Antibiotic Stewardship-Visiten: Zeitverschwendung oder Qualitätssteigerung?

Antibiotic Stewardship-Visiten: Zeitverschwendung oder Qualitätssteigerung?

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2015) 109, 535—541 Online verfügbar unter www.sciencedirect.com ScienceDirect journal homepage: http...

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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2015) 109, 535—541

Online verfügbar unter www.sciencedirect.com

ScienceDirect journal homepage: http://www.elsevier.com/locate/zefq

SCHWERPUNKT

Antibiotic Stewardship-Visiten: Zeitverschwendung oder Qualitätssteigerung? Evelyn Kramme a, André Bode b, Bibiane Steinborn c, Julia Thern d, Anette Friedrichs e,∗ a

Antibiotic Stewardship, Med. Klinik III/ Dezernat Apotheke, Uniklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Lübeck, Deutschland b Funktionsoberarzt Hygiene und Infektionsschutz, imland Klinik Rendsburg imland Klinik Eckernförde, Rendsburg, Eckernförde, Deutschland c Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, Dezernat Apotheke, Uniklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel, Deutschland d Dezernat Apotheke, Uniklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Lübeck, Deutschland e Antibiotic Stewardship, Klinik für Innere Medizin I / Dezernat Apotheke, Uniklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel, Deutschland Eingegangen/submitted 26. Juni 2015; überarbeitet/revised 11. September 2015; akzeptiert/accepted 24. September 2015

SCHLÜSSELWÖRTER Antibiotic Stewardship; Implementierung; Evaluierung



Zusammenfassung Einleitung: Antibiotic Stewardship (ABS)-Visiten gehören zu den Kernstrategien zur Optimierung der Antiinfektivatherapie. Diese werden entweder gemeinsam mit dem Behandlungsteam als ,,bedside‘‘-Visite oder als Kurvenvisite durchgeführt. Akzeptanz und Effektivität der beiden Möglichkeiten werden in diesem Artikel diskutiert. Methoden: In einem Fragebogen wurden die ärztlichen Mitarbeiter der Behandlungsteams um ihre Einschätzung der Tätigkeit des ABS-Teams gebeten. Dabei wurden u.a. die Art der Beratung, Beurteilung des Zeitaufwands, Qualität der Beratung und Umsetzung der Empfehlungen erfasst. Aufgrund eines sinkenden Umsetzungsgrades der Empfehlungen wurde die Art der Visitentätigkeit auf einer unfallchirurgischen Station von einer Kurvenvisite zu einer Visitenbegleitung geändert. Im Rahmen dieser Intervention wurde der Zeitumfang der Visitentätigkeit gemessen und der Antibiotikaverbrauch in empfohlenen Tagesdosen/100 Patiententage (RDD/100PT) berechnet.

Korrespondenzadresse: Dr. med. Anette Friedrichs, Antibiotic Stewardship, Klinik für Innere Medizin I / Dezernat Apotheke, Uniklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Schittenhelmstr. 12, 24105 Kiel, Deutschland. Tel.: +49 431 597 2979; Fax: +49 431 597 1842 E-Mail: [email protected] (A. Friedrichs).

http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2015.09.026 1865-9217/

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E. Kramme et al. Ergebnisse: Die Stationsärzte waren größtenteils mit Art und Umfang der bei ihnen durchgeführten ABS-Visitentätigkeit zufrieden und schätzten sie als effektiv ein. Der verbesserungswürdige Umsetzungsgrad der Empfehlungen auf einer unfallchirurgischen Station konnte durch die Umstellung auf eine Visitenbegleitung gesteigert werden, der Zeitaufwand musste hierzu vergrößert werden. Der Einsatz von Breitspektrum-Antibiotika wurde reduziert. Diskussion: ABS-Visiten durch entsprechend fortgebildetes Personal mit Mandat und Deputat der Klinikleitung werden als effektive Maßnahme zur Optimierung der Antiinfektivatherapie angesehen. Die Interaktion zwischen dem ABS-Team und dem ärztlichen Behandlungsteam trägt wesentlich zum Umsetzungsgrad der Empfehlungen bei.

KEYWORDS Antibiotic Stewardship; implementation; evaluation

Summary Introduction: One of the core strategies to optimize antiinfective therapy is to review antibiotic prescriptions. Therefore, Antibiotic Stewardship (ABS) team members either attend ward rounds or perform a chart review to provide feedback to and discuss with the attending physician. Acceptance and effectiveness of both options are discussed in this article. Methods: Attending physicians were asked to complete a questionnaire evaluating ABS activities. The modality of the reviewing process and its effectiveness, as well as the feasibility of recommendations was assessed. As the degree of implementation of ABS recommendations decreased on a trauma ward, the reviewing process was changed from chart review to attending the daily ward rounds. In this setting, the duration of the reviewing process and the consumption of antiinfectives in recommended daily doses/100 patient days (RDD/100PT) were assessed, comparing the two intervention modalities. Results: Attending physicians predominantly appreciated the modality and extent of ABS currently offered to them by the ABS team, rating it relevant and effective. Implementation of ABS recommendations was increased on the trauma ward by academic detailing during the daily ward round; the consumption of broad spectrum antibiotics was reduced. Discussion: ABS team members with formal authority and dedicated time for antibiotic stewardship activities effectively optimize antiinfective therapies by reviewing antibiotic prescriptions. The interaction of ABS experts and attending physicians contributes fundamentally to the effectiveness and degree of implementation of ABS interventions.

Einleitung Vor dem Hintergrund der weltweit steigenden AntibiotikaResistenzen ist die Patientensicherheit und die Qualität der Behandlung von Infektionskrankheiten gefährdet [1]. Ursächlich für die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen ist dabei unter anderem der häufig zu hohe Antibiotikaverbrauch [2]. Antibiotic Stewardship-Programme sind eine Möglichkeit, um die antiinfektive Therapie zu optimieren und die Qualität der infektiologischen Behandlung langfristig zu sichern [3]. Ziel von Antibiotic Stewardship (ABS)-Programmen ist dabei die patientenoptimierte Antibiotikatherapie, um ein bestmögliches klinisches Ergebnis für den Patienten zu erreichen und dabei das Risiko von Nebenwirkungen zu senken, eine optimale Kosteneffektivität sowie eine Stabilisierung der Resistenzentwicklung zu erzielen [4]. Die Auswahl der entsprechenden ABSMaßnahme hängt von den lokalen Gegebenheiten der einzelnen Krankenhäuser ab [5]. Mögliche ABS-Interventionen sind beispielsweise regelmäßige ABS-Visiten auf den Stationen, um die antiinfektive Therapie mit den behandelnden Ärzten zu diskutieren, sowie selektive Antibiogramme seitens des mikrobiologischen Labors, Deeskalationsalgorithmen, definierte Sonderrezeptregelungen für ausgewählte Antibiotika oder auch die Einführung computer-gestützter Expertensysteme. Wir beschreiben erstmalig den Aufbau eines interdisziplinären ABS-Teams an einem deutschen Universitäts-

klinikum sowie die inhaltliche und zeitliche Evaluation der ABS-Tätigkeit. Nach Erstellung von klinikspezifischen Empfehlungen zur empirischen Antibiotikatherapie wurden regelmäßige Visiten auf Normal-, Intensiv- und Intermediate Care-Stationen durchgeführt, weitere ABSInterventionen wie z.B. Sonderrezeptregelungen oder automatische ,,switch‘‘-Regelungen einer intravenösen in eine perorale Therapieform wurden im diskutierten Zeitraum nicht angewandt.

Methoden Durch Implementierung von je einer ärztlichen PlanVollzeitstelle Antibiotic Stewardship (ABS) und Finanzierung über Drittmittel gelang im Jahr 2012 die Etablierung eines ABS-Teams an den Campi Kiel und Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) entsprechend der Leitlinie Antibiotic Stewardship [6], bestehend aus je zwei ärztlichen und je zwei pharmazeutischen ABS-Teammitgliedern, mittlerweile alle ABS-Experten nach dem Curriculum der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Entscheidende Voraussetzung für die Etablierung von ABS durch die Teamleitung war das Mandat seitens des Vorstands, die Beratungstätigkeit auf dem gesamten Campus durchzuführen, sowie das alleinige Deputat hierfür. (Abb. 1) Dem klinischen Infektiologen obliegt die Teamleitung des ABS-Teams, seine Stelle ist mit einer Plan-Vollzeitstelle

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mit den behandelnden Kollegen die Antiinfektivatherapie zu optimieren. Zusätzlich werden telefonische Beratungen durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Anwendung der klinikinternen Empfehlungen gelegt, bzw. eruiert, welche Hindernisse der Umsetzung dieser Empfehlungen im Weg stehen. Durch Teilnahme des ABS-Teams an den Visiten werden die behandelnden Ärzte regelmäßig bzgl. der Inhalte der klinikinternen Empfehlungen und der mikrobiologischen Präanalytik geschult. Offene fachliche oder inhaltliche Fragen werden durch Mitglieder des ABS-Teams ggf. recherchiert und rückgemeldet.

ABS-Visiten

Abb. 1 Aufbau und Struktur des Antibiotic Stewardship— Teams am UKSH

gesichert. Der klinische Apotheker ist zu einem Teil über Drittmittel finanziert, der klinische Mikrobiologe bringt sich im Rahmen seiner täglichen Laborroutine ein, bzw. wird bei einer gesonderten Fragestellung um Rat gebeten. Zunächst wurden von den ABS-Teams in Zusammenarbeit mit Klinikvertretern und den Instituten für Mikrobiologie an beiden Campi klinikspezifische Empfehlungen zur kalkulierten Antibiotikatherapie für die wichtigsten Infektionsdiagnosen erstellt. Im Rahmen von Klinikbesprechungen wurden diese vorgestellt, diskutiert und implementiert. Sie sind für alle Kliniken in Form von Kitteltaschenkärtchen erhältlich. Je nach Erfordernissen der Station (IntensivIntermediate Care, Normalstation) bzw. Klinik (konservativ, chirurgisch) werden regelmäßige Oberarzt-, Stations- oder Kurvenvisiten von den Infektiologen, z.T. zusammen mit den klinischen Pharmazeuten, durchgeführt, um gemeinsam

Abb. 2

In Abb. 2 sind die unterschiedlichen Aufgaben der Stationsärzte einerseits und des ABS-Teams andererseits beschrieben. Während der Stationsarzt die vielfältigen Akutsituationen mehrerer Patienten simultan koordinieren muss, liegt der Fokus des ABS-Teams auf der interdisziplinären Betrachtung infektiologischer Probleme einzelner Patienten in verschiedenen Abteilungen. Für den Stationsarzt kann also das infektiologische Problem einzelner Patienten eine geringere Priorität haben, das ABS-Team muss seine infektiologische Beratung auf den klinischen Gesamtkontext anpassen. Gemeinsam bewerten Stationsarzt und Infektiologe klinische, laborchemische, mikrobiologische und sonstige Befunde und gelangen unter Berücksichtigung der Vorerkrankungen, Organfunktionen und Begleitmedikation zu einer Therapieentscheidung, die durch weitere Beratung mit Mikrobiologen und/oder Pharmazeuten gestützt sein kann. Die Beratungstätigkeit im Verlauf der ABS-Visiten wurde auf einem ABS-Dokumentationsbogen erfasst. Neben der Dokumentation der verschiedenen Interventionen (z.B. ,,absetzen‘‘, ,,Eskalation‘‘, ,,Deeskalation‘‘, ,,Beratung bzgl. Substanzwahl‘‘, etc.) wurde zudem vermerkt, ob die Empfehlungen des ABS-Teams vom Stationsarzt übernommen wurden (,,umgesetzt‘‘, ,,nicht umgesetzt‘‘, ,,nicht bekannt‘‘). Fehlte eine entsprechende Rückmeldung, so wurde ,,nicht bekannt‘‘ ausgewählt. Darüber hinaus wurde der zeitliche

Interaktionen zwischen Stationsarzt und ABS-Team

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Abb. 3

Evaluierung der Art der Visitendurchführung, Campus Lübeck

Aufwand der Visitentätigkeit dokumentiert sowie der Antibiotikaverbrauch in ,,recommended daily doses‘‘ (RDD)/100 Patiententage (PT) berechnet. Im Gegensatz zu den von der WHO definierten ,,defined daily doses‘‘ (DDD) liegt in Deutschland die empfohlene Tagesdosis an Antibiotika in vielen Fällen höher. In Deutschland wird daher zur Berechnung der Antibiotikaverbrauchsdichte die Einheit RDD/100 PT bevorzugt verwendet [7]. Die in Abb. 2 erwähnten unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und -abläufe führten dazu, dass es nicht immer möglich war, den Umsetzungsgrad der Visitenempfehlung nachzuvollziehen. Dies war z. B. der Fall, wenn nach Durchführung einer Kurvenvisite Empfehlungen schriftlich hinterlassen wurden, die Beratung telefonisch erfolgte oder die Visite ohne den für die Therapieentscheidung erforderlichen Oberarzt durchgeführt wurde. Interessant war nun herauszuarbeiten, welche strukturellen oder inhaltlichen Maßnahmen geändert werden sollten, um die Adhärenz an die Visitenempfehlungen zu verbessern.

Visitenevaluation Um eine Einschätzung der Visitentätigkeit und der angebotenen Beratungsformen (Kurvenvisite, Visite am Patientenbett, telefonische Beratung, schriftliche Empfehlung in der Kurve) durch die klinisch tätigen Kollegen zu erlangen, führten wir eine Evaluation der ABS-Tätigkeit mittels Fragebögen durch. Außerdem sollte herausgefunden werden, ob und in welcher Form sich Hindernisse bei der Umsetzung der Empfehlungen ergeben und welche Vorschläge zur Weiterentwicklung der ABS-Tätigkeiten von den klinisch tätigen Kollegen geäußert werden. Hierfür wurde ein Fragebogen entwickelt und an die klinisch tätigen Kollegen der visitierten Stationen an beiden Campi verteilt. Dieser Fragebogen gliederte sich in folgende Bereiche:

1. ABS-Team: Erfassung von Kenntnis über das Bestehen des Teams, Erreichbarkeit und Hilfsbereitschaft / fachliche Unterstützung. 2. ABS-Visite: Abfrage von gewünschter Häufigkeit, Dauer und Art der Visite (Kurvenvisite vs. persönliche Visitenbegleitung mit oder ohne Oberarzt), sowie Veränderungen im Verordnungsverhalten durch ABS-Visiten.

3. ABS-Kitteltaschenkärtchen: Erfassung von Benutzung und der Inhalt der hausinternen Antibiotikaempfehlungen in Form von Kitteltaschenkärtchen. Ebenfalls abgefragt wurde, wie die Visitentätigkeit von den klinisch tätigen Kollegen empfunden wurde (z.B. Unterstützung, Zeitverschwendung, sinnvolle Ergänzung der bestehenden Visitentätigkeit).

Ergebnisse Die Implementierung der ABS-Visitentätigkeit führte bei einem überwiegenden Teil der klinisch tätigen Kollegen zu einer großen Akzeptanz. Hilfreich dafür war unter anderem die langjährige klinisch-infektiologische Erfahrung der ärztlichen Kollegen des ABS-Teams. Von den ausgegebenen Fragebögen gab es einen Rücklauf von 71%. Deutlich wurden einerseits eine hohe Akzeptanz und eine große Zufriedenheit mit dem jeweiligen bestehenden System der Visitentätigkeit von überwiegend Kurvenvisiten auf den Normalstationen und Stations- oder Oberarztvisiten in Intensiv- oder Intermediate Care- (IMC) Bereichen (Abb. 3). 57% der durchgeführten Visitentätigkeit fand als Kurvenvisite statt, 27% als Visite am Bett (davon 9% als OA-Visite) und 13% fallbezogene Beratungen (telefonisch oder persönlich).

Abb. 4 Adhärenz an die Empfehlungen der ABS-Visiten vor (Februar-April und Mai-Juli) bzw. während (August-Oktober) der Visitenbegleitung (%) in 2014

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Abb. 5 Einfluss von ABS-Maßnahmen wie Kurvenvisten (Aug — Okt 2013) oder Visitenbegleitung (Aug — Okt 2014) auf den Antibiotikaverbrauch in RDD/100 Patiententage im Vergleich zum gleichen Zeitraum vor Beginn der ABS-Tätigkeit auf der untersuchten Station (Aug — Okt 2012)

In den meisten Fällen wurden die Empfehlungen des ABS-Teams umgesetzt, die sich häufig auf eine Deeskalation der primär begonnenen Antibiotikatherapie, eine kritische Bewertung der Infektionsdiagnose und eine Festlegung der Therapiedauer bezogen. Durch die Optimierung der Antiinfektivatherapie konnte die Antiinfektivaverbrauchsdichte an beiden Campi deutlich reduziert werden. Auf einer unfallchirurgischen Station am Campus Kiel wies die Adhärenz an die Visitenempfehlung bei Kurvenvisiten ohne Beisein des behandelnden Arztes im Beobachtungszeitraum einen hohen Anteil mit nicht bekanntem Ausgang auf (45,5% im 1. Quartal 2014, 66,7% im 2. Quartal 2014). Zur Optimierung der Kommunikation zwischen den behandelnden Ärzten und dem ABS-Team wurde probeweise auf eine Visitenbegleitung über einen Zeitraum von drei Monaten gewechselt.

Abb. 6

Im Verlauf der Begleitung konnte eine Verbesserung der Adhärenz an die Empfehlung des ABS-Teams gezeigt werden (Abb. 4), der Anteil der Empfehlungen mit nicht bekanntem Ausgang ging auf 19% zurück. Gleichzeitig veränderte sich das Antibiotikaverordnungsverhalten dahingehend, dass im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres weniger Breitspektrum- und Reserveantibiotika verordnet wurden. Fluorchinolone nahmen im Zeitraum August — Oktober 2014 um 18,9%, 3.Generation Cephalosporine um 33,38% und Glykopeptide um 64% ab (Abb. 5) als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Betrachtet man die Antibiotikaverbrauchsdichte vor Beginn der ABS-Visitentätigkeit (2012) im Vergleich zu gleichen Zeiträumen mit ABS-Kurvenvisiten (2013) und ABS-Visitenbegleitung (2014), so wird deutlich, dass die Tatsache der Implementierung des ABS-Teams schon messbare Effekte auf den Antibiotikaverbrauch aufweisen kann, die

Dauer der Visitentätigkeit in Minuten

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E. Kramme et al.

Visitenbegleitung jedoch den größten (Abb. 5). Die Antibiotikaverbrauchsdichte (Antibiotikaverbrauchsdichte in RDD/100 PT) nahm im Zeitraum der Visitenbegleitung (August 2014: 46,87 RDD/100 PT; Oktober 2014: 35,47 RDD/100 PT) um insgesamt 24,3% ab. Im Vergleich dazu stieg die Antibiotikaverbrauchsdichte in 2012 im gleichen Zeitraum um 3,8% (August 2012: 51,9 RDD/100 PT; Oktober 2012: 53,86 RDD/100 PT) sowie in 2013 um 7,2% (August 2013: 41,27 RDD/100 PT; Oktober 2013: 44,26 RDD/100 PT) an. Die Behandlungstage waren in allen neun dargestellten Monaten in etwa gleich (1076 +- 30,8; Mittelwert +- SD). Der zeitliche Aufwand für die ABS-Visitentätigkeit wurde durch eine Visitenbegleitung im Vergleich zur reinen Kurvenvisite deutlich höher: Für eine Kurvenvisite wurden durchschnittlich 42 min beansprucht (15-90 min), für eine Visitenbegleitung durchschnittlich 105 min (30-150 min) (Abb. 6). Während des Zeitraumes der Visitenbegleitung (August-Oktober 2014) wurden 141 Interventionen bei 93 Patienten dokumentiert (Faktor 1,5), während der beiden Zeiträume davor 79 Interventionen bei 60 Patienten (Mai-Juli 2014, Faktor 1,3) bzw. 75 Interventionen bei 74 Patienten (Februar-April 2014, Faktor 1,0).

Diskussion Die Art und der Erfolg von ABS-Maßnahmen sind abhängig von lokalen Gegebenheiten und personeller Situation (Anzahl, Deputat, Mandat) des ABS-Teams. Klinikinterne Leitlinien zur Antibiotikatherapie sowie interdisziplinäre ABS-Teams sind die am häufigsten implementierten Interventionen [8]. Je nach personeller Besetzung und zeitlicher Verfügbarkeit des ABS-Teams und auf den Stationen kann eine Beratungstätigkeit auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: • • • •

als als als als

Visite mit Stations- und/oder Oberarzt, Kurvenvisite mit oder ohne behandelnde Ärzte oder Telefonberatung schriftliche Empfehlung in der Patientenkurve.

Die Visiten sind sicher am zeitaufwendigsten, bieten aber den Vorteil, Fragen im direkten Gespräch klären und die angewandte Therapiestrategie am konkreten Beispiel schulen zu können. Durch eine gemeinsame Diskussion im interdisziplinären Team unter Beteiligung des Stationsarztes kann die Therapie direkt an Befunde und die klinische Situation des Patienten angepasst werden. Auch wenn eine erfolgreich implementierte ABS-Maßnahme wie z.B. regelmäßige Kurvenvisiten bereits einen deutlichen Einfluss auf das Verschreibungsverhalten von Antibiotika haben kann, sehen wir die gemeinsame Visitentätigkeit mit entsprechender ausführlicher Diskussion der Antibiotikatherapie als Hauptursache für die Abnahme des Antibiotikaverbrauchs in der dargestellten unfallchirurgischen Station an. Andere Ursachen wie z.B. ein verändertes Spektrum mit weniger infektiologischen Krankheitsbildern im untersuchten Zeitraum können sicherlich nicht ausgeschlossen werden. Da jedoch der betrachtete Zeitraum jahreszeitlich dem der Vorjahre entspricht und der Antibiotikaverbrauch in einer unfallchirurgischen Klinik erfahrungsgemäß im Jahresverlauf in den Sommer- und Herbstmonaten aufgrund von vermehrten Verkehrsunfällen mit nachfolgenden komplizier-

ten Wundinfektionen am höchsten ist, betrachten wir diese Möglichkeit als weniger wahrscheinlich. Die hier gewählte Darstellung der Antibiotikaverbrauchsdichte (RDD/100 PT) berücksichtigt lediglich die Bettenbelegung, nicht aber die genaue durchschnittliche Hospitalisationsdauer der stationären Patienten. Damit ist es theoretisch möglich, dass einige wenige komplexe Patienten mit langer Hospitalisationsdauer höhere Verbrauchsdichten verursachen. Aufgrund der Betrachtung eines gleichen Zeitraums in drei aufeinander folgenden Jahren, sehen wir den Anstieg der Antibiotikaverbrauchsdichte im Oktober 2012 und 2013 als saisonal bedingt, den Abfall im Oktober 2014 jedoch als Effekt des ABS-Teams im Rahmen einer Visitenbegleitung an. Der Ansatz eines interdisziplinären ABS-Teams wird in der Literatur als Schlüsselindikator für ein erfolgreiches ABSProgramm dargestellt [4,9]. Im Rahmen der Fragebogenaktion stellten wir fest, dass die mit den jeweiligen Bereichen vorab vereinbarte Art der Beratungstätigkeit überwiegend gut akzeptiert wurde. In Bereichen, in denen die Adhärenz an die Empfehlungen häufig nicht geklärt werden konnte, erwies es sich als günstig, die Beratungstätigkeit durch direkten persönlichen Kontakt zu intensivieren. Fachpersonal für Infektiologie kann durch effektive Kommunikation und Überwinden eingespielter ,,Barrieren‘‘ im klinischen Alltag eine wichtige Führungsrolle für die Patientensicherheit bekommen [10]. Vor allem klinische Infektiologen haben dabei eine Schlüsselfunktion, das Verschreibungsverhalten von Antibiotika günstig zu beeinflussen [11]. Eine gemeinsame Entscheidungsfindung erhöht die Adhärenz an die Empfehlung und ermöglicht für alle Beteiligten eine Steigerung der Kompetenz im Umgang mit Fragestellungen in Bezug auf die Antibiotikatherapie. Der Zeitaufwand bei den persönlichen Visitenbegleitungen war im Durchschnitt mehr als doppelt so hoch als bei den alleinigen Kurvenvisiten. Im persönlichen Gespräch konnten jedoch umfassendere Aspekte zur Antibiotikatherapie der Patienten geklärt und damit mehr Interventionen umgesetzt werden, als dies bei einer Kurvenvisite der Fall war. Der Mangel an entsprechend qualifiziertem Personal mit Deputat begrenzt die Möglichkeit, flächendeckend eine solche Visitentätigkeit anzubieten. Es ist daher notwendig, den Stellenwert der klinischen Infektiologie zu erhöhen und einerseits mehr Weiterbildungsstellen sowie andererseits mehr ABS-Stellen mit entsprechendem Deputat und Mandat zu schaffen. Evaluierungen der ABS-Tätigkeit wie die vorliegende können gegenüber einer Geschäftsführung dokumentieren, welchen Stellenwert eine ABS-Tätigkeit im vorliegenden Umfang und personeller Besetzung für die klinisch tätigen Kollegen und für die Therapiesicherheit des Patienten hat.

Fazit Eine qualifizierte Visitentätigkeit im interdisziplinären Team mit klinischen Infektiologen und fortgebildeten Pharmazeuten führt zu guter Adhärenz an die Beratungsergebnisse und Akzeptanz durch die klinisch tätigen Kollegen. Die Visitentätigkeit wird trotz hohem Zeitaufwand überwiegend als sinnvoll und bereichernd empfunden. Eine effektive und

Antibiotic Stewardship-Visiten: Zeitverschwendung oder Qualitätssteigerung? nachhaltige ABS-Visitentätigkeit lässt sich nur mit in ABS qualifiziertem Personal (Ärzte und Apotheker) etablieren. Das Mandat und das Deputat seitens der Klinikleitung müssen vorhanden sein und der Größe des Hauses entsprechen. Um eine flächendeckende qualifizierte Beratung zu ermöglichen, ist es wünschenswert, mehr infektiologisch qualifizierte Ärzte und Pharmazeuten auszubilden.

Zur Kenntnis Die Etablierung eines interdisziplinären ABS-Team wurde durch Fördermittel des Bundesministeriums für Gesundheit, Förderkennzeichen IIA5-2512FSB113 unterstützt.

Interessenskonflikt Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenskonflikte haben.

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