Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2013) 107, 297—301
Online verfügbar unter www.sciencedirect.com
journal homepage: http://journals.elsevier.de/zefq
SCHWERPUNKT
Therapie von Kaumuskelschmerzen mit Okklusionsschienen The therapy of masticatory muscle pain with oral splints Hans J. Schindler a,∗, Alfons Hugger b, Jens C. Türp c a
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Universität Heidelberg Westdeutsche Kieferklinik, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf c Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin und Myoarthropathien, Universitätskliniken für Zahnmedizin, Universität Basel b
SCHLÜSSELWÖRTER Myoarthropathien; kraniomandibuläre Dysfunktionen; Myalgie; myofaszialer Schmerz; Therapieempfehlungen
KEYWORDS Myoarthropathies; craniomandibular dysfunctions; myalgia; myofascial pain; treatment recommendations
Zusammenfassung Myofasziale Schmerzen der Kaumuskulatur sind die zweithäufigsten schmerzhaften Beschwerden im Kiefer-Gesichtsbereich. Wie unspezifische muskuloskelettale Schmerzen in anderen Körperregionen zeichnen sie sich durch eine multifaktorielle Genese aus. Ziel des Beitrags ist es, den aktuellen Wissensstand der Therapie mit oralen Schienen aufzuzeigen. Es wird belegt, dass diese Behelfe bei der überwiegenden Zahl der Patienten zu zufriedenstellender Schmerzlinderung bzw. Schmerzfreiheit im Kurz- und Langzeitverlauf führen. Bei Chronifizierung der Muskelschmerzen, die durch ausgeprägte psychosoziale Beeinträchtigungen gekennzeichnet sind, ist die Therapie mit Okklusionsschienen nur eingeschränkt wirksam. Innerhalb eines interdisziplinären Schmerzmanagements ist hier die schmerzpsychologische Betreuung dieser Patienten unerlässlich. Summary Myofascial masticatory muscle pain is the second most frequent pain-related complaint in the orofacial region. Like unspecific musculoskeletal pain in other body segments, masticatory muscle pain is characterised by a multifactorial aetiology. The aim of this article is to document the current knowledge about the therapy with oral splints. It is shown that in both the short and long term, oral appliances can achieve sufficient pain relief in the majority of patients. In chronic myofascial jaw pain associated with psychosocial impairment in patients, effectiveness of splint therapy is limited, though. Within an interdisciplinary pain management programme, additional involvement of a psychotherapist is essential.
Einleitung
∗
Korrespondenzaddresse: Prof. Dr. Hans Jürgen Schindler, Hirschstraße 105, Karlsruhe. Tel.: +0049 17219333713. E-Mail:
[email protected] (H.J. Schindler).
1865-9217/$ – see front matter http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2013.05.003
Nach den verschiedenen Formen der Odontalgien [1] sind die Myoarthropathien des Kausystems (MAP) die am häufigsten von Patienten beklagten schmerzhaften Beschwerden im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Etwa 75% der Patienten mit schmerzhaften MAP leiden unter myofaszialen Schmerzen
298 der Kaumuskulatur ohne Kiefergelenkbeteiligung. Frauen sind − bevorzugt im gebährfähigen Alter − bis zu viermal häufiger betroffen als Männer. Kaumuskelschmerzen sind durch einen dumpf-drückenden, manchmal ziehenden Charakter gekennzeichnet, weisen eine geringe bis mittlere Intensität auf und werden oft von einer eingeschränkten Bewegungskapazität des Unterkiefers begleitet. Belastungen beim Kauen, aber auch die Palpation der betroffenen Muskeln verstärken die Symptome in der Regel. Häufig werden die Schmerzen in Kopfregionen übertragen und dort dominant wahrgenommen. Aktuelle Empfehlungen zur Behandlung myofaszialer Kaumuskelschmerzen betonen die Bedeutung nicht-invasiver therapeutischer Maßnahmen, insbesondere die Therapie mit oralen Schienen, im Folgenden kurz als ,,Schienen‘‘ bezeichnet.
Ätiologie Die Grundlage für die Modellvorstellungen des myofaszialen Schmerzes ist der Nozizeptorschmerz, der durch Überlastung motorischer Einheiten ausgelöst und durch eine Vielzahl disponierender Faktoren begünstigt werden kann. Als übergreifende pathophysiologische Erklärungsmodelle dienen im Wesentlichen das Mikrotrauma und die lokale Ischämie [2] sowie ihre strukturellen und funktionellen klinischen Entsprechungen, wie myofaszialer Triggerpunkt, lokale Muskelerschöpfung und Muskelkater. Den Vorstellungen ist gemeinsam, dass am Ende der Kausalkette die Freisetzung von Protonen und anderen endogenen algetischen Substanzen (z. B. Glutamat, Substanz P, Bradykinin, Histamin, Prostaglandin E, Serotonin, Kaliumionen, Adenosintriphosphat) aus afferenten Nervenfasern und Gewebszellen sowie die über sie vermittelte Erregung und Sensibilisierung von muskulären Nozizeptoren (Gruppe IIIund IV-Afferenzen) steht. Anerkannte Konzepte unterscheiden dabei in Einklang mit der als multifaktoriell beschriebenen Genese dieser muskuloskelttalen Beschwerden • prädisponierende (z. B. strukturelle, systemische, psychische), • initiierende (z. B. Mikro-, Makrotraumen und Überlastungen) und • unterhaltende (z. B. psychosoziale) Einflussfaktoren. Bei einer Reihe von Patienten mit Kiefermuskelschmerzen ist allerdings, anders als bei akuten Läsionen, kein zeitlich begrenzter Schmerzverlauf zu finden. Stattdessen wird der Muskelschmerz zum persistierenden Schmerz (ohne psychosoziale Beeinträchtigungen) oder zum chronischen Schmerz (mit psychosozialen Beeinträchtigungen, wie Einschränkungen bei der Verrichtung täglicher Aktivitäten, Beeinträchtigungen der Kontaktfähigkeit, depressive Verstimmung und andere Störungen der emotionalen Befindlichkeit), wobei er über viele Monate, bisweilen Jahre anhält. Häufig sind gleichzeitig Schmerzen in anderen Körpersegmenten vorhanden [3]. In Einrichtungen der 2. und 3. Versorgungsstufe (Fachärzte bzw. Spezialkliniken) zählen etwa 30% der Patienten mit myofaszialen Kaumuskelschmerzen zur Kategorie der chronifizierten Patienten; in der zahnärztlichen Praxis beträgt dieser Anteil demgegenüber
H.J. Schindler et al. nur etwa 10%. Die hier vorgenommene Trennung zwischen lang anhaltenden Schmerzen mit unterschiedlicher psychosozialer Belastungskomponente korrespondiert mit einem kürzlich von Treede [4] vorgestellten Drei-Phasen-Modell der Schmerzen, das die klinische Realität weit besser abbildet als eine ausschließlich zeitorientierte Interpretation ,,chronischer‘‘ Schmerzen (> 3 Monate), welche keinen Unterschied zwischen gut und nur unbefriedigend behandelbaren Schmerzpatienten macht.
Diagnostik Die schlecht lokalisierbaren Kiefermuskelschmerzen sind durch einen dumpf-drückenden oder ziehenden Charakter gekennzeichnet. Die Schmerzen weisen in der Regel eine geringe bis mittlere Intensität auf. Bei Palpation des Muskels, bei isometrischer Kontraktion, beim Kieferöffnen und beim Kauen werden sie verstärkt wahrgenommen. Schmerzbedingte Veränderungen von stereotyper Bewegung des Unterkiefers, insbesondere Einschränkungen der Bewegungskapazität (vor allem der Kieferöffnung) und Ausweichmuster, können beobachtet werden. Nicht selten wird die Wahrnehmung der Muskelschmerzen in andere Strukturen übertragen, wie Zähne oder Zahngruppen, Kiefergelenke, Mittelohr, Schläfe, Auge und Halsmuskulatur. Da bislang keine wissenschaftlich gesicherten Hypothesen zur Entstehung myofaszialer Schmerzen vorliegen, sollte die Diagnostik von Kiefermuskelschmerzen ausschließlich auf der Grundlage 1. der von den Patienten angegebenen Symptomatik sowie 2. der klinischen Befunderhebung erfolgen. Im Rahmen der schmerzbezogenen Anamnese ist der Einsatz eines standardisierten Schmerzfragebogens empfehlenswert. Bei der klinischen Befunderhebung stehen die Messung der Unterkieferbeweglichkeit mit dem dabei ggf. auftretenden Bewegungsschmerz sowie die manuelle (oder mittels Algometer erfolgende) Muskelpalpation zur Ermittlung der Druckschmerzhaftigkeit im Mittelpunkt. Eine vom Interdisziplinären Arbeitskreis für Mundund Gesichtsschmerzen der Deutschen Schmerzgesellschaft (DSG) erarbeitete Empfehlung zur Standarddiagnostik bei Schmerzen im Bereich der Kaumuskulatur und Kiefergelenke sieht ein diagnostisches Stufenkonzept vor. Dieses unterscheidet eine Mindest- von einer Standard- und einer erweiterten Diagnostik [5,6]. Neben somatischen Befunden (Achse I) werden schmerzkorrelierte psychosoziale Parameter (Achse II) erfasst. Innerhalb der ,,somatischen‘‘ Achse I werden nur zwei muskelbezogene ,,Diagnosen‘‘ unterschieden: der ,,myofasziale Schmerz‘‘ und der ,,myofasziale Schmerz mit eingeschränkter Kieferöffnung‘‘. Die symptombezogene Diagnose ,,myofaszialer Schmerz‘‘, welche akute, persistierende und chronische Verläufe einschließt, zeigt allerdings eine geringe Trennschärfe zu anderen, ebenfalls mit Muskelschmerz verbundenen chronisch verlaufenden Erkrankungen, wie dem Fibromyalgie-Syndrom oder dem episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp [7].
Therapie von Kaumuskelschmerzen mit Okklusionsschienen
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Die in Achse II erhobenen Befunde beeinflussen die weiteren diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen vor allem dahingehend, dass mit zunehmender psychosozialer Beeinträchtigung des Patienten ein interdisziplinäres Vorgehen unter Beteiligung eines in der Schmerzdiagnostik und -therapie erfahrenen klinischen Psychologen (
) unerlässlich wird. Das Ausmaß der psychosozialen Beeinträchtigung bietet zudem einen frühen Anhaltspunkt für chronische Verlaufsformen, die therapeutisch nur in beschränktem Maße zu beeinflussen sind (sog. dysfunktionaler Schmerz) [7].
funktionelle Neuorganisation nach experimenteller Lageveränderung des Unterkiefers eine Reihe von Belegen [15,16]. Motorische Schmerzadaptationen und therapierelevante neuromuskuläre Effekte in anderen Körpersegmenten werden in vergleichbarer Weise interpretiert [17]. Die Tatsache, dass zeitlich begrenzte Therapiemaßnahmen, wie Schienentherapie und Physiotherapie, vergleichbar gute Ergebnisse liefern [18] wie eine systematische Einschleiftherapie von Zähnen (mit der Folge einer irreversiblen Lageveränderung des Unterkiefers) belegt, dass für eine erfolgreiche Behandlung keine invasiven Interventionen notwendig sind. Im schmerzenden System sind irreversible Lageveränderungen der Kiefer zueinander ohnehin bedenklich, da schmerzbedingte motorische Anpassungen [19] die habituelle Unterkieferlage und damit die Kieferrelation verändern können. Dies hat direkte Auswirkungen auf die einer Neuorientierung zugrunde gelegte Referenzposition des Unterkiefers. Interessanterweise überdauern die therapeutischen Wirkungen die rund 7- bis 8-stündige nächtliche Tragezeit der Schienen. Dieses Phänomen kann durch lang anhaltende neuromuskuläre Anpassungen (im Sinne von Rekrutierungsmodifikationen motorischer Einheiten) auf der Basis zentralnervöser neuroplastischer Veränderungen erklärt werden, wie sie insbesondere auch nach koordinativem Training der Kiefer- und Zungenmuskulatur zu beobachten sind [20,21]. Darüber hinaus erklärt diese Vorstellung die vergleichbaren Wirkungen all solcher Maßnahmen, die Einfluss auf das motorische Verhalten nehmen, wie Selbstübungen, Physiotherapie oder nur den Gaumen bedeckende ,,Plazebo‘‘-Schienen [3]. Studien im Bereich der Körpermuskulatur, die den Einfluss von motorischem Training auf Bewegungsparameter von Gesunden und Patienten untersuchten, belegen diesen Sachverhalt ebenfalls [3]. Sogar passive Bewegungen können solche länger anhaltenden motorischen Adaptationen durch kortikale Reorganisationen auslösen [3]. Die therapeutische Wirkung von Vermeidungsmustern im Sinne motorischer Anpassungen an Schmerzen folgt ebenfalls diesem Prinzip [20]. Dieses wissenschaftlich gut untermauerte Modell für die Wirkung von Schienen sagt somit voraus, dass jegliche zeitlich begrenzte interund/oder intramuskuläre Veränderungen der Rekrutierungsmuster der Muskulatur therapeutisch effektiv sein können [3]. Die für den individuellen Patienten therapeutisch wirksamste Unterkieferposition zu finden, bleibt allerdings für den Zahnarzt nach wie vor eine große Herausforderung. An dieser Stelle muss betont werden, dass sich chronische Schmerzzustände durch die Dysfunktion des nozizeptiven Systems sowie durch variable psychosoziale Komponenten auszeichnen. Es versteht sich daher von selbst, dass die dargelegte neuromuskuläre Hypothese, die im Wesentlichen von einem Läsionsmodell ausgeht, kein pathophysiologisches Modell für diese Patientengruppe sein kann. Dennoch scheint es angesichts der Tatsache, dass 80% der in den Praxen erfolgreich behandelten Personen nicht-chronifizierte Patienten sind, nützlich zu sein, Ursache und Wirkung im Sinne des vorgestellten Modells besser zu verstehen.
Grundlagen der Therapie Basierend auf den Daten von Übersichtsarbeiten [8,7] wird der Einsatz folgender Interventionen zur Therapie von Kiefermuskelschmerzen empfohlen: • • • • • • • • •
Aufklärung Schienen Physikalische Therapie (manuelle Therapie, Massage) Physikalische Selbsttherapie Pharmakotherapie (nicht-steroidale Antirheumatika; trizyklische Antidepressiva) Akupunktur Progressive Muskelentspannung Biofeedback Verhaltenstherapie
Aus hartem Kunststoff (Methylmethacrylat) bestehende orale Schienen sind in Deutschland unter den zur Verfügung stehenden Optionen die am häufigsten eingesetzten Therapiemittel bei der Behandlung regionaler Myalgien der Kaumuskulatur [9]. Ihre Wirksamkeit ist belegt [10]. Im Gegensatz zu den anderen Maßnahmen wird die Schienentherapie ausschließlich in der zahnärztlichen Praxis angeboten und ist im Vergleich mit anderen über die Okklusion der Zähne vermittelten Interventionen, wie Einschleifen der Zähne, prothetische Therapie, Kieferorthopädie oder Oral- bzw. Kieferchirurgie, die einzige nicht-invasive und daher reversible Maßnahme. Eine nächtliche Tragedauer scheint für die Erzielung therapeutischer Wirkungen ausreichend zu sein. Aktuelle systematische Übersichten [7,11] belegen die spezifische Wirksamkeit von Schienen bei myofaszialen Schmerzen. Eine weitere Untersuchung zeigt darüber hinaus, dass eher unkomplizierte, auf die Kiefermuskulatur beschränkte Beschwerden besonders gut auf die Schienentherapie ansprechen, während chronische Verläufe von dieser Intervention als alleinige Maßnahme kaum profitieren [12].
Grundlagen der Schienentherapie Für die Wirkungsweise von Schienen gibt es diverse Hypothesen, darunter Induktion einer Verhaltens- und Bewusstseinsänderung [13] sowie Neuorganisation intramuskulärer Funktionsmuster und dadurch mögliche Entlastung lädierter motorischer Einheiten [14]. Während Verhaltensund Bewusstseinsänderung angesichts des überwiegend nächtlichen Trageintervalls nur schwerlich einen therapeutischen Effekt erklären können, gibt es für die intramuskuläre
Praxis der Schienentherapie Obwohl es bislang auf unterschiedliche
keine gesicherten Wirksamkeit der
Hinweise diversen
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H.J. Schindler et al.
Abbildung 1
Michigan-Schiene in situ.
Schienenkonfigurationen gibt, werden voneinander abweichende Grundformen im praktischen Alltag eingesetzt. Nur für einen Teil dieser Variationen liegen Wirksamkeitsnachweise durch kontrollierte randomisierte Therapiestudien vor [7,11,22]. Unter biomechanischen Gesichtspunkten sind jedoch Wirksamkeitsunterschiede zu erwarten, da Modifikationen der vertikalen (Abstand zwischen Ober- und Unterkiefer) und horizontalen Komponenten (Lage des Unterkiefers in sagittaler Richtung) der Kieferrelation zwangsläufig zu unterschiedlichen Rekrutierungsmustern und, damit einhergehend, variablen lokalen Entlastungen in der Muskulatur führen. Da Muskelläsionen bei den Patienten nicht gleichmäßig verteilt sind, muss die individuell therapeutisch effektivste Positionierung des Unterkiefers vom Zahnarzt probatorisch durch Modifikation der therapierelevanten Parameter bzw. der Schienenkonfiguration ermittelt werden. Die am weitesten verbreitete Schienenform ist die sog. Stabilisierungsschiene (Michigan-Schiene; Abb. 1) [23,24]. Hinsichtlich ihres Nutzen-Risiko-Verhaltens gilt sie unter allen oralen Schienen als Goldstandard [22]. Sie zeichnet sich durch folgende Merkmale aus [3]: • • • • •
Sie besteht aus hartem Kunststoff. Sie wird typischerweise für den Oberkiefer hergestellt. Alle Zähne werden von der Schiene überdeckt. Die Schienenoberfläche ist plan. Bei Kieferschluss werden gleichzeitige und gleichmäßige Kontakte der Unterkieferzähne auf der Schiene erzielt. • In horizonaler Richtung (schienengeführte Vor- und Seitwärtsbewegungen des Unterkiefers mit den darin befindlichen Zähnen) ist ein horizontaler Freiraum von etwa 1 mm eingearbeitet (sog. ,,Freiheit in der Zentrik‘‘, engl.: ,,freedom in centric‘‘). • Bei Bewegungen des Unterkiefers von mehr als 1 mm entlang der Schiene kommt es aufgrund von in die Schienenoberfläche eingearbeiteten Kunststofframpen zu einer reinen Führung über beide (Vorschub) bzw. einen Eckzahn (Seitschub), wodurch alle anderen unteren Zähne diskludieren. Nach dem Einsetzen sollte die Schiene in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden, um, wenn auch sehr seltene, unerwünschte Nebenwirkungen (Zahnwanderungen, Bisslageveränderungen) frühzeitig zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen zu können [3]. Neben dieser klassischen Schienenkonfiguration gibt es Grundformen, die nur im Frontzahnbereich des Oberkiefers
Abbildung 2 Eine Schienenvariante mit ausschließlich frontalem Kontakt, hier ergänzt durch eine zusätzlich Eckzahnführung.
eingegliedert werden und jeglichen Seitenzahnkontakt vermeiden (Abb. 2). Kontrollierte Studien konnten zeigen, dass diese Schienentypen gleichwertige therapeutische Wirksamkeit besitzen wie die klassische Konfiguration [25]. Neben den bereits beschriebenen Wirkungen von Schienen könnte hierbei die Hemmung der Muskulatur durch nozizeptiven Input aus den parodontalen Nozizeptoren der Unterkiefer-Frontzähne, fehlendes positives Feedback aus den Parodontalrezeptoren der Seitenzähne oder beides gemeinsam den Wirkmechanismus der Frontplateaus unterstützen. Insbesondere bei starken isometrischen Kontraktionen, wie beim Kieferpressen, wäre dies möglicherweise ein zusätzlicher nützlicher Effekt. Bei dieser Schienenart, die als schnell verfügbare Option in der initialen Therapiephase Anwendung finden kann, ist insbesondere eine engmaschige Kontrolle vonnöten, um wegen der alleinigen okklusalen Abstützung im Schneidezahnbereich möglichen Okklusionsveränderungen rechtzeitig entgegen wirken zu können [5].
Fazit für die Praxis Kiefermuskelschmerzen bei MAP sind regionale Varianten muskuloskelettaler Beschwerden, wie sie auch in anderen Körperregionen zu finden sind. Eine zeitgemäße Diagnostik und Behandlung der MAP orientiert sich daher an bewährten medizinischen Konzepten. Eine strukturierte schmerzbezogene Anamnese und Befunderhebung ist unerlässlich, um myofasziale Schmerzen sicher zu erkennen. Der überwiegende Teil der Patienten mit myofaszialen Schmerzen spricht gut auf nicht-invasive therapeutische Interventionen, insbesondere eine Schienentherapie, an. Invasive Interventionen alleine oder zur Sicherung eines erfolgreichen Behandlungsergebnisses stehen in der Regel auf keiner guten wissenschaftliche Grundlage. Validierte zweiachsige Diagnoseschemata ermöglichen, mit guter Trennschärfe chronifizierte von nicht-chronifizierten Patienten zu unterscheiden und dadurch die Patientengruppen zu identifizieren, die einerseits therapeutisch am meisten von der Schiene profitiert oder andererseits von einer interdisziplinären Betreuung den größten Nutzen erfährt.
Methodenreport zur Nationalen VersorgungsLeitlinie Diabetes — Strukturierte Schulungsprogramme
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Methodenreport zur Nationalen VersorgungsLeitlinie Diabetes — Strukturierte Schulungsprogramme
Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL) werden nach einer festgelegten Methodik entwickelt. Damit diese Entwicklung für die Öffentlichkeit transparent und nachvollziehbar ist, wird zu jeder NVL ein LeitlinienReport veröffentlicht, der detailliert den Erstellungsprozess dokumentiert. Für die NVL Diabetes — Strukturierte Schulungsprogramme ist dieser Report jetzt im Internet abrufbar.
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Die NVL „Diabetes — Strukturierte Schulungsprogramme‘‘ ist Bestandteil eines umfangreichen NVL-Konzepts zu Diabetes. Ihre Langfassung wurde im Dezember 2012 veröffentlicht. Neben Zielen, Zielgruppen, Indikationen, Strukturund Prozessanforderungen sowie konkreten Inhalten strukturierter Schulungsprogramme einigte sich die Expertengruppe auf eine Reihe
ZEFQ-SERVICE: TIPP
Kriterien für Qualitätsstandards zur Überprüfung von Ergebnisqualität und verabschiedete drei Qualitätsindikatoren. Die NVL Diabetes — Strukturierte Schulungsprogramme richtet sich sowohl an Ärztinnen und Ärzte als auch an alle nichtärztlichen Berufsgruppen, die an der Schulung und Versorgung von Menschen mit Diabetes beteiligt sind.