HYGIENE AKTUELL
HIV-Infektionen und AIDSErkrankungen in Deutschland
Aktuelle epidemiologische Daten (Stand vom 01.09.2006) Halbjahresbericht I/2006 aus dem Robert KochInstitut
Entwicklung der HIV-Meldedaten Bis zum 01.09.2006 wurden dem RKI fu¨r das erste Halbjahr 2006 insgesamt 1.197 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet. Damit bleibt die Zahl der HIVNeudiagnosen im ersten Halbjahr 2006 auf dem hohen Niveau der beiden vorangegangenen Halbjahre 2005 (jeweils 1.254 bzw. 1.232 HIV-Neudiagnosen) und liegt aktuell ca. 50% ho¨her als in den Jahren 1999 bis 2001, in denen der bisherige Tiefpunkt der Inzidenz erreicht worden war. Betrachtet man die Entwicklung der HIVNeudiagnosen in den verschiedenen Betroffenengruppen, so lassen sich in allen Gruppen –außer den Personen mit Herkunft aus Hochpra¨valenzregionen – gegenu¨ber den beiden Vorhalbjahren keine wesentlichen A¨nderungen feststellen. In der Gruppe der Ma¨nner, die Sex mit Ma¨nnern haben (MSM), nimmt die Zahl nur noch leicht um 3% gegenu¨ber dem Vorhalbjahr zu und erreicht damit den ho¨chsten Wert seit 1993. Die Absolutzahl der HIV-Erstdiagnosen bei Frauen in Deutschland hat sich in den letzten Jahren praktisch nicht vera¨ndert und betra¨gt zwischen 400 und knapp 500 Fa¨llen pro Jahr. Der Anteil der Frauen an den HIV-Erstdiagnosen ist aber seit dem Jahr 2000 von 26% auf derzeit 18% gefallen, da die Zunahme der HIV-Erstdiagnosen in den letzten Jahren in erster Linie bei Ma¨nnern erfolgte. Dies steht im Gegensatz zur weltweiten Entwicklung, wo der heterosexuelle Infektionsweg im Vordergrund steht und wo der Anteil der Frauen an den Infizierten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist und mittlerweile anna¨hernd 50% erreicht.
Angaben zum Infektionsweg lagen fu¨r 86% der im ersten Halbjahr 2006 neu diagnostizierten HIV-Infektionen vor. Darunter stellen MSM mit 62% die gro¨ßte und in den letzten Jahren anteilsma¨ßig wie auch in absoluten Zahlen am kontinuierlichsten anwachsende Gruppe. Erstmals seit 2001 stellen im ersten Halbjahr 2006 Personen, die ihre HIV-Infektion durch heterosexuelle Kontakte erworben haben und nicht aus Hochpra¨valenzla¨ndern stammen (Hetero), mit 17% die zweitgro¨ßte Betroffenengruppe dar und verdra¨ngen damit Personen, die aus La¨ndern mit einer hohen HIV-Pra¨valenz in der allgemeinen Bevo¨lkerung (Hochpra¨valenzla¨nder, HPL) stammen, mit 13% auf den dritten Platz bei den HIV-Erstdiagnosen. Es ist anzunehmen, dass der u¨berwiegende Teil der Personen aus HPL sich in ihren Herkunftsla¨ndern infiziert hat. Die Gruppe der Personen, die eine HIVInfektion u¨ber i.v. Drogengebrauch (IVD) erworben haben, stand mit 7% unvera¨ndert an vierter Stelle. Im ersten Halbjahr 2006 wurden 7 HIV-Infektionen bei Kindern und Neugeborenen HIVinfizierter Mu¨tter (PPI) diagnostiziert (1%).
Analyse der Entwicklungen und Trends bei den neu diagnostizierten HIV-Infektionen Wie bereits im letzten Halbjahresbericht erwa¨hnt, scheint der bei MSM in den letzten Jahren zu beobachtende Anstieg der HIV-Erstdiagnosen mittlerweile in allen Regionen, nicht nur in den Großsta¨dten, in ein Plateau u¨berzugehen. Die Altersverteilung der HIV-Neudiagnosen bei MSM zeigt in den letzten Jahren steigende Anteile von Neudiagnosen bei ju¨ngeren (unter 30-ja¨hrigen) und a¨lteren (u¨ber 40-ja¨hrigen) MSM. Auch wenn man die Zahl der Erstdiagnosen auf die Anzahl der Personen in den jeweiligen Altersgruppen bezieht, zeigt sich in der Altersgruppe der 30- bis 39-ja¨hrigen MSM ein Abflachen des Inzidenzanstiegs seit 2003, wa¨hrend die Inzidenz in der Altersgruppe der 25- bis 29-ja¨hrigen MSM seit 2003 steil ansteigt und 2005 und im ersten Halbjahr 2006 ho¨her ist als in der Altersgruppe 30–39 Jahre. Bei den auf heterosexuellem Wege erworbenen HIV-Infektionen bei Personen, die nicht aus HPL stammen, zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Herkunft und der
wahrscheinlichen Infektionsregion: Unter den auf heterosexuellem Weg infizierten Ma¨nnern ist der Anteil der Ma¨nner nichtdeutscher Herkunft mit 20% etwa gleich groß wie der entsprechende Anteil der Frauen. Fu¨r 15% der Ma¨nner und 19% der Frauen, die sich auf heterosexuellem Weg infiziert haben und nicht aus HPL stammen, liegen keine Angaben zur Herkunftsregion vor. Ha¨ufigste ausla¨ndische Herkunftsregionen fu¨r die Personengruppe mit heterosexuellem Infektionsrisiko sind Zentral- und Osteuropa sowie westeuropa¨ische La¨nder. Bei Ma¨nnern spielt Asien als Herkunftsregion noch eine nennenswerte Rolle, bei Frauen Lateinamerika. Der Nahe Osten und Nordafrika (in diese Region fa¨llt auch die Tu¨rkei) spielen als Herkunftsregion fu¨r HIV-Infizierte mit heterosexuellem Risiko eine verglichen mit dem Anteil an der Gesamtbevo¨lkerung geringe Rolle. Betrachtet man in der Gruppe der Personen mit heterosexuellem Infektionsrisiko (ausgenommen die Personen, bei denen Hochpra¨valenzregionen als Herkunftsregion angegeben sind) nicht die Herkunftsregion der Infizierten, sondern die Region, in der die Infektion stattgefunden hat, dann ist der Anteil der wahrscheinlich im Ausland erworbenen HIV-Infektionen bei Ma¨nnern mit 33% deutlich ho¨her als bei Frauen mit 19%. Bei Ma¨nnern spielt hier Su¨dostasien die gro¨ßte Rolle, gefolgt von Subsahara-Afrika, Zentral- und Osteuropa und Westeuropa. Bei Frauen spielt Su¨dostasien als Infektionsregion dagegen eine vernachla¨ssigbar geringe Rolle, die meisten im Ausland erworbenen Infektionen bei Frauen haben in Subsahara-Afrika stattgefunden, gefolgt von Zentral- und Osteuropa. Bei den heterosexuell Infizierten, die sich in Zentral- und Osteuropa infiziert haben, stammen auch fast alle aus diesen Regionen. Von den auf heterosexuellem Wege Infizierten deutscher Herkunft, die sich im Ausland mit HIV infiziert haben, wurde als Infektionsland bei Ma¨nnern in erster Linie Su¨dostasien und am zweitha¨ufigsten Subsahara-Afrika genannt, wa¨hrend sich die Frauen u¨berwiegend in Subsahara-Afrika infiziert haben. Keine Angaben zur Infektionsregion liegen fu¨r 13% sowohl der Ma¨nner als auch der Frauen vor. Bei i.v. Drogengebrauchern ergibt sich bundesweit keine wesentliche Vera¨nderung in der Gesamtzahl der Erstdiagnosen gegenu¨ber den beiden Vorhalbjahren. Der u¨berproportional hohe Anteil von MelKrh.-Hyg. + Inf.verh. 29 Heft 2 (2007): 67–68 http://www.elsevier.de/khinf
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dungen aus Nordrhein-Westfalen, auf den bereits im vorangegangenen Halbjahresbericht hingewiesen wurde, bleibt auch im ersten Halbjahr 2006 bestehen und versta¨rkt sich sogar noch. Dabei hat in NRW der Anteil der Frauen unter den Meldungen u¨ber neu diagnostizierte HIVInfektionen bei i. v. Drogengebrauchern deutlich zugenommen: Er steigt von 24% im Jahre 2005 auf 42% im ersten Halbjahr 2006. Die Zahl der bei Kindern unter 15 Jahren in Deutschland neu diagnostizierten HIVInfektionen im ersten Halbjahr 2006 betrug acht Fa¨lle. Sieben der acht Fa¨lle mu¨ssen als Mutter-Kind-U¨bertragungen eingeordnet werden, da Informationen u¨ber eine HIV-Infektion der Mutter vorliegen. Bei vier in Deutschland geborenen Kindern war die HIV-Infektion der Mutter in zwei Fa¨llen in der Schwangerschaft bekannt und es erfolgte eine regelgerechte Prophylaxe, die jedoch in diesen beiden Fa¨llen offenbar versagte. Es gab keine auffa¨lligen Probleme in der Schwangerschaft oder bei der Geburt, die das Prophylaxeversagen erkla¨ren ko¨nnten. Erfreulicherweise wurden im Jahr 2006 bisher keine Mutter-Kind-U¨bertragungen entdeckt, die auf eine nicht erfolgte Testung der Mutter in einer Schwangerschaft in Deutschland seit Anfang 2005 zuru¨ckzufu¨hren wa¨re. Anfang 2005 hatte das Robert Koch-Institut in einem Schreiben an alle niedergelassenen Frauena¨rzte in Deutschland darauf hingewiesen, dass allen Schwangeren ein HIV-Test im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen empfohlen werden sollte.
Entwicklung bei den AIDSErkrankungen Zwischen dem 01.07.2005 und dem 30.06.2006 sind insgesamt 820 Berichte u¨ber neu an AIDS erkrankte Personen eingegangen. Damit steigt die Gesamtzahl der an das Robert Koch-Institut berichteten, seit Beginn der Epidemie mit dem Vollbild AIDS erkrankten Personen auf insgesamt 24.620. Wie bereits im vorangegangenen Halbjahresbericht dargelegt, gibt es erhebliche regionale Unterschiede bezu¨glich der Vollsta¨ndigkeit der Meldung von AIDS-Fa¨llen. Relativ vollsta¨ndig werden AIDS-Fa¨lle aus Berlin, Hamburg und Frankfurt
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Verspa¨tete Diagnose einer HIV-Infektion als Ursache fu¨rTodesfa¨lle an AIDS
Zustand der Patienten so stark verschlechtern, dass eine dann schließlich nach erfolgter HIV-Diagnose eingeleitete Behandlung zu spa¨t begonnen wird und der Tod des Patienten damit nicht mehr verhindert werden kann. Eine Analyse der an das AIDS-Fallregister gemeldeten Todesfa¨lle bei Personen, bei denen eine AIDS-Diagnose in den letzten drei Jahren erfolgte und bei denen der Erstnachweis einer HIV-Infektion ebenfalls erst bei oder kurz vor der AIDS-Diagnose erfolgte, kann Hinweise darauf geben, wie groß der Anteil der Todesfa¨lle in verschiedenen Patientengruppen ist, der durch eine fru¨hzeitigere Diagnose der HIV-Infektion vermieden werden ko¨nnte. Zu beru¨cksichtigen ist, dass nicht nur die Meldungen von AIDSFa¨llen, sondern auch die Meldungen von Todesfa¨llen an das AIDS-Fallregister unvollsta¨ndig sind. Da die Erfassung von AIDS-Fa¨llen und Todesfa¨llen bei HIV-Infizierten wertvolle Hinweise auf Probleme und Defizite in der klinischen Versorgung geben kann, fordern wir alle in der Versorgung von HIV- und AIDS-Patienten ta¨tigen A¨rzte in Kliniken und im niedergelassenen Bereich auf, AIDS-Fa¨lle und Todesfa¨lle bei HIV-Infizierten an das (freiwillige) AIDS-Fallregister am Robert Koch-Institut zu melden. Meldeformulare ko¨nnen beim RKI telefonisch (030 .45 47-33 14 oder -34 24 und per E-Mail (
[email protected]) angefordert werden. Die Analyse zeigt, dass etwa 1/3 bis 2/5 der Todesfa¨lle bei MSM, Patienten mit heterosexuellem Infektionsrisiko und Patienten ohne Angabe eines Infektionsrisikos mo¨glicherweise auf das zu spa¨te Erkennen der HIV-Infektion zuru¨ckzufu¨hren sind. Bei den verstorbenen i.v. Drogengebrauchern war dagegen die HIV-Infektion in 95% der Fa¨lle la¨nger als 2 Jahre vor dem Tod bereits bekannt, d. h. dass in dieser Gruppe das Versagen, Absetzen oder Vermeiden einer Therapie die entscheidenden Gru¨nde fu¨r das Versterben der Patienten sind. Am ho¨chsten ist der Anteil der kurz nach der HIV-Diagnose verstorbenen Patienten bei Personen aus Hochpra¨valenzla¨ndern, ein Indiz fu¨r einen schlechten Zugang dieser Gruppe zum medizinischen Versorgungssystem.
Wird eine HIV-Infektion nicht rechtzeitig beim Auftreten gesundheitlicher Probleme diagnostiziert, kann sich der klinische
c Quelle: Epidemiologisches Bulletin/ Sonderausgabe B 31. Oktober 2006
berichtet. Auch die Zahl der aus Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern berichteten Fa¨lle entspricht weitgehend den Erwartungen. Regional unterschiedlich stellt sich die Situation in Nordrhein-Westfalen dar. Insbesondere die Zahl der aus Ko¨ln berichteten Fa¨lle erscheint zu niedrig. Leichte bis deutliche Untererfassung la¨sst die Zahl der Berichte aus Niedersachsen, Bremen und Nordhessen vermuten. Eine erhebliche Untererfassung von AIDS-Fa¨llen–mit lokalen Ausnahmen – muss fu¨r alle su¨dlichen Bundesla¨nder, d. h. Bayern, Baden-Wu¨rttemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen angenommen werden. Unter den zwischen 01.07.2003 und 30.06.2006 neu an AIDS Erkrankten waren 81% Ma¨nner und 19% Frauen. Unter den im angegebenen 36-Monatszeitraum an AIDS erkrankten Ma¨nnern stellen Ma¨nner, die Sex mit Ma¨nnern haben (MSM), mit 58% die gro¨ßte Gruppe dar. Fu¨r 21%der berichteten AIDS-Fa¨lle bei Ma¨nnern liegen keine Angaben zum Infektionsrisiko vor. Mit 9% liegt bei den Ma¨nnern Drogengebrauch an zweiter Stelle unter den bekannten Infektionsrisiken, gefolgt von der Herkunft aus einem Land mit einer hohen HIV-Pra¨valenz in der allgemeinen Bevo¨lkerung (Hochpra¨valenzla¨nder, HPL) mit 6% und einer Infektion u¨ber heterosexuelle Kontakte mit 5%. Deutlich unterschiedlich stellt sich die Risikoverteilung bei Frauen dar. 46% der AIDS-Fa¨lle bei Frauen werden bei Frauen aus Hochpra¨valenzregionen diagnostiziert. Fu¨r 25% der gemeldeten AIDSkranken Frauen fehlt eine Angabe zum Infektionsrisiko. Diese 25% verteilen sich zu unbekannten Anteilen im Wesentlichen auf Drogengebraucherinnen und Frauen, die sich u¨ber heterosexuelle Kontakte infiziert haben. Mitgeteilt wurden entsprechende Risiken fu¨r 16% (Drogengebrauch) bzw. 13% (heterosexuelle Kontakte) der in den letzten 36 Monaten diagnostizierten weiblichen AIDS-Fa¨lle.