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€ ckengerechte Arbeitsweisen in der Pflege – was wirkt? Ru Martina Michaelis Muskel- und Skeletterkrankungen (MSE) im Pflegeberuf sind nach wie vor ein großes gesundheitliches und volkswirtschaftliches Problem. Ursa¨chlich sind neben psychosozialen Faktoren vor allem die hohe Zahl bandscheibenbelastender Ta¨tigkeiten und ungu¨nstiger Arbeitshaltungen beim Patientenhandling (Ja¨ger et al., 2008, Freitag et al., 2007, Hartvigsen et al., 2004). Die Zahl international publizierter Studien, die sich mit Pra¨ventionsstrategien bei MSE bescha¨ftigen, ist in den letzten Jahrzehnten unu¨berschaubar geworden. Arbeitsweltbezogene systematische Reviews und Meta-Analysen mit gepoolten Daten helfen, die Frage nach der Wirksamkeit einzelner Pra¨ventionsstrategien evidenzbasiert zu beantworten. Als methodischer ,,Goldstandard‘‘ fu¨r die Evidenzbasierung von Studienergebnissen gilt dabei – wie in der klinischen Forschung allgemein – der
randomized controlled trial (RCT). Aus sozialwissenschaftlicher Sicht entzu¨ndet sich an diesem Konzept aber auch Kritik, da es sich auf komplexe betriebliche Pra¨ventionsstrategien sehr viel schwieriger u¨bertragen la¨sst als auf Therapiestrategien (Bo¨deker, 2011). Andere Indikatoren fu¨r die Gu¨te von Studien sind die Angemessenheit von Teilnehmerzahlen, Kontrollgruppe und Zielgro¨ßen sowie die Kontrolle von Sto¨rvariablen und die Transparenz der Studiendokumentation. Zur Wirksamkeitsbeurteilung einer Pra¨ventionsmaßnahme werden die meist in peerreviewed journals publizierten Studien von den Autoren systematischer Reviews in fu¨nf Evidenzstufen hierarchisiert (siehe Abbildung 1 (van Tulder et al., 1997/2003)). Im Rahmen einer eigenen Literaturexpertise zur Identifizierung und Priorisierung relevanter MSE-Pra¨ven-
tionsthemen und Handlungsfelder (Michaelis und Hofmann, 2009) wurden von insgesamt 21 systematischen Reviews vier mit pflegeberufsspezifischer Orientierung identifiziert; siehe Tabelle 1 (Hignett, 2003, Bos et al., 2006, Dawson et al., 2007, Amick et al., 2007). Tullar et al. (2010) legten zudem ku¨rzlich ein Update des Reviews von Amick et al. vor. Nach diesen Reviews besteht derzeit u¨bereinstimmend eine moderate bis starke Evidenz fu¨r die Erkenntnis, dass singula¨r implementierte Pra¨ventionsmaßnahmen keine prima¨rpra¨ventiven Effekte auf die Zielgro¨ße MSE haben. Dies betrifft vor allem edukative Maßnahmen wie das Training ru¨ckenfreundlicher Arbeitstechniken oder Stressmanagement. Eindeutige Aussagen fu¨r Effekte von ¨ bungen zur Verbesserung der ko¨rU perlichen Fitness ko¨nnen den pflegeberufsspezifischen Reviews nicht
Abbildung 1. Evidenzstufen.
17.e1
17.e2 Tabelle 1: Evidenz positiver Effekte typischer betrieblicher Pra¨ventionsmaßnahmen in der Pflege auf die Zielgro¨ße ,,MSE‘‘. Legende: ES = Evidenzstufe (Kategorien 1-5, Zuordnung siehe Abbildung 1). Autor (en)
singula¨re Maßnahmen (verhaltensbezogen): Edukation/Training
Studienanz./ -qualita¨t
Fitness, ¨ bungen U Effekte
manuelles Patientenhandling
Stressmanagement
ergonomische Hilfsmittel
Effekte
Effekte
Effekte
ES
ES
nein
1
nein
1
unklar 4
nein
2
nein
2
4
4
ja
unklar [nein]
4 [2]
4
4 [2]
4
4
Hignett, 2003
2
ja
ES 2
‘‘Lifting Team’’ Effekte ja
mehrdimensionale Programme
lumbale Stu¨tzgu¨rtel ES
Effekte
ES
2
nein
3
unterschiedliche Kombinationen Effekte
ES
ja
2
ja
1
ja
2
ja
2
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n = 63 (RCTs o.A.), 1960-2001; ‘‘Qualita¨tsscore’’ nach Downs & Black: Arith. Mittel u. Median: 54% Bos et al., n = 13 (3 RCTs), 2006 1995-2005; davon 11 Studien ,,hohe‘‘ Qual.) Dawson et al., n = 16 (8 RCTs), 2007 1966-2004; davon nur 1 ,,hohe‘‘ Qual. Amick et al., n = 16 (7 RCTs), 2007 [Update o.Zeitraum.; Tulllar et al., alle hohe/ mittlere-hohe 2010] Qualita¨t [Update: n = 19 (10 RCTs)]
ES
singula¨re Maßnahmen (verha¨ltnisbezogen)
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entnommen werden. Widerspru¨chlich bzw. ungenu¨gend scheint die Ergebnislage zu verha¨ltnispra¨ventiven Ansa¨tzen wie technischen Hilfsmitteln. Die Cochrane-Arbeitsgruppe von Martimo et al. (2008) fand im Rahmen ihrer – berufsu¨bergreifenden – Meta-Analyse zu Training und technischen Hilfsmitteln keine ausreichende Evidenz fu¨r positive Effekte. Die Autoren weisen jedoch selbst auf mo¨gliche Einschra¨nkungen fu¨r die Identifizierung kleinerer MSE-Effekte durch die rigorosen CochraneAuswahlkriterien hin. Insgesamt scheint hier derzeit noch keine endgu¨ltige Beurteilung mo¨glich. Daru¨ber hinaus vernachla¨ssigt der Rekurs auf pflegespezifische Reviews umfassendere Ergebnisse berufsgruppenu¨bergreifender Expertisen; aus diesen ergibt sich z.B. fu¨r Arbeitsplatzprogramme, die ko¨rperliche Fitness und Beweglichkeit erho¨hen sollen, eine starke Evidenz fu¨r positive Effekte auf MSE. Fu¨r mehrdimensionale Programme hingegen finden alle Autoren ,,moderate bis starke Evidenz‘‘ fu¨r nachweisbare Effekte auf Lendenwirbelsa¨ulenerkrankungen der Bescha¨ftigten. Als wirksamkeitsunterstu¨tzend im Pflegesetting gelten z.B. die Verfu¨gbarkeit ergonomischer Hilfsmittel in Kombination mit dem Know-how fu¨r ihre Nutzung sowie das Training ru¨ckenschonender Arbeitsweisen beim Patientenhandling, flankiert durch eine optimierte Arbeitsorganisation und -umgebung (Tullar et al., 2010). Ein patientenbezogenes Risikoassessment steigert die gemessenen Effekte (Hignett, 2003). Gravierende Defizite bestehen bei der Evaluation der Umsetzungsin-
tensita¨t und -qualita¨t einer Intervention im betrieblichen Setting als potenzielle Sto¨rvariable fu¨r ihre Wirksamkeit. Wird die Intervention unzureichend umgesetzt, kann dies entscheidend zu einer mo¨glichen Fehleinscha¨tzung von Programmeffekten beitragen. Priorita¨re effektfo¨rderliche Faktoren fu¨r angemessene Implementationsstrategien prima¨rpra¨ventiver Maßnahmen im Gesundheitsdienst fassen Koppelaar et al. (2009) in einem hierzu ku¨rzlich publizierten Review zusammen, indem sie entsprechende Barrieren aufzeigen. Nach ihren Erkenntnissen sind – obwohl derzeit nicht im Einzelnen quantifizierbar – – ,,Umgebungsaspekte‘‘ (Unterstu¨tzung von Management/ Vorgesetzten/ Kollegen, Komfort i.S. eines leichten Zugangs zu einer Maßnahme – einschließlich Zeit-Ressourcen und verfu¨gbarem ergonomischem Equipment –, ihre allgemeine Attraktivita¨t und Integrierbarkeit in andere Arbeitskonzepte, sowie – am Rande – patientenbezogene Faktoren) wichtiger als – ,,individuelle‘‘ Aspekte (Motivation, Fa¨higkeiten, Erfahrungen, Einstellungen). ,,Fehlende Evidenz‘‘ ist also nicht gleichbedeutend mit ,,fehlenden Effekten‘‘, sondern mit einem Mangel an qualitativ hochwertigen Studien und der ,,richtigen‘‘ Zielgro¨ße. Schlussfolgerungen auf die Qualita¨t der Pra¨ventionsstrategien selbst sind somit nicht angemessen. Zur Sicherung der Qualita¨t zuku¨nftiger Studien mit Nachweiskraft fu¨r die Wirksamkeit erscheint aufgrund der hier be-
schriebenen Forschungslage insbesondere wichtig – die pra¨zise(re) Erfassung und Quantifizierung wichtiger ,,Zwischenzielgro¨ßen‘‘ (vor allem die in vielen Studien unzureichende Erfassung der Effekte auf ko¨rperliche Belastungen), – eine angemessene Definition der Zielgro¨ße MSE (Indikatoren fu¨r ihren Schweregrad statt unspezifischer Beschwerdeangaben), – begru¨ndete Fallzahl mit vorheriger Powerabscha¨tzung, – ein (Cluster-)Randomisierungsdesign fu¨r die Kontrollgruppe; – angemessene Follow up-Zeitra¨ume (mindestens ein Jahr), – Non-Responder-Analysen, – die Erfassung von Sto¨rvariablen/ Barrieren im mixed methods – Design – Sta¨rkung formativer Evaluation, sowie – die Analyse o¨konomischer Kennwerte. Die Herausforderungen fu¨r zuku¨nftige Studien liegen also gleichermaßen auf der Implementations- und der Methodenebene. Die korrespondierende Autorin erkla¨rt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. Literatur siehe Literatur zum Schwerpunktthema. www.elsevier.de/phf-literatur doi:10.1016/j.phf.2011.06.010 Dr. Martina Michaelis FFAS – Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin Bertoldstr. 27 79098 Freiburg
[email protected]
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Einleitung Der Beitrag bescha¨ftigt sich mit dem Stand evidenzbasierter Forschung zur Wirksamkeit von Maßnahmen, die die Pra¨vention von Muskel- und Skeletterkrankungen (MSE) bei Pflegenden fokussieren. Effekte singula¨r durchgefu¨hrter Maßnahmen auf MSE scheinen aktuell entweder ungenu¨gend, widerspru¨chlich oder nicht vorhanden. Fu¨r mehrdimensionale Programme ist der Wirksamkeitsgrad nachweislich besser. Es werden Defizite diskutiert, die bestimmend fu¨r die Wirksamkeitsbeurteilung einer arbeitsbezogenen Pra¨ventionsmaßnahme sind. Schlu¨sselwo¨rter: Evidenz = Evidence, Wirksamkeit = effectiveness, Prima¨rpra¨vention = primary prevention, Arbeitsplatz = workplace, Muskel- und Skeletterkrankungen = musculoskelettal disorders, Pflegeberuf = nurses
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