen Metaphern. In seinem kurzen Kommentar zu "Derevo" hat N.ChardHiev einige Verse notiert, die Chlebnikov anscheinend bei der letzten Bearbeitung des Texts hinter v-54 noch eingefiigt hat. Sie beginnen mit einer Erlsuterung zu "Ditja vojny": &?MR
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452)
30
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Der Name Al&a (Helena) diirfte auf den trojanischen Xrieg verweisen, denn tatsschlich hat Chlebnikov such die Ilias in seine Beweisfchrung bei der Diskussion der Eroberung Sibiriens (Novoe uzenie o vojne, III, 426) mit eingefchrt. Das Verbum "gumet'" eignet sich wegen seiner Polysemie besonders gut zur Parallelfiihrung der beiden zentralen thematischen Komplexe "Baum" und "Krieg", als "Rauschen der Blztter" oder als "Kriegslzrm". Eine genaue Parallelstelle wzre: AYGkiHOi?pyccIiom myMR,
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(V.
21)
[Mit dem russischen Kniippel Ldrm machend/ rauschend, o Gerdusch nkhtlicher Zweige!] Die stiitzende Alliteration ("gorochi") fixiert "gumja" auf das Rauschen der nschtlichen Zweige. So wird an dieser Stelle der "russische Kniippel" zur Metapher, w;ihrend in dem anderen Kontext "Al&a" als ziemlich kiihne Metonymie erscheint: "Krieg um Helena". Ein drittes Beispiel liefert uns das kiirzere Fragment "Derevo", das wegen seiner zahlreichen textlichen sberschneidungen parallel entstanden sein muss: Tbl
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(3, 224)
[Du gibst den Vijgeln das Almosen eines Nachtlagers, als Mamajs Kriegszug ldrmend (=rauschend), tier der Dknmerung der Felder.] Der Name des Tatarenkhans Mamaj, der 1380 auf dem Kulikovo pole geschlagen wurde, ist in der "Neuen Lehre vom Krieg" im Zusammenhang mit den "Scheitelpunkten der Vblker" und den "Wellenk%mnen der Staaten" erwghnt (III, 419); Mamaj hat im "Baum der Kriege" seinen legitimen Platz. Die metaphorische Reihe "Krieg" erscheint in ihrer Parallelfchrung zum Thema "Baum" in beiden Gedichten einer sprachlichen Struktur" (reaals "Realisierung lizacija slovesnogo postroenija) bzw. als "zeitliche Entfaltung eines verwandelten Parallelismus" (razvertyvanie vo vremeni obraSEennogo parallelizma, Jakob18) und ist insofern in gleicher Weise son 1921, "Denkfigur" wie "literarisches Verfahren" (Ingold 1978, 63). Die von Ingold eingehend beschriebene Verserzzhlung "Zuravl'" (1909) mit der semantischen.Polyvalenz des Worts "Zuravl'" (= Kran/ich) ist in ihren dichterischen Verfahren in vieler Hinsicht Vorbild des Gedichts "Derevo". Nur dass bei "Derevo" nicht von einem "assoziativ-poetischen Parallelisierungsverfah-
Die
Sphdre
der
Metaphern
in
"Derevo"
31
64) die Rede sein kann, sondern ren" (Ingold 1978, nur von einem mythisch-substanziellen Denken, das universelle Lebenszusammenh&ge aufdecken will. Der Baum ist ein durch und durch "metamorphes" Gebilde, und in diesem Schwebezustand ist zugleich das avantgardistische Verfahren wie such die Hinwendung zum urspriinglichen Mythos beschlossen. 3. Das Gedicht setzt mit einem bezeichnenden semantiindem auf der einen Seite die schen Kontrast ein, "purpurnen Auglein der Himbeeren" und die "frGhlichen Tauben" (Symbol des Friedens) und auf der anderen Stacheln" und die "herbstliche BiisSeite die "spitzen Das Bild der Tauben wird artigkeit" stehen (v-l-4). iiberhijht durch das Spiel mit einem Homonym (golubej = von golub' und Komparativ von goluboj), das die g.Pl. Vertikale (Erde - Himmel) betont. Die geographische Parallele (v.2) erstreckt sich als "Weg" zun;ichst rgumlich von Berlin bis Bombay, doch kommt durch das "koljuEie" schon die kriegerische Metapher Attribut die fiir Chlebnikov raum-zeitliche Bedeuins Spiel, tung hat. 'Berlin" bedarf nach dem Krieg von 1914-18 keiner Motivierung, w;ihrend "Bombay" durch die Alliteration (b - b) motiviert erscheint. Es sei in diesem Fall nur an das Gedicht "B" aus dem Dezember 1920 erdas mit dem Vers "Ot Baku i do Bombeja" (NCh, innert, 180) beginnt und mit dem Wortspiel 'Bakunin - Baku" endet. Vgl. such: "To&o bomba iz Bombeja [ On vryvaetI grustit v ob"jat'jach beja ) AngliEansja v Baku ka na boku"-('5 82) . Indien gehcrt bei Chlebnikov in hervorragender'weise zum Problemkreis Europa - Asien, und in der "Neuen Lehre vom Krieg" bleibt such Bombay (Feldzug der Portugiesen gegen Goa, Offnung des Wegs nach Indien, 1510) nicht unerwshnt (III, 421). Der Binnenreim zljuEki/koljuEki bindet die konkrete Jahreszeit (Herbst, Blgtterfall, vgl. v.55) und die spitzen Stacheln der (kahlen) Zweige zu einem Bild. Wenn 'kaEalis"' sich allerdings auf Zweige und Bl;itter des Baums bezieht, woran mit guten Griinden nicht geso wsre statt der Lesart "kasazweifelt werden kann, lis' diko lgt" (v.3, "lzt" auf jeden Fall wegen des Reims "vykolot"') eher die Lesart "v 1Et" zu erwarten. Nach den Einfugungen in die anscheinend unkorrigierte eilige Handschrift, die schon ChardZiev vorgenommen hat (v.9, v.38) erscheint eine solche.Konjektur nicht unerlaubt. "Syny" erklgrt sich aus dem Kontext des "Derevo"Fragments (3, 224) nicht nur konkret als die geschiit-
32 telten
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(3,
BbI!
224)
[Die Stunde des Todes ist da. Die Sijhne des Baumes sind in Gefahr! ....................... Im Herbst werden wir urn den Sohn weinen, Sdhne des Herbstes seid ihr!] Das Bild von den Stacheln, die den Menschen die Augen ausstechen und ihr Sklavenantlitz zerkratzen (v.4-5) ist fraglos auf den Krieg zu beziehen und findet eine Parallele schon in "Ladomir" (1920): BaM l@iTe,
BOfiHbI
BbIICSIf3BaJIM
CMYTHbIe
CJIeIIqbl,
[Euch haben die Kriege Geht, triibe Blinde,...]
OWI, . . .
dieAugen
(1,
189)
ausgehackt,
fiir die es bei Chlebnikov Die Bedeutung der Augen, einen ganzen Kreis von Synonyma gibt, sol1 hier nicht eingehender diskutiert we&en, es knnn aber auf das etwas friiher entstandene Gedicht "Ra - vidjagEij oEi SVOl... ' (3, 138) verwiesen werden. Die metaphorische SphZe der Waffen (der Baum als Waffentrsger) wird hier zun&hst unterbrochen, und der Baum verwandelt sich in seiner vertikalen Ausdehnung in die Bahnlinie Moskau - Vladivostok. Hier ist zunschst an das oben Gesagte zu erinnern, insbesondere an die Bedeutung des "polotno". Gleichzeitig entwickelt sich eine Worts eigenartige Paradigmatik im Blick auf "berlin-bombej" auf den 'Weg' von Europa nach Asien. Kon(x7.2) I d.h. kret ist der Name "Vladivostok" bei Chlebnikov natiirlich such durch den Biirgerkrieg und die Auseinandersetzung mit Japan nach dessen Invasion an der sibiriUber diese Vorg;inge schrieb schen Ostkiiste motiviert. der Dichter gerade im November 1921 seine Verserz;ih"Perevorot v Vladivostoke" (vgl. dazu Mirsky lung 1975, 37 ff.). Sibirien, das Land. der Schamanen und Legenden, hatte fiir Chlebnikov ghnlich wie Indien eine beinahe sakrale Bedeutung, und daher nimmt der Name des Entdeckers und Eroberers aus dem 16. Jahrhundert, der Name des Kosaken Ermak bei ihm - vergleichbar nur dem Namen Razin - den Platz eines Propheten ein. Sibirien erscheint daher such abstrahiert als sakraler
Die
"Begriff",
SphiEre
wie Ho MMR YsHaeT
der
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in
Metaphern
in
"Derevo"
dem Gedicht
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"Moi
33
pochody":
Cr?brrpeti,
(3, 42)
[Aber der Name Glaube,voll Wird wieder einen Ermak
von erfahren
Sibirien - ]
(pl.!)
Sibirien gehijrt im Farbspektrum zur Bl;iue des Himmels (vgl. such v.52-53) und nur die Himmelssphsre kann die Verwendung des rituellen Verbums "govet"' (= fasten, Verehrung bekunden) in v.8 erkl;iren: II ny~b
CM~II~CKMX noesnoB,
FlpMMGEUIlMXCR
l-OBeTb,
3eJIeHbIii 3aKOHWiT
B
[Und
Weg der
beendet
den
griin
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und
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lle~&lIb
sibirischen schamhaft
M
CTbI&FIMBbti
(v.8-9)
JIeneCTOK.
Ziige, die ehrfdrchtig herangebraust sind, mit Sorge das Blatt.]
Unmittelbar im himmlischen Blau, am Ende des "Wegsder sibirischen Ziige" entfaltet sich "griin und schamhaft" das Blatt ("lepestok" - sonst fiir "Bliitenbl.att" gebracht, v.9). Der bier aufscheinende Gedanke ist offenbar, dass die transsibirische Eisenbahnlinie als Vertikale sich himmelwZrts erstreckt, und dass das oberste Blatt den Weg der sibirischen Ziige beschliesst, indem es schamhaft in das himmlische Blau eintritt. Eine parallele Vorstellung findet sich in einem Gedicht, das uns weiter unten noch beschgftigen wird, und das 1919 entstanden ist: "Vesennego Korana Veselyj bogoslov..." (3, 30). Hier wird das sich entfaltende Blstterkleid einer Pappel mit einem Fischernetz verglichen, das den "Friihlingsgott" (vesennij bog) einf;ingt. Die "griinen Lippen" der Blstter ijffnen sich dabei zu der Bitte: "gib uns den Himmel". OTKpbIJIa
3enenble
npocbba ycTa.
"He60
A&" (1oc.cit.j
Die Metaphern dieses Gedichts entstammen der sakralen Sph;ire und dem Fischfang, was fiir Chlebnikovs Anschauung vom Lebensbaum - wie sich unten noch deutlicher zeigen wird - von eminenter Bedeutung ist. Es erhebt sich hier die Frage, ob nicht die kiirzere Fassung von "Derevo" das Problem einfacher lijst. Die metaphorische Reihe (transsibirische Eisenbahn) und das Wachstum des Baums in den Himmel sind ja fast unauflijsbar miteinander verschrsnkt:
34
Johannes
Holthusen
WexesHom rOpJJUJlCR
)JOpOrOfi MocKsa - BJIaJPiBOCTOK Ha IIPYTY MOJlOJJeHbKMfi JIMCTOK. CUBUPCKUXnoesgoB IlpOTKHyJlO CHHeBy. OKOHYeH IlyTb JIUCTOM, CTbmOM He6ec.
(3, 225) Eisenbahn Moskau - Vladivostok zeigte das junge Blatt an der Gerte Stolz. Das Blau der sibirischen ziige war durchstossen. ner Weg ist durch das Blatt vollendet, in Scham vor dem Himmel.] [Wie
die
Die .zuletzt zitierte (fragmentarische) Fassung weist sich als die "einfachere" aus, da sie sich in der Verdorogoj") und in gleichsstruktur ("listok - Zeleznoju der blossen Metapher ("sinevu sibirskich poezdov" fiir "sinevu nebes") erschiipft. Andererseits ist der Gegensatz "gordilsja - stydom" unmittelbarer verstzndlich (Scham vor dem Himmel) als das Verbum "govet"' und Beide Handschriften scheinen das Adjektiv "stydlivyj". doch zeigt sich am Abbruch nicht endgiiltig zu sein, des Fragments, dass dieses mit grosser Wahrscheinlichkeit friiher zu datieren ist, wenn such vielleicht nur Chlebnikov hat hier das sp';itere Gedicht erst urn Tage. einmal vorskizziert, und so wird das Fragment zu einem vollwertigen Kommentar. Als ein besonders schwieriger Vers erweist sich in "Derevo" v.10, zusammen mit der ersten H;ilfte von v.11: rae
IlOJfHOBb
TeseT
peKOK)
3epKa.JIa
Kyapefi
3eMHOfi
Ay6pOBbl ypOxeHKa,
He6bITb,...
Zun%hst ist nach dem grammatischen Subjekt zu fragen, und wenn dieses als "zerkala . . . urozenka" mit der Apposition "nebyt"' (vom Spiegel . . . geboren . . . das Nichtseiende) am sinnvollsten identifiziert werden so f;illt "polnoE'" als mijgliches Subjekt aus. kann, Entsprechend den Ergsnzungen ChardHievs in v.9 (Prsposition und Kasusendung) kann hier nur die Konjektur "v polnoE"' (urn Mitternacht) vorgeschlagen werden: rJ(e
[Wo
urn
IlOJIHOgb
Mitternacht
3epKaJla
vom irdischen
Kynpeti
3eMHOfi YpOxeHKa,.......
Spiegel
der Waldes
Ry6pOBbI
Locken geboren,...]
des
des Walds sind natiirlich seine Kronen, Die "Locken" und diese spiegeln beim Zahlenbaum als "Gleichungen der Zeit" such alle denkbaren R;iume der "imaginsren Geometrie", die in v.47 durch die Nennung LobaEev-
Die skijs "Doski
Sphdre
beschworen sud'by" ki
BOT
der
wird schreibt
ypaBHeHHR
Metaphern
in
(mehr dariiber Chlebnikov:
BpeMeHSi
Ka3aJINCb
35
"Derevo" unten).
3epKaJlbHblM
In
den
OTpZUlCeHHeM
(III,
ypaBHeHMfi
IlpOCTpaHCTBa.
[Und also Spiegelbild
erschienen mir die Gleichungen der Gleichungen des Raums.]
der
Zeit
474) als
Die Tageszeit der weiteren Entfaltung des Gedichts ist die Nacht (Nacht, Sterne, Mondlicht), und die hier angedeutete Verbindung von "zerkalo" und "nebyttie)" kann durch eine Parallelstelle aus Chlebnikovs schon genanntem Gedicht "Moi pochody" erhellt werden: keCK
He6bITUR,
OT~POCMJI
[Das hat
3a
YpaHbIO
3epKa.noM
Pldtschern mich
wie
Bepbl,
(3,
MeHB.
der ein
42)
Nichtexistenz,
jenseits des Glaubens, zuriickgeworfen.]
Spiegel
fliessende Wasser des "Nichtseienden" ist also ein Spiegelungseffekt, hervorgerufen durch die "Locken" des "irdischen Waldes", und man geht wohl nicht ganz fehl, wenn man diese Spiegelung als Beriihrungsebene zwischen der realen und der imagingren Welt versteht. Eine solche Deutung wird dadurch unterstiitzt, dass in dem zweiten Teil (dem Hauptteil) des Gedichts die mythische Anschauung ganz dominiert und dass schon in v-12 die Zssur durch Vergleiche sinnbildlich gemacht des Reiters" wird. Der "Sprung (vsadnika skok) hatbei Chlebnikov am hsufigsten den Sinn einer historischen Wende (vgl. Holthusen 1974, 35 et passim), und dievom Baum "durchbohrte" Nacht l;isst den ganzen Wald im Schrecken erstarren (v.15): Das
npOCTpaHCTB0
[Der
Ha
KpKNKe
Raum versank
am Haken
Das n;ichtliche Leben des Baums und der Baum selbst verwandelt krieger: (AOHelJ-CKaKyH,
BUCK&i
Konbe
B pyKe,
[(Der
Mann
Die
Lanze
BOeHHOfi
3aCHyJlO.
pa3BeRB, paaOCTPi
in
Schlaf.]
ist der sich in JleTIlT IIOJIHO.
Krieg (v.13), den Steppen-
I-LO IIOJIFJ)
(v.16-17)
vom Don, der Wilde Reiter, fliegt mit wehenden Schlgfen iiber das Feld) in der Hand, voll kriegerischer Freude.]
Johannes
36
Holthusen
Mit der Nennung der "Lanze" ist such die metaphorische Reihe der Waffen endgiiltig begriindet, und diese kann ihre kriegerische Paradigmatik im zweiten Teil weiter entfalten. Unbestreitbar ist auf jeden Fall, dass Chlebnikovs alte Vorstellung vom "Kriegsbaum" bei dieser metaphorischen Reihe Pate gestanden hat. 4. Mit einigem Recht k5nnte man sagen, dass im ersten Teil des Gedichts die r;iumliche Anschauung noch dominiert, wenn such in weit ausholenden, eigentlich typisch avantgardistischen Metaphern, in denen die Technosph;ire in die Biosphsre eingebunden erscheint. Im folgenden zweiten Teil werden noch st;irker die mythischen Aspekte herausgearbeitet, vor allem in ihrem raumzeitlichen Zusammenhang. Auf der syntagmatischen Achse kommt es indessen trotz mehrfacher "epischer" Ansztze nicht zur diskreten Entfaltung einzelner Erzzhlstrsnge. Die konkreten epischen Bilder konstituieren keine Handlung sondern hsngen an einer einzigen Kette biokosmischer Zusammenst8sse. Wenn in v.39 von dem "schwarzen Bogen in der Hand der Wilden aus der Hijhlenzeit" gesprochen wird, so ist dies eine Metapher nach den Sternen" und fiir den Kampf mit fiir den "Griff der Zeit: i’i,
3Be3QHblii
HaBoaIlrub
Ha
IlTl-i~fXOB,
sepHbIfi
EJIPiHHblfi
PFIA
[Und, Vogelfkger du spannst den
nyrc
pyKOfi
IIeIqepHbIx
AUKapefi (v.
POAOB..
.
der schwarzen
Sterne, Bogen
der aus
gegen
die
lange
Reihe
der
Wilden der
38-40)
Hdhlenzeit
Jahre...]
R.V.Duganov, der die epische Komponente in Chlebnikovs Dichtung darin sieht, dass "sich eine Welt sich selbst erz;ihlt" (Duganov 1976, 432), hat Chlebnikovs Produktionszsthetik auf sehr einleuchtende Weise charakterisiert: "Das zsthetische Objekt ist immer ein und dasselbe - es ist die ganze Welt in ihrer ganzen prinzipiellen Fiille und Einheit. Diese einfache Wahrheit musste bis ans Ende durchdacht und erfiihlt werden, damit eine solche organische xsthetik und eine solche Poetik entstehen konnte, die durch ihre Macht der Intuition und durch hijchste Bewusstheit frappiert" (Duganov 1976, 432). Die Vorstellung von der Welt als einem umgreifenden Fangnetz, durch das ewig alles Lebendige strijmt, hat
Die
Sphiz're
der
Metaphern
in
37
"Derevo"
sich bei Chlebnikov zu einer eigenartigen Metaphorik des Fischfangs verfestigt, die uns such in "Derevo" (in beiden Fassungen) wieder begegnet. In den Zusammenhang gehi5rt nicht nur die schon von Duganov (lot. cit.) angefiihrte Verserzzhlung "Sinie okovy" (1922), sondern bereits die Prosaerzshlung "KA2" aus dem Jahr 1916. Die Priester und Propheten (8recy) sind es hier, die - in Anlehnung an die neutestamentliche Symbolik den Fischern gleich werden: TKaHb
XCpeUoB,
wi.nocTbm CflOBa y~06HyIO
segyupix
wce.n, MX
npOnOBe@I ~.rrR
Kyaa-To
6hICTp0
no
0KyTbrBana
CllJIeJlnMCb
pb16HOfi
JIOBJITIM.
B MecT
npasy
poxaeHun,
qenoBe9ecTB0, OAHy CeTKH
M
bonbruym
6mn
CeTb, y
MeHH.
(3,
126)
[Das Gewebe der Opferpriester, die gem&s ihrem Geburtsrecht irgendwohin fiihrten, gem&s der Gnade der Zahlen, hiillte die Menschheit schnell ein, und die Worte ihrer Predigt kniipften sich zu einem grossen Netz, das fiir den Fischfang geeignet war. Die Stange des Netzes war bei mir.]
Die Netzmetapher vertritt in Chlebnikovs Poetik eine ganze Sph;ire von Begriffen: die Zahlen, die Generationen (Lebensalter), die Lehren der Propheten, die B;iume. Das Netz ist die lebenumspannende sphsrische Metapher schlechthin. Es ist daher gar nicht erstaunlich, wenn Chlebnikov in v.23-24 unseres Gedichts die Atmung des Baums mit dem Strzmen des Sauerstoffs durch ein Netz metaphorisch umschreibt. Auf der paradigmatischen Achse der Selektion findet anschliessend die metaphorisch-metonymische Periphrase (FischschupSilber) in den Versen 28-29 ihren anpen - schweres schaulichen, durch das Mondlicht konkretisierten Ausdruck: B Raesx HosHasi
nesoaa CMHeBa
‘hxenblM
cepebpon.
CBepKaeT
pbI661
4emyeg (v.27-29)
[In den funkelt als
Maschen des Netzes das nachtliche Blau wie Schuppe des Fisches schweres Silber.]
Vergleichsstruktur dieses Satzes weist wieder auf den universalen Zusammenhang alles Lebens und auf die Symbolik des Weltbaums. Wie stark aber Chlebnikovs Metaphorik zugleich im Naturbereich verwurzelt ist, mag die poetische Beschreibung eines Ficus-Baums in Persien in der Verserzghlung "Truba Gull-mully" (1921) erweisen: Die
38
Johannes
CTBOJI
(Iuupe
nOAbIMaJI
KOHR
nonepeK),
co608
Hap,
Tysy
rp%OM
BeTBeg
cTeKaR
JIr?BeHb
RepeBa
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c
CJIWBaF[Cb
HUMI?
Rseam
CeTH
HoZthusen
B
nyS.blpxcb, 3eneHym
K
JlHCTbeB
U
BeTOK.
KOPHRM.
IlpOJlMJICFI, y3Jlbl
(1, 242/43)
OI-POMHOfii.
[Der Stamm (breiter
als ein Pferd in der Quere), von Blasen bedeckt, erhob iiber sich eine griine Wolke von Bldttern und Zweigen, als Hagel von Zweigen zu den Wurzeln niederfliessend. Von der HBhe ergoss sich der Platzregen des Baums um mit ihnen in Knoten zusammenzufliessen, wie Maschen eines riesenhaften Netzes.] Die poetische Aussagekraft dieser Verse iiber den alten Baum mit seinen Luftwurzeln - hier nur im Ausschnitt zitiert - liegt in den Metaphern des Fliessens und Strijmens ebenso wie in der Netzmetapher, sie bleibt aber unmittelbar an das Aussehen dieses konkreten eigenen Stellenwert in der epischen Baums, der seinen Erst auf der Ebene paradigmaErz;ihlung hat, gebunden. tischer Beziehungen zwischen den Erlebnissen dieses Kaukasus) und den poetiSommers und Herbsts (Persien, schen Themen entfaltet sich die Symbolkraft der poetischen Bilder. Ein besonders ergiebiges und zugleich dichterisch hervorragendes Beispiel fiir die Metapher des Fischernetzes ist aus dem Jahr 1919 das schon erwshnte Gedicht iiber eine Pappel ("Vesennego Korana Veselyj boHier treffen wir auf die Metaphern gOSloV...", 3, 30). "solnca rybolov", "topol' rybak", bzw. Vergleiche: "zelenye nevody", "seti lovli boga", "volna sinej vodki". Der "Koran des Frfihlings" verdichtet sich in einem iiberraschenden Bild, dessen ausserordentliche poetische Qualitgt noch durch ein kompliziertes Reimschema und durch ein Netz von lautlichen Entsprechungen gesteigert wird: 0
TOIIOJlb
PblbaK,
CTaHOM
3eJIeHblti,
3eneme
HesoD
Tbl ki
Meqeub BOT
(OCeTp k3SiT Y
cTon6a.
BeCeHHH2
60r
y~liBJIeHHblfii Ha
MOKpOrO
K%K,!JOI%
JIORKe
JlHCTa. (1oc.cit.j
Die
Sphdre
der
Metaphern
in
[O Pappel Fischermann, griin am Leib wirfst du griine Netze aus vom Pfeiler. Und da liegt der Friihlingsgott (der verwunderte Stijr) auf jedem Boot beim feuchten
39
l'Derevo"
Blatt.]
Bemerkenswert scheint mir zu sein, dass sich die Metaphern des Fadens, der Bahn, des Knotens, des Netzes nicht nur auf die Biosph;ire (Erde und Himmel, Reihe der Generationen) beziehen, sondern gleicherweise auf die Sph;ire der menschlichen Werke (Technosphgre). In "Derevo" ist das ablesbar an den Metaphern der Eisenbahn und der Metapher "Stadt" (gorod). Wurzeln und Baumkrone werden metaphorisch zur "doppelgesichtigen Stadt mit tausend Fenstern$', die "wie ein Flussbarsch" in Himmel und Erde eintaucht (gorod dvulikij tysjaEi NyrjajugEij v zemlju i nebo, kak okun', v.44-45). okon, Eine umfassendere Betrachtung der Metaphorik bei Chlebnikov wiirde ergeben, dass die "Stadt" mit ihren "durchsichtig reinen Waben" ("Gorod buduzEego", 1920, 3, 63), d.h. mit ihren gl;isernen Fensterfronten, die gleichen Offnungen zum Leben und zur Filterung des Sonnenlichts braucht wie ein Netz seine Maschen. Im Hinblick auf die "tausend Fenster" sei hier such an das eigenartige Gedicht "Ja i Rossija" (1922, 3, 304) erinnert, in dem der Kijrper des Dichters zu einer Stadt ("gorod tela") und sogar zum Staatswesen wird: M rpaxnaae - rocynapcTsa,
rpSU,t(aHKPi
Mem
TblCRrIeOKOHHblX
Kyapeti
TOJImJIMCb
[Die Biirgerinnen und Biirger des Staates Ich drgngten sich an den Fenstern fenstrigen
Die ironische folgt allerdings
Zuriicknahme gleich
auf
y
OKOH...
der tausendLocken...]
dieser "Metamorphose" dem Fuss:
er-
A R npoc~o CHRJIpy6amKy: Aan [Aber
habe
ConHue
HaponaM
MeHR!
(1oc.cit.j
ich habe einfach das Hemd ausgezogen: den VBlkern des Ich die Sonne gegeben...]
Solche "in der..Tiefe der Substanz" (Duganov 1976, 429) angesiedelten Ubereinstimmungen zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos sind bei Chlebnikov vielfach anzutref-
40
Johannes
HoZthusen
das hier interessiert, weil es gefen. Ein Beispiel, nau in die Entstehungszeit von "Derevo" f;illt, ist das Gedicht "Pust' pachar', pokidaja boronu..." (3, 216 f.), wo der unter dem Fingernagel angesammelte Staub, den mit ganzen Sonnensystemem ein Msdchen sich entfernt, (solnca mozet krusatsja, pylaja, v pyli pod nogtem?) Am Schluss des Gedichts kommt die verglichen wird. Staubschicht auf einem Tisch durch akustische Schwingungen in Bewegung und gerinnt zu "StBdten", die ein Kind mit Moskau und Chicago vergleicht: ?fseihi
133
CTOSEiIl
TXeT
3ByK
CeTbH).
(3, 217)
[Maschen aus Hauptstgdten zu einem Fischernetz.]
webt der Laut
PbI6aqKOii
ist also wieder die universale VerDas "Fischernetz" "natiirlicher" und sozialer Struktur. bindung zwischen Die enge Verbindung von Kosmologie, Biologie und Soziologie in Chlebnikovs Metaphorik legt die Frage nahe, ob der Dichter nicht such ausserhalb der pythagoreischen Lehren im engeren Sinn (Zahlentheorie, Sph%enharmonie) dem Denken der Vorsokratiker verInsbesondere kijnnte das von der pflichtet gewesen ist. Naturphilosophie und der Ethik des Empedokles gelten, jenes Vorsokratikers, der wegen seiner Folgerungen aus der Seelenwanderungslehre (Unverletzlichkeit aller Lebewesen) im Altertum oft in einem Atemzug mit Pythagoras genannt wurde (Capelle 1968, 245). Bei einem so eminent belesenen Menschen wie Chlebnikov darf man eine gewisse Bekanntschaft mit Empedokles jedenfalls Mit Chlebnikovs Denken auffallend iibervoraussetzen. einstimmende Lehren sind bei Empedokles z.B. die "Porenlehre" in der Physiologie (Capelle 1968, 187) zusammen mit der Theorie des Blutkreislaufs und der AtTheorie von der Liebe und mung, und die kosmologische vom Streit als den Prinzipien der Dinge (Capelle 1968, zum "Streit" ist bei Empedokles der 198) . Der Gegenpol sog. "Sphairos", in dem "dank der vijlligen ebermacht der Liebe" (Capelle, 187) die Elemente zu einer Kugel zusammengeballt sind. 1st nicht Chlebnikovs Vorstellung von der globalen Ausbreitung der Liebe auf dem Erdball (zemnoj gar) sehr eng einem solchen Denken verhaftet, das sich bei Empedokles vom Ausbruch des Streits bis zur Riickkehr in die Einheit des Sphairos tastet? 3 Selbstredend ist das dichterische Universum Chlebnikovs nicht auf eine Handvoll von Fragmenten einiger antiker Philosophen zuriickzufiihren, und die Ahnlichkeit vieler archaischer Anschauungen untereinander
Die
Sphdre
der
Metaphern
in
"Derevo"
41
sol1 nicht in Abrede gestellt werden. Interessant ist aber, dass gerade Empedokles in seiner Person den Forscher, Dichter und Propheten vereinigt hat. Insofern ist Chlebnikov eines Vergleichs mit ihm wiirdig, und alle Parallelen haben mindestens ihren guten Grund. Wenn Empedokles von dem Franzosen Ernest Renan als "eine Mischung von Newton und Cagliostro" (Capelle, 189) bezeichnet wurde, so ist Chlebnikov &nliches durch O.Mandel'gtam widerfahren, der Chlebnikov "eine Art idiotischen Einstein" genannt hat, allerdings nicht ohne fortzufahren, Chlebnikovs Poesie sei idiotisch "im echten, griechischen, nicht beleidigenden Sinn des Wortes" (Mandel'ztam II, 390). "Derevo" beschreibt eine Welt des Streits, und als dessen Prophet taucht im Gedicht Nietzsche auf (v.30). Die Wendung "sumit Niche" ist wie schon in anderen Beispielen auf der Polysemie von "~umet'" aufgebaut. Als Beispiel fiir einen entsprechenden Umgang mit Philosophennamen kann "Dub Persii" (1921, 3, 134) herangezogen werden: k! B LUOpOXe BeTBeii myMHT C03BmMe C Ma3gaKOM [und im Rascheln der rauscht der GLeichklang
Haprcca. (lOC.cit.)
Zweige von
Mazdak und
(Mazdok) Marx.]
Chlebnikov mag bei der Nennung Nietzsches neben der Schrift Zur GeneaZogie der MoraZ an Stellen aus Also sprach Zarathustra gedacht haben wie: "Der Mensch nZmlich ist das beste Raubtier". Eine solche Deutung wird durch v-34 ff. nahegelegt, wo vom Tier,vom Faustrecht und vom Waldteufel (lesnoj galach) gesprochen wird. Das Thema der Sonne hat Chlebnikov im Gegensatz zu seinem anderen "Baum"- Gedicht fast ausgeklammert. Es taucht aber im Bild des "Sonnenbettlers" (v.31-32) kurz auf. Die Sonne, so ist hier zu argumentieren, geh$rt zum "Sphairos", zum "gorod Solncestan" (3, 63). Streit und Zwist lassen Sonne nur als "Kopeken" zuriick. Als Kommentar mag hier das kiirzere Gedicht "Derevo" dienen, in dem die Sonne sich "versteckt", weil der Baum "das Versteckspiel des Himmels auf der Erde" (Hmurki neba na zemle, 3, 224) ist. Das "blonde Vieh" (belokuryj skot, v.34) bedarf ausser dem Hinweis auf Nietzsche eines besonderen Kommentars. Auf v.34 folgten ursprtinglich die von dem Dichter wieder verworfenen, in ChardHievs Anmerkungen aber angefchrten zwei Verse:
42
Johannes
AepeBy
HpaBbI
%UIOCTb
I?
@lJI
HoZthusen
3Bepb
HexHOCTb
beJIOKypbIfi,
IXIyI’lbI,
KaK
[Dem Baum hat die blonde
Bestie4
Gnade (Giite) und Sanftheit
(NCh 452)
KypbI.
die Sitten gegeben,
sind dumm wie die Hiihner.]
Diese ironische Feststellung stimmt teilweise mit der Version in dem Fragment "Derevo" (3, der Text mit diesem Vers abbricht: rQe
- npeAaHbe 0
3Be3ppI
Bepro,
,qasI
HpaBbI
AepeBy
6eJIOKypOM aaepb
iiberein 225), wo
cKoTe.
6enoKypbIii.
[Wo die Sterne die Sage vom blonden Vieh sind. Ich glaube, die Sitten hat dem Baum die blonde Bestie gegeben.]
Das semantische Spektrum von "zver"' reicht im Russischen von "Tier" zverinec = Tierpark) bis "Raub(vgl. tier, Bestie". Fiir Chlebnikov ist "zver"' sogar ein Schliisselwort (vgl. Holthusen, 1974, 21 f., 58), das positive wie negative Ausdeutungen zul%.st. In unserem Fall wzre such an das Gedicht 'Zver' i Eislo" (1915, Parnis 1975, 199) anzukniipfen, wo das "Tier" als Widersacher der "sanften Zahlen" (nesnye Eisla) am Ende fallen muss. Diese eschatologische Vorstellung, die von A.E.Parnis sicherlich treffend ausgedeutet worden ist, entspricht der Opposition "zver"' - "neznost"' in der zitierten Variante durchaus. Der Baum wird so zum 'Krieger der unterirdischen Schlachthzuser" (v-41-42), zum Trsger einer dauernden militanten Expansion: BcTaeuIb Boroelub
KaK 38
KOIIbFI obae~,
fiOHa Xa3anocb,
B
IlOHCKe
IlpOCTpaHCTBa
JIo6aseBcKoro.
(v.46-47)
[Du reckst dich wie die Lanzen des Don, Du streitest fiir die Ausdehnung, wie es schien, auf der Suche nach dem Raum Loba?evskijs.] Die "Lanzen des Don" kijnnen als metaphorisch-metonymischer Vergleich leicht in die Paradigmatik der russischen Kriegsgeschichte (Slovo o polku Igoreve; ZadonZEina) eingereiht werden. Mit dem Begriff "prostranstvo LobaEevskogo" werden kosmische Vorstellungen des russischen Mathematikers Nikolaj IvanoviE LobaEevskij (1792-1856) ins Spiel gebracht. Dem Entdecker der "nichteuklidischen Geometrie" ("imaginsre Geometric",
Die
SphEre
"Pangeometrie") war erz;ihlung "Ladomir"
der
Metaphern
Chlebnikov bereits auf der Spur:
XsaTaB aa yc cosse3abe BeCi no nnesy co3se3flbe M
IlyCTb
IlpOCTpElHCTBO
neTMT
C
3HaMeH
[Pack
das
in
in
43
seiner
Vers-
Boaonen, IIcoB! fiO6aWBCKOrO
HOZIHOF0
Sternbild
"Derevo"
HeBCKOrO.
(I,
184)
des
Wassermanns am Schnurrbart, Hau dem Sternbild der Hunde auf die Schulter! Und dann sol1 der Raum Lobazevskijs Von den Fahnen des Gchtlichen Nevskij fliegen.]
Fiir den Durchschnittsleser mag dieser Vergleich wenig besagen, aber LobaEevskij, der ehemalige Professor der Universitst Xazan' und geniale Mathematiker gehiSrt zu Chlebnikovs Pantheon wie Ermak oder Stepan Razin. Ermak tritt folgerichtig wenige Verse weiter (v.52) auf, und der Ruf "Gott mit uns!" beschwijrt die erfolgreichen Feldziige des "heiligen Russland". Ermaks "griine Regimenter" (v.52) und die "Regimenter der Bl;itter" (v.60) "meinen" als Metaphern das Laub des Baums, und sie unterscheiden sich semantisch nur darin, dass in v.60 eine 'Metapher des Vergleichs' (Kevin 1965, 295) und in v.52 eine periphrastische "Rgtselmetapher" (Levin 1965, 296) vorliegt. Allerdings muss man immer damit rechnen, dass "Rztselmetaphern" (metafory-zagadki) einer ganz bestimmten 'terminologischen" Sphsre zugeh6ren. Das gilt such etwa fiir "zoZotye s'i8aki" (v.49, goldene Helme), wo "Sigaki" zur Sph;ire der Waffen und der Riistung gehtrt. Die paradigmatische Reihe der altertiimlichen Waffen bildet, wie schon angedeutet wurde, einen besonderen metaphorischen Strang des Gedichts: "dubinugka tysjaEi list'ev" (v.25), "Eernyj luk" (v.39), "kop'ja Dona" einen Strang, der die beiden Teile des Ge(v.461, dichts ebenso miteinander verkniipft wie der Gedanke an die Eroberung von R;iumen. Schon im ersten Teil gibt es Stichwaffen wie "ostrye koljuEki" "Eernyj (v.4), drot vetvej" (v.15), "kop'e" (v. 17). Auch der vorletzte Vergleich "toEno voin derHagEij kop'e" (v.64), der den gebogenen Ast des Baums meint, bleibt diesem Strang treu. Der andere metaphorische Strang, der mit dem himmlischen Blau iiber die Eisenbahnstrecke Moskau-VladiVostok und die metaphorisch-metonymische Personifikation "Ermak" (v-52) verbunden ist, gibt der Anwendung der Waffen ihre sakrale Weihe. In moralischer Hinsicht ist der "Kriegsbaum" ambivalent, und nur dies recht-
44
Johannes
HoZthusen
fertigt die Nennung LobaEevskijs neben Nietzsche. Der letzte Vers des Gedichts, der den gebogenen Ast mit dem geijffneten Schnabel eines Vogels vergleicht (~1.651, regeneriert in Verbindung mit v.61 ("osadoj golubogo") die Sph%e des Himmels, mit der das Gedicht anhebt "Eta neba golubej" (v.1): nTHqa pacKpbma CBOI? KJITIMB Ha ronyboe. [Wie wenn ein Vogel seinen Schnabel gegen
TO'IHO
das Blau
geoffnet
hdtte.]
Der Schluss des Gedichts macht mit dem Vogelvergleich deutlich, dass der Archetypus dieses "Baums" tatsgchlich der Lebensbaum ist, der dem Wechsel der Jahreszeiten und dem Rhythmus der Generationen unterworfen ist. Diese "Spur der Ahnen" (predkov sled, v.62 f.) wird erst nach Jahrzehnten gewechselt, und die "Belagerung der Blzue" (v-61) durch die "Regimenter der Bl;itter" kommt nur langsam voran. Kampf und Streit umspannen so die Welt als "Baum der Kriege", aber der Baum selbst ist doch ein Symbol des Lebens so lange er w;ichst. "Derevo" ist die dichterische Entfaltung eines echten "SphZrenbaums", dessen Metaphern mit Chlebnikovs Naturund Geschichtsphilosophie auf vielfzltige und intime Weise verkniipft sind. # * *
ANMEFXUNGEN 1. Alle Verweise auf Werke V.Chlebnikovs beziehen sich entweder auf die Ausgabe Sobranie proizvedenij VeZimira ChZebnikova v pjati tomach pod obgzej redakciej Ju.Tynjanova i N.Stepano1927-33 (Bandzghlung: l-5) oder auf die von vat Leningrad N.Chard%ev herausgegebene Sammlung Veeimir Chlebnikov, Neizdannye proizvedenija, Moskva 1940 (zitiert NCh). Die angegebenen Seitenzahlen folgen dem von Vladimir Markov betreuten Miinchener Nachdruck dieser beiden Ausgaben, V.V.ChZebnikov, Sobranie sozinenij (Slavische PropylZen 37, I-IV), der intern die Bandzshlung der Originalausgabe beibehblt. Einige in diesen Ausgaben nicht enthaltene Werke werden nach der Erweiterung des Miinchener Nachdrucks V.V.ChZebnikov, Sobranie sozinenij Bd.111 (Bandz6hlung: III) zitiert. Das Gedicht "Derevo" ist nach der Ausgabe Velimir Chlebnikov, Neizdannye proizvedenija (Bd.IV des Miinchener Nachdrucks, S. 277-78) wiedergegeben.
Die 2.
SphEre
der
Metaphern
in
"Derevo"
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Die Strahlenmetapher ist in Chlebnikovs Geschichtstheorie die mythopoetische Metapher fiir eine Art von Seelensubstanz (vgl. "Tezisy k vystupleniju", 1917,5, 259) der VBlker und der einzelnen Menschen ("l&i Chlebnikova", loc.cit.). Es mag hier aber daran erinnert werden, dass Chlebnikov dichterische Metaphern absichtlich und vorzugsweise in pseudowissenschaftliche terminologische Zusammenhgnge riickt, wenn er die enge Verbindung zwischen Poesie und naturwissenschaftlicher Kosmologie unterstreichen m8chte. So ist schon 1916 in der Schrift "Vremja mera mira" die folgende interessante Formulierung zu lesen: "Der Lehre von der Zeit ist es bestimmt einen wachsenden Strahl von Wundern [rastugzij 1uE &des] hervorzurufen. Es wird mSiglich sein, Brennspiegel und Fernrohre fiir Strahlen mit einer Wellenlsnge von 317 Jahren zu konstruieren. Die hier zu entdeckenden Strahlen der Vdlker und der einzelnen Seele [l&i narodov i otdel'noj du%] werden die schdne Reihe der Strahlen von Fresnel, Becquerel, Rdntgen und Hertz kr8nen" (III, 437 f.). Die Richtzahl 317, die Chlebnikov hier in den Mittelpunkt stellt, errechnet sich aus der Formel "365-48=317" (III, 438). Von der Zahl der Tage im Jahr wird die Zahl 48, vom Autor als Verhaltniszahl ("modul") bezeichnet, die dem Sonnensystem gleichmassig eigen ist, einfach subtrahiert. Den Berechnungen kdnnen aber such die Vielfachen dieser Zahlen, sowohl Jahre als such Tage, zugrundegelegt werden. 3. Die Lehre vom Sphairos trggt bei Chlebnikov freilich utopische Ziige . In "Kol iz budugzego" (1921/22) umschreibt der Dichter diesen Zustand durch einige seiner typischen Wortneubildungen (Neologismen). Eine "Menschheit ohne Staaten" umwachst die Erde (nebesnyj garovaten') die als "Patrouille" eine Kreisbahn beschreibt (dozorom katjas' po krugovatnju). Es entsteht eine Welt fiir die Menschen (mir ljudavy), und die "Erdkugel" (zemnoj gar) verstrijmt Blumenduft. Die Welt der Eintracht (des "soglasen") , in der es nur noch eintrachtige Nachbarn gibt, die ohne Streit leben kdnnen (mir somirencev), wird dabei mit dem Terminus "Somira" belegt ("Miteinanderwelt"). 4. Das Wort von der "blonden Bestie" (zver' belokuryj, s.u., NCh 452) stammt aus Nietzsches Schrift Zur Genealogie der Moral, 1877, erste Abhandlung: "Gut und B&se", "Gut und Schlecht", Kap.11. Dieses Tier gehert fiir Nietzsche zum Grundbestand aller "vornehmen Rassen".
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